Was den vorgelegten Antrag von CDU und GRÜNEN anbelangt, ist es selbstverständlich zu begrüßen, wenn das 3-R-Prinzip im Hochschulgesetz festgeschrieben wird. Es wird sich zeigen, wie dies konkret aussehen wird, auch durch die Stiftungsprofessuren. Forschungen zur Verringe
rung und Vermeidung von Tierversuchen sind dringend angezeigt. Ich hätte mir wirklich gewünscht, dass weitere Maßnahmen hinzugekommen wären und ein Gesamtplan entstanden wäre. Vorschläge für solche Maßnahmen gibt es.
Andere Bundesländer haben bereits entsprechende Entscheidungen getroffen, entweder wie NRW mit der Einrichtung eines Zentrums für tierversuchsfreie Verfahren, das von den dortigen GRÜNEN als Meilenstein gefeiert worden ist, oder mit einer festen Förderung für tierversuchsfreie Verfahren, wie sie etwa in Baden-Württemberg mit 400.000 € praktiziert wird. Auch die Kopplung von Wissenschafts- und Forschungsförderung in der Tierforschung an die Einhaltung und Weiterentwicklung des 3-RPrinzips gehört zu einem solchen Gesamtkonzept. Natürlich wäre es dann auch notwendig gewesen, noch etwas Geld in die Hand zu nehmen, doch ich betone nochmals: Der Tierschutz ist ein Verfassungsziel und gehört damit qua definitionem zu den Aufgaben, denen wir uns vorrangig zu widmen haben.
Ich möchte noch auf einen anderen Aspekt hinweisen, nämlich auf die Kontrolle. Am Ende können alle gesetzlichen Vorgaben nur so wirksam sein wie die Behörden, die sie zu überwachen haben. Wir erinnern uns an einen Fall eines Instituts in Bad Nauheim, wo nicht genehmigte Tierversuche durchgeführt und die Tiere unnötigen und schmerzhaften Prozeduren unterzogen wurden. Wahrscheinlich gibt es auf diesem Feld eine hohe Dunkelziffer, nicht zuletzt auch wegen der Konkurrenz von Forschungseinrichtungen in Bezug auf die schnelle Publikation von Forschungsergebnissen. Im vorliegenden Fall bedurfte es offenbar eines internen Hinweisgebers, um den Stein ins Rollen zu bringen. Das zeigt, dass die kontrollierenden Behörden in den Landkreisen und kreisfreien Städten noch besser in die Lage versetzt werden müssen, ihr Kontrollnetz dicht zu stricken. Dies gilt, am Rande bemerkt, z. B. natürlich auch für die Nutztierhaltung. Um es einmal salopp zu formulieren: Solange den Kommunen das Wasser bis zum Hals steht, bleibt kaum oder viel zu wenig Raum für diese notwendigen Kontrollen. Auch da steht die Landesregierung in der Verantwortung.
Dann hilft es auch nicht viel weiter, auch dies nur am Rande, wenn eine hessische Tierschutzstiftung mit einem Stiftungskapital von 150.000 € künftig den jährlichen Ertrag an Tierheimprojekte ausschütten soll, allzumal vor dem Hintergrund der heutigen Niedrigzinsphase. Fragen Sie vor Ort nach, dann werden Sie feststellen: Das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
Der angesprochene Fall illegaler Tierversuche zeigt aber noch etwas anderes: Am Ende mussten an den illegalen Versuchen beteiligte Forscher zwar eine bis dahin beispiellose Geldbuße von 72.000 € zahlen, zu einem Prozess jedoch kam es nicht. Dies hätte der öffentlichen Debatte über Tierversuche aber sicherlich genutzt, und der Rechtfertigungsdruck auf die beteiligten Wissenschaftler wäre um einiges höher gewesen. Daher schließe ich mich der Forderung der Landestierschutzbeauftragten an, Schwerpunktstaatsanwaltschaften für den Bereich des Tierschutzes einzurichten und Fälle von Verletzungen des Tierschutzes bei bestimmten Richtern bzw. Gerichten zu bündeln. So könn
ten Kompetenz und Expertise konzentriert und damit die Verfolgung von illegalen Tierversuchen weiter verbessert werden.
Meine Damen und Herren, es gibt für die ethische Problemstellung im Bereich der Tierversuche keine simplen Lösungen. Wir müssen stets abwägen. Bei dieser Abwägung ist aber eines ganz klar: Das Leben von empfindungsfähigen Tieren wiegt schwer. Meine Fraktion und ich bekennen uns dazu, dass Tiere um ihrer selbst willen schützenswert sind. Deshalb muss es langfristig darum gehen, möglichst alle Tierversuche zu vermeiden und Ersatzmethoden zu erforschen und zu etablieren.
Kurzfristig müssen wir alles tun, um Tierversuche zu vermindern und die Methoden in Richtung Leidensfreiheit zu verfeinern und um illegale Tierversuche zu ermitteln, zu verfolgen und konsequent zu bestrafen. – Ich danke Ihnen.
Vielen Dank, Frau Kollegin Müller. – Das Wort hat für die Fraktion der CDU Herr Abg. Dr. Bartelt. Bitte sehr.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Hessen richtet in Frankfurt und Gießen zwei Lehrstühle ein, die Methoden entwickeln, Tierexperimente zu ersetzen oder zu reduzieren. Es ist das Ziel, den Tierschutz zu stärken und gleichzeitig die Qualität und Freiheit der Forschung in der Medizin, Biologie und Pharmakologie zu sichern.
Für diese beiden Professuren werden 2 Millionen € eingesetzt. Nur ganz wenige Hochschulen in Deutschland widmen sich diesem Thema durch eigenständige Lehrstühle. Hessen ist auch hier Vorreiter.
Im Einzelnen wird das 3-R-Verfahren erforscht und evaluiert. Ich wiederhole: Die drei R stehen für Reduction, also die Überprüfung, ob ein Tierexperiment unbedingt zum Erkenntnisgewinn nötig ist, Replacement, die Überprüfung, ob eine Untersuchung an Zellkulturen oder Computersimulationen wissenschaftlich gleichwertig wären, und Refinement, also die Überprüfung, wie bei noch nötigen Tierversuchen der Tierschutz gewährleistet wird durch artgerechte Haltung der Versuchstiere und Minimierung des Schmerzes der Versuchstiere.
Im pharmakologischen Institut der Goethe-Universität in Frankfurt auf dem Riedberg werden schwerpunktmäßig Experimente mit Zellkulturen erforscht. Hier wird die Aussagekraft des Versuchs im Vergleich zum Tierexperiment evaluiert. Es werden Verfahren auf ihre Rechtssicherheit, etwa bei einer vorklinischen Prüfung beim Zulassungsverfahren eines neuen Medikaments, geprüft und zertifiziert. Dies kann in der Folge zur erheblichen Verminderung von
Tierversuchen führen, ohne den Forschungsstandort an den Universitäten und in der pharmazeutischen Industrie zu gefährden. Das ist uns wichtig.
In Gießen wird der Schwerpunkt im Refinement liegen. Artgerechte Haltung der Tiere, schmerzfreie Betäubungsverfahren und intelligente Versuchsplanung durch Verwendung möglichst weniger Tiere und von Tieren möglichst niedriger Entwicklungsstufen sollen die Ziele Forschung für den kranken Menschen und Schutz des Geschöpfes Tier miteinander vereinbaren. In diesem Zusammenhang wächst sicherlich die Erkenntnis, dass die Fakultäten Medizin, Biologie und Pharmazie Zugang zu einer Tierversuchsanlage in eigener Verantwortung anstreben sollten. Dies sei bei allem Respekt vor der Autonomie der Hochschulen hier angemerkt.
Die Einrichtung dieser Professur für 3 R stärkt die Kooperation mit deutschen und europäischen Forschungsgemeinschaften und erhöht die Möglichkeit, Fördermittel zu erhalten.
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft, DFG, vergibt alle zwei Jahre einen Preis für Alternativmethoden zum Tierexperiment. Es ist der Händel-Preis mit einer Dotierung von 100.000 €. Sie fördert Tierexperimente auch nur dann, wenn die 3-R-Prinzipien berücksichtig werden.
Die European Science Foundation, ESF, der Zusammenschluss der Forschungsgemeinschaften in Europa, knüpft die Vergabe von Fördermitteln ebenfalls an diese Bedingungen. Dies steht auch im Einklang mit der 3-R-Declaration zwischen der EU-Kommission, Wissenschaftsorganisationen und Verbänden der pharmazeutischen Industrie aus dem Jahr 2005.
Da diese Übereinkunft zehn Jahre alt ist, die Idee der 3 R bereits von Wissenschaftlern im Jahr 1959 zusammenfassend publiziert wurde, ein gleichwertiges System ohne Tierexperimente erfahrungsgemäß zehn Jahre Entwicklung benötigt, ist der Impuls in Hessen aus Hessen jetzt notwendig und vielleicht sogar fällig und überfällig.
Deshalb ist dieses Thema Bestandteil des Koalitionsvertrags zwischen CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Wir vereinbarten:
Wir streben an, Tierversuche langfristig durch alternative Verfahren zu ersetzen. … Dazu wollen wir im Rahmen der Autonomie der Hochschulen eine Stiftungsprofessur für sogenannte „3-R-Verfahren“ … einrichten.
Ob Tierversuche nun langfristig durch andere Verfahren vollständig ersetzt werden können, wird unterschiedlich bewertet. Diese Frage wird nun aber nicht politisch-weltanschaulich und auch nicht emotional entschieden, sondern fachlich-wissenschaftlich im Rahmen der 3-R-Forschung ausgewertet.
Natürlich ist es ambitioniert, die Prüfung eines neuen Arzneimittels auf Toxizität, Mutagenität und Teratogenität ohne Tierexperimente durchführen zu wollen. Es werden aber Wege gesucht, die Tierversuche zumindest deutlich zu reduzieren.
Dies ist ein Signal. Wir setzen das seit 2002 bestehende Staatsziel Tierschutz in unserer praktischen Politik und in unserem Verantwortungsbereich um. Es ist aber auch das
Signal, dass wir die Freiheit der Forschung als hohes Gut ansehen. Es gibt in forschenden Universitäten und der pharmazeutischen Industrie in Hessen die Sicherheit, dass Tierexperimente für Grundlagenforschung und präklinischen Prüfungen von Medikamenten weiterhin möglich und willkommen sind, soweit ethische Vorgaben sorgfältig beachtet werden.
Freiheit der Forschung und Tierschutz haben beide Verfassungsrang. Die Einrichtung der Lehrstühle für 3-R-Forschung ist ein entscheidender Schritt unseres Wissenschaftsministers Rhein, beide Ziele in Einklang zu bringen und miteinander zu versöhnen.
Wir wollen so wenige Tierexperimente wie irgend möglich und so viele wie nötig, um die Forschung auf dem Gebiet der Medizin, Pharmakologie und Biologie zu stärken. – Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Bartelt. – Als Nächste hat für die Fraktion DIE LINKE Frau Kollegin Cárdenas das Wort.
Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Der von den Regierungsfraktionen eingereichte Entschließungsantrag ist in seinem Ziel grundsätzlich begrüßenswert. Tierschutz und Tierrechte stoßen in unserer Bevölkerung auf immer breitere Zustimmung. Eine demokratische und aufgeklärte Gesellschaft tut gut daran, sich dieses Themas ernsthaft und aufrichtig anzunehmen.
Dennoch oder gerade deshalb erscheinen uns aber manche Einzelheiten des Antrags und die darin hochgelobten Maßnahmen zu vage und nicht verbindlich genug. Es fehlt allein schon eine konkrete Zielsetzung. Wie viel Prozent sind denn eine „deutliche Verringerung“, wie Sie sie wollen?
Die Tierversuche – wie es im Antrag heißt – zunächst einzudämmen und erst „langfristig durch alternative Verfahren“ zu ersetzen, ist nicht genug. Meine Damen und Herren, „langfristig“ dauert uns deutlich zu lang.
Das sogenannte 3-R-Prinzip – Replacement, Refinement and Reduction, zu Deutsch: Vermeidung, Verfeinerung und Verringerung von Tierversuchen – im neuen Hochschulgesetz zu verankern, ist ein wichtiger, wenn auch nicht allzu großer Schritt auf dem richtigen Weg, an dessen Ende ein allgemeines Verbot von Tierversuchen stehen muss.
Ich frage mich, welche Reichweite dieses Prinzip tatsächlich erzielen kann, wenn es zu diesem Thema nur eine kurze Passage gibt und daher viel Interpretationsspielraum möglich ist. Lediglich der Umfang der Dokumentationsund Berichtspflichten über die Umsetzung des 3-R-Prinzips wird vom entsprechenden Ministerium und vermutlich auch der Landestierschutzbeauftragten festgelegt.
Was bedeutet das im Einzelfall? – Die Pflicht gegenüber dem Ministerium begnügt sich mit bloßem Dokumentieren und Berichten. Und selbst diese Dokumentations- und Berichtspflicht ist ziemlich wässrig. Ministerium und Tierschutzbeauftragte entscheiden allein, wie groß der Umfang
ist. Ob die Hochschule sich dann überhaupt für ihre Tierversuche wird rechtfertigen müssen, ist nicht geklärt. Mit welchen Argumenten sie sich dann rechtfertigen darf, ist ebenso unklar.
Wünschenswert wäre es, wenn die Hochschule nachweisen müsste, dass derzeit keine technischen Alternativen existieren, die ein qualitativ ausreichendes Ergebnis bieten können, und der zu erwartende Nutzen des Tierversuchs so erheblich ist, dass ein Tierversuch absolut notwendig ist.
Oder muss sich der Tierschutz letzten Endes damit begnügen, dass die Hochschule nur behauptet, entsprechende Alternativen seien teurer und damit einfach nicht wirtschaftlich? Frau Hammann, wer entscheidet also, dass es keine Alternativen gibt? Wer entscheidet, dass ein Tierversuch wichtig genug ist?
Die ethische Abwägung fehlt ganz. Schon jetzt fordert das Tierschutzgesetz die Unerlässlichkeit eines Tierversuches. Die genannte Passage im Hochschulgesetz ist dagegen weit laxer, und deshalb wird die tierexperimentelle Forschung so ungehindert weitergehen wie bisher; das ist jedenfalls unsere Befürchtung.
Schließlich gibt der Gesetzentwurf noch nicht einmal her, was denn eigentlich bei einem Verstoß gegen das 3-RPrinzip passieren soll. Deshalb wäre von der Landesregierung mehr Mut zu mehr Verbindlichkeit zu wünschen gewesen.