Protokoll der Sitzung vom 21.04.2016

(Armin Schwarz (CDU): Keine Vorfreude!)

Wir sind uns einig: Herr Schäfer-Gümbel spricht.

Herr Präsident, Sie sind wie immer weise und entschieden in der Frage. – Herr Präsident, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Pentz, ich hatte mir eigentlich einen anderen Einstieg in diese Rede vorgenommen. Nach Ihren Ausführungen will ich anders beginnen und sehe mich dazu genötigt.

Ich will Ihnen offen sagen: Ich habe gestern Abend diesen Aufruf selbst unterschrieben. Ich finde es richtig, wenn sich Hunderte, Tausende zusammenfinden, um angesichts eines gesellschaftlichen Klimas, in dem – Frau Wissler hat zu Recht darauf hingewiesen – wir mittlerweile täglich nahezu drei Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte und anderes haben, diejenigen zu unterstützen, die sagen, dass wir

dieses gesellschaftliche Klima nicht akzeptieren wollen. Das ist notwendig.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, der LINKEN und der FDP)

Dabei nehme ich bewusst in Kauf, dass solche Aufrufe auch von Leuten unterschrieben werden, mit denen ich meine eigenen Probleme habe.

Herr Pentz, ich will das einmal etwas anders übersetzen. Die SPD-Landtagsfraktion wird heute sowohl dem Antrag der Linkspartei zustimmen als auch dem Antrag von CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, und das, obwohl Herr Irmer Mitglied in Ihren Reihen ist.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Ich hätte zu Herrn Irmer heute nichts gesagt.

(Holger Bellino (CDU): Das ist peinlich! – Gegenrufe von der LINKEN)

Herr Bellino, die Frage, wie man Ressentiments schürt, hat in diesem Landtag, auch mit Distanzierung aus Ihrer Fraktion, häufig eine Rolle gespielt. Das ist der entscheidende Punkt, um den es in der Tat geht. Meine Bitte ist, in solchen Debatten vielleicht einmal den Versuch zu unternehmen, auf den Kern zu fokussieren.

Ich bin beiden Fraktionen für diese Aktuelle Stunde dankbar, weil es um zwei Themen geht. Damit komme ich zurück zu dem, was ich eigentlich sagen will.

Zum einen. Wie stellen wir die AfD im Konkreten in ihren Haltungen? – Ich will es klar benennen: Wenn man über Clausnitz und anderes redet, darf man über die AfD nicht schweigen, weil es einen Zusammenhang gibt.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN)

Zum anderen geht es um das sehr viel schwierigere Thema: Wie gewinnen wir diejenigen Menschen zurück, die nicht aus fremdenfeindlichen, nicht aus rassistischen, nicht aus antiislamistischen Beweggründen die AfD gewählt haben, sondern nur aus Protest – aus welchen Gründen auch immer? Wie gewinnen wir diese Menschen, die in den vergangenen Wahlgängen AfD gewählt haben, zurück?

Das sind die beiden Fragen, vor denen wir stehen.

Die heutige Aktuelle Stunde beschäftigt sich mit dem ersten Teil, nämlich damit, die AfD zu stellen angesichts aktueller Äußerungen dieser Partei. Dazu will ich ein paar klare Bemerkungen machen.

Die „Stars“ am braunen AfD-Himmel, Herr Höcke, Herr Poggenburg und auch Frau von Storch, machen doch immer deutlicher, wofür diese in Teilen stramm rechtsextreme Partei steht. Deswegen teile ich ausdrücklich die Einschätzung des Verfassungsschutzpräsidenten Maaßen nicht; sie befremdet mich geradezu, wie er sie formuliert, angesichts der Äußerungen in den letzten Wochen. Ich finde, dass wir wirklich aufpassen müssen, dass die AfD nicht verharmlost wird.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN sowie der Abg. Mürvet Öz- türk (fraktionslos))

Die AfD ist brandgefährlich, weil sie etwas bedient, von dem wir wissen, dass es das schon lange gibt. Es gibt in dieser Gesellschaft einen Bodensatz – das wissen wir aus

allen sozialwissenschaftlichen Untersuchungen der letzten Jahrzehnte – bestimmter Teile der Gesellschaft, die ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild haben, bei denen es Fremdenfeindlichkeit gibt. Und die AfD ist die Partei, die gerade in besonderer Weise dieses Potenzial bedient.

Daran haben etablierte Parteien ihren Anteil, weil wir mit dafür gesorgt haben – ich habe das hier mehrfach gesagt; mehrfach – durch den Streit in den letzten Monaten insbesondere auf der Bundesebene, dass es ein Bild gibt nach dem Motto: Wir haben die Lage nicht im Griff.

Das hat mit zu Verunsicherungen geführt, und die AfD nutzt das in einer so perfiden Art und Weise, wie das schon lange nicht mehr passiert ist.

Das muss man ihnen entziehen. Das geht nur auf zwei Wegen: erstens sie in der Sache immer klar zu stellen, ihnen keinen Millimeter Toleranz zu bieten und den Parolen nicht hinterherzurennen

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN)

und zweitens klare Antworten zu den Themen zu geben, die die Menschen bewegen.

Ich sage es noch einmal: Das war Ausfluss unseres Verantwortungsgefühls mit der schwarz-grünen Koalition und letztlich nahezu einheitlich mit allen Fraktionen hier im Haus, gemeinsam beim Haushalt etwas auf den Weg zu bringen, was dem Ziel dient, das Land zusammenzuhalten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir haben den parteipolitischen Streit bewusst zurückgestellt. Ich glaube, das zeichnet zumindest diesen Teil des Hauses in diesem Punkt aus.

Aber noch einmal: Es geht heute auch um das klare Stellen der AfD in der Sache. Deshalb will ich dazu jetzt noch wenige abschließende Bemerkungen machen.

Nicht erst seit dem temporären Erfolg der AfD wird nämlich in Deutschland über die Frage von Integration, Zusammenhalt oder – wie es andere tun – deutsche Leitkultur diskutiert. In einer offenen, pluralistischen Gesellschaft ist das auch gut so, dass über diese Fragen diskutiert wird. Aber ich sage sehr klar: Für uns gibt es einen Kompass in dieser Debatte. Dieser Kompass ist die deutsche Verfassung, ist das Grundgesetz. Die Antworten des Grundgesetzes sind klar und eindeutig. Wir pflegen eine Kultur des guten Zusammenlebens. „Niemand darf wegen … seines Glaubens, seiner religiösen … Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Unmissverständlicher kann man es kaum formulieren.

Deswegen klar gesagt: Wenn die AfD sagt, dass der Islam nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist, dann ist das falsch. Die wahren Verfassungsfeinde in unserem Land sind nicht die unzähligen Anhänger des friedlichen Islam, es sind die führenden AfD-Politiker, die die Angst vor dem Islam schüren.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN sowie der Abg. Mürvet Öz- türk (fraktionslos))

Ihre Äußerungen sind ein Angriff auf den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft.

Aber eines kann man der AfD nicht absprechen: Sie bleibt ihrem Markenkern treu und formuliert regelmäßig „Alter

nativen“ zu einem friedlichen und im Grundgesetz fest verankerten Rechtsstaat. Als „Alternative“ zu einem unserer Fundamentalgrundrechte, der Religionsfreiheit, bietet die AfD religiöse Ausgrenzung und Diffamierung einer der drei abrahamitischen Weltreligionen an. Anstelle der unveräußerlichen Menschenwürde, des Grundrechts auf Asyl und des Rechts auf körperliche Unversehrtheit wartet die AfD mit den „Alternativen“ Waffengewalt und Grenzzäune auf.

Wer das Grundgesetz so unverhohlen missachtet, ist – man muss es klar und deutlich sagen – verfassungsfeindlich. Und deswegen noch einmal: Die Einschätzung des Verfassungsschutzpräsidenten, Herrn Maaßen, teile ich ausdrücklich nicht. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Vielen Dank, Kollege Schäfer-Gümbel. – Das Wort hat Frau Abg. Öztürk – fünf Minuten.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich glaube, wir werden uns in der nächsten Zeit öfter mit dem Thema AfD auseinandersetzen, weil wir ja als demokratische politische Parteien Konsens darüber haben, dass wir diese Partei auch politisch stellen wollen und dass wir auch ein großes Interesse daran haben, dass sie bei den nächsten Landtagswahlen in Hessen in diesem Haus nicht vertreten sein wird. Von daher müssen wir diesen demokratischen Konsens ernsthaft aufrechterhalten.

Lieber Herr Kollege von der CDU, Herr Pentz, man muss auch die Größe zeigen können, einem Antrag der LINKEN zuzustimmen, wenn er inhaltlich richtig ist. Das wünsche ich mir in der Zukunft.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Denn sonst machen wir uns allein schon in diesem Haus unglaubwürdig. Das können wir uns bei dieser Debatte nicht leisten.

Ich möchte in dieser Debatte gern auch noch einmal ein paar Dinge aus der Perspektive vieler Muslime klarstellen, die in Deutschland leben, und vieler Menschen mit sogenanntem Migrationshintergrund. Es ist ganz klar: Der Islam gehört zu Deutschland, und die Muslime, die seit Jahren hier in diesem Land leben, gehören ebenfalls zu Deutschland.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN)

Es ist auch ganz klar, dass wir am allerliebsten den liberalen Islam in Deutschland hätten. Wenn er sich aber in Deutschland radikalisiert, wenn junge Menschen, die in Deutschland geboren sind, aufgewachsen sind, konvertieren und sich zum radikalen Islam berufen fühlen, dann ist es unsere gemeinsame Aufgabe, zu analysieren, warum es mitten unter uns passieren kann, dass junge Menschen, die hier geboren, aufgewachsen und sozialisiert worden sind, sich doch einem radikalen Islam zuwenden und sich nicht als Teil dieser Gesellschaft verstehen. Ich möchte, dass wir uns auch um diesen Teil der Gesellschaft kümmern, dass

wir uns auch der Sorgen und Ängste dieser jungen Menschen annehmen, genauso wie wir auch darüber diskutieren, warum viele junge Menschen zum Rechtsextremismus tendieren. Ich glaube, beide Ränder, beide radikalen und extremistischen Strömungen müssen wir uns hier ernst annehmen und können nicht zulassen, dass die eine gesellschaftliche Schicht deshalb, weil sie in der Mehrheit ist, eine andere gesellschaftliche Schicht, die in der Minderheit ist, als Sündenbock für die Probleme dieser Gesellschaft darstellt, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN)

Wenn wir die AfD stellen wollen, müssen wir uns auch inhaltlich so aufstellen, dass wir klarmachen, dass wir der AfD nicht nach dem Mund reden und dass wir auch den Demagogen nicht nach dem Mund reden wollen. Was bedeutet das? – Das bedeutet, wenn Menschen von der AfD Ängste schüren, dann ist es ganz wichtig, dass wir auch in unseren eigenen Reihen schauen, wo auch in unseren eigenen Reihen Ängste geschürt werden und wo in unseren eigenen Parteien, in unserem eigenen gesellschaftlichen Umfeld Vorurteile, Ressentiments geschürt werden, und dass wir dann als Personen auch aufstehen und sagen: Diese Vorurteile halten wir für nicht richtig, und da gehen wir in den Konflikt hinein.

Stattdessen erlebe ich leider oft, dass Leuten wie denen von der AfD nach dem Mund geredet wird, dass die Ängste, die sie schüren, beispielsweise als reelle Tatsachen in dieser Gesellschaft dargestellt werden. Das ist ein Problem.