Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Präsident! Wenn die Fraktionen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und CDU bei der Kommunalwahl ein deutlich besseres Ergebnis erzielt hätten, hätten wir ganz sicherlich eine Aktuelle Stunde auf Antrag einer der beiden Fraktionen erlebt, mit dem Tenor, dass das alles super ist.
Insofern verwundert es nicht, dass andere Fraktionen es genauso machen. Ich will dennoch nicht der Versuchung erliegen, in dieses Konzert einzutreten, sondern ein paar andere Bemerkungen machen.
Drei Parteien in diesem Landtag, nämlich Christdemokraten, Sozialdemokraten und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, können mit dem Ergebnis dieser Kommunalwahl nicht zufrieden sein. Hessische GRÜNE: minus 7 %, hessische Union: minus 5 %, hessische Sozialdemokratie: minus 3 %.
Man muss fairerweise sagen, dass dies Ergebnisse sind, die weder die Union noch die Sozialdemokraten oder die GRÜNEN glücklich machen können. Andere in diesem Haus und darüber hinaus können das sicherlich anders sehen.
Der Erklärungsansatz der letzten Tage, Berlin sei daran schuld, ist sicherlich in wesentlichen Teilen auch richtig. Dazu gehört aber auch, klar zu sagen, dass nicht Berlin schuld ist, sondern die permanenten Fouls aus der Bayerischen Staatskanzlei von Herrn Seehofer oder aber auch von Frau Klöckner, die permanent die politische Grundlinie der Bundeskanzlerin und der Großen Koalition in Berlin infrage stellen.
Genauso richtig ist es aber auch, dass eine Reduzierung auf die Berliner Situation falsch wäre. Es würde z. B. nicht erklären, warum die Sozialdemokratie in einem Ort in meinem Wahlkreis deutlich über Durchschnitt verloren hat, und das, obwohl es dort noch keine Flüchtlingseinrichtung gibt. Es gibt ganz offensichtlich Ergebnisse, in denen kommunale Ereignisse eine große Rolle spielen. Genauso klar ist, dass ein Ergebnis von minus 16 % der schwarz-grünen
Koalition in Frankfurt ganz sicherlich nicht allein mit einer bundespolitischen Situation begründbar ist.
Deswegen will ich darauf hinweisen: Es gibt kommunale Ereignisse, die sehr wohl Einfluss auf das Ergebnis hatten. Sonst wäre es nicht zu erklären. Darmstadt ist ein weiteres Beispiel. Sie können auch viele andere nehmen. Die kommunale Seite spielt genauso eine Rolle wie das Land.
Wollen wir doch einmal ehrlich sein: Diese beiden Fraktionen haben vor der Kommunalwahl teilweise hinter vorgehaltener Hand, teilweise davor, erklärt, sie machten den schwarz-grünen Durchmarsch auf der kommunalen Ebene. Dieses strategische Ziel haben zumindest wesentliche Teile vor Ort verpasst.
Für mich stellt sich die Lage wie folgt dar: Dieses Wahlergebnis ist zu einem guten Teil ein Protestergebnis – nicht gegen die etablierten Parteien, denn sonst wären FDP und DIE LINKE auch betroffen gewesen, sondern gegen die regierenden Parteien.
Das ist ziemlich nah an dem, was es an Wählerspektrum für die AfD gibt. Dann gibt es einen Teil, den man nur mit konkreten Fragen beantworten kann: bei Wohnen, bei Arbeit, bei Bildung, bei Gerechtigkeit und bei der Vermittlung, dass wir eine schwierige innenpolitische, europäische und globale Lage irgendwie in den Griff bekommen müssen. Das ist doch der Vorbehalt von vielen: Habt ihr das noch irgendwie im Griff?
Wir haben viel gemeinsam dazu getan, auch hier – wir haben im letzten Sommer darüber geredet, wie wir das hinbekommen, und haben vieles auf den Weg gebracht. Natürlich hinterfragen es viele, ob diese großen Aufgaben angemessen gelöst werden. Diesen Protest werden wir auch in Zukunft nur mit konkreter Politik beantworten können und nicht mit Schlagzeilen.
Es gibt aber auch einen Teil, der Stimmung gegen jede Form von Parteien macht. Das fängt bei den Wählergruppen an. Da baut sich ein Klima auf, bei dem wenig Problemlösung dahinter steht. Das bereitet mir in der Tat Sorgen, genauso wie der fremdenfeindliche Teil. Darüber haben wir meiner Ansicht nach vorhin in etwas unangemessener Weise geredet. Der fremdenfeindliche Aspekt spielt auch eine Rolle.
Ich will zwei letzte kurze Bemerkungen machen, weil die Zeit abgelaufen ist: Erstens. Ich glaube, dass für die kommunale Seite ein Landesproblem darin besteht, dass viele unserer Ehrenamtlichen – und zwar aus allen Bereichen – in den letzten Jahren vor Ort vor allem Mangel verwaltet haben, Gebührenerhöhungen durchsetzen mussten und zu erklären hatten, was alles nicht mehr funktioniert. Dieser Verlust an Gestaltungs- und Teilhabemöglichkeiten hat die Attraktivität der kommunalen Seite auch verschlechtert, und das wird uns fordern.
Letzte Bemerkung. Es gibt allerdings auch Teile, die mir Hoffnung machen. Denn jenseits davon, dass die AfD so stark abgeschnitten hat, sollten zumindest wir, die wir uns im Parlament einig sind, eines auch laut und deutlich sagen: 80 % derer, die zur Wahl gegangen sind, haben sich
bei dieser Wahl für einen Kurs der praktischen Humanität ausgesprochen, und das gibt mir persönlich Hoffnung für die Zukunft.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und der FDP so- wie bei Abgeordneten der CDU und des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN)
Vielen Dank, Herr Kollege Schäfer-Gümbel. – Es spricht für die Landesregierung Herr Ministerpräsident Bouffier. Bitte sehr, Sie haben das Wort.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Bewertung von Wahlen ist zunächst einmal Sache der einzelnen Parteien, aber ich will eine kurze Bemerkung hinzufügen.
Was ist das Wichtigste, was uns gelingen muss? Das Wichtigste, was uns gelingen muss, ist, diese Gesellschaft beieinanderzuhalten. Diejenigen, die mir heute besonders wichtig sind, sind diejenigen, die sich auch und gerade bei dieser Kommunalwahl als Kandidatinnen und Kandidaten zur Verfügung gestellt haben, die unglaublich viel gelaufen sind, unglaublich viel gekämpft haben, und die dann zur Kenntnis nehmen mussten, dass über die Hälfte der Bevölkerung überhaupt nicht wählen gegangen ist, die teilweise bittere Enttäuschungen erlebt haben – das gilt für die meisten der hier vertretenen Parteien –, und die für unseren demokratischen Staat so wichtig sind. Den gesellschaftlichen Zusammenhang und Zusammenhalt werden wir am Ende nicht im Deutschen Bundestag, nicht im Hessischen Landtag und – mit Verlaub – auch nicht in irgendwelchen Talkshows haben, sondern es sind die Menschen, die vor Ort bereit sind, Verantwortung zu übernehmen – neben der Familie, neben ihren Berufen, und das häufig über viele Jahre hinweg. Deshalb möchte ich mich heute ganz bewusst bei all denjenigen bedanken, die Bereitschaft gezeigt haben, sich für die öffentlichen Dinge, für die Gemeinschaft ehrenamtlich einzusetzen. Das ist mir eine wichtige Botschaft.
Zum Zweiten. Kollege Boddenberg hat das Notwendige dazu gesagt, was die Verlockung angeht, Wahlen aus dem jeweiligen Blickwinkel zu interpretieren. Dass wir nicht zufrieden sein können, liegt auf der Hand. Sie, Herr Kollege Schäfer-Gümbel, haben sich mit der Bayerischen Staatsregierung beschäftigt. Ich könnte Ihnen jetzt seitenweise vorlesen, was der Vizekanzler der Bundesrepublik Deutschland, Herr Gabriel, alles losgelassen hat – das fand ich auch nicht immer hilfreich, etwa Bemerkungen aus Kuba über den Umgang mit Straffälligen, die hier nicht auf Kosten des deutschen Steuerzahlers im Strafvollzug durchgefüttert werden sollten. Das sind Bemerkungen, die er sich lieber erspart hätte.
Wir werden Zuversicht und das verloren gegangene Vertrauen beachtlicher Kreise der Menschen in dem Maße wiedergewinnen, wie wir ihnen die Zuversicht und Gewissheit vermitteln, dass wir in der Lage sind, große Probleme auch angemessen zu lösen. Das ist das Entscheidende.
Herr Kollege Rentsch, Sie haben mich in meiner Funktion als stellvertretender Bundesvorsitzender der Union angesprochen. Ich habe es mir notiert: Warum haben Sie – also ich – Frau Bundeskanzlerin Merkel nicht zur Umkehr ihres Kurses bewegt? – Der Kollege Wagner hat Sie gefragt: Was meinen Sie eigentlich? Was ist Ihr Vorschlag? Wir leiden doch alle gemeinsam darunter, dass es so schwierig ist, diese Herausforderung nicht nur zu beschreiben, sondern auch angemessene Antworten zu geben. Es gibt in diesem Land Ergebnisse, die einen erschüttern.
Sie können es in den heutigen Zeitungen einmal nachlesen, wenn Sie nach Dietzenbach oder wohin auch immer schauen – das geht querbeet –, wo die Leute sich fragen: Wie kann das eigentlich sein?
Deshalb möchte ich gerne die Gelegenheit wahrnehmen, zu sagen, dass es keine Abstimmung der Landespolitik ist; das bestreitet auch niemand ernsthaft. Dass wir aber natürlich unseren jeweiligen parteipolitischen Vorteil deutlich zu machen versuchen, das ist in Ordnung. Aber am Ende werden diejenigen nicht triumphieren dürfen, die für die Gemeinschaft in der Sache nichts zu bieten haben, die jetzt viel Protest gesammelt haben. Wenn wir es unklug machen, hauen die Etablierten wechselweise wegen Millimetervorteilen aufeinander ein, und das Publikum ist angewidert.
Was wir zu tun haben, ist, die Spitzenstellung dieses Landes weiter auszubauen, deutlich jeweils unser Profil zu beschreiben, aber nicht die kleinste Münze an diesem Tag zu hauen. Es werden auch wieder andere Wahlen kommen. Deshalb werbe ich dafür: Wir sind in einer schwierigen Lage; das weiß doch jeder.
Viele Menschen machen sich Sorgen darüber, wohin das Land geht. Da gibt es Menschen, die sehr sortiert sind und mir schreiben: Warum unternehmen Sie nichts, damit ich mich im eigenen Lande auch wieder heimisch fühlen kann? – Ich versuche, fast jeden Brief zu beantworten – das ist bei der Menge nicht immer möglich –, ich lese sie mir genau durch, auch die Hintergründe. Deshalb müssen wir ernst nehmen, dass viele Menschen verunsichert sind. Die Wahrheit ist aber auch: 13 %, 14 %, 15 % sind schlimm, aber 85 % wählen anders. Noch besser wäre es, es würden überhaupt mehr als knapp 50 % von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen. Diese Diskussion wird an anderer Stelle auch noch einmal zu führen sein. Aber wir haben keinen Anlass, diese Leistungen, die wechselweise erbracht wurden, kleinzureden. Wir haben allen Anlass, durchaus mit Stolz auch auf die Leistungen derer zu blicken, die in unterschiedlicher Weise politische Verantwortung übernehmen.
Manches, was wir heute beklagen, hat auch damit zu tun, dass seit etlichen Jahren eine Verächtlichmachung des Politischen stattfindet.
Okay. – Es gibt eine Kultsendung, die „heute show“. Die mag man für witzig halten, wenn politische Verantwortungsträger, egal welcher Partei, grundsätzlich als Deppen dargestellt werden und es keinerlei Grenze der Erniedrigung mehr gibt – jeder, der es selbst einmal erlebt hat, ist doch fassungslos, auch mit Blick darauf, was die Familien dieser Leute erleiden müssen. Dass wir dann gelegentlich eine sehr vordergründige Debatte über Politikverdruss führen, ist auch ein Teil der Wahrheit.
Wenn wir schon darüber reden, sollten wir vielleicht die Gelegenheit wahrnehmen, an das alte Motto „In der Sache tapfer, im Umgang moderat“ zu erinnern. Das bedeutet nicht weniger Profil, aber vielleicht mehr Gemeinsamkeit für eine Gesellschaft, die diese Gemeinschaft braucht. – Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Ministerpräsident. – Gemäß § 32 Abs. 7 der GOHLT hat sich die Redezeit der Fraktionen aufgrund der in Anspruch genommenen Redezeit um 1:30 Minuten verlängert. Ich sehe allerdings keine Wortmeldungen mehr. Damit ist die Aktuelle Stunde abgehalten.
Entschließungsantrag der Fraktion der FDP betreffend Interessen des deutschen Finanzplatzes Frankfurt bei der Börsenfusion stärken – Wettbewerbsfähigkeit stärken und Hauptsitz in Frankfurt halten – Drucks. 19/ 3174 –
Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Wettbewerbsfähigkeit des Finanzplatzes Frankfurt weiterentwickeln – Drucks. 19/3212 –
Gemeldet hat sich zunächst für die Landesregierung Herr Staatsminister Al-Wazir. Bitte sehr, Sie haben das Wort.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Rentsch, ich habe letzten Samstag in der „FAZ“ ein Interview mit Ihnen gelesen, wo Sie verlangen, dass sich die Regierung dringend zur Sache äußert. Genau das tue ich jetzt. Ich glaube, das kann der Debatte nur guttun.