Protokoll der Sitzung vom 18.05.2016

(Clemens Reif (CDU): Oh, oh, oh! – Heiterkeit)

Nein, es geht einfach nicht, sich über solche Winkeladvokatentricks aus der Verantwortung zu stehlen.

Mit Verlaub: Dass Herr Diekmann jetzt der Meinung ist, er sei der Vertreter der Satire, ist ein Treppenwitz der Weltgeschichte. Jemanden, der Minderheiten in solcher Weise behandelt, braucht man hier nicht.

(Beifall)

Einmal Klammer auf: Das Ding hätte übrigens eine völlig andere Wirkung, wenn es ein Satirebeitrag über die Denkweise der einen oder anderen politischen Gruppierung gewesen wäre, in deren Internetforen man solche Texte nämlich lesen kann, weil sie zur Kenntlichkeit entstellt sind. Auch das wäre ein spannender Punkt gewesen. Das ist aber nicht so geplant.

Das ist der Punkt, an dem ich schon nachdenke. Tucholsky hat in seinem berühmten Zeitungsartikel, aus dem der Satz stammt: „Satire darf alles“, auch geschrieben, dass man bei der Satire merkt, wo der Lump sitzt und wo er nicht sitzt. Derjenige, der sich heute gegen den und morgen gegen jenen wendet, ohne eine eigene innere Haltung zu haben, hat mit Satire nichts zu tun. Das muss man an der Stelle auch sagen: Wenn es nur darum geht, möglichst viel Klamauk zu machen, ohne dass es einen Zusammenhang zwischen den Zielen gibt, dann muss man auch darüber reden, was das über diese Gesellschaft aussagt – und was das über eine Gesellschaft sagt, die das auch noch honoriert.

(Beifall)

Alles in allem: Es gibt einen Punkt, in dem wir einer Meinung sind. Es braucht diesen Paragrafen nicht. Man kann ihn streichen. In einem zweiten Punkt bin ich mit ein paar meiner Vorredner auch einer Meinung: Wir wissen, dass Sie sich nicht einigen können. Ehrlich gesagt, das müssen Sie unter sich ausmachen. Das ist nicht Gegenstand des Hessischen Landtags. – Danke schön.

(Beifall)

Vielen Dank, Herr Kollege Grumbach. – Für eine Kurzintervention hat sich Kollege Greilich zu Wort gemeldet. Sie haben zwei Minuten Redezeit.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kollege Grumbach, es gab sehr vieles Richtiges bei dem, was Sie hier vorgetragen haben. Daran kann kein Zweifel bestehen. Warum Sie allerdings meinen, die Diskussion in eine Richtung führen zu müssen, die aus dem letzten Jahrtausend stammt, bleibt ein bisschen ein Geheimnis. Das war vielleicht der Versuch, man müsse heute einmal Dinge aus anderen Zeiten in die Jetztzeit holen, um einem anderen etwas auszuwischen.

Aber Sie haben an dem eigentlichen Thema vorbeigeredet. Heute geht es um die Frage, ob wir den § 103 StGB abschaffen,

(Janine Wissler (DIE LINKE): Hat er doch gesagt!)

und nicht um die Frage, was Herr Böhmermann gemacht hat und wie das rechtlich zu bewerten ist. Dazu haben Sie vieles gesagt, das ich ohne Weiteres unterschreiben würde. Dieses Gedicht, wenn es überhaupt ein Gedicht war – jedenfalls hat es sich teilweise gereimt, und das ist das Einzige, was mich da an ein Gedicht erinnert –,

(Beifall bei der FDP)

war sicherlich unterirdisch. Das ist in keiner Weise vertretbar.

Herr Kollege Grumbach, eigentlich ist das eine Geschichte, bei der sich zumindest Sozialdemokraten, Freie Demokraten und GRÜNE absolut einig waren und bei der ich zwischendurch auch einmal gedacht habe, selbst die Kanzlerin und die CDU würden das so sehen: Das ist eine Vorschrift von § 103 StGB, und die brauchen wir nicht, um den Fall Böhmermann zu behandeln. Dafür haben wir eine Rechtsordnung, einen Rechtsstaat, das Strafgesetzbuch, § 185 StGB; dafür haben wir eine Staatsanwaltschaft und Gerichte, auch Landgerichte als Zivilgerichte – gestern hat eines zu diesem Thema gesprochen. Das funktioniert alles.

Deswegen geht es hier nicht darum, sich intensiv mit dem auseinanderzusetzen, was Herr Böhmermann dort von sich gegeben hat. Das lenkt nur ab. Das lenkt ab von der eigentlichen Frage, um die es geht: Warum macht die Kanzlerin einen Kotau vor einem despotischen ausländischen Staatschef? Warum sagt sie einerseits zwar: „Wir wollen § 103 StGB abschaffen“,

(Michael Boddenberg (CDU): Das war kein Kotau! Was ist denn ein Kotau? Was erzählen Sie denn da?)

aber warum denn nicht jetzt? Herr Kollege Boddenberg, warum denn nicht jetzt, sondern in zwei, drei oder vier Jahren? Einziger Grund, warum es Ihnen nicht recht ist, ihn jetzt abzuschaffen –

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.

Frau Präsidentin, ich bin beim letzten Satz –, ist es, dass Sie in der Tat meinen, man darf Herrn Erdogan nicht tangieren, nicht provozieren.

(Michael Boddenberg (CDU): Wie bitte?)

Deswegen wollen Sie das nicht, und das nenne ich einen Kotau.

(Beifall bei der FDP)

Herr Kollege Grumbach, Sie haben zwei Minuten zur Erwiderung. Bitte schön.

Die Erwiderung ist relativ einfach.

Erstens. Ich habe gesagt, ich bin dafür, dieses Gesetz abzuschaffen, und zwar eher sofort als später.

(Heike Hofmann (SPD): Genau, ja!)

Zweitens. Sie müssen sich einmal damit auseinandersetzen, wie Sie damit umgehen, wenn ein Gesetz existiert: ob Sie es ignorieren oder nicht.

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Ich selbst – ich sage das ganz offen – hätte im Rahmen dieses Gesetzes eine andere Entscheidung getroffen. Ich hätte gesagt, das Ding ist so belanglos, dass man es der normalen Beleidigungsklage überlassen kann. Das wäre meine persönliche Entscheidung gewesen.

Aber, mit Verlaub, wenn ein Gesetz existiert, können Sie sich nicht darüber hinwegsetzen und so tun, als gäbe es dieses Gesetz nicht. Sie können sagen, die Kanzlerin hätte in der Sache die andere Entscheidung treffen müssen – aber so zu tun, als gäbe es dieses Gesetz nicht, das ist ein Umgang mit Gesetzen, den Sie, mit Verlaub, manchen von uns früher immer vorgeworfen haben.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Grumbach. – Als nächste Rednerin spricht nun Frau Kollegin Müller. Frau Kollegin, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! In Ermangelung der Präsenz der FDP im Bundestag freuen wir uns, dass wir auch hier im Landtag über das Thema Majestätsbeleidigung reden dürfen.

(Florian Rentsch (FDP): Nicht so viel Unmut, Frau Müller! In Rheinland-Pfalz wissen wir doch, wie knapp es war!)

Genau, das war doch Ihr einziges Anliegen. Dort kamen Sie nicht vor.

Eigentlich ist alles von allen gesagt worden, was man zum Thema Böhmermann und Erdogan sagen kann. Selbst wer

das Schmähgedicht von Herrn Böhmermann noch nicht kannte – es ist bereits erwähnt worden –, konnte es am letzten Freitag in der Bundestagsdebatte hören. Auch Herr Rentsch hat es in Ansätzen zitiert.

Was man an dieser Stelle aber nochmals deutlich sagen muss: Herrn Böhmermann ging es doch nicht um den Inhalt dieses Gedichtes. Er hat dieses Gedicht deutlich in einen Rahmenkontext gestellt, um zu zeigen, was der Unterschied zwischen Schmähkritik und Satire ist. Das war das Anliegen von Herrn Böhmermann – ob ihn das jetzt vor der Strafverfolgung schützt, das werden die Gerichte entscheiden, nicht aber wir.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Damit sind wir beim Kern dessen, worüber wir heute hier reden wollen: warum wir in unserem Strafrecht noch einen Sondertatbestand haben, der die Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhauptes strenger bestraft als die Beleidigung anderer Bürgerinnen und Bürger. – Dazu sagen wir Nein.

Auch hinsichtlich der diplomatischen Beziehungen muss abgewogen werden, ob es zu einer Ermächtigung kommen muss, wenn das von einem Staat, mit dem wir diplomatische Beziehungen unterhalten, verlangt wird. Ich denke, wir alle hier im Hause sind uns darin einig: Das ist ein Relikt aus der Kaiserzeit, das abgeschafft gehört.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dadurch – auch das ist schon gesagt worden – würde keine strafrechtliche Lücke entstehen; denn die sich beleidigt fühlende Person kann sich auf § 185 StGB berufen und Bestrafung verlangen. Die diplomatischen Beziehungen einschließlich des Ehrenschutzes, einschließlich der Grundsätze der Unverletzlichkeit von Staatsoberhäuptern, Regierungsmitgliedern und Diplomaten fremder Staaten sind bereits nach dem Völkerrecht und durch die allgemeine deutsche Rechtsordnung geschützt.

Würde es also § 103 in Verbindung mit § 104a nicht mehr geben, wäre der Kanzlerin viel Ärger erspart geblieben. Der Vorfall wäre nicht zu einem politischen Thema geworden, und die Bundesregierung wäre gar nicht vor die Frage gestellt worden, ob eine Ermächtigung erteilt werden solle oder nicht. So aber wurde das Ganze in den Kontext – das haben wir auch hier in der Debatte gehört – der Beziehungen zur Türkei gestellt. Erst dadurch wurde es zum Politikum.

Auch Volkes Stimme fand es nicht gut – und dann musste Frau Merkel eingestehen, dass sie einen Fehler begangen hat, indem sie schon im Vorfeld eine Bewertung bzw. eine Verurteilung des Schmähgedichts abgegeben hatte. Denn ihr wurde unterstellt, sie wolle sich gegenüber Erdogan wohlverhalten. Es wurde hier in der Debatte deutlich: Das hätte man sich alles ersparen können.

Das zeigt ganz deutlich: Die Rechtslage bewirkt genau das Gegenteil von dem, was bezweckt werden sollte. § 103 in Verbindung mit § 104a sollte nämlich in erster Linie die diplomatischen Beziehungen schützen und Schaden von der Bundesrepublik abwenden. § 104a aber erfordert, dass die Bundesregierung ihre Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilt. Hätte Frau Merkel diese Ermächtigung nicht erteilt, dann wäre es sicherlich zu weiteren diplomatischen Zwisten mit der Türkei gekommen.

Wir sollten aber neben der Abschaffung von § 103 – die wir hier vordergründig diskutieren – uns auch die Erfordernisse der Ermächtigung in § 104a anschauen und in unsere Überlegungen einbeziehen.