Protokoll der Sitzung vom 19.05.2016

Antrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN betreffend Einigung bei Finanzierung für den öffentlichen Nahverkehr – Kompromiss nutzt der Verkehrsdrehscheibe Hessen – Drucks. 19/2645 –

zusammen mit Tagesordnungspunkt 22:

Antrag der Fraktion DIE LINKE betreffend Nahverkehr stärken, Angebot ausbauen, Preise senken – neue Finanzierungsmöglichkeiten für Bus und Bahn schaffen – Drucks. 19/3066 –

Wir eröffnen die Aussprache. Das Wort hat zunächst Frau Kollegin Müller von den GRÜNEN. Bitte schön.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Als wir den Antrag im November eingebracht haben, waren wir im Landtag alle froh über die Einigung im Bund: Die Regionalisierungsmittel sind bis 2031 gesichert; und es gab eine Einigung der Verkehrsminister – unter Mithilfe von Hessen –, einen Schlüssel für die Verteilung der Mittel herzustellen.

Jetzt ist Zeit ins Land gegangen, und wir sehen, es gibt noch ein bisschen zu tun; denn der Bund hat den Verteilerschlüssel bis jetzt nicht festgelegt. Nach einem Gutachten waren 8,5 Milliarden € gefordert. Man hatte sich auf 8 Milliarden € verständigt. Unter dieser Prämisse hatten auch die Ostländer zugestimmt. Jetzt sind es 8 Milliarden €; wir sehen das als einen guten Kompromiss an.

Allerdings wird die Verteilung schwierig. Da die Länder das untereinander nicht hinbekommen werden, ist der Bund gefordert, einen Vorschlag zu machen, damit die Regionalisierungsmittel endlich an die Länder weitergeleitet werden können und es zu den entsprechenden Finanzierungsverträgen kommt. Deswegen ist es gut, dass wir heute darüber reden und ein starkes Signal an den Bund senden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Der ÖPNV ist nämlich nicht nur das Rückgrat der Mobilität – für das Rhein-Main-Gebiet, die ländlichen Räume und Nordhessen –, sondern auch Teil der Energiewende. Ohne eine Verlagerung des Individualverkehrs auf den öffentlichen Verkehr werden wir die Energiewende nicht schaffen. Es ist im Moment so, dass wir dafür einen weiteren Ausbau brauchen. Dabei sollten wir aber die Verknüpfung in den Blick nehmen: Wir sollten nicht nur die Verkehrsträger betrachten, sondern auch, wie der Weg von A nach B zu gestalten ist. Hierbei ist der ÖPNV das Rückgrat.

Diese Erfolgsgeschichte haben wir im Landtag schon gefeiert. Der RMV ist letztes Jahr 20 Jahre alt geworden. Die Fahrgastzahlen sind seit 1996 von 530 Millionen auf 722 Millionen gestiegen. Das zeigt: Wir haben ein attraktives Angebot.

Wir brauchen einen Ausbau. Die Ausbauprojekte kennen Sie alle, z. B. die Nordmainische S-Bahn und die Regionaltangente West. Auch die Reaktivierung der Strecke Frankenberg – Korbach ist eine Erfolgsgeschichte. Die Fahrgastzahlen sind höher als erwartet. All das muss verlässlich finanziert werden, nicht nur die Infrastruktur, sondern auch die Betriebskosten. Deswegen ist der Kompromiss gut, aber eine weitere Entscheidung muss kommen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Bei dem Kompromiss waren vor allen Dingen auch die Stations- und Trassenpreise enthalten, die immer überproportional gestiegen sind. Die Dynamisierung lag bei 1,5 %. Jetzt ist sie bei 1,8 %. Die Stations- und Trassenpreise sind um ein Mehrfaches gestiegen. Deswegen war in dem Kompromiss auch festgelegt worden, dass diese gedeckelt werden sollten. Auch da hat der Bund noch nicht die gewünschte Entscheidung getroffen. Wenn es nicht zu Änderungen kommt, werden die erhöhten Stations- und Trassenpreise die erhöhte Dynamisierung ganz schnell wieder auffressen.

Ich will noch etwas zum Antrag der LINKEN sagen: Sie fordern einiges Richtiges, aber nicht alles ist richtig. Eini

ges können wir unterschreiben. Zum Beispiel ist Punkt 2 Ihres Antrags fast identisch mit Punkt 1 unseres Antrags, von daher gibt es da keinen Dissens.

Bei der Steigerung des ÖPNV-Anteils im Rad- und Fußverkehr sind wir ebenfalls einer Meinung. Da tut diese Landesregierung bereits einiges. Wir haben z. B. im März 2016 die AG Nahmobilität gegründet. Hier werden die Kommunen unterstützt, bei Themen wie Barrierefreiheit, Rad- und Fußverkehr oder integrierte Stadtentwicklung mehr zu machen. Man kann natürlich immer noch mehr machen, aber ich denke, wir sind auf einem guten Weg.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Das Thema Nutznießerfinanzierung – welches Sie angesprochen haben – ist kein leichtes. Wir haben es auch im Koalitionsvertrag als Prüfantrag stehen.

(Zuruf)

Ja, das tun wir, und wir werden das auch umsetzen. – Es gibt bereits mehrere Gutachten des Landes, und wir haben Veranstaltungen dazu gemacht. Natürlich liegt hier die Frage immer im Detail: Die Kommunen wollen oftmals etwas anderes als die Nutzerinnen und Nutzer. Wenn man neue Einnahmequellen generiert, muss man darauf aufpassen, dass die Einnahmen nicht wieder aufgefressen werden, indem man an anderer Stelle kürzt. Das ist kein leichtes Thema, aber auch da sind wir dran. Dabei haben wir immer im Blick, dass es einen Mehrwert für alle Nutzerinnen und Nutzer haben muss.

Zum Thema Arbeitskreis. Wenn du nicht mehr weiter weißt, gründe einen Arbeitskreis. – Es hat schon einige Arbeitskreise zum Thema ÖPNV-Finanzierung gegeben. Das wird uns auch weiter beschäftigen.

In Nordrhein-Westfalen hat eine Zukunftskommission getagt, die Handlungsempfehlungen gegeben hat. Das muss man sich alles anschauen und dann auch umsetzen. Wir werden uns den Herausforderungen stellen, und wir freuen uns über jegliche Unterstützung, zunächst einmal über die Unterstützung unseres Antrags. – Vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU sowie der Abg. Janine Wissler (DIE LIN- KE))

Das Wort hat Frau Kollegin Wissler, Fraktion DIE LINKE.

(Janine Wissler (DIE LINKE), zu den übrigen Fraktionen gewandt: Es wäre schön, wenn ich auch eine Fraktion hier hätte! Es kann ja jemand von euch klatschen!)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Zuerst einmal vielen Dank für die freundlichen Worte zu unserem Antrag, Frau Müller. Es freut mich, dass Sie in den meisten oder sogar in allen Punkten zustimmen können. Dann freut es mich, dass wir hier auch einmal einen Antrag der LINKEN beschließen können.

Natürlich ist es gut, dass der Bund hier seiner Verpflichtung nachkommt und die Regionalisierungsmittel wenigstens um den Inflationsausgleich angepasst werden, auch

wenn die Einigungen durchaus etwas dubios zustande kamen – im Rahmen der Bund-Länder-Verhandlungen um das Asylpaket.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Stimmt!)

Aber es ist natürlich notwendig, gerade weil das Land weiterhin leider keine originären Landesmittel zur Verfügung stellt. Die GRÜNEN hatten das vor der Wahl einmal versprochen, aber haben es leider bis heute nicht umgesetzt. Deswegen bleibt unsere Forderung natürlich, dass auch Landesmittel in den ÖPNV gesteckt werden müssen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Jürgen Lenders (FDP) – Jürgen Lenders (FDP): Wir gleichen das mit aus! – Weitere Zurufe von der SPD)

Vielen Dank. Es reicht auch, wenn ihr zu fünft klatscht; mehr bin ich ja in der Regel nicht gewohnt. – Aber ich glaube, diese Mittel werden nicht ausreichen, nicht für das, was eigentlich dringend notwendig ist, nämlich die Verkehrswende. Die hat eine soziale und eine ökologische Dimension, die natürlich auch ineinander übergehen.

Wir haben heute Morgen viel über den Klimaschutz diskutiert, und wir wollen auf der anderen Seite natürlich Mobilität für alle gewährleisten. Die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben muss unabhängig vom Geldbeutel und vom Besitz des eigenen Autos gewährleistet sein. Deshalb muss man natürlich auch die Verkehrsmittel wie Bus und Bahn stärken.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wenn wir die internationalen Klimaschutzabkommen einhalten wollen, müssen wir die Verkehrspolitik drastisch verändern und den Anteil des Pkw-Verkehrs reduzieren, d. h. also attraktive Möglichkeiten zum eigenen Auto finden.

Wenn man die Menschen zum Umsteigen auf den ÖPNV bewegen will, braucht es aber ein gutes Angebot: bessere Zeiten, verlässliche und flexible Takt-Angebote. Das heißt, wir brauchen natürlich erhebliche Investitionen auch in den Angebotsausbau.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Gleichzeitig brauchen wir aber auch niedrigere Preise; die alljährlichen Preiserhöhungen vor allem im RMV liegen weit über der Inflationsrate und machen natürlich effektiv den ÖPNV immer teurer und damit eben nicht attraktiver. Ich finde, wir müssen uns die Frage stellen, wie wir zu mehr Investitionen, aber gleichzeitig auch zu niedrigeren Preisen kommen. Deshalb glauben wir, dass das Streben nach einem immer höheren Kostendeckungsgrad, was bedeutet, dass die Nutzer immer mehr selbst zur Finanzierung beitragen, ein Problem ist.

Deshalb haben wir einen Antrag eingebracht, zu prüfen, wie neue Wege in der ÖPNV-Finanzierung aussehen können. Da gibt es ganz gute Beispiele, z. B. aus Frankreich. Dort gibt es seit Jahrzehnten eine Transportsteuer, die Unternehmen für ihre Beschäftigten an die Kommunen abführen müssen. Das sorgt für erheblich geringere Kosten für Busse und Bahnen im ganzen Land. In 18 französischen Verkehrsverbünden sind Busse und Bahnen sogar kostenlos.

Ich glaube, da gibt es verschiedene Modelle, über die man auch in Deutschland nachdenken kann. Das kann ein sozial

gestaffeltes Bürgerticket sein, sodass jeder Haushalt 10 bis 20 € im Monat zahlt. Es kann sein, dass man die Gewerbetreibenden einbezieht, die auch etwas davon haben, wenn ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und auch ihre Kunden sie besser erreichen können.

Ich glaube, da haben wir keine Patentlösungen, mit denen wir sagen können, so kann das funktionieren. Aber es wäre gut, wenn sich Bund, Länder, die Kommunen, aber natürlich auch die Verbünde an der Stelle zusammensetzen würden; denn wir haben ein Problem in der ÖPNV-Finanzierung. Das ist ganz offensichtlich. Wir haben eine Finanzierungslücke. Da der ÖPNV eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, sollten wir auch versuchen, neue Wege in der Finanzierung zu finden. Ich glaube, es wäre sinnvoll, das zu prüfen und zu schauen, wie man den ÖPNV besser finanzieren kann.

Das ist natürlich ein Thema in den Städten, wo der ÖPNV überlastet ist. Aber das ist in allererster Linie auch ein Thema für den ländlichen Raum; wir wissen nämlich, dass immer mehr Kommunen im ländlichen Raum faktisch vom ÖPNV-Angebot abgehängt sind. Das stärkt natürlich nicht den ländlichen Raum, sondern das macht ihn weniger attraktiv.

(Beifall des Abg. Dr. Ulrich Wilken (DIE LINKE) und bei der SPD)

Deswegen glaube ich, gleichwertige Lebensverhältnisse in Stadt und Land heißen eben auch ein gutes ÖPNV-Angebot. – Vielen Dank.

(Beifall des Abg. Dr. Ulrich Wilken (DIE LINKE) und bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Wissler. Nicht dass Sie erschrecken bei so viel Beifall. Aber es war ein rein unterstützender.

(Zuruf von der SPD: Das ändert sich auch wieder!)

Wahrscheinlich. Da kann Dr. Wilken bei euch mitklatschen. – Ich rufe als nächsten Redner Herrn Abg. Eckert für die SPD-Fraktion auf.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herzlichen Dank für die beiden Anträge – Ihr Antrag ist etwas älter; Frau Kollegin Müller hat es ja schon angesprochen –, um sich noch einmal mit der Frage der ÖPNV-Finanzierung zu beschäftigen; denn am Ende des Tages hat sich an dem Grundproblem nach wie vor nichts verändert. Deswegen komme ich nachher im Detail noch einmal zum einen oder anderen Aspekt, den man begrüßt und über den man sich freut. Ich weiß nicht, ob wir heute schon an dem Zeitpunkt sind, um etwas zu begrüßen und uns zu freuen; denn am Ende des Tages liegt noch Arbeit vor uns.

Wie ist die Situation in der Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs in Hessen, und über was debattieren wir im Hessischen Landtag auch immer wieder bei der Frage, wie wir dazu kommen, dass wir nicht nur den Status quo halten, sondern den ÖPNV besser machen? Das Thema des ländlichen Raums hat die Kollegin Wissler angesprochen. Der Aspekt des Ballungsraums ist angesprochen worden. All diese Debatten beschäftigen uns schon seit Langem.