Ich habe zur Kenntnis genommen, dass Sie dies angesprochen haben. Aber ich frage mich, ob Sie sich an die Spitze der Bewegung setzen, wenn es darum geht, CETA und TTIP durchzusetzen.
Dürfen Sie das mit diesem Koalitionspartner, oder wird Ihnen abverlangt, auszutreten, so wie es heute von den GRÜNEN auf Bundesebene gefordert wurde? Ich glaube, das wäre für die Zukunft Europas ähnlich gefährlich wie der Austritt aus der Europäischen Union für die Briten.
(Holger Bellino (CDU): Ihr seid nicht mehr an der Regierung und könnt nicht so lange reden, wie ihr wollt, sondern die Redezeit ist abgelaufen!)
Danke, Frau Beer. – Für die CDU-Fraktion erteile ich dem Fraktionsvorsitzenden Herrn Boddenberg das Wort.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich finde die Debatte sehr lohnend, auch wenn wir uns sicherlich alle miteinander andere Vorzeichen gewünscht hätten. Die Debatte hat deutlich gemacht, dass alle demokratischen Fraktionen des Hessischen Landtags nach diesem Votum nicht etwa in Arroganz verfallen und das Votum der Briten bewerten – so habe ich das überhaupt nicht verstanden, Frau Kollegin Beer –, sondern dass wir alle bedauern, dass diese Entscheidung so gefallen ist.
Wir müssen alle gemeinsam feststellen, dass dieser 23. Juni ein schlechter Tag für Europa gewesen ist. Er ist nicht nur schlecht für Europa insgesamt, weil wir mit den Briten einen starken Teil verlieren und damit in dieser Welt an
Macht einbüßen, sondern er ist auch ein schlechter Tag für Deutschland – darauf ist an vielen Stellen hingewiesen worden –; denn wir haben einen Partner verloren, der uns an wesentlichen Stellen durchaus unterstützt hat, beispielsweise wenn es um die Frage ging, Regeln, die in Europa geschaffen worden waren, am Ende des Tages auch einzuhalten.
Er ist auch ein schlechter Tag für die hessische Wirtschaft, bei allen Prophezeiungen, die auch der Ministerpräsident zu Recht angesprochen hat und die man nicht unbedingt teilen muss, im Hinblick auf die Frage: Welche Auswirkungen hat das auf das Wirtschaftswachstum? Da gibt es immer wieder verschiedene Prognosen, nicht nur in dieser Frage. Von Frau Kollegin Beer und Herrn Kollegen Schäfer-Gümbel ist ganz konkret das Beispiel Opel angesprochen worden. Herr Schäfer-Gümbel, bei Opel heißt es ganz konkret – wir haben zufälligerweise letzte Woche den Chef von Opel bei einer Veranstaltung gehabt, zu der Sie eingeladen waren, wo also auch Sie die Gelegenheit gehabt hätten, einmal sehr zeitnah aus erster Hand zu erfahren, was das bedeutet –, dass das Unternehmen Opel eine Wertschöpfung von 25 % in der Produktion in England hat, was wiederum heißt, dass ein schwaches Pfund für die Produktion dort enorme Kostensteigerungen bedeutet. Wenn man 70 bis 75 % der Wertschöpfung nicht im Land, in Großbritannien, tätigt, sondern von Zulieferern importiert, ist das ein enormer, auch in Geld rechenbarer Schaden und damit sicherlich eines von vielen Beispielen dafür, was das auch und gerade für hessische Unternehmen bedeuten kann.
Das Allerschlimmste ist, und das haben alle übereinstimmend hier angesprochen: Dieser Tag war ein schlechter Tag – ich will selten so martialisch formulieren –, weil an diesem Tag der Brexit ein Sieg des Nationalismus, des Populismus, der Unvernunft und der Verführung war. Auch dazu ist heute schon viel gesagt worden. Er war ein Tag derjenigen, die Europa zerstören wollen, die destruktive Kräfte freisetzen und die, um in die Parlamente zu kommen, ihr Heil darin suchen, Menschen mit völlig falschen Behauptungen und teilweise Demagogie zu begegnen, um sie zu verführen, eine solche Entscheidung zu treffen. Es war ein schlechter Tag in Europa, dass diese Kräfte diesmal gesiegt haben.
Das ist keine Arroganz eines Politikers aus einem deutschen Bundesland, sondern das ist eine Feststellung, die man durchaus übereinstimmend treffen muss.
Aber – auch das ist hier an verschiedenen Stellen gesagt worden – wir können aus einer solchen Niederlage, aus einer solchen Enttäuschung auch unsere Schlüsse ziehen und Chancen entwickeln. Jetzt will ich gar nicht so sehr darüber reden, was das für Frankfurt bedeutet – vielleicht komme ich zum Schluss noch dazu, wenn ich noch Zeit habe –, sondern ich will zunächst einmal feststellen, dass wir alle registrieren müssen, dass dieses Europa und die Errungenschaften dieses Europas an Bindungskraft verloren haben. Dafür gibt es Gründe. Auch das ist an verschiedenen Stellen gesagt worden, und da stimme ich durchaus denen zu, die gesagt haben, dass man das auf den Punkt bringen kann: Ich werde die Geister nicht mehr los, die ich rief. Das ist sicherlich ein Teil der Politik auch von konservativen, aber nicht nur konservativen Parteien in Europa, auch und speziell in England und Großbritannien gewesen. Dann darf man sich möglicherweise nicht wundern, wenn
Dazu gehört am Ende des Tages, dass wir uns alle miteinander besinnen und uns die kritische Frage stellen: Wie behandeln wir eigentlich dieses Europa im Tagesgeschäft? Ist es klug, dass wir jeden noch so banalen Punkt nehmen, um auf Europa und Brüssel zu schimpfen? – Da will ich schon sagen, dazu haben wir in der Vergangenheit auch im Hessischen Landtag spannende Debatten gehabt, die, wenn man genau hinschaut, vielleicht nicht immer ganz sinnvoll, klug und zielführend gewesen sind.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Nancy Fae- ser (SPD): Das stimmt!)
Ich werde nur zwei Beispiele nennen, wenn Sie einverstanden sind. Auch wir haben über eine Richtlinie der Europäischen Union gesprochen, die sich mit der Frage der Krümmung der Salatgurke beschäftigt hat. Das ist vermeintlich eine banale Diskussion. Aber wenn Sie in der Wirtschaft, im Mittelstand sind, verfangen solche Dinge am Ende zu einem Gesamtbild, dass die ganz großen Fragen auf der Strecke bleiben und die völlig banalen Dinge, die in Brüssel teilweise tatsächlich geregelt worden sind, so in den Vordergrund rücken, dass die Menschen daraus einen Verdruss entwickeln, den man auf den ersten Blick sogar nachvollziehen kann.
Zu einer solchen Geschichte gehört aber auch dazu: Diejenigen, die die Krümmung der Salatgurke in Brüssel geregelt haben wollten, waren die großen deutschen Lebensmitteleinzelhändler, weil sie damit logistisch besser umgehen konnten.
Am Ende haben sie dafür gesorgt, dass Deutschland mit diesem Vorstoß in Brüssel eine Punktlandung mit einer Richtlinie hatte. Sie ist übrigens mittlerweile kassiert worden. Aber es ist eines der Beispiele, über die ich mich richtig in Rage reden kann.
Wir könnten weitermachen. Da ist die FDP munter dabei, wenn es um die Ökodesignrichtlinie geht, die berühmten Staubsauger. Ja, Herr Kollege Hahn, ich glaube, dass es eine wesentliche Aufgabe der Europäischen Union sein muss, sich um die großen Fragen zu kümmern.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. h.c. Jörg-Uwe Hahn (FDP))
Jetzt werden Sie sagen: die große Frage Staubsauger. Dazu will ich Ihnen nur sagen, dahinter steckt die nicht ganz unplausible Idee: Wenn x Millionen Staubsauger in der Europäischen Union unterwegs sind und man in der Spitzenleistung dieser Geräte mit 1.600 W arbeitet, das gleiche Ergebnis aber auch mit 900 W erreichen kann und in Summe 18 TWh einsparen kann – das ist eine Hochrechnung aufgrund der Haushaltszahlen bei 500 Millionen Menschen –, dann kann man zumindest darüber reden.
Übrigens müssen wir nicht darüber reden, dass die Europäische Union für solche Fragen ein Mandat hat, das wir alle mit den Verträgen, die wir unterschrieben haben, ihr
gegeben haben. Jetzt kann man wie die FDP sagen: Das ist blöd. Was geht der Staubsauger die EU an? – Ich sage, in Summe wird daraus durchaus ein ganz spannender Einsparbeitrag, wenn es um den Energieverbrauch geht. Ich will das gar nicht in „richtig“ oder „falsch“ einordnen. Ich will nur sagen, ich finde es nicht ganz unanständig, dass sich die Europäische Union auch mit solchen Fragen beschäftigt.
Wir haben diese Woche im Landtag und im Europaausschuss einen Antrag, mit dem wir gemeinsam die Landesregierung bitten, von der Subsidiaritätsrüge Gebrauch zu machen. Das ist ein schwieriges Wort. Aber eigentlich ist das relativ schnell erklärt. Es geht um Folgendes: Jeder Mitgliedstaat hat zwei Stimmen. Zwei mal 28 sind 56. Wenn davon mehr als ein Drittel in Brüssel Zustimmung erfährt, wenn es also so viele Einwendungen aus den Mitgliedstaaten gibt, dann heißt das, dass die Europäische Union einen vorgelegten Richtlinienentwurf oder einen vorgelegten Verordnungsentwurf zurückzunehmen hat.
Ich sage: Lasst uns doch solche Instrumente nutzen und nicht ständig darüber lamentieren, dass die Brüsseler alles an sich ziehen. Ich glaube, die Geschichte der Nutzung der Möglichkeit der Subsidiaritätsrüge zeigt, dass es bei Hunderten und Tausenden von Richtlinien und Verordnungen acht solcher Rügen gegeben hat, die während dieses Zeitraums erlassen wurden. Wir sollten die Regeln, die wir in der Europäischen Union haben, im positiven Sinne nutzen. Wir sollten nicht ständig mit dem Finger auf Brüssel zeigen. Das dient nur den Populisten und deren Ergebnissen.
(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sabine Waschke (SPD))
Lassen Sie uns auch über die Leistungen der Europäischen Union reden. Ich will einige jüngere Ereignisse ansprechen.
Zum einen betrifft das die Ukraine. Irgendjemand hat heute eine Bemerkung gemacht, die ich überhaupt nicht verstanden habe. Er hat gesagt, die Bundeskanzlerin würde sich zum Fotografieren nach Europa begeben. Ich muss schon sagen: Bei allem Respekt vor dem Parlament und solchen Äußerungen, die manchmal vielleicht auch aus der Situation heraus unter das Volk gebracht werden, finde ich das ein bisschen unangemessen und despektierlich. Denn diese Bundeskanzlerin hat beispielsweise in dieser Frage wie kein zweiter Politiker Europas mit dazu beigetragen, dass wir in der Ostukraine jedenfalls keinen Krieg haben.
Ich will nicht wegreden, dass es dort nach wie vor keinen Frieden in der Art gibt, wie wir uns das vorstellen. Mit dem Minsker Abkommen hat die Bundeskanzlerin in dieser Frage gemeinsam mit Präsident Hollande Mut gezeigt. Das will ich gleich dazusagen, damit es wieder ausgewogen ist. Die Kanzlerin hat dort mit Mut Politik gegen Herrn Putin gemacht. Er wurde von Herrn van Ooyen heute fast verklärt, und zwar so, als ob es ihn fast gar nicht gäbe.
Herr van Ooyen, so viel Naivität, die ich weiterhin aus Ihren Reden höre, bringt mich wirklich zu der Frage, in welcher Welt Sie eigentlich leben. Denn Sie lassen solche Bedrohungsszenarien völlig außer Acht.
Ich habe die Ukraine genannt. Wir könnten über den Atomkompromiss mit dem Iran reden, und zwar trotz aller Schwierigkeiten und aller Kritik, die wir dazu aus Israel hören. Das kann ich an einigen Stellen nachvollziehen. Aber es ist mir lieber, dass eine starke und machtvolle Europäische Union ein solches Werk gemeinsam mit den Amerikanern hinbekommt, weil wir eben diese Union sind und weil wir mit den 500 Millionen Menschen und mit der Wirtschaftsmacht, die dahintersteht, am Ende auch sagen können: Wir sind auf dieser Welt wer. – Das gilt gerade auch für humanitäre Fragen.
Wir haben noch eine Reihe an Aufgaben zu lösen. Das ist gar keine Frage. Dafür brauchen wir eine starke Union. Wir brauchen eine starke Europäische Union für die Sicherheit und auf dem Gebiet der Verteidigungspolitik. Ich will nicht näher darauf eingehen, was die LINKEN dazu sagen. Ich habe es in Nebensätzen erwähnt.
Für mich und für uns ist die Verteidigungspolitik etwas, mit dem wir die Freiheit sichern und bewahren wollen und mit dem wir den Menschen signalisieren wollen: Wenn uns jemand die Freiheit nehmen will, dann sind wir wehrhaft. Dazu brauchen wir eine starke europäische Verteidigungspolitik.
Ja, wir brauchen die Europäische Union bei der Flüchtlingspolitik. Herr Schäfer-Gümbel, Sie haben die Kritik an Herrn Schulz eben aufgegriffen. Ich will das noch einmal konkretisieren. Herr Schulz und Herr Gabriel haben am Ende des Tages gesagt, dieser Europäische Rat müsse in eine neue Relation zur Europäischen Kommission und zu einer europäischen Regierung gebracht werden. Das kann man machen.
Aber jetzt einmal unter uns gesagt: Glauben Sie im Ernst, dass nach der Entscheidung der Briten die Beschreibung eines Ziels, das 50, 60, 70 oder 80 Jahre in der Zukunft liegt – ich weiß nicht, ob es dann noch so sein wird –, der richtige Zeitpunkt ist, das zu fordern? Denn die Briten wollten genau das Gegenteil. Da ist es die Frage, ob man das heute als ein priorisiertes Ziel formulieren soll.
Ich will das schon einmal sagen. Es soll dann eine Kammer der europäischen Regierungschefinnen und -chefs geben. Das ist ein Instrument, das wir im Föderalismus der Bundesrepublik Deutschland mit dem Bundesrat kennen. Deswegen will ich gar nichts gegen diese grundsätzliche Idee sagen. Ich sage es noch einmal: Ich kritisiere zuerst den Zeitpunkt. Aber ich kritisiere auch, dass damit wieder einmal die Botschaft gesendet wird, diese Europäische Union sei wegen des Europäischen Rates handlungsunfähig. Das stimmt doch einfach nicht.
Ja, wir brauchen bei vielen großen Entscheidungen Einstimmigkeit. Das ist geboten. Ich glaube, in wichtigen Fragen würde das jeder von uns auch für Deutschland dort reklamieren. Aber wir haben beispielsweise hinsichtlich der Flüchtlinge auch Entscheidungen gehabt – ich lasse jetzt einmal weg, dass das manche im Ergebnis nicht gut finden –, bei denen im Europäischen Rat mit Mehrheit entschieden wurde.