Vor dem Hintergrund niedriger Renten und des Risikos der Altersarmut grenzt es an Dreistigkeit, beispielsweise im Rahmen der Initiative „Durchstarten mit 60“ davon zu sprechen, den Erfahrungsschatz der Seniorinnen und Senioren praktisch nutzbar machen zu wollen. Nicht wenige müssen mit 60 Jahren durchstarten, um weitere sieben oder noch mehr Jahre erwerbstätig zu bleiben.
Wir sehen gerade jetzt, dass viele bereit sind, sich nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsleben aktiv zu beteiligen, sich zu engagieren und ihre Erfahrungen weiterzugeben. Das muss entsprechend und mit aller Nachdrücklichkeit gewürdigt und geschätzt werden. Ja, da bin ich wieder bei Ihnen.
Allerdings ist die Wirklichkeit oft so: Das ehrenamtliche Engagement in Organisationen, Verbänden oder Vereinen und das Engagement einzelner wird missbraucht, um hauptamtliche Stellen abzubauen oder sie erst gar nicht zu schaffen. Staatliche Verantwortung wird auf die Rentnerinnen und Rentner abgewälzt, während der Staat unter dem Strich nicht genug Verantwortung für seine älteren Bürgerinnen und Bürger übernimmt. Auch das ist die Realität in diesem Land. Die verleugnen Sie schlichtweg.
Das zeigt sich ganz deutlich bei einem Thema, das Schwarz-Grün in seinem Antrag aufgreift. Es geht um die Barrierefreiheit im öffentlichen Raum. Das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, auch bekannt als UN-Behindertenrechtskonvention, wurde vor ziemlich genau neun Jahren von der Generalversammlung der Vereinten Nationen beschlossen. Es trat Mitte 2008 in Kraft. Mit der Unterzeichnung verpflichteten sich die Nationen, geeignete Maßnahmen zu treffen, um allen Menschen gleichberechtigten Zugang zur physischen Umwelt zu ermöglichen.
In einer Anhörung zur Änderung des Hessischen Gesetzes zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen auf Initiative der SPD-Fraktion vor wenigen Wochen haben die eingeladenen Vertreterinnen und Vertreter der entsprechenden Interessenverbände eindrücklich davor gewarnt, Maßnahmen zur Gestaltung eines barrierefreien öffentlichen Raums unter einen Finanzierungsvorbehalt zu stellen. Die Städte und die Gemeinden haben den Auftrag, den unterschiedlichen Bedürfnissen und Ansprüchen ihrer Bewohnerinnen und Bewohner gerecht zu werden.
Wie es um die Finanzen und somit um die Möglichkeiten in Hessens Kommunen bestellt ist, muss ich Ihnen nicht erzählen. Für jeden Haltestellenumbau, für jede Parkbank, für jedes kulturelle Angebot, für jedes Wohnprojekt oder für jede Modernisierung und für den Verbleib jeder Arztpraxis muss gekämpft werden.
Die Wirksamkeit der Seniorenpolitik entscheidet sich in den Kommunen. Die können sich noch so bemühen, es fehlt ihnen hinten und vorne an Mitteln, um den anhaltenden demografischen Wandel zu gestalten, um der Langzeitarbeitslosigkeit und der Erosion der sozialen Infrastruktur etwas entgegenzusetzen. Seniorenpolitik darf nicht nach Kassenlage der Kommunen gestaltet werden.
Zunehmendes Alter bedeutet nicht nur Mobilität und Engagement. Die Gruppe der hochaltrigen, also der Menschen ab 80 Jahren, wächst am schnellsten. Laut Statistischem Bundesamt wird es im Jahr 2060 fast so viele Menschen über 80 Jahren wie Menschen unter 20 Jahren geben. Das
Vor diesen Herausforderungen stehen wir schon heute, und damit komme ich zu dem Punkt, der uns am meisten aufstößt: Die Landesregierung habe auf Fachkräftemangel in der Pflege reagiert. – Ich darf Sie an dieser Stelle auf den Hessischen Pflegemonitor verweisen. Da ist noch ziemlich viel Luft nach oben, was die Ausbildung von Pflegekräften angeht.
Machen wir uns nichts vor, wir haben einen Pflegenotstand. An der Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass wir einen enormen grauen bzw. schwarzen Raum in diesem Land haben, wo Menschen von Menschen gepflegt werden, die unter unwürdigen Bedingungen leben, die hier zum Teil illegal, zum anderen Teil halb legal hier sind. Ich finde, auch da muss endlich hingeschaut werden, da muss endlich etwas passieren, sodass diese Zustände beendet werden. Wir brauchen genug und bezahlbare Pflege, damit es nicht mehr notwendig ist, dass Frauen aus anderen Ländern hierher kommen und in Arbeitsverhältnissen leben, die man eigentlich nicht mehr Arbeitsverhältnisse nennen kann.
An der Stelle muss endlich hingeschaut und nicht, weil wir ein Riesenproblem haben, das wir nicht bewältigen können, permanent weggeschaut werden, weil man nicht bearbeiten muss, was man nicht wahrnimmt. – Diese Haltung geht überhaupt nicht.
Dann möchte ich am Schluss noch sagen, dass wir den Antrag der SPD selbstverständlich unterstützen werden; denn das, was Sie zur Entwicklung der Altenpflegeschulen behaupten, ist einfach nicht richtig. – Herzlichen Dank.
Vielen Dank. – Als Nächste hat Frau Abg. Erfurth für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort. Bitte schön.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Demografischer Wandel, Politik für junge und ältere Menschen, für Hochbetagte, für Menschen aus anderen Ländern, anderen Kulturen, die bei uns eine Heimat gefunden haben, Politik für Familien, Politik für Kinder – alles das sind Themen, die immer gerne getrennt und separat betrachtet werden, die aber im Kern sehr eng zusammengehören und die man immer wieder einmal zusammen betrachten, in den Fokus nehmen muss und die zusammen
diskutiert werden müssen. Genau das passiert in dem Antrag, den Ihnen die Koalitionsfraktionen von CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN heute vorgelegt haben.
Ausgehend von den besonderen Bedürfnissen, die ältere Menschen unbestreitbar haben, wollen wir den Blick darauf weiten, was allen Bevölkerungsgruppen nutzt und was sich möglicherweise im ersten Schritt nicht immer gleich aufdrängt.
Ich möchte das Beispiel Barrierefreiheit nennen – Barrierefreiheit von öffentlichen Gebäuden oder auch von Wohngebäuden, von öffentlichen Plätzen, von Haltestellen für Busse und Bahnen, von Bahnhöfen und von Aufenthaltsräumen in der Öffentlichkeit. Barrierefreiheit an diesen Plätzen dient nicht nur älteren Menschen, sie dient uns allen, und sie erleichtert allen, die in der Bewegungsfreiheit eingeschränkt sind, die Teilnahme am öffentlichen Leben.
Ich denke ganz besonders an unseren ehemaligen Kollegen Dr. Andreas Jürgens. Wenn Sie einmal versucht haben, mit einem Rollifahrer abends nach der Plenarrunde einfach ein Bier trinken zu gehen, dann kriegen Sie einen ganz anderen Blick auf die Kneipenkultur. Sie kriegen einen ganz anderen Blick darauf, wie sich öffentlicher Raum verändert, wie gut gemeinte Brücken und Barrieren wie Bürgersteige sich plötzlich anders darstellen. Das ist eine gute Schule, die ich jedem empfehlen kann: einfach einmal die Perspektive wechseln und schauen, was das im öffentlichen Raum bewirkt.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der CDU und der SPD – Zu- ruf des Abg. Günter Rudolph (SPD))
Von daher dient Barrierefreiheit im öffentlichen Raum nicht nur den älteren Menschen. Sie dient Familien, die Kinderwagen zu steuern haben, und im ÖPNV auch Radlerinnen und Radlern.
Weil wir nicht nur – Herr Kollege Rudolph – über aktive Teilhabe reden wollen, möchte ich Ihnen ein paar ganz konkrete Beispiele nennen, bei denen deutlich wird, wo Grün durchaus wirkt.
(Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN), zu Abg. Günter Rudolph (SPD) gewandt: Hören Sie doch erst einmal zu!)
So hat gestern der Verkehrsminister Al-Wazir der Stadt Frankfurt Förderbescheide für den Bau von zwei U-Bahnhofaufzügen übergeben, um ÖPNV barrierefreier zu machen.
Am 5. Oktober hat der Verkehrsminister erklärt, die Landesregierung nutze jede Möglichkeit, ÖPNV gerade auch für Menschen mit Einschränkungen attraktiver zu gestalten. Erst kürzlich wurden dem Bund – da rechne ich auf Ihre Unterstützung – 25 Stationen zum barrierefreien Ausbau vorgeschlagen.
Alternative Verkehrskonzepte – auch das ist ein wichtiger Punkt – wie Bürgerbusse, Mobilfalt, was wir in Nordhessen erst wieder verlängert haben, um alternative Konzepte anzubieten, auch das nützt älteren Menschen.
(Florian Rentsch (FDP): Das haben Sie nicht gemacht, das haben FDP und SPD gemacht! Da waren Sie nicht beteiligt!)
Die soziale Teilhabe von älteren Menschen ist ein wichtiger Punkt. Auch im Sozialbereich fördert die Landesregierung spezielle Angebote für ältere Menschen. Ich darf Sie an das Sozialbudget erinnern, wo wir für die öffentliche Altenhilfe fast 540.000 € festgeschrieben haben für Beratung für altersgerechtes Wohnen, für die Seniorenvertretungen in Hessen. 500.000 € stehen im Sozialbudget für die Förderung ambulanter Versorgungsstrukturen für 2016 bereit.
Im Bereich Wohnen – auch den will ich nicht ausblenden – schauen wir auf die Großstädte. Da gibt es die sogenannte Gentrifizierung, durch die es kaum noch günstigen Wohnraum in zentraler Lage gibt. Für alleinstehende ältere Menschen ist das oft ein Problem; denn gerade sie sind auf wohnortnahe Versorgung angewiesen. Im ländlichen Raum haben wir es andersherum. Frau Schott, Sie sprachen auch davon. Hier haben wir günstige Mieten, aber die Angebote der Versorgung sind nicht so nah dabei.
Hier wollen wir, dass genügend Angebote vor Ort erhalten bleiben. Mit dem Kommunalinvestitionsprogramm wird den Kreisen, Städten und Gemeinden mehr als 1 Milliarde € für solche Zukunftsprojekte zur Verfügung gestellt. Jetzt obliegt es ihnen, sie in kommunaler Verantwortung genau so einzusetzen, nämlich auch für Barrierefreiheit und für Wohnen für ältere Menschen. Das ist dann ein Akt der kommunalen Selbstverwaltung. Ich bin gespannt, wie sie den Spielraum vor Ort nutzen.
Die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum – auch das war hier schon öfter Thema – dient allen, die sich kaum noch die überteuerten Mieten in den Städten leisten können.
Der Entwicklungsplan ländlicher Raum hat zum Ziel, dass ländliche Räume in Hessen als attraktive Wohn-, Wirtschafts- und Erholungsräume erhalten bleiben. Auch das dient älteren Menschen, wenn sie auch im Alter am vertrauten Wohnort bleiben können.
Meine Damen und Herren, ältere Menschen sind keine homogene Gruppe. Sie sind genauso vielfältig und bunt wie das Leben. Wir wollen, dass die Menschen in dieser Verschiedenheit so lange wie möglich in ihren eigenen vier Wänden bleiben können. Sie haben es angesprochen, Frau Klaff-Isselmann. Dafür braucht es unterstützende Einrichtungen, wie sie in Punkt 8 unseres Antrags beschrieben werden.
Nicht nur heterosexuelle Menschen werden alt und brauchen Unterstützung. Wir brauchen auch einen respektvollen Umgang mit homosexuellen Menschen im Alter, egal, welchen Grad von Pflege diese Menschen gerade benötigen. Auch das ist ein Feld, wo wir, glaube ich, noch Nachholbedarf haben.
Das gilt in gleichem Maße für Menschen aus anderen Kulturen. Auch hierauf müssen wir einen Fokus legen, und dafür brauchen wir ausgebildetes Personal, das auch in der interkulturellen Pflege unterwegs sein kann.
Auch das haben wir in unserem Antrag beschrieben. Es ist gut, dass sich die Landesregierung auch dieses Themas angenommen hat und darauf setzt, in der Ausbildung stärker tätig zu werden und Ausbildung in der Altenpflege weiter aufzubauen.
Ich denke, wir sind mit unserem Antrag gut aufgestellt. Wir haben ein breites Spektrum beschrieben, was uns erwartet, um seniorengerechte Politik in Hessen zu machen. Ich kann Sie nur bitten, unseren Antrag zu unterstützen. – Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Frau Kollegin Erfurth. – Als Nächste hat Frau Kollegin Dr. Sommer von der Fraktion der Sozialdemokraten das Wort. Bitte sehr.
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Über die Überschrift Ihres Antrags habe ich mich sehr gefreut, und als hessische SPD-Fraktion können wir diese auch unterschreiben. Der demografische Wandel mit einem der Attribute, dass wir älter, gleichzeitig aber fitter und vitaler werden, rückt die Seniorenpolitik in einen neuen Fokus. Der demografische Wandel ist mit einer gestiegenen Lebenserwartung, einem höheren Bedarf an Gesundheitsversorgung und einer wachsenden Gruppe von älteren Menschen verbunden, die sich aktiv in die Gesellschaft einbringen möchte. Bisher verbinden viele Menschen das Wort „Alter“ mit Krankheit, Sorge und Hilfsbedürftigkeit. Diese Vorstellung entspricht aber nicht mehr der Realität.