Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Rentsch, ich habe letzten Samstag in der „FAZ“ ein Interview mit Ihnen gelesen, wo Sie verlangen, dass sich die Regierung dringend zur Sache äußert. Genau das tue ich jetzt. Ich glaube, das kann der Debatte nur guttun.
Ich will ausdrücklich sagen, dass uns als Landesregierung der Finanzplatz sehr wichtig ist, unter anderem auch deshalb, weil es dort um die Arbeitsplätze von sehr vielen Beschäftigten geht, die für die Wirtschaftskraft des RheinMain-Gebiets und den Wohlstand sehr wichtig sind.
Herr Kollege Rentsch, ich habe dort an manchen Punkten auch auf gute Vorarbeit von Ihnen zurückgreifen können. Ich erinnere an die Frage, ob es uns gelingt, den OffshoreRenminbi-Hub nach Frankfurt zu bekommen. Da konnte ich anknüpfen, das haben wir gemacht.
Wir haben aber auch neue Akzente gesetzt, Stichwort: Regulierung. Es ist uns gelungen, die operative Einheit der GLEIF hier anzusiedeln, also der Global Legal Entity Identifier Foundation. Wir haben beispielsweise neue LOEWEProjekte fortführen können, Stichwort: SAFE am House of Finance, um uns Gedanken über die Zukunft des Finanzplatzes zu machen, und auf neue Punkte geantwortet, Stichwort: Fintech-Initiative. – Das heißt, wir arbeiten daran, dass der Finanzplatz seine Rolle erhält und nach Möglichkeit stärker wird.
Aber – das ist der Anlass für die heutige Debatte – der Finanzplatz Frankfurt steht wieder einmal vor wichtigen Weichenstellungen. Der bekannt gewordene Plan – deswegen debattieren wir heute – eines beabsichtigten Zusammenschlusses der Deutschen Börse AG und der London Stock Exchange ist eine wichtige Frage, die momentan auf der Tagesordnung steht und auf die wir sachgerechte Antworten finden müssen.
Deswegen zuallererst eine Feststellung. Ich stelle fest, dass die Verhandlungen zwischen der Deutschen Börse und der Londoner Börse für einen Zusammenschluss, soweit wir wissen, noch nicht abgeschlossen sind. Einige zentrale Eckpunkte sind zwar schon bekannt. Für eine Bewertung fehlen aber noch viele wesentliche Einzelheiten.
Öffentlich mitgeteilt wurde bisher insbesondere, dass beabsichtigt ist, eine gemeinsame Holdinggesellschaft zu gründen, und dass diese ihren Sitz wohl in London haben soll. Diese Holding soll den Aktionären der London Stock Exchange und der Deutschen Börse AG ein Übernahmeangebot für die Aktien der beiden Unternehmen im Tausch gegen eigene Aktien der Holding unterbreiten. Wenn das Übernahmeangebot durch die Aktionäre beider Unternehmen angenommen würde, dann würden die LSE und die Deutsche Börse zu Tochterunternehmen der Londoner Holdinggesellschaft.
Genau diesen Schritt hat das hessische Wirtschaftsministerium als die zuständige Börsenaufsichtsbehörde über die Börsenträger in Frankfurt zu prüfen und gegebenenfalls zu untersagen. Nach § 6 des Börsengesetzes kann es untersagt werden, dass ein Dritter 10 % des Stimmrechts des Börsenträgers oder mehr erwirbt – ich zitiere aus dem Gesetz –, „wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass 1. [der Erwerber] … nicht zuverlässig ist …“ oder, das ist hier eher zu prüfen, „2. die Durchführung und angemessene Fortentwicklung des Börsenbetriebs beeinträchtigt wird.“ Das ist unsere Aufgabe.
Es handelt sich also um eine Prognoseentscheidung. Das bedeutet, wir werden die zu erwartenden Auswirkungen des Zusammenschlusses auf die Entwicklungen der Börsen in Frankfurt zu prüfen haben. Konkret ist zu prüfen, ob die
Börsenträgergesellschaft, die Deutsche Börse AG, auch wenn sie unter der Leitung einer neuen Holdinggesellschaft in London steht, ihren Aufgaben und Pflichten nach dem Börsengesetz noch nachkommen kann, sodass sich die Frankfurter Wertpapierbörse entwickeln kann. Ich will ausdrücklich hinzufügen: Auch die Eurex Frankfurt AG muss ihren Pflichten zum Betrieb und zur Entwicklung der wichtigsten Derivate-Börse Europas, der Eurex Frankfurt, nachkommen können.
Dabei ist auch zu prüfen, was es heißt, dass die neue Holding eine Vielzahl von Handelsplattformen und Nachhandelseinrichtungen betreibt und diesen Ressourcen und damit Entwicklungschancen zuteilt.
Zu untersuchen ist dabei auch, welche Bedeutung es haben kann, dass nach den bisher bekannt gewordenen Plänen die neue Holding ihren Sitz in London haben soll, wo auch einige andere Einrichtungen des Gesamtkonzerns betrieben werden. Natürlich wird auch zu untersuchen sein, ob Aufsichtsrechte durch diese Holdingkonstruktion eingeschränkt werden.
Die Maxime ist der Wortlaut des Gesetzes. Wir haben zu prüfen, ob „die Durchführung und angemessene Fortentwicklung des Börsenbetriebs“ möglich sind.
Ich will hinzufügen, dass jede Entscheidung der Börsenaufsicht, wenn wir eine Entscheidung treffen sollten, ein Verwaltungsakt ist. Gegen einen solchen Verwaltungsakt sind natürlich auch Rechtsmittel zulässig.
Im Zweifel stellen sich dann auch Haftungsfragen. Wir haben in Bezug auf Verwaltungsakte und eventuelle Haftungsfragen in einer anderen Angelegenheit durchaus muntere Debatten im Hessischen Landtag gehabt.
Deswegen – Herr Kollege Rentsch, ich bin sicher, wenn Sie noch in Verantwortung wären, würden Sie nicht anders handeln – werden Sie von der hessischen Börsenaufsicht keine Vorfestlegungen zu hören bekommen, sondern wir prüfen nach Recht und Gesetz.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir werden natürlich externen juristischen Sachverstand beiziehen. Wir werden aber auch für die Prognoseentscheidung wissenschaftlichen Sachverstand beiziehen, damit wir eine sachgerechte Entscheidung treffen können. Dann werden wir nach bestem Wissen und Gewissen genau diese sachgerechte Entscheidung treffen. Ich hoffe, dass das dann die Unterstützung des ganzen Hauses finden wird. – Vielen herzlichen Dank.
Vielen Dank, Herr Minister Al-Wazir. – Als Nächster hat Herr Kollege Rentsch für die Fraktion der Freien Demokraten das Wort. Bitte sehr.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Staatsminister Al-Wazir, ich bin zunächst erfreut darüber, dass Sie sich zu diesem Thema äußern. Ich hätte mir gewünscht, dass wir, gerade bei der Bedeutung der Deut
schen Börse und des Finanzplatzes Frankfurt, eine Regierungserklärung zu diesem Thema bekommen hätten, weil es eben nicht nur eine rechtliche Frage im Rahmen der Börsenaufsicht ist, sondern auch eine politische Frage, wie wir diesen Finanzplatz weiterentwickeln wollen. Insofern wäre das sinnvoll gewesen.
Ich glaube, es wäre auch sinnvoll gewesen, dass Sie, wie es üblich ist, uns die Möglichkeit gegeben hätten, unsere Sichtweise vorzutragen, und Sie sie dann in Ihre Wertung eingebaut hätten, dass Sie sich nicht von Anfang an bei einem Setzpunkt der FDP das Wort geschnappt hätten, um das einmal umgangssprachlich zu sagen. – Aber es steht Ihnen natürlich zu.
Herr Al-Wazir, ich will darauf hinweisen, dass wir, als wir uns für den Finanzplatz eingesetzt haben – auch in der alten Regierung, gemeinsam mit den Kollegen der Union; ich glaube, das ging sehr parteiübergreifend in dieser Frage –, sehr intensiv dafür gesorgt haben, dass die knapp 70.000 Arbeitsplätze gesichert werden. Das ist der größte kontinentaleuropäische Finanzplatz. Das ist die Frage der Ansiedlung von europäischen Institutionen wie der EZB, CEIOPS/EIOPA. Sie haben SAFE als ein zentrales Instrument am Finanzplatz Frankfurt genannt. Ich glaube, da gibt es viele Übereinstimmungen. Wir haben uns sehr darum gekümmert, dass das so läuft. Denn Politik kann in dieser Frage natürlich Rahmenbedingungen setzen, wie sich etwas entwickelt. Für die Finanzbranche ist der Rahmen dessen, was wir im Bereich der Wissenschaft anbieten können, aber auch das, was wir an europäischen Institutionen dort haben, ein ganz zentraler Punkt.
Ja, Sie haben es angesprochen: Als ich die Verhandlungen für das Land gemeinsam mit den Kollegen auf Bundesebene für die Ansiedlung des Offshore-Renminbi-Hubs – das ist für viele Zuhörer nicht sofort ein Begriff – geführt habe, damit die chinesische Währung gehandelt werden kann, die für viele deutsche und europäische Unternehmen ein wichtiger Punkt im Rahmen der Devisenfragen ist, war das ein weiterer Stärkungspunkt für den Finanzplatz.
An einem solchen Tag darf aber nicht untergehen, dass die Frankfurter Wertpapierbörse und alles, was zu dieser Institution gehört, einer der zentralen Bausteine in der Architektur dieses Finanzplatzes ist.
Es ist einer der zentralen Bausteine. Deshalb muss man in einer solchen Debatte einmal die Variante A wählen: Wir haben die Frankfurter Börse mit ihrem Hauptsitz hier, oder wir haben sie nicht hier. Wie wäre dann eine Entwicklung?
Insofern ist es nicht falsch, sondern im Gegenteil, es ist richtig, dass die Deutsche Börse nach Partnern sucht, wie sie das in den vergangenen Jahren gemacht hat. Deswegen haben wir – ich persönlich, Kollege Posch, Kollege Rhiel – die Verhandlungen der Börse mit anderen Börsen auf der Welt, ob das in Moskau war, ob das in London war – die Gespräche gab es schon –, unterstützt.
Das darf aber nicht über die Fragen hinwegtäuschen: Wie sieht dieser Deal zum Schluss aus? Was hat das für Auswirkungen auf die Börse in Frankfurt? – Auf der einen Seite betrifft das die rechtliche Ebene, also das Börsengesetz.
Auf der anderen Seite geht es natürlich genauso um die politische Frage: Was bedeutet das für den Finanzplatz? – Diese Frage darf man stellen.
Ich will heute nicht darüber reden, ob es klug war, wie die Börse all das gemacht hat, ob das vor der Kommunalwahl sinnvoll war und ob es sehr klug war, dass Kollege Al-Wazir an dem Tag ein Gründerzentrum mit Herrn Kengeter eingeweiht hat, während parallel dazu die Pläne der Börse über den Ticker liefen. Ich will nicht darüber reden, ob es in dem Sinne besonders klug war, wie man da mit der Landesregierung umgeht.
Ich will auch nicht darüber spekulieren, ob die Börsenmitarbeiter mittlerweile verstanden haben, dass die Genehmigungsbehörde nicht in New York oder London, sondern im kleinen Wiesbaden sitzt. Denn sie hat die Börsenaufsicht und hat deshalb zum Schluss das Ganze hinsichtlich des öffentlich-rechtlichen Kerns dieser Institution abschließend zu beurteilen. Ob das mittlerweile klar ist, weiß ich nicht.
Ich will heute über die Frage reden, wie wir das Ganze politisch bewerten und was wir von den Verhandlern erwarten. Es geht um den politischen Einfluss und um die Möglichkeiten des Ministerpräsidenten, bei dieser Frage mit gutem Beispiel voranzugehen. Das sind die Fragen, über die wir heute diskutieren.
Ich will eine Anmerkung machen. Ich war Fraktionsmitglied und dann Fraktionsvorsitzender, als uns Kollege Rhiel und dann Kollege Posch in früheren Zeiten über die Gespräche informiert haben, die geführt wurden. Sie wissen: London, London, New York. Das waren die drei Versuche. In all den drei Fällen ist es nicht zustande gekommen. Ich hätte mir gewünscht – das wäre auch klug gewesen –, dass man die Fraktionen des Hessischen Landtags über den Sachstand informiert, wie das einmal gute Übung war.
Zweitens. Wer sich zurzeit die Entwicklung und einfach einmal die nackten Zahlen der Börse anschaut, wird feststellen, dass die Frage, wo zum Schluss der Hauptsitz ist, natürlich die zentrale Frage ist.
Da wird es wahrscheinlich Einigkeit unter den Kollegen geben: Für das Unternehmen Deutsche Börse und für ihre Aktionäre wird das nicht erheblich sein. Da bin ich dabei. Ein Zusammenschluss mit der London Stock Exchange kann für das Unternehmen sehr lukrativ sein.
Aber für unseren Finanzplatz und für den öffentlich-rechtlichen Kern der Börse kann das eine entscheidende Frage sein. Die Beantwortung dieser Frage müssen wir als Landtag politisch begleiten. Wir müssen eine klare Position abgeben, wie wir uns bei dieser Frage aufstellen.
Deshalb bitte ich darum, dass die Tatbestände und die nackten Zahlen nicht untergehen. Wenn man sich anschaut, wie die Kapitalisierung der London Stock Exchange und der Frankfurter Börse ist, stellt man fest: Die Frankfurter Börse ist in dieser Debatte nicht der kleinere Partner. Sie ist mit 14,4 Milliarden € im Vergleich zu den 12,8 Milliarden € der stärkere Partner.
Deshalb habe ich in dem Interview auch gesagt: Ich möchte nicht, dass der Schwanz mit dem Hund wedelt. Vielmehr möchte ich, dass das umgekehrt ist. Der stärkere Partner sollte in der Debatte im Fokus stehen. – Wir wissen das nicht erst seit der Sache mit Hoechst und Herrn Dormann. Zum Schluss ist die Frage, wo der Hauptsitz ist, für ein Unternehmen, für seine Entwicklungschancen und für den Standort nicht eine, sondern wahrscheinlich sogar die zentrale Frage. Das gilt auch, wenn es um unseren Finanzplatz geht. Deshalb stelle ich das in den Mittelpunkt dieser Debatte.
Ich sage es noch einmal: Es geht nicht darum, dass die Deutsche Börse keinen Partner finden soll. Das Gegenteil ist der Fall. Wir alle haben daran ein Interesse. Aber im Unterschied zu K+S, zu denen die Kollegen der CDU- und der SPD-Fraktion große Anträge gestellt haben – das ist ein rein privatwirtschaftliches Unternehmen –, ist die Börse kein rein privatwirtschaftliches Unternehmen. Denn sie hat einen öffentlich-rechtlichen Kern. Das macht sie so besonders.