Protokoll der Sitzung vom 22.09.2015

Wir haben darüber diskutiert, wie viel Geld im Haushalt zur Verfügung gestellt wird. Ungefähr 680 Millionen € werden im Haushalt zur Verfügung gestellt, um diese Menschen erst einmal zu versorgen und unterzubringen. Es gibt aber immer noch keine Diskussion darüber, wie eine unabhängige Verfahrensberatung und eine Traumaberatung für diese Menschen denn aussehen sollen. Es gibt überhaupt keine Idee, wie beispielsweise auch auf kommunaler Ebene die Koordinierung der Unterbringung und Versorgung der Menschen gewährleistet werden soll.

Meine Damen und Herren von der Landesregierung, nehmen Sie 1 % des Geldes, das sind 6,8 Millionen €, runden Sie sie nach oben auf, machen Sie 7 Millionen € daraus, und verwenden Sie sie für eine unabhängige Verfahrensbegleitung, für die Gewinnung, Koordinierung und Unterstützung des zivilgesellschaftlichen Ehrenamts und für die Verbesserung der psychosozialen Versorgung von Menschen, die schutzbedürftig sind. Das wäre eine echte strukturelle Änderung, von einer Willkommenskultur hin zu einer Willkommensstruktur, und es wäre nicht nur bloßes Gerede, es wären nicht nur leere Worte. Die wollen die Menschen nämlich nicht mehr hören.

(Beifall bei der LINKEN)

Jetzt möchte ich ganz konkret darauf eingehen, was die Unterteilung in „gute“ und „schlechte“ Flüchtlinge betrifft.

Auch in Hessen wird von verschiedenen Leuten suggeriert, dass die aus dem Westbalkan kommenden Menschen Asylschmarotzer seien und unser Land nur ausbeuten wollten. Das ist nicht so. Auf der einen Seite werden Menschen, die nach dem Balkankrieg ganz legal zu uns gekommen sind, links liegen gelassen. Es wird ihnen die Möglichkeit gegeben, nach Arbeit zu suchen. Auf der anderen Seite wird das BAMF unnötigerweise mit den Asylanträgen derer überschwemmt, die nach der Ausweitung der Zahl der sicheren Herkunftsstaaten ganz schnell abgelehnt und abgeschoben werden sollen.

Auf der einen Seite gibt es die Syrer, die wir gerne aufnehmen wollen. Die warten ganz lange auf ihre Verfahren und kommen überhaupt nicht dazu, einen Asylantrag zu stellen. In der Erstaufnahmeeinrichtung in Wetzlar habe ich mit vielen Flüchtlingen gesprochen, auch Syrern, die schon seit zwei, drei oder vier Monaten in Deutschland sind, noch keinen Asylantrag stellen konnten und deswegen überhaupt nicht davon profitieren, nach drei Monaten in den Arbeitsmarkt integriert zu werden, Sprachkurse zu bekommen oder von der Residenzpflicht ausgenommen zu werden.

Auf der anderen Seite gibt es viele Balkanflüchtlinge, die eine vernünftige Verfahrensberatung haben wollen, die gar keinen Asylantrag stellen wollen und gefragt haben: „Ich will hier nur arbeiten, ich will gar kein Asyl.Wer kann mir helfen?“

In dieser Situation gibt es sehr viele ehrenamtliche Helferinnen und Helfer vor Ort, die versuchen, zu unterstützen. Sie sind nicht in die Erstaufnahmeeinrichtung eingebunden, und sie werden überhaupt nicht ernst genommen. Deshalb gibt es mehrere Briefe, beispielsweise einen offenen Brief der Kirchenverbände aus dem Lahn-Dill-Kreis, die sich darüber beschweren, dass die hygienischen Zustände katastrophal sind, die sich aber auch darüber beschweren, dass sie nicht ernst genommen werden, wenn sie als Ehrenamtler Unterstützung leisten wollen. Es gibt einen Brief der Frauenverbände, in dem diese darauf hinweisen, dass Frauen in den Erstaufnahmeeinrichtungen nicht geschützt sind, dass sie verschiedenen Formen von Gewalt und Ausschreitungen ausgesetzt sind, dass sie z. B. Vergewaltigung und sexueller Belästigung ausgesetzt sind. Das ist deshalb der Fall, weil wir 6.000 Menschen in Zelten unterbringen. Angesichts dieser Situation ist die Antwort lächerlich, in Darmstadt für 350 Frauen einen Platz zu finden. Das reicht nicht, und deswegen müssen wir ganz schnell endlich ein Bauprogramm verabschieden, damit wirklich Wohnraum geschaffen wird. Es muss ein Landesbürgschaftsprogramm verabschiedet werden, damit Private, die Unterkünfte schaffen wollen, von der WIBank Unterstützung und vor allen Dingen Kredite bekommen.

Meine Damen und Herren, „die Würde des Menschen ist unantastbar“. In Hessen müssen wir mehr tun, um unsere Hausaufgaben erledigen. Auf der Bundesebene müssen wir zu einer Verschärfung des Asylrechts definitiv Nein sagen.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort hat der Abg. Bellino.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Herr Boddenberg hat doch alles gesagt!)

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! – Frau Wissler, weil Sie diesen Zwischenruf gemacht haben: Herr Boddenberg hat in der Tat alles gesagt, was wir zu diesem Zeitpunkt wussten.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Was aus Ihrer Sicht zu sagen war!)

Wir hören jetzt gerüchteweise, dass es einen Antrag auf namentliche Abstimmung zu einem der vorliegenden Anträge geben soll. Sollte dies richtig sein, könnte das dazu führen, dass sich der eine oder andere wundert.

Wenn ich jetzt höre, dass über den dritten Absatz des FDPAntrags namentlich abgestimmt werden soll, dann darf ich Ihnen an dieser Stelle, bevor Sie nachher unsicher werden und nach Interpretationen suchen, erläutern, warum die CDU-Fraktion diesen Antrag ablehnen wird. Ich verknüpfe diese Erklärung mit der Hoffnung, dass man noch einmal darüber nachdenkt, ob man die beiden Anträge, den Antrag der LINKEN und den Antrag der FDP, heute zur Abstimmung stellt oder ob man es so macht, wie wir es für vernünftig halten, dass wir die Anträge nämlich an den Ausschuss geben,

(Florian Rentsch (FDP): Am Freitag ist die Bundesratssitzung! – Widerspruch der Ministerin Priska Hinz)

um über diese wichtige Thematik noch einmal sachlich zu diskutieren, so, wie in weiten Teilen der heutigen Debatte sehr ausführlich und sachlich diskutiert wurde.

(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Wir wissen, dass die Frage der sicheren Herkunftsstaaten nur ein Mosaiksteinchen von vielen ist. Vom Fraktionsvorsitzenden, vom Ministerpräsidenten und auch von anderen wurde angesprochen: Die finanziellen Hilfen vor Ort sind genauso zu nennen wie die finanzielle Unterstützung der Kommunen oder die Beschleunigung der entsprechenden Verfahren. Aber das ist, wie gesagt, eines von vielen Mosaiksteinchen.

Wir wissen auch, dass sich die Ministerpräsidentenkonferenz am Freitag gerade mit diesem Thema beschäftigen wird und dass davor und wahrscheinlich auch danach noch schwierige Verhandlungen in Berlin und an anderen Stellen zu führen sind. Die wollen wir nicht durch einen solchen – ich nenne es einmal so – Klamauk hier stören. Deshalb – und nur deshalb – werden wir diesem Antrag nicht zustimmen können, hoffen aber, dass Sie sich besinnen und, wie wir, Ihren Antrag an den Ausschuss geben, damit wir dort über das Gesamtthema sachlich diskutieren können.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Abg. Rudolph das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Bellino, nach einer Debatte, die, wie ich finde, dem Thema durchaus angemessen war, sind wir über

Ihre Ankündigung eines möglichen Abstimmungsverhaltens einigermaßen erstaunt; denn Politik lebt von Verlässlichkeit und Vertrauen.

(Lachen bei der CDU)

Ja, sicher. Wenn Sie hier genau das Gegenteil von dem machen, was Sie in Berlin im Rahmen der Großen Koalition beschließen und auf den Weg bringen, ist das kein Zeichen von Verlässlichkeit und kein Zeichen für einen Kompass.

(Beifall bei der SPD und der FDP – Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ihr habt doch auch Gegenstimmen gekriegt! – Gegenruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Welche denn? – Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In der eigenen Regierung! – Unruhe)

Meine Damen und Herren, bitte. Das Wort hat allein der Abg. Rudolph.

Herr Kollege Wagner, ich finde es schön, dass auch die GRÜNEN heute das eine oder andere zu dem Thema Flüchtlinge gesagt haben. Das war in den letzten Wochen und Monaten durchaus nicht üblich.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Wir führen in der Sozialdemokratischen Partei natürlich Diskussionen, auch über das Maßnahmenpaket in Berlin. Darüber wird, so wie bei Ihnen, unterschiedlich diskutiert. Aber, Herr Boddenberg, sich hierhin zu stellen und sich einen schlanken Fuß zu machen – in Berlin so, in Wiesbaden so – das ist eine Politik, die dem Thema nicht gerecht wird.

(Michael Boddenberg (CDU): Wer will sich einen schlanken Fuß machen? Gerade Sie! Das ist lächerlich!)

Das wird augenscheinlich nur gemacht, weil die GRÜNEN über ihre Mitgliederversammlung am nächsten Wochenende kommen wollen. Das ist keine solide Politik.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Sie reden von einer historischen Verantwortung und von großen Herausforderungen, und dann haben wir ein kleines parteipolitisches Karo von CDU und GRÜNEN. Deswegen: Auch ein klarer Kompass gehört zu schwierigen Entscheidungen.

Bitte kommen Sie zum Ende.

Wer hier bereit ist, Verantwortung zu übernehmen, das ist die Sozialdemokratische Partei. Sie machen sich einen schlanken Fuß. Aber dann sparen Sie sich bitte Ihre Sonntagsreden; denn die führen zur Unglaubwürdigkeit und zu

einem Verlust an Vertrauen in der Politik. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie wollen sich wegducken.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Herr Bellino könnte noch etwas darauf erwidern, weil das eine Kurzintervention war. Ansonsten haben nur noch die FDP und auch die CDU – zwei Minuten und 26 Sekunden – Redezeit. Frau Dorn, Ihnen könnte ich noch sieben Sekunden Redezeit geben. So schnell kann ich aber gar nicht zählen.

(Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das schaffe ich leider nicht!)

Wir beenden damit die Debatte. Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.

Kommen wir zu den verschiedenen Verfahren bei den Ausschussüberweisungen. Es wurde mir zugerufen, dass wir die Anträge unter den Tagesordnungspunkten 23, 25, 27, 29 und 36 an den Ausschuss überweisen.

Kommen wir zu Tagesordnungspunkt 44: Antrag der Fraktion der FDP betreffend sichere Herkunftsstaaten erweitern, Asylverfahren beschleunigen, gesteuerte Einwanderung ermöglichen und Flüchtlinge integrieren.

Herr Rock, Geschäftsführer der Fraktion der FDP, Sie haben das Wort.

Ich bitte darum, über den Antrag heute abzustimmen und dabei eine namentliche Abstimmung zu Punkt 3 durchzuführen.

Dann führen wir zuerst eine namentliche Abstimmung zu Punkt 3 des Antrags durch. Es geht nur um Punkt 3 des FDP-Antrags. Den Rest machen wir nachher.

Herr Kollege, ich bitte, mit dem Namensaufruf zu beginnen.

(Namensaufruf – Abstimmungsliste siehe Anlage)

Meine Damen und Herren, hat jemand seine Stimme nicht abgeben können? – Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte, auszuzählen.