Protokoll der Sitzung vom 11.03.2014

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, schauen Sie sich an, wie in anderen Ländern mit der demografischen Rendite umgegangen wird. Auch das ist nicht primär eine Frage der politischen Konstellation; auch das ist eine Frage der Haltung und der politischen Prioritätensetzung. Schauen wir z. B. auf das Land Sachsen, in dem der demografische Wandel schon viel früher eingesetzt hat. Sie haben darauf auch reagiert, indem sie die Rendite im System belassen haben. Heute können sie schon die Früchte ernten.

An der 105-prozentigen Lehrerversorgung im Landesschnitt halten wir deshalb fest, und wir werden Schulen, die im Landesvergleich unter besonders herausfordernden Bedingungen arbeiten, durch eine Ausweitung des Sozialindex noch stärker unterstützen.

Konkret beinhaltet das: Die Schulen haben Sicherheit, was ihre personellen und finanziellen Ressourcen betrifft. Sie können ihre Schwerpunkte setzen und entwickeln; sie können Unterstützungsmaßnahmen ergreifen und ein Höchstmaß an individueller Förderung verwirklichen, damit kein Kind zurückbleibt und jede Schülerin und jeder Schüler zu ihrem bzw. zu seinem Bildungserfolg kommt.

Natürlich kann man immer noch mehr machen. Deswegen ist das normalerweise auch eine wohlfeile Forderung der Opposition. Speziell in der Bildung ist der Raum für sinnvolle finanzielle Investitionen nach oben praktisch unbegrenzt. Aber auch in dieser Hinsicht ist Verlässlichkeit das entscheidende Element. Ich halte es daher für einen zentralen Beitrag zum Schulfrieden, dass das politische Pendel hier zum Stillstand kommt und dass kein ständiger Streit über die finanziellen Ressourcen geführt werden muss.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, auch mit der 105-prozentigen Lehrerversorgung im Schnitt und der demografischen Rendite werden wir nicht alle Wünsche erfüllen können. Aber es gibt genug Spielraum, um Neues zu verwirklichen, Prioritäten zu setzen und das Bildungssystem weiter voranzubringen – wenn wir es schaffen, uns über ein paar fundamentale Leitlinien zu einigen. Das ist das Ziel, das über dieser Legislaturperiode steht und das wir mit dem Bildungsgipfel verfolgen: eine Verständigung zwischen Politik, Schule und Gesellschaft.

Wir wissen, an Schule und an Bildungspolitik sind viele Kräfte interessiert. Sie bringen auch unterschiedliche Perspektiven und Interessen ein. Die meisten dieser Kräfte stimmen bei aller Unterschiedlichkeit der Standpunkte allerdings in dem überein, was schon das Zitat am Anfang zum Ausdruck bringen sollte, nämlich dass Bildung die zentrale Zukunftsfrage ist.

Die Landesregierung wird deshalb alle an Schule Beteiligten sowie selbstverständlich die Fraktionen im Landtag

einladen, um mit ihnen eine Vereinbarung über die Schulentwicklung in Hessen nicht nur für diese, sondern über die nächste Legislaturperiode hinaus zu erarbeiten. Uns ist es nämlich wichtig, auf diese Weise den Schulen, den Schulträgern und den Eltern Planungssicherheit zu geben.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir wollen Bildungspolitik mit einem langen Atem und mit einer längerfristigen Perspektive betreiben. Wir wollen gemeinsam die wichtigsten Themen erörtern und uns auf gemeinsame Leitbilder verständigen. Der Bildungsgipfel soll hierfür das Forum sein.

Das ist im Übrigen kein Widerspruch zu der in diesem Hause geplanten Enquetekommission. Darüber werden wir morgen noch einmal diskutieren. Diese kann auf ihre Weise einen ebenso wichtigen Beitrag leisten, und wir werden ihre Arbeit selbstverständlich einbeziehen; denn gerade die Verzahnung der Arbeit beider Gremien kann uns das Maximum an Erkenntnissen und praktischen Handlungsanleitungen vermitteln.

Meine Damen und Herren, im Übrigen müssen wir mit unserer Arbeit nicht bei null anfangen; denn es existieren schon zahlreiche Eckpunkte, an denen wir uns orientieren können. Ich will ein paar davon nennen. Dazu gehört z. B. die Bedeutung der Persönlichkeit der Lehrkraft, ihrer Qualifikation und ihrer Einstellung für den Lernerfolg von Schülerinnen und Schülern. Auf den Lehrer – natürlich auch auf die Lehrerin – kommt es an. Das scheint eine Binsenweisheit zu sein, aber man kann es gar nicht oft genug wiederholen: Gute Lehrerinnen und Lehrer sorgen für den Bildungserfolg ihrer Schülerinnen und Schüler.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zu diesen Orientierungspunkten gehört weiter die Konzentration auf die individuelle Förderung eines jeden Kindes. Das ist unser Oberziel: Jeder soll seine Talente und Begabungen bestmöglich entfalten können.

Zu diesen Orientierungspunkten zähle ich auch die Erhöhung der Bildungsbeteiligung. Das ist ein Punkt, der vor allem mit der Durchlässigkeit des Systems und der Bildungsgänge zu tun hat. Sie alle haben wahrscheinlich die erst kürzlich erschienene Studie zur Kenntnis genommen, wonach unser Bildungssystem zum Glück bereits in einem ganz hohen Maße durchlässig ist, sogar viel stärker, als man es ihm normalerweise nachsagt. Das ist ein Zustand, den es zu erhalten gilt. Natürlich kann man gute Dinge immer noch besser machen. Deswegen wollen wir das weiter optimieren.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich nenne als weitere Punkte die Verbesserung der Leistungsfähigkeit des Bildungssystems, die Sicherung eines wohnortnahen Schulangebots und die Stärkung von Eigenverantwortung und Selbstständigkeit vor Ort. Das ist eine Art bildungspolitisches Subsidiaritätsprinzip: Was dezentral gut entschieden werden kann – das ist auch die Philosophie, die Sie in den beiden Beispielen erkennen, die ich vorhin genannt habe –, müssen wir nicht zentral von oben vorgeben. Diese Balance gilt es allerdings immer wieder auszutarieren, und auch dafür brauchen wir die Kommunikation mit allen Beteiligten.

An letzter Stelle steht – um es besonders hervorzuheben – die Sicherung der Vielfalt des Schulsystems und der daraus resultierenden Wahlmöglichkeiten für Eltern sowie für Schülerinnen und Schüler. Diese Wahlmöglichkeiten werden niemals unbegrenzt sein können. Aber die Vielfalt des Schulsystems ist die Voraussetzung dafür, dass es überhaupt welche gibt.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Diese Orientierungspunkte müssen nun konkretisiert und verfestigt werden; denn wir stehen inmitten großer gesellschaftlicher Veränderungen, die auch Herausforderungen für die Bildungspolitik zur Folge haben. Sie sind so bekannt und werden so oft angesprochen, dass ich sie nur kurz aufzählen will. Die demografische Entwicklung, ein verändertes soziales Gefüge, die Entwicklung hin zur Wissensgesellschaft und die zunehmende Digitalisierung und Globalisierung haben unmittelbare Auswirkungen auf Lehr- und Lernprozesse und damit auf die Arbeit unserer Schulen.

Daraus ergeben sich unterhalb der zentralen Orientierungspunkte zahlreiche Fragen, die wir mit den Partnern auf dem Bildungsgipfel diskutieren wollen. Auch hier möchte ich nur beispielhaft einige skizzieren:

Wie lässt sich Schule unter den veränderten Rahmenbedingungen in Zukunft noch besser gestalten? Das ist die Frage nach der Eigenverantwortung und der Selbstständigkeit vor Ort, nach der Verteilung der Verantwortung für Budget und Personal.

Wie kann die gemeinsame Verantwortung von Land und Schulträgern für gute Bildung weiter gestärkt werden? Da geht es etwa um die Verbesserung der Zusammenarbeit von Land und Kommunen und um die Bewältigung der Folgen des demografischen Wandels.

Wie können wir auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler vor Ort noch passgenauer eingehen? Darüber wird oft genug auch unter dem Schlagwort „Umgang mit Heterogenität“ diskutiert. Da geht es um die Fragen: Wie behandelt man besonders leistungsschwache und besonders leistungsstarke Schüler? Wie geht man mit Schülerinnen und Schülern mit einem besonderen Hintergrund oder besonderen Problematiken um?

Welchen veränderten Herausforderungen müssen sich die Lehrkräfte heute stellen, und wie können wir sie besser darauf vorbereiten? Das zielt auf die Lehrerbildung ab. Das entspricht der Bedeutung der Persönlichkeit der Lehrkraft, von der ich vorhin gesprochen habe, und auch dem Verhältnis von Bildungs- und Erziehungsauftrag innerhalb der Schule.

Meine Damen und Herren, auch auf dem Bildungsgipfel werden wir keine zeitlosen, unverrückbaren Antworten auf alle Fragen finden. Wir können jedoch Pflöcke einschlagen, die uns in den nächsten Jahren helfen werden, konsequent den richtigen Weg zu gehen. Deswegen werden wir zur Mitwirkung am Bildungsgipfel einladen und im Sommer mit allen Akteuren in den Dialog treten. Auf diesem Bildungsgipfel soll über die künftige hessische Bildungspolitik gesprochen werden. Denn uns alle, davon bin ich überzeugt, eint doch das Ziel, dass wir die bestmögliche Ausbildung und Zukunftsfähigkeit für die uns anvertrauten Kinder erreichen wollen.

Zur Verwirklichung dieses Ziels wollen wir „Foren der Praktiker“ schaffen, in denen man wechselseitig Erfahrungen austauschen und voneinander lernen kann, in denen konkrete Hilfestellungen erarbeitet und praktische Hinweise für die Umsetzung der vereinbarten Leitlinien entwickelt werden. Das Ziel soll sein, auf der Grundlage der Ergebnisse dieser Foren im nächsten Jahr zu Vereinbarungen über die Schulentwicklung in Hessen zu kommen.

Der Erfolg dieses Bildungsgipfels wird von der Kommunikation aller Beteiligten untereinander abhängig sein. Das gilt nicht nur für seine Umsetzung, sondern ganz wesentlich schon für seine Vorbereitung. Einen wesentlichen Bestandteil dieser Kommunikation stellen daher Gespräche vor Ort dar, um die unterschiedlichen regionalen Gegebenheiten und Herausforderungen differenziert zu betrachten. Die Zeit bis zum Sommer will ich deshalb nutzen, um schon mit vielen vor Ort an Bildung Beteiligten konstruktiv ins Gespräch zu kommen.

Meine Damen und Herren, eines möchte ich klarstellen: Der Bildungsgipfel, also die Suche nach einem übergreifenden Konsens in wichtigen Fragen, ist nicht der Versuch, alle Unterschiede und Gegensätze einzuebnen oder den bildungspolitischen Diskurs zu beenden. Er markiert, um einen viel zitierten Buchtitel aufzugreifen, nicht „Das Ende der [bildungspolitischen] Geschichte“. Darüber geben wir uns keinen Illusionen hin. Er stellt nur den Versuch dar – aber der allein ist schon von zentraler Bedeutung –, Kontinuität, Berechenbarkeit und Konsens in die Bildungslandschaft zu bringen. Bei der Realisierung der Maßnahmen und Schritte, die wir für notwendig halten, bei der Festlegung einzelner Prioritäten wird es jedoch weiterhin unterschiedliche Meinungen und Akzente geben, es wird also auch eine individuelle Profilierung möglich bleiben. Konsens setzt allerdings Kompromissfähigkeit voraus. Niemand darf erwarten, sich in allen Fragen durchsetzen zu können.

Der in diesem Haus sehr gut bekannte Dalai Lama hat dazu einmal formuliert: „Dialog bedeutet Kompromiss: Wir lassen uns auf die Meinung des anderen ein.“ Das ist unser Ansatz, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dieser Ansatz orientiert sich an ähnlichen Bestrebungen und Modellen in anderen Ländern, z. B. im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen. Dort ist es gelungen, zu einer Verständigung zu kommen. Wir gehen davon aus, dass das Gesprächsangebot des hessischen Bildungsgipfels zum Wohle der Kinder von allen hier im Haus vertretenen Fraktionen als einmalige Chance verstanden und auch angenommen wird.

Meine Damen und Herren, um noch einmal zum Anfang zurückzukommen: Ich bin auf den bildungspolitischen Grundsatzkonflikt in Hessen eingegangen, der dieses Land sehr geprägt hat. Sie wissen aus den Berichten, die zum Amtsantritt über mich geschrieben wurden, dass auch mein politisches Engagement aus diesem Konflikt heraus entstanden ist. Es war, wie wahrscheinlich bei vielen anderen in diesem Hause, die Schulpolitik, die mich zur politischen Arbeit bewogen hat. Gerade deswegen betrachte ich es nun als ein Privileg, an dem Versuch zur Überwindung dieses Grundsatzkonflikts mitwirken zu können, an dem Versuch, eine neue Balance des politischen Pendelschlags in der hessischen Bildungspolitik zu finden. Ich hoffe und ich

glaube daran, dass uns das mit der Hilfe aller Gutwilligen gelingen wird, und lade Sie daher ebenso herzlich wie eindringlich zur Mitwirkung ein. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Anhaltender Beifall bei der CDU und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Minister. Sie hätten noch 15 Sekunden Zeit gehabt. Das ist relativ genau. Man nutze es zur eigenen Orientierung für die Zukunft.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Verlässlichkeit! – Minister Stefan Grüttner: Fang noch einmal von vorne an! – Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Ja, das ist Übungssache, wie man eine Punktlandung macht.

Ich eröffne die Aussprache inklusive der Aussprache zu dem Gesetzentwurf, der eingebracht worden ist, und erteile Herrn Kollegen Degen für die Fraktion der SPD das Wort.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Idee, stärker das Gemeinsame in der Schulpolitik zu betonen als das Trennende, ist gut. Bei den Vorgesprächen zu der von uns initiierten Enquetekommission haben wir in den letzten Wochen bereits gute Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit allen Fraktionen gemacht. Wenn mit dieser Idee mehr Planbarkeit für die Schulen geschaffen werden kann, eine Planbarkeit, die auch den spätestens 2019 anstehenden Regierungswechsel überdauert, dann ist es noch besser.

(Beifall bei der SPD – Lachen bei der CDU)

Auch die Idee, mehr Konsens in der Umsetzung schulpolitischer Ziele zu erreichen, ist nicht neu. Die SPD-Fraktion hat bereits in der vergangenen Wahlperiode Vorstöße unternommen. Gesprächsangeboten stehen wir also offen gegenüber.

Die Idee eines Bildungsgipfels beinhaltet im Grunde zwei Ebenen. Erstens wird es um die Frage gehen, ob und wie mehr Ruhe auch in dieses Haus gebracht werden kann, wenn es um Schulpolitik geht. Darauf komme ich später noch zu sprechen. Zweitens – das hat auch etwas mit dem aktuellen Gesetzentwurf zu tun – geht es auch um die Frage, wie mehr Ruhe in die Schulen selbst gebracht werden kann. Dieses Ziel allerdings mit der sogenannten Wahlfreiheit zwischen G 8 und G 9 zu verbinden, Herr Minister, das halte ich für unglücklich.

(Beifall bei der SPD)

Denn mit Ihrem Gesetzentwurf werden Sie keine Ruhe in die Schulen bringen, zumindest nicht in diejenigen mit gymnasialem Bildungsgang. Was sich da momentan zusammenbraut und was noch vor uns steht, ist der Nährboden für den puren Unfrieden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der FDP)

Meine Damen und Herren, mit Ihrer gebetsmühlenartigen Wiederholung, Sie schaffen Wahlfreiheit und Frieden an

den Schulen, täuschen Sie Schüler und Eltern. „Fast teilweise Wahlfreiheit“ wäre eher angebracht oder vielleicht „wenn aber Wahlfreiheit“. Das wäre ehrlicher. Ein paralleles Angebot von G 8 und G 9 konnte aus unserer Sicht immer nur eine Übergangslösung sein, und selbst diese kommt heute zu spät. Hätten Sie früher auf uns gehört, wäre die Umsetzung nicht ganz so kompliziert geworden.