Protokoll der Sitzung vom 13.07.2016

(Vizepräsidentin Ursula Hammann übernimmt den Vorsitz.)

Einmal unterstellt, die Summe, die Sie hier vorgetragen haben, stimmt. Sie sprachen von 400 Millionen bis 800 Millionen €. Dabei muss man annehmen, dass diese Menschen und deren Kapital im Land bleiben und man sie auch besteuern könnte. Das setzt immer voraus, dass die Steuergesetzgebung nicht zu einem gewissen Fluchtverhalten führt. Wir setzen voraus, das wäre alles so, und der Verwaltungsaufwand wäre so niedrig, wie die Sozialdemokraten es sagen.

Ich möchte einmal eine andere Debatte mit Ihnen führen. Herr Kollege Schmitt hat vorhin dazwischengerufen, es wäre doch toll, wenn das Land 400 Millionen bis 800 Millionen € mehr hätte. Herr Kollege Schmitt, warum wäre das toll? Das frage ich Sie einmal. Haben Sie nicht das Gefühl, dass dieses Land zurzeit finanziell ordentlich ausgestattet ist?

(Beifall bei der FDP)

Wird nicht sogar andersherum ein Schuh daraus? In den guten Zeiten wird in diesem Land weniger als in den Zeiten gespart, in denen die finanzielle Lage nicht so gut war. Es wäre doch ein Gottesgeschenk, wenn die Bürger Ihnen 400 Millionen € geben und dann hoffen würden, dass Norbert Schmitt eine gute Idee hat, wie er das Geld ausgeben kann.

(Beifall des Abg. Jürgen Lenders (FDP))

Der Staat soll Geld dafür bekommen, dass er seine Kernaufgaben erledigt. Deshalb würde ich, wenn wir schon eine Debatte führen, dies gerne darüber tun, was denn die Aufgaben des Staates sind.

(Zuruf der Abg. Nancy Faeser (SPD))

Frau Kollegin Faeser, Sie haben heute Geburtstag. Wir sind alle begeistert, dass das so ist.

Ich habe gesagt, die Problematik im Land Hessen bestehe doch nicht darin, dass wir zu wenige Steuereinnahmen hätten. Die Problematik im Land Hessen besteht darin, dass die Prioritäten zurzeit anders gesetzt werden, als ich sie zum Teil setzen würde. Ich würde sie nicht komplett anders setzen.

Zweitens findet das, was wir einmal als Einsparungs- und Konsolidierungsprogramm vorangetrieben haben, mittlerweile nicht mehr statt. Glauben Sie denn eigentlich, es ist für einen Justizminister oder einen Verkehrsminister spannend, in der eigenen Verwaltung 20 % der Leute einzusparen oder Gerichtsstandorte zusammenzulegen? Ich frage einmal die Kollegen der Union. Ich jedenfalls habe nicht mitbekommen, dass jemand in den Wahlkreisen gesagt hat: Gott sei Dank spart ihr endlich dort so, wie es der Rechnungshof gesagt hat. – Es gab doch Kritik von allen Seiten. Meine Damen und Herren, glauben Sie denn ernsthaft, wir würden die Vorgaben der Schuldenbremse erreichen, wenn wir die Strukturen des Landes nicht verändern würden?

(Beifall des Abg. Jürgen Lenders (FDP))

Es ist doch abstrus, das zu glauben.

(Zuruf)

Frau Kollegin Dorn, nein. Der intellektuelle Anspruch besteht darin, dass man die Unterschiede auch erkennt, wenn man eine Stunde später redet. Das ist etwas Unterschiedliches.

Ich möchte trotzdem noch einmal auf die Grundfrage zurückkommen. Ich würde mir wünschen, dass, wenn die Mitglieder der Landesregierung genauso wie die der Sozialdemokraten über die Frage diskutieren, woher die Einnahmen kommen, sie dann auch über die Frage diskutieren, wie der Staat morgen eigentlich aussehen soll.

Herr Kollege Schmitt, ich kann akzeptieren, dass Sie sagen, man kann mehr Geld hereinholen. Das kann man diskutieren. Das kann so sein. Aber zum Schluss geht es um die Frage: Wofür wird dieses Geld ausgegeben? Was wird mit diesem Geld gemacht. – Ich glaube, da haben wir unterschiedliche programmatische Ansätze.

(Beifall der Abg. Jürgen Lenders und Nicola Beer (FDP))

Ich glaube, dass das Geld zunächst einmal bei den Leuten ganz gut aufgehoben ist. Es ist eine Tatsache, dass die LINKEN immer wieder erklären, dass wir in Deutschland eine Niedrigststeuersatzphase hätten, wir würden so wenig Steuern bezahlen wie noch nie. Ich weiß nicht, ob die LINKEN nicht in Kommunen wohnen, in denen die Grundsteuer erhöht worden ist etc. Erleben Sie eigentlich, was dort passiert? Es besteht doch nicht die Situation, dass die Leute am Ende des Monats nicht wissen, wohin sie mit ihrem Geld sollen. Die ganze Debatte über die Frage der kalten Progression hat doch eine Grundlage.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Genau deswegen brauchen wir die Vermögensteuer!)

Herr Kollege Schaus, das ist sehr naiv. Ich habe kaum so eine Debatte in diesem Landtag erlebt. Die Vermögensteuer würde doch nicht dazu führen, dass Sie die Mitte entlasten würden. Wenn ich dieses Vertrauen hätte, würde ich sagen, das ist der richtige Weg. Aber bei Ihnen wissen wir

doch: Sie nehmen allen das Geld aus der Tasche, um es dann für Ihrer Ansicht nach soziale Projekte zu verteilen. Daraus wird definitiv kein Schuh.

(Beifall der Abg. Jürgen Lenders und Nicola Beer (FDP))

Ich möchte deshalb zum Schluss meiner Rede sagen: Ich finde, es ist legitim, dass die Sozialdemokraten auch einen Verteilungswahlkampf führen werden. Das scheint sich anzudeuten. Es geht darum, dass über die Frage der Gerechtigkeit in Deutschland diskutiert wird.

Was mir zu kurz kommt, ist die Diskussion um die Frage: Wie sieht eigentlich der Staat von morgen aus? Welche Aufgaben wird er haben? Wird alles so sakrosankt bleiben, wie es zurzeit ist?

Ich glaube ernsthaft, dass wir da den meisten Handlungsbedarf haben. Alles so zu lassen, wie es ist, war noch nicht einmal die Grundlage für die Verabredung der Schuldenbremse. Wir haben damals gemeinsam vereinbart, dass auch die Grundlagen und Strukturen dieses Staates auf den Prüfstand kommen. Ich habe zurzeit nicht das Gefühl, dass das von den Mitgliedern der Oppositionsfraktionen, der SPD und der LINKEN, aber auch von den Mitgliedern der Regierungsfraktionen wirklich noch vorangetrieben wird. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Herr Kollege Rentsch, vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat sich Frau Kollegin Wissler für die Fraktion DIE LINKE zu Wort gemeldet. Frau Kollegin, bitte schön, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich habe mich noch einmal zu Wort gemeldet, weil ich finde, dass man die Ausführungen des Finanzministers so nicht stehen lassen kann. Das betrifft insbesondere auch das, was Sie zur Verteilung der Steuern gesagt haben. Ich finde, Sie haben hier den Eindruck erweckt, als hätten wir im Großen und Ganzen eine gerechte Verteilung der Steuerlast. Dem will ich erst einmal widersprechen.

Wir haben die Entwicklung, dass wir immer mehr Aufkommen aus den indirekten Steuern, also insbesondere aus der Umsatzsteuer, haben. Natürlich muss man sagen, dass gerade die Mehrwertsteuer die unsozialste Form der Steuer ist. Denn sie trifft jeden gleich. Damit trifft sie die, die wenig haben, besonders hart.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wenn man sich nur die Einkommensteuer anschaut und sich innerhalb der Einkommensteuer die Verteilung anschaut, dann kommt man natürlich zu dem Bild, das Sie hier gestellt haben. Dass jemand, der kein Einkommen hat, jemand, der einen Minijob hat, oder jemand, der gezwungen ist, aufzustocken, weil er zu einem Niedriglohn arbeitet, keine hohe Einkommensteuer zahlt, ist doch logisch. Das Problem ist doch, dass sich beim Gesamtsteueraufkommen Dinge verschoben haben.

Ich will das noch einmal deutlich machen. Der Anteil der Lohnsteuer am gesamten Steueraufkommen liegt bei ungefähr 25 %. Der Anteil der Umsatzsteuer ist in den letzten 20 Jahren stark gestiegen. Er liegt bei ungefähr 24 %.

Jetzt schauen wir uns einmal an, wie hoch der Anteil der Körperschaftsteuer am gesamten Steueraufkommen ist. Das sind 2,8 %. Da haben wir doch eine Schieflage. Die Gewerbesteuer hat ungefähr 7 % am gesamten Steueraufkommen. Sie kommt noch mit hinzu. Herr Minister, man muss einmal ins Verhältnis setzen, wie viel Steuern aus Einkommen und wie viel aus Umsatzsteuer gezahlt werden. Wenn man das ins Verhältnis zur Gewerbesteuer und zur Körperschaftsteuer setzt, die noch nicht einmal 10 % des gesamten Steueraufkommens ausmachen, muss man doch sagen, dass es einfach ungerecht ist, was da passiert.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Da bin ich noch gar nicht bei den Steuerarten, die wir entweder gar nicht erheben oder so marginal erheben, dass es lächerlich ist. Schauen Sie sich doch die Erbschaftsteuer an. Das, was da momentan verhandelt wird, stimmt mich auch nicht gerade optimistisch. Man kann sich anschauen, welche enormen Vermögen in den nächsten Jahren vererbt werden und wie wenig der Staat davon abschöpft. Das ist natürlich hoch problematisch.

Auf Vermögen wird sogar gar keine Steuer mehr erhoben. Viele andere Länder machen das. Es wäre problemlos möglich, die Vermögensteuer wieder zu erheben. Das heißt, es besteht völlige Ungerechtigkeit beim Steueraufkommen. Das ist etwas anderes als das Bild, das Sie hier gezeichnet haben. Natürlich wäre es richtig, dass hohe Vermögen vernünftig besteuert werden. Davon würde niemand arm. Aber dafür würden wir ein bisschen mehr Geld in den öffentlichen Kassen haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Minister, ich finde es schon verwegen, zu sagen, die Vermögensteuer würde fast nichts erbringen. Nach unseren Berechnungen würde sie 1,2 Milliarden € erbringen. Jetzt sagen Sie immer, die LINKE würde etwas übertreiben. Ziehen Sie von mir aus die Hälfte ab. Dann würden wir über 600 Millionen € reden.

(Norbert Schmitt (SPD): Für Hessen!)

Das wäre allein für das Land Hessen. – Herr Minister, dass Sie dann sagen: „Das bringt fast nichts“, macht mir ein bisschen Sorgen, in welchen Dimensionen Sie offensichtlich planen und denken.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wie gesagt, 600 Millionen € wären das Unterste, was man durch die Vermögensteuer einnehmen könnte. Dass der Finanzminister sagt, 600 Millionen € würden fast nichts bringen, ist eine interessante Aussage.

Ich habe diese Frage schon vorhin aufgeworfen. Die gesellschaftlichen Kosten, die für die Infrastruktur, für die Bildung und für die Kommunen entstehen, müssen immer von irgendjemandem gezahlt werden. Irgendjemand muss es immer zahlen. Da hat doch Herr Rentsch recht: Wenn die Kommunen unterfinanziert sind, dann wird eben die Grundsteuer erhöht.

Das wollen wir nicht. Wir wollen nicht, dass die Bürger in den Kommunen durch höhere Gebühren und eine höhere Grundsteuer am Ende die Zeche zahlen. Wir wollen auch nicht, dass die Mehrwertsteuer weiter erhöht wird, weil sie eine unsoziale Steuer ist. Man muss doch an die Vermögen heran, wenn man feststellt, dass wir eine Einkommensentwicklung haben, die zu einer zunehmenden Einkommensungleichheit führt – das zeigen alle Untersuchungen. Die Schere zwischen Arm und Reich geht auseinander, und wir haben hohe Vermögen, die unglaublich schnell wachsen. Wer sehr viel Geld hat und das nicht für 0,5 % auf sein Girokonto legt – wenn man überhaupt noch so viel bekommt –, hat sehr viel höhere Renditen.

Wir leben in einer der reichsten Volkswirtschaften der Welt. Solange der Reichtum so ungerecht verteilt ist, dass der Staat seinen elementarsten Aufgaben in den Kommunen zum Teil nicht nachkommen kann, so lange muss man darüber reden, dass Umverteilen zwingend notwendig ist. Deswegen werbe ich noch einmal dafür: Lassen Sie uns eine Anhörung machen, lassen Sie uns doch wenigstens darüber reden, was das Land Hessen auf dem Weg zu einer gerechteren Steuerpolitik machen könnte. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Wissler. – Als nächster Redner hat sich Kollege Schäfer-Gümbel von der SPD-Fraktion zu Wort gemeldet. Bitte schön, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch ich will mich in der zweiten Runde zu wenigen Bemerkungen hinreißen lassen. Ich möchte mich auf vier Überschriften konzentrieren.

Erstens. Ich will mich wiederholen: Die zunehmende Ungleichheit verhindert Wachstum und Wohlstand. Das ist die zentrale Erkenntnis aller Wirtschaftsforschungsinstitute, die sich in den letzten zwölf Monaten zu der Frage der Verteilungswirkung auf die ökonomische Situation geäußert haben. Das gilt für die OECD, das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung und viele andere. Herr Schäfer, insofern ist die Frage der Verteilungsinstrumente in der Tat richtig gestellt.

Ich will das meinerseits sehr klarstellen, weil ich den Braten zehn Meilen gegen den Wind rieche. Wir haben ausdrücklich nicht gesagt, dass hohe und höchste Einkommen und Vermögen keinen Beitrag leisten sollen. Wir haben gesagt: Im Verhältnis zur Leistungsfähigkeit muss zumindest berechtigt die Frage aufgeworfen werden können, ob nicht mehr geht – angesichts der enormen Investitionsbedarfe, über die wir heute Morgen diskutiert haben: bei Straße, Schiene, Hochbau, Tiefbau, Kommunikation und Breitband.