Protokoll der Sitzung vom 13.07.2016

(Norbert Schmitt (SPD): Nicht schlecht!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn dies käme, wäre vieles von dem, was Sie heute Morgen mit uns an Debatte zu führen versucht haben, schlicht und einfach Schall und Rauch. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank. – Das Wort hat Staatsminister Schäfer.

Sehr verehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! In der Tat wird die Frage der steuerpolitischen Zielsetzung sicherlich die Auseinandersetzungen im Vorfeld der nächsten Bundestagswahlen in besonderer Weise prägen. Die Vorboten zeigen es schon: Die Sozialdemokraten versuchen sich an dieser Stelle zu positionieren.

Herr Schäfer-Gümbel, ich finde es auch richtig, dass Sie sagen: Wir lösen uns aus der allgemeinen wolkigen Diskussion um die Vermögensteuer heraus und legen einen konkreten Gesetzesvorschlag vor. – Ich freue mich, den gemeinsam anzuschauen, weil mir nämlich ein Stück die Fantasie fehlt, wie das am Ende zusammengehen soll, Betriebsvermögen zu verschonen, zumindest in der Dimension, dass es nicht zu einer Gefährdung von Arbeitsplätzen kommt, gleichzeitig aber 10 Milliarden € zu generieren und wiederum gleichzeitig die Menschen, die mittlere Einkommen oder Vermögen haben, zu verschonen. Ich fürchte, dass sich dieses Dreieck nicht gemeinsam aufbauen lassen wird.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Doch! – Zuruf des Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE))

Lassen Sie mich aber vielleicht eines vorweg sagen. Es ist keineswegs so, dass die stärkeren Schultern in Deutschland keine höhere Last tragen. Man kann darüber streiten, ob die Last hoch genug ist. Aber so zu tun, als trügen sie keine höhere Last, widerspricht den Fakten.

(Beifall bei der CDU und der FDP sowie bei Abge- ordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der SPD)

Um sich ein bisschen mit den Zahlen zu beschäftigen: Die einkommensstärksten 10 % der Einkommensteuerpflichtigen

(Norbert Schmitt (SPD): Der Einkommensteuerpflichtigen!)

das sind diejenigen, die etwas mehr als 70.000 € im Jahr versteuern – tragen 55 % des gesamten Einkommensteuervolumens, also mehr als die Hälfte. 10 % tragen mehr als die Hälfte,

(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

obwohl sie nur etwas mehr als ein Drittel des gesamten Einkommens haben. Das heißt, sie tragen mehr als andere. Jetzt kann man über die Frage diskutieren: Will man ihnen noch mehr aufladen zur Finanzierung des Gemeinwohls?

(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Das ist eine Diskussion, die man führen kann. Man sollte sie an der Stelle aber nicht bestreiten.

Ich kann jetzt die zweite Frage stellen: Macht der ganze Aufwand für ein angestrebtes Volumen von 10 Milliarden € vor dem Hintergrund eines Gesamtsteueraufkommens von 670 Milliarden € einen Sinn?

(Norbert Schmitt (SPD): 800 Millionen €!)

Wenn Sie wollen, dass die starken Schultern mehr tragen, ist es dann nicht klüger, dass Sie eine Diskussion darüber

führen, ob beispielsweise Spitzensteuersatz, Reichensteuer oder Ähnliches erhöht werden sollen?

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Das kann am Ende stehen!)

Wäre das nicht eine Alternative, über die man sich diese Frage ersparen kann? Dann kann man die Diskussion führen.

Ich bin immer noch dagegen, aber auf jeden Fall scheint mir, dass diese Diskussion sinnvoller zu führen ist. Denn bei der Vermögensbesteuerung gibt es die Frage, an der bisher immer alles gescheitert ist: Wenn ich Betriebsvermögen einbeziehe, gefährde ich Unternehmen in der Substanz. Nehme ich es heraus, muss ich das verbleibende Privatvermögen in einer Dimension besteuern, dass wir am Ende bei „Oma ihr klein Häuschen“ ankommen

(Zurufe von der SPD und der LINKEN: Oh!)

Vorsicht –, weil wir insbesondere bei den Wertverhältnissen von Immobilien – da komme ich auf einen Kern des Problems – beträchtliche Unterschiede haben. Nehmen wir den Inhaber einer selbst genutzten Immobilie in Kassel mit Herstellungs- oder Wiederherstellungskosten von ungefähr 1.000 € je Quadratmeter Wohnfläche. Bei dem gleichen Haus hier in Wiesbaden sind wir bei 2.200 € je Quadratmeter Wohnfläche. Das ist das Problem.

(Norbert Schmitt (SPD): Dann muss die Grenze deutlich darüber liegen!)

Wenn Sie beide gleich behandeln, weil sie formal die gleiche Vermögensposition haben, behandeln Sie sie trotzdem ungleich, weil die Menschen nichts dafür können, ob sie das Haus in Wiesbaden oder in Kassel haben und zufälligerweise das eine zu dem Zeitpunkt, zu dem es besteuert werden soll, mehr wert ist als das andere. Das ist am Ende ein Punkt, der mit Art. 3 Grundgesetz nach meiner Lesart extrem schwer zu vereinbaren wäre.

(Beifall bei der CDU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der FDP)

Schauen wir einmal, wie es sich mit der Vermögensteuer, nachdem sie in Deutschland nicht mehr erhoben werden durfte, international entwickelt hat. Es gibt unter den Industriestaaten nur noch drei, die eine Vermögensteuer erheben. Das sind Frankreich, Norwegen und die Schweiz. Alle anderen Industriestaaten haben sie entweder noch nie gehabt, oder sie haben sie in der Zwischenzeit abgeschafft, weil sich moderne Steuersysteme von den sogenannten Sollertragsteuern gelöst haben und sich hingewendet haben zur konsequenteren Besteuerung der Erträge aus den Vermögenswerten. Denn ein Vermögenswert als solcher bringt mir nichts, wenn ich keine Erträge daraus schöpfen kann.

Wenn ich die Vermögensbesteuerung eines Barguthabens heute ansetze, wo ich für das Kontoguthaben nahezu nichts bekomme oder sogar noch etwas dafür zahlen soll, ist die Besteuerung viel höher, als wenn der gleiche Steuersatz zu einer Zeit angesetzt wird, in der wir Zinserträge von 7 bis 10 % gehabt haben. Das heißt, es ist sehr viel klüger, an dem jeweiligen Ertrag des Vermögens, wo immer das Vermögen gebunden sein soll, anzuknüpfen, als sich darauf zu konzentrieren, wie viel Vermögen als solches da ist.

Ein weiteres Argument ist eben in der Diskussion noch einmal betont worden: dass wir uns sehr bemüht haben, die Eigenkapitalkraft unserer Unternehmen zu stärken. Das ist riesig erfolgreich gewesen. Die Eigenkapitalkraft des deut

schen Mittelstands ist selbst über die große Krise 2008/ 2009 hinweg ziemlich nachdrücklich gewachsen. Wir sind mittlerweile bei 17, 18 oder 20 % Eigenkapitalstärke.

Wenn ich aber das Eigenkapital als Vermögen besteuere, bestrafe ich diejenigen Unternehmen, die Eigenkapital thesauriert haben, im Verhältnis zu denen, die sich überwiegend fremdfinanziert betätigt haben. Auch das spricht eher dafür, sie nicht einzuführen.

(Beifall bei der CDU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der FDP)

Lassen Sie mich ein letztes Argument hinzufügen. Wenn man denn 10 Milliarden € brutto generieren wollte, müsste man nach Art. 3 Grundgesetz sicherstellen, dass die Vermögenswerte aller Beteiligten in sehr engen Zeitabständen aktualisiert bewertet werden.

(Zuruf der Abg. Nancy Faeser (SPD))

Das heißt, wir brauchen eine nahezu jährliche Vermögensfeststellung, und zwar komplett. Auf der Immobilienseite wird es ein Riesenproblem. Ich kann Ihnen da etliches aus der Debatte um die Neuordnung der Grundsteuer erzählen.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Das ist so!)

Zweiter Punkt. Auch das gesamte Privatvermögen ist dann in sehr engen Abständen zu erfassen,

(Zuruf der Abg. Nancy Faeser (SPD))

vom Rembrandt zu Hause bis zu weiteren Vermögenswerten. Vollzugsdefizite sind da vorprogrammiert. Deshalb glaube ich, dass am Ende der Aufwand, der dahinter steckt, zu groß ist. Nicht umsonst – Herr Schäfer-Gümbel, wahrscheinlich ist Ihnen das eben nicht ganz präsent gewesen – hat der Vertreter der Deutschen Steuer-Gewerkschaft bei Ihrer eigenen Anhörung vorgetragen, dass er den Vollzugsaufwand bei der Vermögensteuer für tendenziell unvertretbar hält. Alle diejenigen, die sich mit der Praxis der Steuererhebung beschäftigen, sind an der Stelle eher skeptisch.

Meine Damen und Herren, deshalb glaube ich, dass die Debatte um die Vermögensteuer eher eine psychologischpolitische sein soll, nach dem Motto: Die Reichen sollen mehr bezahlen als die Armen. – Das ist eine legitime politische Debatte. Darüber kann man streiten. Aber es ist aus meiner Sicht das völlig falsche Instrument.

Diskutieren Sie die Frage an der Höhe der Einkommensteuer. Dann, finde ich, muss man sehr ordentlich über die Frage diskutieren, ob wir in unserem jetzigen Verständnis jemandem, der 53.000 € im Jahr versteuert, in der gegenwärtigen Lage erklären müssen, er sei ein Spitzenverdiener. Das fände ich extrem ungerecht im Hinblick auf diejenigen, die die Leistungsträger in dieser Gesellschaft sind.

Lassen Sie uns über die Frage diskutieren, wie wir Einkommensteuertarife verändern zugunsten derjenigen, die im Moment das Rückgrat des Mittelstandes, der Gesellschaft sind. Da ist sicherlich vieles möglich. Ich gehöre nicht zu denen, die sich verbunkern und sagen, dass jede Steuererhöhung an einer bestimmten Stelle unvertretbar ist, wenn es an einer anderen Stelle zu einer ordentlichen Erleichterung kommt. Ich finde, das muss man sehr pragmatisch diskutieren. Aber lassen Sie die Finger von der Vermögensteuer. Sie bringt materiell so gut wie nichts. Meiner Ansicht nach sorgt das am Ende nur für eine schiefe Diskussion. Die können wir uns ersparen. Wir sollten uns auf die wesentlichen Fragen konzentrieren. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Vielen Dank. – Wir haben eine zweite Runde. Es spricht Herr Kollege Rentsch, FDP-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin dem Finanzminister dankbar, dass er so ordnungspolitisch sauber in dieser Debatte aufgetreten ist. Ich kann mich an Zeiten erinnern, da war der hessische Finanzminister bei Vorschlägen zur Steuererhöhung auf Landesebene nicht gerade die Triebfeder. Vielmehr war das Gegenteil der Fall. Herr Kollege Schäfer, wenn der hessische Finanzminister Einnahmen mehren kann, sind Sie schon vorne dabei. Das ist aus Ihrer Sicht legitim.

(Beifall bei der FDP)

So stark, wie Sie da sind, kann Sie da keiner überholen. Das sage ich ganz offen. Diese Rolle bleibt Ihnen auch.

Ich glaube, dass Sie beim Thema Vermögensteuer recht haben. Herr Kollege Schäfer-Gümbel, ich glaube, es besteht kein Dissens, dass wir in Deutschland eine Debatte über die Frage führen können, wie das Vermögen verteilt ist und welche Schultern mehr als andere tragen müssen. Das kann man unterschiedlich bewerten.

(Vizepräsidentin Ursula Hammann übernimmt den Vorsitz.)