Flüchtlingsrechts nicht immer einfach zu durchschauen, welche der in der Öffentlichkeit diskutierten Maßnahmen noch Referentenentwurf und welche bereits Gesetz sind.
Getrieben von einer ruhelosen CSU zertrümmern CDU und SPD die Reste des Asylgrundrechts mit einer solchen Bedenkenlosigkeit, dass selbst der sogenannte Asylkompromiss von 1993, als CDU/CSU, FDP und SPD das Asylgrundrecht erstmals drastisch einschränkten, in seiner geschichtlichen Bedeutung verblasst.
Der Verfassungsänderung von 1993 ging – so habe ich das jedenfalls in Erinnerung – im Gegensatz zu den Änderungen heute eine lange öffentliche Diskussion voraus, und die SPD von damals wehrte sich zumindest recht lange, bis sie doch einknickte – während ein Sigmar Gabriel heute seine größten Kämpfe mit Nachrichtenagenturen und Nachrichtensprecherinnen ausficht und ansonsten wohl nicht mehr weiß, was er gestern gesagt hat.
(Alexander Bauer (CDU): Ja! – Thorsten SchäferGümbel (SPD): Frechheit! – Weitere Zurufe von der SPD)
Es gibt noch einen Unterschied zwischen 1993 und heute: Die GRÜNEN, die sich damals entschieden gegen die Änderung des damaligen Art. 16 des Grundgesetzes wehrten, sind heute die Partei
hören Sie einmal zu –, die im Bundesrat die gegenwärtigen Beschneidungen der Flüchtlingsrechte überhaupt erst ermöglicht.
Das ist mir klar. – Ich bedauere das sehr, und ich meine das in vollem Ernst; wir LINKE haben damit einen wichtigen Bündnispartner auf dem Gebiet des Flüchtlingsschutzes verloren.
Meine Damen und Herren, die jüngsten Verschärfungen der Asylgesetze dienen allein dem Zweck, Menschen durch eine Verschlechterung der Aufnahmebedingungen davon abzuhalten, in Deutschland Asyl zu suchen. Die Mittel sind Schikane, Diskriminierung und Entwürdigung. Doch weder die Verpflichtung, in den Massenlagern der Erstaufnahmeeinrichtungen teilweise bis zum Abschluss des Asylverfahrens wohnen zu müssen, noch die Tatsache, dass es eine Versorgung unter dem verfassungsrechtlich gebotenen Existenzminimum geben soll, wird Menschen von der Flucht abhalten.
Anders, als es sich manche Kolleginnen und Kollegen von der Union vorstellen, lässt keiner alles hinter sich und begibt sich auf eine lebensgefährliche Odyssee in Richtung Deutschland, nur weil er davon gehört hat, dass es im deutschen Gesundheitssystem die Gesundheitskarte gibt. Meine Damen und Herren, umgekehrt wird keiner, der in Syrien tagtäglich in der Angst lebt, dass ihm eine Fassbombe auf den Kopf fallen könnte, allein deswegen von einer Flucht absehen, weil man Zahnpaste und Seife nur noch als Sachleistung erhält.
Der aktuelle Referentenentwurf der Großen Koalition sieht vor, subsidiär Schutzberechtigten den Familiennachzug dauerhaft zu erschweren. Für einen Zeitraum von zwei Jahren soll der Familiennachzug für diese Gruppe von Schutzberechtigten komplett ausgesetzt werden. Bundesinnenminister de Maizière hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bereits angewiesen, syrischen Flüchtlingen nicht mehr automatisch den Schutzstatuts der Genfer Flüchtlingskonvention zu erteilen. Möglichst viele der Bürgerkriegsflüchtlinge sollen den schwächeren Status der subsidiär Schutzberechtigten erhalten.
Ich finde dieses Ansinnen perfide. Es ist nicht nur eine sinnlose Schikane für die Betroffenen, es wird auch viele Menschenleben kosten, weil die Verweigerung der Möglichkeit, legal und sicher nach Deutschland zu reisen, die Angehörigen zwingen wird, lebensgefährliche Fluchtwege übers Mittelmeer zu wählen.
Meine Damen und Herren, wer wissen möchte, wie konzeptlos diese Bundesregierung in der Asylpolitik agiert, muss sich die Entwicklung im Bereich der Familienzusammenführung von syrischen Flüchtlingen anschauen. Noch im vergangenen Jahr hatten Bund und Länder – auch Hessen – Aufnahmeprogramme aufgelegt, um den Familiennachzug zu syrischen Bürgerkriegsflüchtlingen in Deutschland zu fördern. Noch im Mai dieses Jahres hatten sich das Bundesinnenministerium und das Auswärtige Amt mit einem Schreiben an die Bundesländer gewandt, damit diese im Wege der Globalzustimmung die Einreise von Syrerinnen und Syrern zu Angehörigen in Deutschland erleichtern können. Darin heißt es:
Die enorme Hilfs- und Aufnahmebereitschaft, die Syrer in Deutschland kennenlernen, sollte sich aber auch beim Familiennachzug zeigen. Grundsätzlich sollte kein Familienangehöriger aus Syrien länger auf die Erfüllung seines Anspruches auf Familiennachzug warten als unbedingt notwendig.
Erst am 1. August 2015 – so lange ist das wirklich noch nicht her – war im Aufenthaltsgesetz die Gleichstellung beim Familiennachzug von subsidiär Geschützten zu anerkannten Flüchtlingen eingeführt worden. Falls es ein Ziel der aktuellen Gesetzesinitiative sein sollte, so etwas wie Handlungsfähigkeit der Bundesregierung zu demonstrieren, habe ich ernsthafte Zweifel, ob dieses abstruse Manöver bei der Familienzusammenführung hilft, das Vertrauen der Bevölkerung in die Steuerungsfähigkeit des Staates herzustellen.
Auch die Hessische Landesregierung würde ich um ein paar erläuternde Hinweise dazu bitten, warum das hessische Aufnahmeprogramm für Familienangehörige von syrischen Bürgerkriegsflüchtlingen, das schon am 5. Juli ausgelaufen ist, nicht verlängert wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen von GRÜNEN und CDU, noch am 22. September haben Sie in Ihrem gemeinsamen Antrag mit dem Titel „menschliche und solidarische Aufnahme von Flüchtlingen in Hessen“ Folgendes geschrieben:
Zudem unterstützt der Landtag die Landesregierung darin, im Zusammenhang mit der Aufnahme von syrischen Flüchtlingen das humanitäre Aufnahmeprogramm – wie geplant – fortzusetzen. So kann vielen Menschen die oft lebensgefährliche Flucht nach Europa erspart bleiben.
Jetzt erfahren wir aus dem Innenministerium, dass das Programm eingestellt wird. Zu diesem Programm, das sich humanitär nennt, muss man auch sagen, dass es das Land keinen Cent kostet, weil die in Deutschland lebenden Angehörigen für alle finanziellen Folgen des Familiennachzugs bürgen müssen. Ich frage mich – bitte erläutern Sie mir das –: Was hat sich in den vergangenen zwei Monaten ereignet, das Sie bewegt hat, dieses Programm, das Sie nichts kostet, aber Menschen eine lebensgefährliche Flucht ersparen würde, nicht zu verlängern?
Zum Antrag der FDP. Es ist mehr als durchsichtig, was die FDP sich davon erhofft. Offensichtlich wittern die Liberalen aufgrund des Umfragehochs der AfD eine neue Existenzberechtigung als rechtsliberale Partei. Nicht anders lassen sich die jüngsten Forderungen nach verstärkten Abschiebungen oder nach Herausnahme der Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem laufenden Asylverfahren, um den Familiennachzug zu verhindern, deuten.
Die FDP macht daraus gar keinen Hehl. So schreiben die Freien Demokraten in Gernsheim auf ihrer Homepage:
Die politische Lücke ist ziemlich groß, die zwischen der orientierungslosen CDU und der mit dem Rechtsextremismus flirtenden AfD klafft. Dass die FDP in Zeiten der Flüchtlingskrise dort einrücken will,
hat zuerst der Bundesvorsitzende Christian Lindner mit seiner Forderung deutlich gemacht, den Flüchtlingen kein Asyl, sondern nur subsidiären Schutz bis zum Ende der Bedrohung in der Heimat zu gewähren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, ich verstehe, dass es aufgrund der politischen Beliebigkeit der GRÜNEN auf dem ursprünglichen Terrain eng geworden ist. Aber aus taktischen Gründen jetzt im Fahrwasser von AfD und PEGIDA zu fischen, ist „unterste Schublade“. Diese Rechnung wird nicht aufgehen, und dieser Ansatz ist gefährlich: Wer die Parolen der Rechten streut, wird davon selbst kaum profitieren. Er wird AfD und PEGIDA nur zu noch mehr Auftrieb verhelfen.
Schielen Sie nicht nach rechts – orientieren Sie sich lieber an Persönlichkeiten wie Burkhard Hirsch oder Gerhart Baum aus Ihrer Partei, die Ihnen erklären könnten, wie gute Menschenrechtspolitik gestaltet werden kann.
Noch ein Wort zu unserem Dringlichen Antrag. Millionen von Afghaninnen und Afghanen sind auf der Flucht, das Land versinkt im Chaos. Auch nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes ist das Einflussgebiet der Taliban heute größer als zu Beginn der NATO-Intervention im Jahr 2001. Deutschland weitet aktuell seinen Kriegseinsatz aus und schickt wieder neue Soldatinnen und Soldaten nach Afghanistan. Sichere innerstaatliche Fluchtalternativen, die teilweise angepriesen werden, existieren nur in der Fantasie.
Der Einfluss der Regierung reicht kaum über den Regierungsbezirk hinaus. Wie dramatisch die Lage ist, wurde bei dem jüngsten Besuch des deutschen Außenministers in Kabul deutlich, der aus Sicherheitsgründen den kurzen Weg vom Flughafen in die Innenstadt mit Hubschrauber, Helm
und kugelsicherer Weste zurückgelegt hat. Unter diesen Umständen Geflüchtete nach Afghanistan abzuschieben, heißt nichts anderes, als den Tod von Menschen billigend in Kauf zu nehmen.
(Beifall bei der LINKEN – Alexander Bauer (CDU): Also bitte, welches Bundesland hat denn einen Abschiebestopp? Fangen Sie bei sich selbst an!)
Ich bitte Sie daher darum, dass das ganze Haus unseren humanitären Antrag unterstützt. – Ich danke Ihnen.
Vielen Dank, Frau Kollegin Cárdenas. – Als nächster Redner spricht nun Herr Kollege Bauer von der CDU-Fraktion. Bitte schön, Herr Kollege, Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Rentsch, wer Zwietracht sät, wird bei der CDU Hessen und bei der Koalition von CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Eintracht ernten.
Die Union hat sich in der Flüchtlingspolitik eindeutig positioniert und hat erst am vergangenen Wochenende auf dem Parteitag in Hanau einen Leitantrag beschlossen. Dieser trägt den Titel: „Zuzug begrenzen, Herausforderungen gemeinsam anpacken – Hessen handelt.“ Es gehört zu unserer christdemokratischen Überzeugung, Menschen in Not zu helfen. Wer verfolgt wird, dem bieten wir den Schutz, den unser Grundgesetz garantiert. Dieser Schutz ist ein Schutz auf Zeit – daran sei erinnert. Angesichts der enormen Flüchtlingszahlen leisten wir auch in Hessen und unser Land insgesamt einen herausragenden Beitrag. Unser Land darf aber nicht überfordert werden. Deutschland und Europa können das Leid der Welt nicht allein schultern.
Meine Damen und Herren, was ist zu tun? Die Bekämpfung der Fluchtursachen liegt in unser aller Interesse. Zum einen müssen die politischen Umstände in den Herkunftsländern, in Syrien, im Irak, in Afghanistan, stabilisiert werden. Eine dauerhafte Befriedung eines Landes kann auch nur gelingen, wenn die dort lebenden Völker selbst ihre inneren und äußeren Konflikte beilegen und Friedensprozesse initiieren.
Zum anderen müssen auch die unzumutbaren Zustände in den grenznahen Flüchtlingslagern, in der Türkei, in Jordanien, im Libanon, deutlich verbessert werden. Dazu gehört auch, dass die wirtschaftsstarken Länder ihrer Verantwortung gerecht werden und zu einer auskömmlichen Finanzierung des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen beitragen. Die chronische Unterfinanzierung muss schnell beendet werden.
Meine Damen und Herren, die CDU ist die Partei Europas. Wir stehen für die europäische Einigung und für die Freizügigkeit in Europa. Die Abschaffung der Grenzkontrollen innerhalb des Schengen-Raums ist eine große Errungenschaft, die unseren Bürgerinnen und Bürgern viele Vorteile
gebracht hat. Diese Freiheiten wollen wir schützen, und gerade deshalb müssen wir die Außengrenzen der EU konsequent schützen.
Auch müssen wir demjenigen deutlich sagen, der nicht vor politischer Verfolgung flieht, sondern den, sosehr dies menschlich nachvollziehbar ist, nur die Hoffnung auf ein besseres Leben in einem Land der sozialen Marktwirtschaft bewegt, dass dies keinen Anspruch auf Asyl bedeutet und dass diese Menschen nicht dauerhaft in Deutschland bleiben dürfen.
Mit der Zustimmung Hessens haben Bund und Länder daher in dem Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz weitere sichere Herkunftsländer definiert. Zu ihnen gehören nun auch die Balkanländer Albanien, Montenegro und das Kosovo. Diese Verschärfung hat bereits Wirkung gezeigt, und die anfangs sehr hohe Zahl von Flüchtlingen aus diesen Ländern ist inzwischen deutlich zurückgegangen.