Protokoll der Sitzung vom 16.12.2015

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Über die Überschrift Ihres Antrags habe ich mich sehr gefreut, und als hessische SPD-Fraktion können wir diese auch unterschreiben. Der demografische Wandel mit einem der Attribute, dass wir älter, gleichzeitig aber fitter und vitaler werden, rückt die Seniorenpolitik in einen neuen Fokus. Der demografische Wandel ist mit einer gestiegenen Lebenserwartung, einem höheren Bedarf an Gesundheitsversorgung und einer wachsenden Gruppe von älteren Menschen verbunden, die sich aktiv in die Gesellschaft einbringen möchte. Bisher verbinden viele Menschen das Wort „Alter“ mit Krankheit, Sorge und Hilfsbedürftigkeit. Diese Vorstellung entspricht aber nicht mehr der Realität.

Seniorinnen und Senioren fühlen sich im Vergleich zu früher länger jung, was natürlich auch durch die gute gesundheitliche Versorgung zustande kommt. Viele von ihnen wollen nach dem Ende ihrer beruflichen Karriere einen neuen Lebensabschnitt beginnen und sich engagieren. Sie wollen aktiv am gesellschaftlichen Leben teilhaben. Deswegen ist eine zeitgemäße Seniorenpolitik wichtig. Sie muss auf die Entwicklung reagieren können und real die Möglichkeit haben, sich in die Gesellschaft einzubringen.

(Beifall bei der SPD)

Aber wie kann die ältere Generation mobil und lange selbstständig bleiben, insgesamt gut leben und sich einbringen? Auf diese Fragen brauchen wir sinnvolle Antworten, damit die „vielfältigen Altersbilder“, die Sie unter Punkt 8 Ihres Antrags beschreiben, gelebt werden können. Ihr Antrag bietet leider keine sinnvollen Antworten auf all diese Fragen.

(Beifall bei der SPD)

Ich möchte Sie fragen: Wollen Sie die ältere Generation bei der Gestaltung einer neuen Seniorenpolitik aktiv mit einbinden, da ältere Menschen besondere Bedarfslagen haben? Wollen Sie sie teilhaben und auf allen Ebenen mitsprechen lassen? – Ich habe Sie in Ihrem Antrag doch richtig verstanden, oder? Wenn Sie diese Teilhabe ernst neh

men und meinen, dann können Sie unserem Änderungsantrag zur HGO in diesem Punkt ohne Wenn und Aber in dritter Lesung zustimmen.

(Beifall bei der SPD)

Damit würden Sie beweisen, dass Sie tatsächlich daran interessiert sind, Teilhabe und Mitsprache zu ermöglichen. Meine Damen und Herren, im vorparlamentarischen Raum muss es Seniorenvertretungen geben, die die Politik für die Belange von Senioren sensibilisieren.

Das ist z. B. wichtig für eine seniorengerechte Gestaltung von örtlichen Gegebenheiten. Hierdurch kann die Lebensqualität im Alter wesentlich mitbestimmt werden. Ich freue mich jetzt schon, wenn Ihre Bekundungen in Handlungsansätze einfließen und nicht länger nur Rhetorik bleiben – auch wenn Sie, Herr Bauer, gestern gesagt haben, es sei der falsche Weg. Aber nur dann, wenn Sie zustimmen, Seniorenvertretungen in der HGO fest und verbindlich zu verankern, halten Sie Wort. Alles andere sind leere Absichtserklärungen – Talk statt Action.

(Beifall bei der SPD)

Lebens- und Versorgungsformen für das Alter nehmen immer mehr an Bedeutung zu, so auch der Bereich Wohnen. Wohnen beeinflusst die Lebensqualität, die eigene Identität und die Eigenständigkeit. Wer für altersgerechten, barrierefreien Wohnraum sorgt, ermöglicht ein längeres Leben in der eigenen Häuslichkeit. Das machen Sie leider nicht. Sie können unsere Kleinen Anfragen dazu nachlesen. Genau das wünschen sich die Menschen aber: den Verbleib und die Versorgung in der vertrauten Umgebung, und zwar so lange wie möglich. Es ist deswegen die Aufgabe der Landesregierung, hier endlich aktiv zu werden.

(Beifall bei der SPD)

Studien zeigen, dass wir auf eine neue Wohnungsnot zusteuern. Nur 5 % der 11 Millionen Haushalte leben in weitgehend barrierefreien Wohnungen. Gerade Senioren leben oftmals – und das wissen Sie – in Altbeständen. Sie haben kleine Renten und können sich modernisierten Wohnraum einfach nicht leisten.

In Deutschland – so auch in Hessen – ist eine ausreichende Versorgung mit altersgerechtem Wohnraum nicht gewährleistet. In Ihrem Antrag erläutern Sie, dass Sie das Bestreben zur Barrierefreiheit unterstützen – allerdings nur mit guten Worten; eine monetäre Förderung wäre hier sinnvoller.

(Beifall bei der SPD)

Dieses brisante Thema hat die Landesregierung bisher ignoriert. Der Bedarf an altersgerechtem Wohnraum wird aber steigen. Meine Damen und Herren, jetzt wird konkretes Handeln gefordert. Wir müssen das Angebot an seniorengerechten, barrierefreien kleinen Mietwohnungen ausbauen und neue Wohnkonzepte voranbringen.

Wie geht das? Das zeigen schon viele Projekte wie Senioren-WGs oder innovative Projekte wie das der Bremer Heimstiftung, die unterschiedliche Wohn- und Betreuungsmöglichkeiten anbietet. Wir können uns aber auch in Hessen umschauen, z. B. in Kassel. Dort gibt es ein Projekt namens „Goethe 15“. Das bedeutet: eine eigene Wohnung, trotzdem nicht allein; eine ruhige Lage, aber eine hervorragende Infrastruktur. Dazu gibt es Service und Pflege nach Wunsch. Ich bin davon überzeugt, dass durch solche innovativen Wohnprojekte inklusive Pflegebetreuung Pflege

qualitativ hochwertig und sogar günstiger organisiert werden kann. Das zeigen auch Maßnahmen aus dem Ausland.

(Beifall bei der SPD und des Abg. René Rock (FDP))

In den Punkten 4, 5, 6 und 7 Ihres Antrags begrüßen Sie die Vermittlungsbörse „Durchstarten mit 60“, die Hilfsangebote im täglichen Leben vermittelt, und die Publikation der Seniorenpolitischen Initiative mit der Überschrift „Alter neu denken – Zukunft gewinnen“, die zum Nachdenken über die Alterung der Gesellschaft anregen und das Bewusstsein schärfen soll. Ich rege das Lesen Ihrer eigenen Broschüre an, vor allem die Empfehlung zur Dialogform. Ich wünsche mehr Mut zur Umsetzung der tollen Ideen, die in Ihrer Broschüre aufgeführt sind.

(Beifall bei der SPD)

Außerdem wird der Wettbewerb „Aktion Generation“ genannt. Angebote und Hilfen sollen neu und effektiv zusammengeführt und vernetzt werden. Von diesem Wettbewerb profitieren Kommunen. Keine Frage, das ist gut und richtig, wie z. B. auch in anderen Modellprojekten. Das Problem aber ist: Es profitieren nicht alle Kommunen. Meine Damen und Herren, eine flächendeckende Förderung wäre wünschenswert.

(Beifall bei der SPD)

Lassen Sie uns zu Ihrem Punkt 9 kommen. Seit 13 Jahren – um genau zu sein, seit 2002 – ist das Schulgeld unverändert geblieben. Mit der Erhöhung der Pauschalen geht die Landesregierung jetzt nur einen richtigen und lang geforderten Schritt. Wir freuen uns mit den Schulen. Aber nein, wir haben uns zu früh gefreut: erstens, weil die Erhöhung der Schulpauschalen nicht dem Bedarf der Altenpflegeschulen entspricht; zweitens, weil der Inflationsausgleich nur für neue Kurse gilt, also erst ab dem 1. Januar 2016.

Daher sprechen wir uns in unserem Antrag für den Inflationsausgleich für alle Auszubildenden aus. Herr Grüttner, Sie haben gestern auf die mündliche Frage geantwortet, dass jetzt schon ein Fachkräftemangel in der Pflegebranche vorhanden ist. Aufgrund der älter werdenden Gesellschaft wird es eine proportionale Steigerung der Pflegebedürftigkeit geben. Wir brauchen jeden einzelnen Auszubildenden. Deswegen darf hier nicht an der falschen Stelle gespart werden.

(Beifall bei der SPD)

Zu Ihrem letzten Punkt, der Vereinbarkeit von Beruf und Pflege. Es gibt ca. zwei Millionen pflegebedürftige Menschen. Davon werden 68 % zu Hause gepflegt – ein Drittel davon von Familienangehörigen. 23 % dieser Familienangehörigen versuchen, Beruf und Pflege zu vereinbaren. Die Doppelbelastung ist groß. Das erfordert einen Ausgleich und Unterstützung. Freiwillige Selbstverpflichtungen, wie das mit der Charta zur Vereinbarkeit von Beruf und Pflege geschieht, sind schön, aber erreichen nicht, dass flächendeckende Verbesserungen umgesetzt werden. Wir wünschen uns deshalb, dass kleine und mittlere Unternehmen von der Landesregierung besser unterstützt werden, damit man das gemeinsam schultern kann, so wie das beispielsweise auch auf Bundesebene geschieht. Frau Schwesig hat als Familienministerin die Familienpflegezeit ausgeweitet, sodass z. B. ein Rechtsanspruch auf Auszeiten mit Lohnersatzleistung möglich ist. Das sind Ansätze, die in die richtige Richtung gehen.

(Beifall bei der SPD)

Zum Schluss bleibt festzuhalten: Wer jetzt nicht handelt, vernachlässigt sträflich die Bedürfnisse einer immer älter werdenden Gesellschaft. Wir brauchen altersgerechten Wohnraum, eine gute Pflegeversorgung, Unterstützung in der Pflege und der Pflegeausbildung. Daher bitten wir auch speziell um Zustimmung zu unserem Antrag. Wir brauchen die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Ihre Überschrift liest sich gut, aber Ihr Antragstext wird der drängenden Herausforderung inhaltlich nicht gerecht. Das ist schade, sehr schade.

(Beifall bei der SPD)

Schwarz-Gelb, nein das BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

(Günter Rudolph (SPD): Ist doch egal!)

hat am 14. Dezember 2011 eine Pressemitteilung herausgegeben und geschrieben, Schwarz-Gelb habe bei diesem Thema nichts erreicht.

Genug geredet, genug geschaut. Frau Erfurth, es muss gehandelt werden.

Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Ende kommen.

(Florian Rentsch (FDP): Jetzt wird es gerade interessant!)

Genau. – Es muss gehandelt werden. Ich erhoffe mir, dass das, was Sie hier eben alles vorgestellt haben, nicht nur leere Worthülsen bleiben. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Sommer. – Für die Landesregierung spricht Herr Staatsminister Grüttner. Bitte sehr, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine Politik, die alle Generationen im Blick hat, ist die Voraussetzung für eine zukunftsgerichtete, eine zukunftsfeste Gesellschaft. Angesichts des demografischen Wandels gilt das mehr denn je. Denn aufgrund der demografischen Entwicklung verändert sich nicht nur die Altersstruktur der Gesellschaft und der Bevölkerung, es ändern sich mit einer geringer werdenden Zahl junger Menschen und einer steigenden Zahl älterer und allein lebender Menschen nicht nur die gesellschaftlichen Strukturen, es verändern sich auch Familienstrukturen. Damit verändern sich auch die Bedürfnisse der Menschen und das Verhältnis der Generationen zueinander.

(Vizepräsident Frank Lortz übernimmt den Vorsitz.)

Wir haben das mit einer Reihe von Maßnahmen und Programmen thematisiert und gestärkt, beispielsweise mit der Förderung von Familienzentren und Mehrgenerationenhäusern, die generationenübergreifende Begegnungen ermöglichen, Angebote für alle Generationen bieten und so letzt

endlich auch ein solidarisches Handeln begründen. Um die Teilhabemöglichkeiten älterer Menschen zu stärken, fördern wir nicht nur die Landesseniorenvertretung in Hessen – wir haben auch die Fördermittel erhöht, um die kommunalen Seniorenbeiräte zu qualifizieren. Dabei setzen wir auf die Freiwilligkeit, denn die Freiwilligkeit bringt hier ein größeres Engagement mit sich als der gesetzliche Zwang. Wir gestalten auch vor Ort: letztendlich in der Kommune, um die Teilhabe und die Rahmenbedingungen mit und für Seniorinnen und Senioren in Hessen zu verbessern.

Kollege Rock hat durchaus recht, wenn er der Überzeugung ist, dass man einen gesellschaftspolitischen Ausblick machen soll. So verstehen wir das auch. Wir verstehen das in der Konstanz einer seit Jahren betriebenen Politik für ältere Menschen, einer generationenübergreifenden Politik. So wie wir, diese Landesregierung, Seniorenpolitik, Sozialpolitik verstehen, ist dies auch immer in Verbindung mit einer umfassenden Generationenpolitik für Jung und Alt zu sehen. Generationenpolitik gibt dann beispielsweise Antworten darauf, welche Bedeutungen Generationenbeziehungen, das Miteinander von Generationen, Generationengerechtigkeit und -solidarität haben, welche Strukturen und welche Maßnahmen für einen dauerhaften Zusammenhalt der Gesellschaft notwendig sind und wie nachhaltiges Handeln in der Politik, der Wirtschaft, der Verwaltung und im Sozialbereich aussehen soll.

Deshalb ist Generationenpolitik keine Politik für bestimmte Generationen oder nur für eine Generation, sondern Politik für alle Generationen. Das heißt, es gilt, die Möglichkeiten des Dialogs von Jung und Alt zu schaffen. Es gilt aber auch, besonderen Bedürfnissen gerecht zu werden. Deswegen muss der Fokus immer wieder auch auf einzelne Sachverhalte und Sachbereiche gelegt werden.

Wenn Frau Dr. Sommer eben Klagen über das Mitmachen und das Mitgestalten geführt hat, dann empfehle ich doch noch einmal, sich die Veröffentlichungen der Seniorenpolitischen Initiative anzuschauen, insbesondere die letzten Seiten, wo diejenigen aufgeführt sind, die mitgemacht haben. Die Seniorenpolitische Initiative hatte genau das im Blick: die demografische Veränderung durch die größer werdende Zahl älterer Menschen, von denen die Mehrzahl wirklich längere Zeit gesund, aktiv und in der Lage ist, die gewonnenen Lebensjahre positiv zu nutzen – mehr, als das in früheren Generationen der Fall war. Diese Bedürfnisse sind mit einzubeziehen, genauso wie die Frage, wie ich es schaffe, bei Hilfe- und Pflegebedürftigkeit ein geeignetes Hilfesystem zu installieren.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben vielfältige Altersbilder. Das ist doch unbestritten. Das bedeutet aktives Altern, aber auch ein Leben mit altersbedingten Einschränkungen und Hilfebedarf, und alle, die so leben möchten, sollen, solange es geht, ihr Leben eigenständig gestalten können. Das ist der Grundgedanke unserer Seniorenpolitischen Initiative. Deswegen auch das Motto dieser Seniorenpolitischen Initiative: „Alter neu denken – Zukunft gewinnen“. Es nimmt die Bedarfe älterer Menschen in den Blick und gibt Impulse für Handlungskonzepte.

Hierzu fanden eben Dialogforen mit Verbänden, Institutionen und Initiativen aus allen gesellschaftlichen Bereichen statt. Denn dieses Problem betrifft nicht nur ältere Men

schen, sondern unsere gesamte Gesellschaft. Das ist der entscheidende Punkt. Deswegen sagen wir: Das müssen wir mitnehmen, da müssen wir Schwerpunkte setzen und letztendlich Empfehlungen geben.