Wenn wir heute über Seniorenpolitik sprechen, ist das ein hoch differenziertes Feld. Wir unterscheiden die Senioren mittlerweile in drei Gruppen, in Alte, Ältere und Hochbetagte, weil wir den Begriff „Senioren“ so gar nicht mehr fassen können. Ich selbst bin Vorsitzender des Deutschen Roten Kreuzes bei mir zu Hause, und wir machen am dritten Advent immer einen Seniorennachmittag. Wenn ein älterer Mensch mit 65 Jahren die Einladung zum Seniorennachmittag vom Deutschen Roten Kreuz erhält, erlebe ich oft die Reaktion: Was, ihr ladet mich ein? So alt bin ich doch gar nicht.
Genau das drückt ein Stück weit aus, womit wir es zu tun haben. Das eigene Bewusstsein der älteren Menschen hat sich gewandelt, und auch die gesellschaftlichen Bedürfnisse und Herausforderungen haben sich gewandelt. Ohne etwas relativieren, zurücksetzen oder Prioritäten verschieben zu wollen, erlauben Sie mir den Vergleich: So, wie sich das Frauenbild nach dem Krieg in Deutschland gewandelt hat, so ist das Seniorenbild in unserer Gesellschaft im Wandel.
Genauso ist es eine Aufgabe, über die reine Feststellung von Bedürfnissen, über Broschüren und wichtige Dialoge hinauszuschauen. Das Bild der Senioren ändert sich, die Einstellung der älteren Menschen ändert sich, und auch die Herausforderungen der Gesellschaft ändern sich, vor allem die Herausforderungen der Gesellschaft an die Senioren ändern sich.
Darum bin ich sehr dankbar, dass die Union diesem Thema heute eine Plattform gegeben hat. Denn hier steht auch der Arbeitsmarkt groß im Fokus. Wenn man über Teilhabe spricht, muss man auch über die Möglichkeit der älteren Menschen sprechen, sich im Arbeitsmarkt einzubringen. Es darf keine Altersgrenzen geben; denn Altersgrenzen sind oft juristisch gesetzt, aus der Tradition gewachsen, aber haben vielleicht überhaupt nichts mit der persönlichen Leistungsfähigkeit von älteren Menschen zu tun.
Dafür muss es Anreize geben und keine Modelle, um ältere Menschen aus dem Arbeitsmarkt zu drängen. Ich erinnere mich an die Rente mit 63. Das ist ein Ansatz, den Einzelne schätzen mögen. Aber ob er tatsächlich in die gesellschaftliche Entwicklung passt, muss man doch deutlich hinterfragen. Wir brauchen Strukturen, die die Älteren, ihrer Leistungsfähigkeit entsprechend, im Arbeitsmarkt halten, aber auch ein deutliches Zeichen, wie man Teilhabe organisieren kann. Ein zentraler Bereich dafür ist der Arbeitsmarkt, und da ist viel zu tun.
Das ist zugegebenermaßen nicht in erster Linie eine Landesaufgabe, sondern eine Bundesaufgabe. Aber auch das muss im Fokus stehen, wenn wir über das Thema Senioren sprechen.
Wir hatten im Hessischen Landtag eine Enquetekommission „Demografie“. 2007 – damals habe ich dem Hessischen Landtag noch nicht angehört – ist sie zum Abschluss gelangt. In ihrem Bericht steht vieles, was an Herausforderungen auf dieses Land zukommt.
Da ist ein besonderes Augenmerk auf den ländlichen Raum zu richten. Der ländliche Raum ist ein ganz spezieller Bereich, den wir genau in den Fokus nehmen müssen. Da geht es aus meiner Sicht vor allem um zwei Themen, das sind die Versorgungsstruktur im ländlichen Raum, aber auch die Mobilität. Ob die Mobilitätssysteme, die bisher im Fokus stehen, der öffentliche Personennahverkehr, das leisten können, daran habe ich meine großen Zweifel. Da müssen wir an flexibleren Lösungen arbeiten. Dies ist eine sehr große Aufgabe, der sich auch das Land stellen muss.
Ich will die Aktivitäten des Landes nicht geringschätzen. Aber bei einem Thema möchte ich doch noch einmal das Land in die Pflicht nehmen und würde mir wünschen, dass man einen großen Fokus darauf legt. Das ist die Frage der Pflege, der Organisation der Pflege und der Pflegeausbildung. Wir stellen immer mehr fest, es gibt nicht nur zu wenige Menschen, die in der Pflege arbeiten wollen; es gibt mittlerweile auch zu wenige Menschen, die Menschen ausbilden, die in der Pflege arbeiten wollen. Darauf muss ein großes Augenmerk liegen.
Ich sehe die Frage der Generalistik sehr kritisch. Manchmal ist etwas mit guten Ideen eingeführt worden, und jetzt versucht man, die Probleme, die dadurch entstanden sind, wieder ein Stück weit in den Griff zu bekommen. Aber es muss ganz klar sein, die Pflege ist eine eigenständige Aufgabe, sie muss immer qualifizierter durchgeführt werden.
Ich fand interessant, dass der Minister gestern gesagt hat – das teile ich –, es muss Aufstiegsmöglichkeiten geben, eine Akademisierung auch in dem Bereich, um dieses Berufsbild attraktiv zu halten. Aber ob die Generalistik die letzte Antwort darauf ist, daran habe ich meine Zweifel. Der Aufstieg in einem System des Altenpflegeberufs von ganz unten nach ganz oben muss über ein Berufsleben durchgängig möglich sein; das ist wirklich eine Attraktivitätssteigerung.
Da ist noch viel zu tun. Ich würde mir wünschen, dass der Fokus stärker auf ein altengerechtes Berufsbild kommt, weil hier viel Spezielles zu erarbeiten ist und eine spezielle Ausbildung Sinn machen würde – mit dem Hinweis des Ministers, dass ein Aufstieg in diesem Berufsbild möglich ist, um die Attraktivität in diesem Beruf zu steigern und mehr Menschen in dieses Berufsbild zu bringen.
Es gab einmal eine große Mode, die hieß Mehrgenerationenhaus. Das ist sehr nach vorn getrieben worden. Ich selbst habe mich auch einmal engagiert, so etwas kommunal umzusetzen. Aber man stellt fest, die Attraktivität des Mehrgenerationenhauses wird von Älteren oft deutlich positiver gesehen als von jüngeren Menschen. Es ist leichter, ältere Menschen für das Mehrgenerationenwohnen zu begeistern, als junge Familien dafür zu begeistern. Es mag
Nach dem, was ich feststellen konnte, liegt der Fokus viel mehr auf der Frage: Wie lebt man im Alter zusammen, und wie lebt man im Alter in einer Verantwortungsgemeinschaft zusammen, aber nicht in dem Sinne, dass wir jetzt ein gesellschaftspolitisches Bild von der Verantwortungsgemeinschaft prägen, die sich im Alter entwickelt. Das kann generationenübergreifend sein, aber es kann auch in der Generation sein. Von daher sollten wir uns ein bisschen von der Einengung in Förderprodukte und anderes lösen, die wir uns manchmal selbst geben.
Die Verantwortungsgemeinschaft ist das, was im Alter zählt und worauf Menschen bauen wollen und bauen müssen. Das ist etwas, was wir ins Bild nehmen sollten. Dafür sollten wir als Staat Rahmen und Fördermöglichkeiten geben, aber nicht zu sehr einschränkend und nicht zu sehr lenkend, weil es unglaublich vielfältige Ideen und Ansätze gibt. Dafür müssen wir offen bleiben und unsere Förderstrukturen offen gestalten. Da dürfen wir nicht zu sehr in die Details gehen, weil wir erleben, dass sich die Menschen in dieser Lebensphase zum Teil noch einmal neu organisieren, weil ein Partner verstorben ist oder weil auch mit 55 oder 60 Jahren Partnerschaften noch auseinanderbrechen und sich neu orientiert wird. Solche Lebensgemeinschaften sollten wir nicht einschränken, sondern abrunden und die Möglichkeit geben, sie zu unterstützen.
Ein ganz wichtiges Thema in diesem Bereich ist die moderne Arbeitswelt, die moderne Lebenswelt, das moderne Umfeld. Da spielt die Technisierung eine große Rolle. So wie in der Arbeitswelt die Frage ist, wie man seine Arbeit von zu Hause bewältigen kann, so ist hier die Frage: Wie lange kann man zu Hause leben? Da spielen die technischen Möglichkeiten eine enorme Rolle: Wie lange kann ich von zu Hause an der gesellschaftlichen Diskussion teilhaben, wie lange kann ich überhaupt zu Hause leben? Ich glaube schon, dass wir schauen müssen: Was wird an Unterstützung finanziert, wie wird es genehmigt? Wie wird es möglich gemacht, dass wir die ganzen technischen Möglichkeiten im Rahmen von Pilotprojekten fördern? Was ist möglich? Wie kann man die Teilhabe verbessern? Wie kann man den Menschen durch die technischen Möglichkeiten, die es schon gibt, ermöglichen, länger zu Hause zu leben?
Von daher noch einmal meinen Dank an die Union von dieser Stelle aus, dass sie uns die Plattform für dieses Thema gegeben hat. Es gibt unglaublich viel zu tun. Es ist nett, dass hier Vorschläge aufgelistet sind. Aber das Arbeitsfeld ist bedeutend größer und tiefer. Von daher, denke ich, können wir alle gemeinsam noch einiges auf den Weg bringen. – Vielen Dank.
Herr Kollege Rock, vielen Dank. – Als Nächste spricht Frau Abg. Schott für die Fraktion DIE LINKE. Bitte sehr.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir diskutieren hier heute einen Antrag – wenn man dieses Dokument überhaupt so nennen will –, den man auch hätte betiteln können: Lobeshymne der Regierungsfraktionen auf die eigene Regierung.
Gestern hatten wir die Situation, dass über 50 überwiegend ältere Bürgerinnen und Bürger versucht haben, derselben Landesregierung, und zwar dem Sozialminister, Unterschriften zu übergeben. Das waren Unterschriften, die sie zum Erhalt ihres Krankenhauses in Lindenfels gesammelt hatten. Das ist ein Krankenhaus, das ein Einzugsgebiet hat, in dem ein hoher Anteil älterer Menschen wohnt. Es ist von Schließung bedroht.
Allerdings hat es der Herr Sozialminister nicht für nötig befunden, die Unterschriften anzunehmen. Denn es ist nicht sein Krankenhaus. Das Land ist nicht der Krankenhausträger. Das mag formal richtig sein. Aber wer ist eigentlich für die Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum zuständig?
Der Bürgermeister dieser Gemeinde und die Bürgerinnen und Bürger dort waren über diese Missachtung und über die Art und Weise, wie in diesem Haus mit ihnen umgegangen wurde, ziemlich entsetzt. Sie haben sich entschlossen, ihre Unterschriften lieber wieder mitzunehmen. Denn sie fanden, dass man den Menschen dort vor Ort einmal sagen muss, wie hier mit ihnen umgegangen wurde.
Das entspricht nicht dem, wie Sie sich heute hinsichtlich des Umgangs mit älteren Menschen, der Würde und des Respekts, loben. Frau Klaff-Isselmann, es war das Gegenteil von dem, was Sie vorhin hier postuliert haben. Das hätte ich in weiten Teilen unterschreiben können. Das war eben respektlos, absolut respektlos.
Insbesondere ältere Menschen sind auf eine Gesundheitsversorgung in ihrem näheren Umfeld angewiesen. Denn manchmal ist das mit dem Fahren deutlich schwieriger. Es ist dann deutlich schwieriger, Familienangehörige zu besuchen, die im Krankenhaus liegen. Wir alle wissen, dass es für eine gute Genesung wichtig ist, dass der Sozialkontakt besteht und der Mensch da nicht den lieben langen Tag alleine liegt und sich Sorgen macht. Ältere Menschen sind nun einmal nicht mehr so mobil.
Statt die Menschen, die so engagiert für den Erhalt ihrer Klinik kämpfen, zu unterstützen und sie für ihren Einsatz zu loben, haben sie hier erfahren, dass die Unterschriften an den Klinikbetreiber weitergeleitet werden. Das war es dann schon.
(Holger Bellino (CDU): Jetzt kommen Sie doch zum Thema! – Gegenruf des Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE): Das passt Ihnen nicht! Das ist Ihnen unangenehm! – Holger Bellino (CDU), zu Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE) gewandt: Überhaupt nicht!)
Das ist die Politik, die die Hessische Landesregierung macht. Sie lässt die Schließung kleiner Krankenhäuser zu und interessiert sich nicht für die Gesundheitsversorgung in der Fläche.
Herr Minister, das ist überhaupt nicht köstlich. Das ist ziemlich traurig. Wenn Sie das köstlich finden, dann kann ich das nicht nachvollziehen. Ich glaube, auch die Menschen in Lindenfels können es nicht nachvollziehen.
Wir können aber auch noch nach anderen konkreten Punkten schauen und an konkreten Maßnahmen arbeiten, anstatt, wie in Ihrem Antrag und auch in der Rede hier, einfach nur ziemlich viel heiße Luft abzulassen.
Für ein würdevolles Leben im Alter sind konkret in erster Linie einmal höhere Renten notwendig. Die Ziele der Mitbestimmung und der Teilhabe, kurzum das Ziel der Inklusion, lassen sich nicht erreichen, wenn es an der Grundsicherung für die älteren Bürgerinnen und Bürger fehlt. Es wäre doch einmal ein Ding, wenn die Hessische Landesregierung im Bund für die Erhöhung des Rentenniveaus auf mindestens 53 % und für eine existenzsichernde solidarische Mindestrente kämpfen würde und gegen die fortschreitende Privatisierung der Altersversorgung eintreten würde.
Die Rente muss zur Wahrung des Lebensniveaus reichen. Das ist bei viel zu vielen Schicksalen nicht der Fall. Altersarmut ist hierzulande die harte und traurige Realität. Mit diesem Problem vor der Haustür von dem Ziel zu sprechen, ein Altern in Würde ermöglichen zu wollen, ist schlichtweg heuchlerisch. Das zeugt von vielem, nur nicht von Respekt vor der älteren Generation.
Immer mehr Seniorinnen und Senioren arbeiten in einem Minijob. Das hat in vielen Fällen nichts damit zu tun, dass es ihnen zu Hause zu langweilig ist. Das Gegenteil ist der Fall. Viele sind auf dieses zusätzliche Einkommen angewiesen. Ein Zeichen dafür ist, dass sich die Zahl der Rentnerinnen und Rentner im Grundsicherungsbezug innerhalb von zehn Jahren verdoppelt hat. Viele ältere Menschen scheuen trotzdem noch den Weg zur Grundsicherungsbehörde. Hier wäre der Einsatz der Landesregierung für einen würdevollen Umgang mit der älteren Generation tatsächlich gefragt.
Wir wollen morgen über die Gleichberechtigung der Frauen und der Männer sprechen. Eine Anerkennung der Arbeit der Frauen wäre auch ein wichtiger Punkt.
Das Armutsrisiko der Frauen im Alter ist besonders groß. Niedriglöhne, Unterbrechung der Erwerbstätigkeit und Familienarbeit ziehen niedrige Renten nach sich. Die Renten sind wesentlich niedriger als die der Männer. Das ist doppelte Diskriminierung. Dem muss umgehend entgegengewirkt werden.
Vor dem Hintergrund niedriger Renten und des Risikos der Altersarmut grenzt es an Dreistigkeit, beispielsweise im Rahmen der Initiative „Durchstarten mit 60“ davon zu sprechen, den Erfahrungsschatz der Seniorinnen und Senioren praktisch nutzbar machen zu wollen. Nicht wenige müssen mit 60 Jahren durchstarten, um weitere sieben oder noch mehr Jahre erwerbstätig zu bleiben.