Protokoll der Sitzung vom 21.04.2016

Stattdessen erlebe ich leider oft, dass Leuten wie denen von der AfD nach dem Mund geredet wird, dass die Ängste, die sie schüren, beispielsweise als reelle Tatsachen in dieser Gesellschaft dargestellt werden. Das ist ein Problem.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN)

Wir müssen klarmachen, dass der Wohlstand Deutschlands nie in dieser Weise entstanden wäre, wenn es nicht die zahlreichen Migranten gäbe, die als Gastarbeiter oder auch als Flüchtlinge in dieses Land gekommen sind und hier arbeiten. Unseren Wohlstand haben wir auch dem Beitrag vieler Gastarbeiter und vieler Flüchtlinge zu verdanken. Der AfD, die in diesem Punkt anscheinend Sorge hat, die hier Verlierer sieht, muss klargemacht werden, dass ohne die zahlreichen Gastarbeiter, Muslime und Flüchtlinge Deutschland nicht diesen Wohlstand erreicht hätte. Von daher brauchen wir keine Angst vor diesen Menschen zu haben, sondern wir brauchen Zuwanderung nach Deutschland. Das muss man der AfD nachdrücklich klarmachen, meine Damen und Herren.

Es muss aber auch klar sein, dass dann, wenn wir die soziale Gerechtigkeit in diesem Land nicht in den Vordergrund stellen, die Spaltung in dieser Gesellschaft mit unseren politischen Entscheidungen forcieren, meist Menschen mit einem sogenannten Migrationshintergrund die Sündenböcke sein sollen. Das ist aber falsch.

Von daher ist es wichtig, dass wir die soziale Gerechtigkeit in diesem Land nicht aus den Augen verlieren, dass wir keine Gesetze machen, die beispielsweise das Asylrecht aushöhlen, die beispielsweise die kulturelle Selbstbestimmung problematisch darstellen oder die beispielsweise die Teilhabe am Arbeitsmarkt oder an Bildung für Menschen mit Migrationshintergrund und Zugewanderte erschweren.

Von daher ist es wichtig, dass wir mit unseren Gesetzen, mit unseren Parolen, mit unseren Aussagen, wie wir sie in diesem Landtag treffen, glaubwürdig bleiben. Ich wünsche mir, dass in Zukunft, wenn Anträge von der LINKEN ge

stellt werden, ihnen zugestimmt wird. Ich werde sowohl dem Antrag der Koalition zustimmen als auch dem Antrag der LINKEN. Nur so können wir glaubwürdig bleiben. Das ist unser Pfund, das dürfen wir auf keinen Fall verspielen. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Öztürk. – Das Wort hat der Ministerpräsident.

Herr Präsident, meine Damen, meine Herren! Ich habe im Februar in diesem Plenum bewusst einen Satz formuliert, den ich an den Beginn des heutigen Beitrags für die Landesregierung stellen möchte. Ich habe damals gesagt:

In Hessen darf es keinen Platz für Ausgrenzung, Gewalt und Hass geben.

Das ist die Botschaft, die auch heute gilt.

(Lebhafter Beifall bei der CDU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Meine Damen und Herren, das gelingt uns am besten, wenn wir auf die üblichen Rituale verzichten.

(Demonstrativer Beifall bei der SPD und der LIN- KEN – Janine Wissler (DIE LINKE): Gute Idee!)

Das gelingt einmal besser, einmal schlechter. Ich komme noch darauf zurück.

Mir ist schon wichtig, auf Folgendes hinzuweisen. Wir haben in unserem Land eine bis dahin nicht gekannte Vielfalt der Ethnien, der religiösen Bekenntnisse und der gesellschaftlichen Verhältnisse. Das hatten wir bisher so nicht. Das fordert uns. Es gibt viele Menschen in unserem Land, die den Eindruck haben, dass es sie persönlich und vielleicht auch unsere Gesellschaft überfordern könnte. Ich rate uns gemeinsam, das ernst zu nehmen, nicht nur die Umfrageergebnisse aus den jüngsten Tagen oder die Ergebnisse der zurückliegenden Wahlen, sondern z. B. auch das, was gestern in der „FAZ“ zu lesen war, was das Institut Allensbach auf einer ganzen Seite ausgebreitet hat, welche Sorgen viele Menschen in unserem Land haben.

Wenn ermittelt wird, dass 40 % sich Sorgen machen, dann sollten wir schon die Gelegenheit wahrnehmen, die Debatte sehr sorgfältig und differenziert zu führen. Da gibt es diesen hässlichen extremen Rand, mit dem nun gar niemand etwas zu tun haben will, wo es nur eine ganz klare Sprachregelung geben kann. Dann gibt es einen Teil von Menschen, die von uns erwarten, dass wir ihre Sorgen ernst nehmen und dass wir Antworten geben. Das können wir nicht ritualhaft in bekenntnishafter Manier tun. Das ist abgedroschen, das ist billig, das kommt auch nicht an. Deshalb müssen wir die Debatte schon ein bisschen tiefer führen, was im Rahmen einer sehr begrenzten Redezeit nur bedingt möglich ist.

(Nancy Faeser (SPD): Ja!)

Aber ich will schon sagen: Wenn wir diesen Teil der Menschen, die Sorgen haben – Kollege Schäfer-Gümbel, Sie haben auch darauf hingewiesen, dass das nicht identisch ist mit Extremismus –, nicht den Rattenfängern überlassen

wollen, dann müssen wir uns um Differenzierung bemühen. Dann dürfen wir nichts unter den Tisch kehren. Dann müssen wir um gute und klare Antworten ringen. Genau das ist es, wofür diese Landesregierung steht.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, das ist das eine. Das Zweite ist ein klares Wort, auch weil die AfD angesprochen wurde. Wir erleben erneut – Kollege Frömmrich hat darauf hingewiesen; man mag es sogar als Strategie der AfD sehen – eine bewusste und, wie ich finde, unerträgliche Grenzüberschreitung und Provokation. Da passiert nicht mehr und nicht weniger, als dass eine Religion umgedeutet wird zur Ideologie. Da passiert nicht mehr und nicht weniger als der plumpe Versuch, eine Religionsgemeinschaft zu stigmatisieren, sie unter Generalverdacht zu stellen und für alle Schrecken dieser Welt verantwortlich zu machen.

Meine Damen und Herren, das ist nicht unser Denken, das ist nicht unsere Sprache, und so kann auch nicht unser Handeln sein.

(Allgemeiner lebhafter Beifall)

Wer Islam, Islamismus und, geistig weitergedacht, Anschläge, das alles zusammenrührt, wer plump von „Fremdkörper“ spricht, der grenzt nicht nur aus, sondern der stört und zerstört den inneren Frieden. Meine Damen und Herren, dies ist für uns alle Anlass, als Demokraten klar dagegen anzutreten und deutlich zu sagen, wo die Grenze verläuft.

Art. 4 unseres Grundgesetzes ist eines der Kernelemente einer freiheitlichen Verfassung. Jeder hat die Freiheit, zu glauben, was er mag, oder auch nicht. Dies ist nicht zu relativieren. Deshalb muss es um zwei Dinge gehen: um den Schutz vor religiösem Fanatismus und gleichzeitig um die Akzeptanz religiöser Vielfalt.

Dies ist nicht einfach. Das ist nicht frei von Enttäuschungen, und das ist gelegentlich mühsam. Aber es ist der einzige Weg, wie eine freiheitliche Gesellschaft ihre Grundlagen nicht selbst unterminiert.

Herr Kollege Schäfer-Gümbel, ich habe Ihnen sehr genau zugehört. Wir sind uns doch einig, dass es keine Relativierung auf diesem Feld geben darf. Ich wünschte mir, dass das generell gilt. Wir haben immer die Aufgabe, den Extremen deutlich zu sagen, wo die Grenze verläuft. Natürlich ist es jedermanns eigene Entscheidung, was er unterschreibt oder auch nicht unterschreibt. Ich sage in aller Offenheit: Ich hätte nichts gemeinsam mit jemandem unterschrieben, der Gewalt propagiert.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Es ist – Sie haben es erklärt – eine Entscheidung, die ich selbstverständlich zur Kenntnis nehme. Aber das ist doch genau das Problem.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Welche strafrechtlichen Erkenntnisse gibt es eigentlich zu dem, was Sie unterstellen? – Glockenzeichen des Präsidenten)

Frau Wissler, Sie wollen es nicht anders.

(Zurufe der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE) und Nancy Faeser (SPD))

Ich mache jetzt einen einzigen Einschub.

(Fortgesetzte Zurufe der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE) und Nancy Faeser (SPD) – Glockenzeichen des Präsidenten)

Das geht jetzt alles von der Zeit ab. Ich habe es versucht, und ich werde es auch für die Landesregierung tun, unsere Position zu beschreiben. Gestatten Sie mir eine kurze Bemerkung. Es geht jetzt nicht anders im Rahmen des Protokolls, dass ich einmal als CDU-Landesvorsitzender spreche.

(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Wissen Sie, Frau Wissler, die Union braucht am wenigsten eine Belehrung von den LINKEN. Der Weg von der AfD zu Frau Wagenknecht ist jedenfalls viel kürzer als zwischen uns und anderen. Das muss man auch einmal sagen.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und der FDP – Zuruf des Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE) – Janine Wissler (DIE LINKE): Herr Gauland kommt direkt aus der Hessischen Staatskanzlei! – Glockenzeichen des Präsidenten)

Zurück zu dem, was uns verbinden muss. Gestern Abend hatten wir die Freude, dass der Präsident der hessischen Unternehmerverbände Regierungsparteien, Regierung und Opposition gelobt hat für unsere gemeinsame Arbeit. Es ist uns in Hessen besser gelungen als in anderen Bereichen, hier Gemeinsamkeit zu üben im Interesse der großen Aufgabe. Ich appelliere, dass wir das weiter so machen. Wir setzen auf gelingende Integration, die hilft und den Weg weist. Wir setzen z. B. darauf, dass Menschen, die einander besser kennenlernen, die einander verstehen, auch wenn es schwierig ist, besser gemeinsam die Zukunft meistern können.

Deshalb setzen wir z. B. so zentral auf die deutsche Sprache. Deshalb machen wir eine ganze Menge. Ich erinnere einmal an den gelingenden islamischen Religionsunterricht, den wir an den Schulen haben. Ich erinnere an die Zentren für islamische Studien an den Universitäten, wo wir junge Geistliche ausbilden, wo wir junge Lehrer ausbilden. Das ist unser Verständnis von religiöser Vielfalt auf der Grundlage unserer Verfassung.

(Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)

Meine Damen, meine Herren, was kann das Fazit sein in dem, was einem von sieben Minuten bleibt?

Unsere Aufgabe ist es, die Gesellschaft zusammenzuhalten und sie nicht zu spalten. Wir müssen klare Grenzen zwischen gebotener Toleranz und dem ziehen, was als Ausgrenzung, als Diffamierung und als Hass daherkommt.

Diese Landesregierung, zu einem guten Teil mit breiter Unterstützung des Hauses – darüber freuen wir uns –, hat mit dem Aktionsplan zur Integration von Flüchtlingen und Bewahrung des gesellschaftlichen Zusammenhalts, den wir bereits im November des vergangenen Jahres vorgestellt haben, Wegweisendes auf den Weg gebracht, auch und gerade hinsichtlich dieser schwierigen Frage, die wir heute miteinander diskutieren. Der Asylkonvent und vieles andere sind Ausdruck unseres Bemühens und unseres ehrlichen Ringens. Wir wissen um die Schwierigkeiten. Aber wir lassen keinen Zweifel daran: Unsere Zukunft wird eine gemeinsame sein, und zwar auf der Basis des gegenseitigen Respekts, der Menschenwürde und unserer freiheitlichen Verfassung. – Vielen Dank.

(Anhaltender Beifall bei der CDU und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Ministerpräsident, vielen Dank. – Das Wort hat Herr Abg. Dr. Wilken.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Ministerpräsident, ich war sehr froh über die klugen Worte, die Sie zu Beginn Ihrer Rede gefunden haben. Sie werden nicht überrascht sein, dass ich Ihnen nicht immer unbedingt Beifall klatsche. Aber in diesem Fall habe ich das getan.

Aber zwei Bemerkungen im hinteren Teil Ihrer Rede dürfen meiner Meinung nach so nicht unwidersprochen stehen bleiben. Sie haben einem Unterzeichner des heute auch zur Debatte stehenden Aufrufs, der von Ihrem Parteikollegen in der Debatte hier auch namentlich genannt wurde, unterstellt, dass er zu Gewalt aufgerufen habe und dass er gewalttätig sei.

(Manfred Pentz (CDU): Sie haben das bewusst unterschlagen!)