Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir haben mit dieser zweiten Diskussionsrunde die Gelegenheit bekommen, das Thema vertiefend zu erörtern. Viele Kollegen haben davon Gebrauch gemacht und die Sachfragen tatsächlich vertiefend dargestellt. Andere haben davon nicht so sehr Gebrauch gemacht. Was gerade die letzten Ausführungen mit dem Thema Flüchtlinge zu tun hatten, kann man sich sicherlich fragen.
Manche Ausführungen wurden der Komplexität und der Schwierigkeit des Themas nicht völlig gerecht. Ich empfehle uns allen, darauf zu verzichten, uns gegenseitig vorzuhalten, dass wir alle bei einem komplizierten Thema Fragen haben, dass es keine leicht zu findenden Antworten
gibt und dass es natürlich der Abstimmung bedarf – in den Regierungen, sei es die Bundesregierung, sei es die Landesregierung, in den Parteien und selbstverständlich zwischen den Parteien. Wollen wir uns das in so einer Frage ernsthaft vorhalten? Wollen wir die Diskussion in dieser Frage ernsthaft schwarz-weiß führen? Wollen wir diese Frage ernsthaft zum Gegenstand der Parteipolitik machen, oder wollen wir an der sehr, sehr guten Tradition des Hessischen Landtags festhalten, die Flüchtlingsfrage nicht zu einer parteipolitischen Angelegenheit zu machen?
Im Kern geht es in dieser Debatte um zwei Fragestellungen. Die eine Fragestellung ist: Wie können die, die unseren Schutz brauchen, egal aus welchem Land sie kommen, egal welchen Status dieses Land hat, ihr im Grundgesetz verankertes Recht auf Asyl tatsächlich wahrnehmen? Wie können wir das im Verfahren sicherstellen? Es muss doch unser aller Ziel sein, dass diejenigen, die an Leib und Leben bedroht sind, bei uns Schutz finden. Das ist doch unser aller Anliegen. Das ist der eine Pol.
Der andere Pol ist die Frage: Wie gehen wir in den Verfahren mit den Menschen um, die – ebenfalls aus berechtigten Gründen – zu uns kommen, am Ende aber kein Anrecht auf Asyl haben? Da sagen viele: Wir müssen die Verfahren beschleunigen; wir müssen dafür sorgen, dass wir unsere Kraft, das Engagement unseres Landes auf diejenigen konzentrieren können, die unserer Hilfe bedürfen, und deshalb müssen wir die Verfahren derjenigen, die unser Land wieder verlassen müssen, schneller bearbeiten.
Das sind die beiden Pole in der Debatte. Ich finde, beide Auffassungen sind berechtigt. Sie werden nicht nur im Hessischen Landtag, sondern auch in der Gesellschaft diskutiert, und zwar kontrovers diskutiert. Wir sollten daher damit aufhören, dem Vertreter des einen oder des anderen Pols die moralische Integrität abzusprechen, sondern wir sollten den Kern der Argumente betrachten
Ob man eine Vermittlung zwischen diesen beiden Polen erreichen kann. Vielen Dank für diesen Hinweis, Herr Kollege Roth.
Kann es nicht ein Verfahren geben, das gewährleistet, dass die, die des Schutzes bedürfen, diesen Schutz auch bekommen, und wir gleichzeitig schnelle Verfahren in Deutschland haben? Das ist der Kern der Debatte. Das war auch der Grund dafür, dass die Ministerpräsidenten gesagt haben: Lasst uns über diese Frage reden, lasst uns vertiefend schauen, ob es da eine Lösung gibt. – Das macht doch Sinn. Daher muss man bei dieser Debatte in die Details einsteigen und sich die Regelungen genau anschauen, statt parteipolitische Schaufensterreden zu halten.
Welches sind die drei Elemente des Asylverfahrens, wie lange dauern sie, und wo haben wir Möglichkeiten, die Verfahren zu verkürzen, ohne den Rechtsschutz für die wirklich Schutzbedürftigen einzuschränken?
Der erste Teil eines Asylverfahrens in Deutschland ist das Verfahren beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.
Herr Kollege Rock, diese Verfahren dauern sehr lange. Hier haben wir Möglichkeiten, zu beschleunigen, ohne die Rechte der Schutzbedürftigen zu beschränken.
Der zweite Teil ist die Phase des Rechtsschutzes nach einer Entscheidung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge. Da ist der Kern der Regelungen bezüglich der sicheren Herkunftsstaaten, die viele in unserer Gesellschaft – und auch wir GRÜNE – als schwierig ansehen. Wenn der Rechtsschutz gegen eine Entscheidung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge extrem verkürzt wird, ist damit die Sorge verbunden, ob diejenigen, die doch ein Anrecht auf Schutz haben, ihr Recht tatsächlich durchsetzen können. Aber man kann doch darüber reden, wie man diesen Schutz verbessert. Man kann Lösungen finden, wenn man sich endlich einmal mit der Sache beschäftigen – statt mit Symboldebatten.
Der dritte Aspekt, der die Dauer der Verfahren bestimmt, ist die Frage, wie schnell die, die kein Anrecht auf Schutz bei uns haben, unser Land wieder verlassen müssen und verlassen können. Meine Damen und Herren, das ist der Teil des Verfahrens, der am längsten dauert. Er hat aber nichts mit dem Rechtsschutz derjenigen zu tun, die ein Anrecht auf Asyl bei uns haben.
Ich fasse zusammen. Die zwei Teile des Verfahrens, die real am längsten dauern, sind die Bearbeitung der Anträge durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und die Ausreise derer, die ausreisepflichtig sind, kein Anrecht auf Asyl haben und unser Land verlassen müssen. Vor diesem Hintergrund macht es doch Sinn, sich mit diesen Teilen zu beschäftigen, statt das Augenmerk auf Regelungen zu richten, die den Rechtsschutz für diejenigen beschränken, die bei uns eventuell Schutz bekommen. Das kann man miteinander bereden; das ergibt doch einen Sinn.
Herr Kollege Wagner, man kann Ihrer Position in dieser Frage folgen; ich finde sie stringent. Aber eine Frage habe ich dazu: Sind Sie nicht auch der Auffassung, dass die Einstufung als sicherer Herkunftsstaat ein Signal an die Menschen aus diesen Ländern wäre, die die Kriterien des Asylrechts möglicherweise nicht erfüllen, diesen Weg erst gar nicht auf sich zu nehmen? Die Anerkennungsquote von 1 % ist ein Indiz dafür.
Herr Kollege Rentsch, ich stimme Ihnen ausdrücklich zu. Die Erfahrungen, die gemacht wurden, wenn ein Land als sicherer Herkunftsstaat eingestuft wurde, sprechen eine deutliche Sprache: Es haben sich dann weniger Menschen auf den Weg gemacht. Aber es erhöht eben auch die Gefahr, dass Menschen, die des Schutzes bedürfen, diesen Schutz nicht bekommen.
Damit sind wir wieder beim Kern der Debatte. Könnten wir das Signal an Menschen, die kein Anrecht auf Asyl haben, sich nicht auf den Weg zu machen, nicht auch anders ausgestalten? Ich glaube, da könnte uns etwas einfallen. Ich traue es uns wirklich zu, dass wir hier eine bessere Lösung finden.
Herr Kollege Rentsch, Sie haben uns vorhin gefragt, warum wir der Ausweitung des Kreises der sicheren Herkunftsstaaten im Jahre 2015 zugestimmt haben und jetzt, da es um eine weitere Ausweitung geht, sagen: Lasst uns schauen, ob wir nicht eine bessere Lösung finden. – Ich darf übrigens ergänzen, dass wir bei der Ausweitung des Kreises der sicheren Herkunftsstaaten im Jahr 2014 ebenfalls nicht dafür waren. Um es zusammenzufassen: 2014 haben wir gesagt: „Nein, das geht nicht“, 2015 haben wir gesagt: „Ja, das geht“, und jetzt debattieren wir darüber, wie wir eine gute Lösung finden.
Herr Kollege Rentsch, das ist eine stringente Position; denn wir haben uns immer mit der Sache beschäftigt und uns immer angeschaut, wie die Situation der Flüchtlinge ist und ob wir in den Verhandlungen zwischen Bundestag und Bundesrat etwas für die Flüchtlinge erreichen können, und wir waren in dieser Frage immer gesprächsbereit und haben nicht auf Dogmen gesetzt.
2014 kamen wir zu dem Ergebnis, dass es nicht geht. Nach unserer Wahrnehmung gab es am Ende der Gespräche zwischen Bundestag und Bundesrat keine hinreichende Verbesserung für die Flüchtlinge. 2015 haben wir gesagt: „Ja, das ist möglich“, unter anderem deshalb, weil wir erstmals einen legalen Zuwanderungsweg für die Menschen aus den Westbalkanstaaten verankern konnten. Da haben wir gesagt: Ja, das Paket stimmt.
Jetzt haben wir es mit der Situation zu tun – das ist das eigentliche Problem –, dass bislang niemand über diese Fragen reden wollte. Wenn man gar nicht in eine Verhandlungsposition kommt, ist es doch stringent, zu sagen: Wir tun alles dafür, dass endlich sachgerecht über dieses Thema geredet wird.
Ich glaube, es ist alle Mühe wert, dass wir uns auf die Sache konzentrieren und eine Lösung finden, mit der den wirklich Schutzbedürftigen in unserem Land Schutz ge
währt wird und gleichzeitig die Verfahren für diejenigen beschleunigt werden, die in unserem Land kein Anrecht auf Asyl haben. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Kollege Wagner. – Nächster Redner ist der Fraktionsvorsitzende der CDU, Herr Kollege Boddenberg. Bitte sehr.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Eigentlich wollte ich Frau Öztürk und Frau Wissler gemeinsam ansprechen; aber Frau Wissler lasse ich nach einer an ein Mitglied der CDU-Fraktion gerichteten unverschämten Bemerkung in dieser Debatte außen vor.
(Hermann Schaus (DIE LINKE): Aber uns als Linksextremisten zu bezeichnen, wird nicht gerügt! Das geht! Darauf werde ich zurückkommen! – Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))
Frau Öztürk, zu Ihnen will ich nur so viel sagen: Ich glaube, alle in diesem Hause nehmen Ihnen die Betroffenheit und das Engagement, das Sie seit vielen Jahren an den Tag legen, ab. Ich glaube sogar, sagen zu dürfen, sie teilen in vielem Ihre Auffassung zu dem von Ihnen beschriebenen Unrecht in den unterschiedlichsten Regionen und Ländern dieser Welt – auch und gerade in der Türkei. Aber ich habe Ihnen zu einer Zeit, als Sie noch der Fraktion der GRÜNEN angehörten – wir haben auch über diese Frage mehrfach miteinander gesprochen –, einmal gesagt: Ich nehme Ihnen übel – das darf ich hier einmal so ausdrücken –, dass Sie mir hin und wieder das Gefühl vermitteln, als sei es uns, die wir uns in der Konsequenz für eine andere Politik entschieden haben, egal, was mit den Menschen geschieht, sei es im Mittelmeer, in der Ägäis oder sonst wo auf der Welt.
(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Zum Beispiel in Afghanistan! – Zuruf der Abg. Mürvet Öztürk (frak- tionslos))
Wenn darüber gesprochen wird, wie viele Tausend Menschen im Mittelmeer ertrunken sind, geht es doch nicht darum, dass das auf der einen Seite des demokratischen Parteienspektrums ignoriert wird, sondern schlichtweg um die Frage: Wie verhindern wir möglichst oft – am besten immer –, dass Menschen auf dem Weg in das vermeintliche Paradies Europa oder Deutschland ums Leben kommen?
Es darf doch, bitte schön, unterschiedliche Auffassungen in dieser zentralen Frage geben: Schaffen wir in den verschiedensten Regionen dieser Welt „Anreize“,