Protokoll der Sitzung vom 24.09.2015

(Beifall bei der LINKEN)

Darüber hinaus werden in Gießen und Frankfurt zwei Stiftungsprofessuren gefördert, die am 3-R-Prinzip forschen. Das begrüßen wir natürlich. Die dafür vorgesehene Förderung durch das Land Hessen beläuft sich allerdings – wenn ich es richtig verstanden habe – auf nur etwa 2 Millionen € für fünf Jahre. Wir bezweifeln ernsthaft, dass diese Mittel für das angestrengte Ziel ausreichend sind, da die Bandbreite der Forschungsarbeit beträchtlich ist.

Es ist wichtig, an dieser Stelle aufzuzeigen, dass eine Umorientierung ohne zusätzliche Kosten genügen würde, die nötigen Mittel bereitzustellen.

(Zuruf der Abg. Ursula Hammann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Allein der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die in großem Maße Tierversuche im Hochschulbereich finanziert, stand im Jahr 2012 ein Etat von 2,5 Milliarden € aus öffentlichen Bundes- und Landesmitteln zur Verfügung.

Demgegenüber stehen der tierversuchsfreien Forschung jährlich nur etwa 4 bis 5 Millionen € staatliche Unterstützung zur Verfügung – nicht mehr als ein Almosen, verglichen mit den Milliardenbeträgen, die in die tierexperimentelle Forschung fließen. Auch die Landesbeauftragte für Tierschutz geht in ihrem letzten Bericht von einem „krassen Missverhältnis zugunsten der Forschung mit Tierversuchen“ aus. Hier ist dringend eine grundlegende Umorientierung in der Mittelvergabe geboten.

(Beifall bei der LINKEN)

Nach Diplom-Biologin Silke Strittmatter von „Ärzte gegen Tierversuche“, die an unserer diesjährigen Tagung mit dem Titel „Tiere sind keine Ware“ teilgenommen hat, sind in Hessen 2011 um die 170.000 Tiere in Tierversuchen „verbraucht“ – sprich: getötet – worden, davon 58.000 an hes

sischen Hochschulen. Sie stellt klar – ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident –:

Das Hauptproblem stellt die Grundlagenforschung dar, die bundesweit rund 40 % aller Tierversuche ausmacht. Hier wird nicht geforscht, um anwendbare Ergebnisse zu erzielen, sondern zum reinen Erkenntnisgewinn. Selbst diese zweckfreie Art der Forschung wird mit dem neuen Gesetz sicher nicht eingeschränkt, da ja die Sinnhaftigkeit der Versuche nicht infrage gestellt wird, sondern es geht nur darum, ob es eine „Alternative“ gibt.

Doch selbst wenn die Wissenschaft hier zu brauchbaren Ergebnissen käme, so bleiben Tierversuche doch ethisch unverantwortlich. Tiere sind keine Messinstrumente, die man wie ein Gerät nach Gebrauch und Verschleiß einfach wegwirft. Sie empfinden Angst, Schmerz und Leid und haben Anspruch auf ein artgerechtes Leben ohne unnötiges Leiden. Auch aus diesen Gründen müssen wir versuchen, uns endgültig von Tierversuchen zu verabschieden.

Es ist wissenschaftlich belegt – und auch Frau Hammann sprach schon davon –, dass Tierversuche eben nicht den medizinischen Fortschritt erbringen, der immer versprochen wird.

Ich möchte dazu ein paar Zahlen anfügen. Eine Auswertung aus 2012, die Daten von 13 großen Arzneimittelherstellern aus den Jahren 2007 bis 2011 unter die Lupe nimmt, kommt zu einer Durchfallquote von 95 % der zuvor an Tieren getesteten Arzneimitteln. 95 % kamen nicht durch die klinische Prüfung am Menschen. Als besonders gefährlich erwiesen sich Medikamente zur Behandlung von Krebs, Herzleiden und psychischen Erkrankungen.

Die getesteten Medikamente wirken also oft gar nicht, und wenn doch, dann anders als erwartet, und richten häufig große Schäden an. Zwischen 20 % und 50 % der Medikamente, die auf den Markt kommen, werden wieder zurückgerufen oder mit Warnhinweisen versehen, weil sie beim Menschen Nebenwirkungen hervorrufen, obwohl diese im Tierversuch nicht erkannt wurden.

Im Jahr 2003 sind in deutschen Krankenhäusern mindestens 58.000 Menschen aufgrund der Nebenwirkungen von Medikamenten gestorben, die zuvor an Tieren getestet worden waren und eigentlich hätten sicher sein sollen. Auf der anderen Seite wäre Aspirin nie zugelassen worden, hätte man sich auf die Tests an Mäusen wirklich verlassen.

Obwohl also die Tierversuche viel Leid und Schmerzen bringen, kostenintensiv sind und sich die Ergebnisse häufig nicht auf Menschen übertragen lassen können, wird weiterhin an dieser milliardenschweren Industrie festgehalten. Wir fordern daher, dass die meisten Mittel, die derzeit in Tierversuche fließen, auf die Erforschung und Anwendung von tierversuchsfreien Methoden umgeleitet werden. Nur dies wäre ein ernst zu nehmender Anreiz, um Tierversuchen entgegenzuwirken und eine ausreichende Kapazität für tierversuchsfreie Forschung zu schaffen. Wer es mit dem Ausstieg ernst meint, wird uns in diesem Punkt beipflichten.

Alternativen sind also dringend geboten, sowohl ethisch als auch wirtschaftlich. Und es gibt schon Alternativen: Die sogenannte In-vitro-Revolution beispielsweise erlaubt es, menschliche Zellen und ganze Mini-Organismen auf Chips zu kultivieren und so ganz ohne Tierversuche Medikamente und andere Wirkstoffe zu testen. Durch die Struk

tur der Chips lassen sich exakte Modelle kreieren, die viel zuverlässigere Ergebnisse liefern. Es bedarf allerdings noch einiges an Entwicklungsarbeit, um diese Methode serientauglich zu machen.

Auch deswegen noch einmal: Wir müssen deutlich mehr Mittel, die jetzt noch zur Finanzierung von Tierversuchen dienen, für die Entwicklung und Anwendung solcher Alternativen zur Verfügung stellen.

Es reicht aber nicht, nur die Tierversuche an den Hochschulen einzudämmen, sondern dies muss in der gesamten hessischen Wirtschaft geschehen. Wer Tierschutz als Staatsziel in die Verfassung übernommen hat, der sollte auch dafür sorgen, dass Tierversuche nicht nur zur Entwicklung von Medikamenten, sondern auch in der Kosmetikindustrie und in der militärischen Forschung verboten werden.

Sie sehen also, meine Damen und Herren, hier bedarf es noch mehr an Arbeit seitens der Politik, um das 3-R-Prinzip nicht nur in einem Gesetz, sondern auch in der Realität zu verankern. Letzten Endes ist aber nicht nur eine Verringerung, Verfeinerung und Vermeidung von Tierversuchen geboten, sondern der vollständige Ausstieg. Dieser ist nicht nur ethisch geboten, sondern auch machbar und wirtschaftlich sinnvoll.

Ich fasse zum Antrag zusammen: richtige Richtung, aber deutlich zu kurze Reichweite. Wir hätten uns mehr gewünscht und können uns daher leider in der Abstimmung nur enthalten. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Cárdenas. – Als Nächste hat Frau Abg. Nicola Beer für die Freien Demokraten das Wort.

Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Tierschutz ist wichtig, auch – und ich sage gerade „auch“ – bei Tierversuchen. Deswegen ist es nicht zufällig, dass bereits sehr strikte tierschutzrechtliche Regelungen zum Spannungsfeld zwischen der Freiheit der Wissenschaft, die in unserem Grundgesetz konstituiert ist, und dem genauso im Grundgesetz enthaltenen Staatsziel des Tierschutzes niedergelegt sind. Bereits jetzt ist in § 7 Tierschutzgesetz festgelegt, dass die Tierversuche bezüglich der Schmerzen, Leiden und der Zahl der verwendeten Tiere „auf das unerlässliche Maß zu beschränken“ sind und Tiere, die zu wissenschaftlichen Zwecken verwendet werden, so zu halten, zu züchten und zu pflegen sind, „dass sie nur in dem Umfang belastet werden, der für die Verwendung zu wissenschaftlichen Zwecken unerlässlich ist“.

Das bedeutet aber auch – und damit komme ich auf den größten Anteil des Antrags, der uns vorliegt, zurück –, dass bei Betrachtung des Tierschutzgesetzes, der TierschutzVersuchstierverordnung und auch der EU-Richtlinie zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere aus dem Jahr 2010 klar wird, dass das hier von allen Rednern zitierte 3-R-Prinzip nicht zusätzlich hochschulrechtlich verankert werden muss, um Gebot für unsere Hochschulen und Forschungseinrichtungen zu sein.

(Beifall bei der FDP)

Tatsächlich – und das haben Sie, Frau Kollegin, geflissentlich verschwiegen – wurde in der Anhörung des Ausschusses für Wissenschaft und Kunst deutlich, dass die hessischen Hochschulen schon längst nach dem 3-R-Prinzip handeln. Auch bei der DFG ist festgelegt, dass für tierexperimentell arbeitende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Anwendung des 3-R-Prinzips Bestandteil der Versuchsplanung ist und andernfalls eine entsprechende Förderung nicht stattfindet; Herr Kollege Bartelt hat heute noch einmal für die CDU-Fraktion darauf hingewiesen.

Das bedeutet aber doch eindeutig, dass die zusätzliche Verankerung im Hochschulgesetz redundant ist. Das könnte man noch hinnehmen. Ich als Juristin weiß, dass sehr viele teilweise schlechte und andere Sachverhalte so geregelt werden, dass sie sich unnötigerweise in vielen Gesetzen immer wiederholen. Das heißt, es wäre noch nicht das größte Problem, dies einfach zusätzlich zu regeln. Aber die gleichzeitig mit dieser redundanten Aufnahme ins Hochschulgesetz vorgesehenen zusätzlichen Berichtspflichten bauen eine zusätzliche Bürokratie für unsere Hochschulen und Forschungseinrichtungen auf, die nicht notwendig ist.

(Beifall bei der FDP)

Auch hierzu haben die Hochschulen in der Anhörung sehr deutlich gemacht, dass sie die Gefahr sehen, dass die Wissenschaftler entnervt einen Bogen um die Hochschulen machen oder vielleicht ganz ins Ausland abwandern.

Wohlgemerkt: Es geht nicht um die Frage „Tierschutz – ja oder nein?“, es geht nicht um die Frage, Tierversuche nach Möglichkeit unnötig zu machen, sondern es geht lediglich um die Frage, welche Hürden man auf dem Weg dorthin aufbaut und ob es wirklich notwendig ist, hierzu weitere Dokumentations- und Berichtspflichten aufzunehmen, oder ob die Mühe – und letztendlich auch das Geld, das dann in diese zusätzliche Bürokratie fließt – nicht besser dort investiert wäre, wo wir Tierversuche zu vermeiden helfen.

(Beifall bei der FDP)

Damit komme ich zu dem richtigen Punkt in Ihrem Antrag – das ist bei Ihnen leider erst auf der Skala 4 –, nämlich dem Weg, in die Forschung zu investieren. Das ist etwas, was wir als Freie Demokraten absolut begrüßen, dass es hier eine entsprechende Unterstützung seitens des Landes für zwei bzw. drei – Gießen und Marburg teilt es auf zwei weitere auf – Professuren gibt, die ganz konkret danach forschen, wie man Tierversuche ersetzen kann.

Auch die Ausgestaltung dieser geförderten Professuren ergänzt sich sehr gut. Die Forschung an der Universität in Frankfurt beschäftigt sich im Hinblick auf die Tierversuche mit Experimenten an Zellen, d. h. mit der Frage, wie durch dreidimensionale Zellkulturen Experimente mit Tieren vermieden werden können. In Gießen geht es im Forschungsschwerpunkt sowohl in der Tier- als auch in der Humanmedizin darum, das Leid der Tiere z. B. bei der Entwicklung von Arzneimitteln zu reduzieren.

Ich möchte auch darauf hinweisen, dass schon die Tatsache, dass z. B. die Stiftungsuniversität Frankfurt aus eigenen Stiftungsmitteln der Universität, also nicht nur aus Landesgeldern, zusätzlich 300.000 € in diese Forschung investiert, zeigt, dass die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler selbst ein Interesse an dieser Forschung zur Vermeidung von Tierversuchen haben, womit das leider allzu

oft bediente Zerrbild gegenüber Wissenschaftlern und Forschern widerlegt wird.

(Beifall bei der FDP)

Aber so richtig und wichtig die Vermeidung von Tierversuchen auch ist, so sehr ist nicht zuletzt auch in der Anhörung im Wissenschaftsausschuss deutlich geworden, dass eine ganze Reihe von Forschungsfragen weiterhin nicht ohne Tierversuche geklärt werden kann und dass, liebe Frau Cárdenas, nicht alle Probleme durch Tierversuche im Voraus abgeklärt werden können. Sie haben völlig recht. Auch ansonsten ist hier in der Debatte zu Recht darauf hingewiesen worden, dass Tierversuche nicht alles regeln und lösen können, dass es nachher immer noch andere Erkenntnisse geben kann. Ich sage gerade im Hinblick auf das Beispiel, das Sie gewählt haben: Es mag sein, dass psychische Probleme bei Menschen andere sind als bei Ratten und dementsprechend die Aussagefähigkeit der Versuche etwas eingeschränkt ist.

(Beifall bei der FDP)

Aber ich glaube, zur Wahrheit gehört auch, darauf hinzuweisen, dass Tierversuche noch eine ganze Zeit unerlässlich sein werden, wenn wir Gefährlichkeit, insbesondere Giftigkeit, oder sonstige Gefährdungen für Leib und Leben der Menschen ausschließen wollen.

(Beifall bei der FDP)

Deswegen weise ich noch einmal darauf hin, dass es gerade die Justus-Liebig-Universität Gießen war, die, obwohl sie in der Tierversuchsvermeidung und vor allem auch in der Vermeidung entsprechenden Leids an Tieren so engagiert ist und von der Landesregierung gefördert wird, in der Anhörung davor gewarnt hat, mit der Einfügung des Ziels der vollständigen Ersetzung von Tierversuchen durch andere Methoden unrealistische Erwartungen zu wecken.

(Zuruf von der FDP: Hört, hört!)

Ebenso fehlt, wenn es uns darum geht, alle drei R des 3-RPrinzips zu berücksichtigen, bis heute ein gesicherter Weg für die neue Tierversuchsanlage an der Universität Frankfurt. Dies ist ebenfalls ein Feld, auf dem man sich als Land engagieren könnte.

Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Regierungskoalition, konzentrieren Sie sich auf das tatsächliche Handeln, so wie mit der Förderung dieser beiden Professuren, aber ersparen Sie uns und insbesondere den verantwortlichen und auch sehr verantwortungsvoll handelnden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern an unseren Hochschulen und Forschungseinrichtungen den Aufbau neuer Bürokratie, den Sie mit der Aufnahme des Ziels in das Hochschulgesetz und insbesondere der dort vorgesehenen Berichtspflichten erreichen wollen. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank, Frau Kollegin Beer. – Für die Landesregierung spricht Herr Staatsminister Rhein. Bitte sehr, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Verwendung von Tieren für Forschung und Wissenschaft ist wohl eines der schwierigsten Themen, aber auch eines der Themen, die besonders ambivalent sind. Ich glaube, es ist noch viel mehr als das. Wenn man sich die Dinge genauer anschaut, sich mit den Dingen vertiefter befasst, ist es im Grunde genommen ein klassisches ethisches Dilemma: Wir beeinträchtigen oder wir töten sogar Leben, um mehr über das Leben zu erfahren, und vielfach auch, um anderes Leben zu retten.

Dieses Dilemma wird noch dadurch verschärft, dass Wissenschaft, Forschung und insbesondere wissenschaftliche Medizin selbst eine ethische Verpflichtung gegenüber dem Menschen haben, dessen medizinische Versorgung sicherzustellen, und zwar immer mit den jeweils neuesten Erkenntnissen.

Insoweit stellen sich viele Fragen, die man am besten ohne Verhärtung der Diskussionslinien beleuchtet. Wäre es beispielsweise richtig, darauf zu verzichten, Ebola-Kranken zu helfen, weil wir darauf verzichten, grundlegende Kenntnisse darüber zu erlangen, wie diese Viren in die Zellen eindringen, wie sie sie zerstören und dabei die körpereigene Abwehrkraft überwinden? Oder wäre es beispielsweise richtig gewesen – hier sind wir ja einen ganz großen Schritt vorangekommen –, wenn Mediziner darauf verzichtet hätten, die sogenannte Tiefenhirnstimulation zu testen, um Parkinson-Patienten zu helfen?