Protokoll der Sitzung vom 23.06.2016

(Janine Wissler (DIE LINKE): Die brauchen doch keine Anreize!)

sodass sich noch mehr auf den Weg machen, oder muss es nicht unsere absolute Priorität sein, den Menschen vor Ort zu helfen? Daher kann ich es, zugegebenermaßen, nicht ganz nachvollziehen, wie man es kritisieren kann, wenn sich die Bundesregierung, beispielsweise im Zusammenhang mit diesen aktuellen Fragen, mit der Regierung in Marokko, mit der Regierung in Tunesien und mit der Regierung in Algerien verständigt und diesen Ländern bei ihren strukturellen Problemen hilft.

Ich weiß, dass man die Probleme auf dieser Welt nicht „wegkaufen“ kann. Darüber diskutieren wir im Zusammenhang mit der Entwicklungshilfepolitik immer wieder. Aber ich glaube, es gehört auch zur Wahrheit, zu sagen – damit komme ich auf den Ausgangspunkt dieser großen Herausforderung Anfang des Jahres 2015 zurück –, dass es zunächst schlicht das fehlende Geld war, das Hundertausende von Menschen veranlasst hat, die Region, aus der sie kamen, nämlich die Nachbarländer Syriens, zu verlassen.

Ich bin bis heute der Meinung, dass wir alle uns hin und wieder daran erinnern sollten. Ich jedenfalls erinnere mich an meine damalige Situation: dass ich das alles irgendwie registriert habe, nämlich als eine der üblichen schlimmen Nachrichten, die abends im Fernsehen kamen. Aber aufgeschrien habe auch ich nicht, als im Januar oder Februar 2015 das UN-Flüchtlingshilfswerk die monatlichen Zuwendungen für einen Flüchtling in einem jordanischen Flüchtlingslager von 27 € auf 14 € halbiert hat. Ich glaube, das war die ursprüngliche Veranlassung für viele, zu sagen: Jetzt reicht es, jetzt gehe ich einen anderen Weg.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Deswegen reden wir auch über Geld. Aber wir reden nicht darüber, wie viele kommen können. Diese Frage haben Sie bis heute nicht beantwortet – die LINKEN auch nicht, außer Sahra Wagenknecht. „Es können nicht alle kommen“, hat Sahra Wagenknecht wortwörtlich gesagt.

(Zuruf der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))

Sie haben aber immer noch nicht die Frage beantwortet, wie viele denn kommen können. Dabei geht es mir gar nicht um Obergrenzen. Vielmehr geht es mir schlichtweg darum: Wenn wir wirklich weiterhin helfen wollen, müssen wir dafür Mehrheiten in unserem Land haben, und für diese Mehrheiten müssen wir werben. Deswegen können wir, wenn jemand einmal einigermaßen kantig formuliert, alles weglassen, was in Richtung Vorwurf geht.

Da bin ich sehr bei dem, was Michael Wagner – nein, Mathias Wagner; so weit geht es nicht, den Vornamen teilen wir noch nicht, sondern nur den Koalitionsvertrag –

(Heiterkeit bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

gesagt hat: Ja, es ist alle Mühen wert, noch ein paar Wochen lang daran zu arbeiten, dass wir in dieser konkreten Frage irgendwie zueinanderfinden.

Lieber Florian Rentsch, zur FDP will ich nur so viel sagen: Eine der wahrnehmbaren Initialzündungen für die Stimmung, die wir seit Jahren in unserem Land haben und über die wir gerade sehr viel reden, war Stuttgart 21. Das ist eine Stimmung in unserem Land, die uns allen Sorgen machen muss.

(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Warum?)

Es hat sich nämlich eine Kluft entwickelt. Viele der Menschen, die in Stuttgart und in anderen Orten auf die Straße gingen, um gegen irgendein Infrastrukturprojekt oder gegen irgendeine große Frage der Politik zu demonstrieren, haben das in dem Sinne artikuliert: die da oben, wir hier unten.

Lieber Florian Rentsch, daher kommt es mir darauf an, dass wir auch mit Worten sehr sorgsam umgehen. Das sage ich in einer Zeit, in der jeden Tag über die „Lügenpresse“ gesprochen wird, in der unsere Medienlandschaft, der ich nach wie vor attestiere, dass sie eine herausragende, positive Rolle in unserer Demokratie und in unserem Rechtsstaat spielt,

(Beifall bei der CDU)

pauschal diskreditiert wird und in der in Richtung Politik Termini wie „Hinterzimmerpolitik“ fallen. Herr Kollege Rentsch, daher bin ich schon beim Wort „Hinterzimmer“ sehr vorsichtig; denn seine Verwendung bedient genau diese Vorurteile. Politik wird nicht in Hinterzimmern gemacht. Aber Verhandlungen zwischen 16 Ländern – darauf hat auch Mathias Wagner zu Recht hingewiesen – sind nicht ganz einfach. Man kann sie nicht alle coram publico in allen Parlamenten dieser Welt führen.

(Florian Rentsch (FDP): Seit Februar dieses Jahres!)

Da braucht man, um einen Schritt voranzukommen – das wissen Sie, lieber Herr Kollege Rentsch, genauso wie ich –, auch einmal verschlossene Türen, damit sich die eine oder die andere Seite bewegen kann, um am Ende zu einem Kompromiss zu finden.

16 Landesregierungen mit mittlerweile sechs oder sieben unterschiedlichen Mehrheitsstrukturen sind nicht mehr so ganz einfach unter einen Hut zu bringen. Ich will nur einmal die unterschiedlichen Konstellationen, die wir dort haben, benennen. Wer einmal erlebt hat, wie so ein Räderwerk am Ende wieder zusammengefügt wird, der weiß, dass es schon manchmal schwer war, als wir ähnliche Mehrheiten im Landtag in Wiesbaden und in der Bundesregierung hatten. Aber wenn man die jetzigen Mehrheitsverhältnisse anschaut, hat man wirklich das Gefühl, dass das fast ein Wunder ist, dass das dann häufig immer noch so schnell geht. Aber bei dieser Frage verstehe ich, dass es länger dauert. Deswegen bitte ich da um Verständnis. Hören Sie damit auf, so zu tun, als sei das so außergewöhnlich. Ich habe es eben schon einmal gesagt. Es ist nicht außergewöhnlich, dass man für solche schwierigen Fragen auch einmal Zeit braucht.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will einen letzten Punkt sagen, Herr Schäfer-Gümbel, weil Sie das angesprochen haben: Sie können ja weiter den Bundesinnenminister kritisieren. Das tun wir hin und wieder auch.

(Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

Sie werden lachen, aber wir kritisieren auch andere Mitglieder der Bundesregierung. Und manchmal im schlimmsten Fall kritisieren wir sogar auch Mitglieder der Hessischen Landesregierung.

(Günter Rudolph (SPD): Was? – Zurufe von der SPD)

Das gehört doch zum politischen Geschäft dazu.

(Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

Lieber Herr Schäfer-Gümbel, irgendwo glaube ich, dass wir als Parlamentarier zunächst einmal einen gemeinsamen Auftrag haben.

Aber was ich nicht ganz redlich und in Ordnung finde – ich komme zurück zu Herrn de Maizière, der auch einmal die eine oder andere Bemerkung gemacht hat, die man als verunglückt bezeichnen kann –: Sie haben es unter anderem an dem BAMF festgemacht. Dann wäre es eigentlich redlich und in Ordnung gewesen, wenn Sie gesagt hätten: Da gibt es einen Innenminister, und der ist zuständig, das ist richtig. Aber die Frage, wie viele Menschen wir dort in Arbeit bekommen, damit die Bearbeitung der Anträge schneller geht, ist politisch entschieden. Das ist auch und gerade vom Innenminister sehr klar, präzise und konkret mit Zahlen belegt worden.

(Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

Aber dass wir heute die Situation haben, dass in allererster Linie die Personalräte dieses Hauses verhindern, dass die Personalaufstockung auch stattfinden kann, gehört, bitte schön, auch dazu. Deswegen wäre ich Ihnen dankbar, wenn wir beide und andere Vertreter der Sozialdemokratie gemeinsam diesen Menschen sagen: Jetzt lasst bitte einmal fünfe gerade sein, denn wir brauchen dieses Personal – aufgestockt von 3.000 auf 6.500 Leute, und zwar schneller, als ihr es zurzeit in den üblichen Verfahren zwischen Arbeitgebern und Personalräten zulasst.

Das wäre ein Beitrag zur Sache, und das wäre etwas mehr Fairness gegenüber dem Innenminister, der ansonsten einen schwierigen Job hat, aber einen guten Job macht. Das ist meine Auffassung. Die müssen Sie allerdings nicht teilen. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Tue ich auch nicht!)

Vielen Dank, Herr Kollege Boddenberg.

Wie vereinbart, rufe ich die nächsten vier Tagesordnungspunkte auf, die verschiedenen Anträge zur Abstimmung ohne Aussprache:

Tagesordnungspunkt 74:

Dringlicher Antrag der Fraktion der SPD betreffend individuelles Grundrecht auf Asyl und sichere Herkunftsstaaten – Drucks. 19/3514 –

Wer diesem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die Fraktion der SPD. Gegenstimmen? – Das sind die Fraktion der CDU und die Fraktion der – –

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Nein! Das wiederholen wir!)

Da waren ein paar Hände oben. Das tut mir leid. – Also: Gegenstimmen? – Das ist die Fraktion der LINKEN. Enthaltungen? – Die Fraktionen von CDU, GRÜNEN und Freien Demokraten. Damit ist der Antrag so beschlossen.

(Wortmeldung des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Frau Öztürk hat auch dagegen gestimmt.

(Mürvet Öztürk (fraktionslos): Enthalten!)

Sie hat sich enthalten. – Dann stelle ich fest, dass so entschieden ist.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 75:

Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Abstimmung im Bundesrat über sichere Herkunftsstaaten – Drucks. 19/3516 –

Wer diesem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen von CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Gegenstimmen? – Das sind die Fraktionen der LINKEN und der FDP und Frau Öztürk. Enthaltungen? – Enthaltung der Fraktion der Sozialdemokraten. Damit ist dieser Antrag beschlossen mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Freien Demokraten, der Fraktion DIE LINKE und der Kollegin Öztürk bei Enthaltung der SPD-Fraktion.

Tagesordnungspunkt 76:

Dringlicher Antrag der Fraktion der FDP betreffend Erweiterung sicherer Herkunftsstaaten im Bundesrat zustimmen – Drucks. 19/3517 –

Wer diesem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die Fraktion der Freien Demokraten. Gegenstimmen? – Das sind die vier anderen Fraktionen und Frau Kollegin Öztürk. Ich hoffe, dass ich niemanden übersehen habe. – Das ist so. Es gibt also keine Enthaltungen. Ich frage vorsichtshalber nach. – Nein. Dann ist dieser Antrag abgelehnt bei Zustimmung der Fraktion der Freien Demokraten und Ablehnung durch die restlichen Fraktionen.

Wir kommen zuletzt zum Tagesordnungspunkt 79: