Protokoll der Sitzung vom 14.09.2016

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Landesregierung hat einen Gesetzentwurf zur Änderung des Heilberufsgesetzes eingebracht. Er regelt systemimmanent das, was nötig ist, weil das Gesetz bis zum 31. Dezember 2016 befristet ist.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die erforderliche Evaluierung stattgefunden hat und dass die Landesärztekammer, die Landeszahnärztekammer, die Landesapothekenkammer, die Landeskammer für psychologische Psychotherapeuten, die Jugendpsychotherapeuten, die Landestierärztekammer und viele weitere eine Fortführung des Gesetzes befürwortet haben sowie Änderungs- und Ergänzungsvorschläge zum geltenden Gesetz eingebracht haben. Die meisten davon hat die Landesregierung aufgenommen.

Mich interessiert tatsächlich, das, was Sie vorschlagen, in aller Fachlichkeit zu diskutieren. Aber von den Expertinnen und Experten sowie den Akteuren auf diesem Feld kam vor allem Zustimmung zu dem Gesetzentwurf. Es wurde auch nicht angemahnt, dass die Vorschläge nicht modern, nicht zukunftsweisend seien. Viele Vorschläge, die gemacht worden sind, wurden aufgenommen und umgesetzt. Insofern weiß ich nicht, ob das, was Sie gesagt haben, eine Kritik ist, sondern es wäre tatsächlich zu evaluieren, was „innovativ“ bedeutet – bei dem, was andere Länder anders machen, wie Sie gesagt haben.

Aber die Fragen, die Sie aufgeworfen haben, müssen nicht unbedingt in dem Gesetz beantwortet werden. Über die Themenblöcke, die Sie angesprochen haben, kann man diskutieren. Aber ich weiß nicht, ob sie im Zusammenhang mit diesem Gesetzentwurf diskutiert werden müssen.

Kollege Bartelt hat es ausführlich dargestellt, der Herr Minister auch. Ich muss es nicht unbedingt wiederholen. Von Weiterbildung über die Zulassung von privatärztlich niedergelassenen Ärzten bis hin zu anderen, ich nenne es despektierlich, Kleinigkeiten ist alles Notwendige geregelt, um dieses Gesetz fortzuschreiben, mit dem weit über 98 % der Akteure zufrieden sind. Insofern sehe ich keinen weiteren Änderungsbedarf; aber dazu sind Gesetzeslesungen und Anhörungen da. Wir sind sehr optimistisch, aber wir sind auch gespannt darauf, was es an Bemerkungen vom Fachpublikum dazu gibt. – Danke schön.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Bocklet. – Es liegen uns keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit sind wir am Ende der Debatte.

Wir überweisen den Gesetzentwurf Drucks. 19/3742 an den Sozial- und Integrationspolitischen Ausschuss zur Vorbereitung der zweiten Lesung.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf:

Erste Lesung des Gesetzentwurfs der Landesregierung für ein Gesetz zur Änderung des Hessischen Gesetzes über Betreuungs- und Pflegeleistungen – Drucks. 19/ 3743 –

Der Gesetzentwurf wird von Staatsminister Grüttner eingebracht. Bitte schön, Herr Staatsminister, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Hessische Gesetz über Betreuungs- und Pflegeleistungen, das 2012 das Bundesheimgesetz abgelöst hat, stellt die Interessen und den Schutz älterer pflegebedürftiger Menschen und volljähriger Menschen mit Behinderungen, die gegen Entgelt betreut und gepflegt werden, in den Mittelpunkt. Ziel des Gesetzes ist es, diese Menschen in ihrer Würde zu schützen und zu achten, vor Beeinträchtigungen ihrer körperlichen und seelischen Gesundheit zu bewahren, sie unter anderem in ihrer kulturellen und religiösen Selbstbestimmung zu unterstützen und ihr Recht auf gewaltfreie Pflege und Intimsphäre zu schützen.

Wenn wir uns die demografische Entwicklung mit einer immer älter werdenden Gesellschaft und damit einem Anstieg der Zahl betreuungs- und pflegebedürftiger Menschen vor Augen halten, so ist dies ein Thema, das zunehmend an Bedeutung gewinnt und auf das wir zukunftsfähige Antworten brauchen. Mit dem Hessischen Gesetz über Betreuungs- und Pflegeleistungen haben wir Verbesserungen gegenüber dem damaligen Bundesheimgesetz erreicht und Maßstäbe gesetzt. Dies haben uns die letzten drei Jahre, in denen wir Erfahrungen sammeln konnten, bestätigt. Einige der Fortschritte möchte ich in Erinnerung rufen.

Erstens. Zusätzlich zur stationären Pflege wurde die ambulante Pflege und Betreuung in den gesetzlichen Anwendungsbereich einbezogen. Ich erinnere an die Diskussion, die wir insbesondere mit dem Verband privater Anbieter von Pflegeeinrichtungen an dieser Stelle gehabt haben.

Zweitens. Die Teilhabe bei Betreuungs- und Pflegebedürftigkeit steht ebenso im Mittelpunkt wie der Schutzaspekt, das Recht auf eine gewaltfreie Pflege und der Schutz der Intimsphäre.

Nach nunmehr dreijähriger Erfahrung mit der Anwendung des hessischen Gesetzes haben wir das Gesetz evaluiert und die Gelegenheit genutzt, die bisherigen Erfahrungen auszuwerten und an der einen oder anderen Stelle nachzujustieren. Grundsätzlich gilt, und das hat auch die Anhörung von über 100 Verbänden und Organisationen ergeben, dass sich das Gesetz bewährt hat. Die Verbände der Betroffenen wünschen sich natürlich mehr Anforderungen, die ein solches Gesetz beinhalten soll, als die Verbände der Anbieter und Betreiber, die sich für geringere Anforderungen aussprechen. Dieser Interessengegensatz begegnet uns oft, und es ist unsere Aufgabe, hier einen vernünftigen Kompromiss zu finden. Ich denke, dass uns dies durch das vorliegende Gesetz gelungen ist.

Wir haben eine Klarstellung im Bereich der Gewaltprävention vorgenommen. Nunmehr werden Schulungsverpflichtungen und die Erstellung einer Konzeption auferlegt, die den gesamten Bereich der Gewaltprävention betreffen und nicht mehr ausschließlich freiheitsentziehende Maßnah

men. Wir kennen alle die Studie „Lebenssituation und Belastungen von Frauen mit Behinderungen und Beeinträchtigungen in Deutschland“. Diese Studie hat ergeben, dass insbesondere Frauen, die in Einrichtungen der Behindertenhilfe wohnen, einem erhöhten Risiko ausgesetzt sind, Opfer sexueller Übergriffe zu werden. Hier haben wir im Gesetz besondere Vorkehrungen zusätzlich zu den vorhanden getroffen, die diese Frauen schützen sollen.

Aus der Evaluation hat sich darüber hinaus die Möglichkeit zum Bürokratieabbau ergeben. Durch die Einbeziehung der ambulanten Strukturen waren bereits zeitaufwendige Prüfverfahren, ob bestimmte Wohnformen in das Gesetzgebungsvorhaben oder den Geltungsbereich des Gesetzes fallen, entbehrlich. Zusätzlich entfällt nun die Anzeigepflicht ambulanter Dienste für Personaländerungen. Sie müssen nunmehr nur noch jährlich statt vierteljährlich mitgeteilt werden. Wir sind auch dabei, die Frage der Prüfintervalle von Heimaufsicht auf der einen Seite und Medizinischem Dienst der Krankenversicherungen auf der anderen Seite zu überprüfen. Hierzu gibt es ein Modellprojekt in Hessen. Wir warten auf die Ergebnisse, um dann zu sehen, ob wir sie in Gesetzesform überführen müssen.

Wir haben damals sehr intensiv diskutiert, ob in Einrichtungen, insbesondere in psychiatrischen Einrichtungen, wo häufig Menschen leben, die nicht mehr selbstbestimmt entscheiden können, ein Angehörigenbeirat gebildet werden soll oder muss. Wir haben in der Zwischenzeit festgestellt, dass es an dieser Stelle kaum ein Interesse von Angehörigen gibt. Deswegen wollen wir im Interesse einer Erleichterung aus einer Sollvorschrift eine Kannvorschrift machen. An dieser Stelle kommt es auf die Angehörigen an; denn das Gesetz muss den Angehörigen nach wie vor die Möglichkeit einräumen, einen solchen Beirat zu gründen. Die Interessenvertretung der Bewohnerinnen und Bewohner einer solchen Einrichtung ist mit dem Gesetz sowieso gut abgesichert.

Das Hessische Gesetz über Betreuungs- und Pflegeleistungen hat sich mehr als bewährt. Wir haben in dem Änderungsgesetzentwurf Erfahrungen und neue Entwicklungen aufgegriffen und werden so ein zukunftsfähiges Gesetz schaffen und weiterentwickeln, in dem der pflege- und betreuungsbedürftige Mensch im Mittelpunkt steht.

Ich bin gespannt auf die Diskussion im Ausschuss. – Danke schön.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Staatsminister Grüttner. – Ich eröffne die Debatte. Als Erste hat sich Frau Dr. Sommer von der SPD-Fraktion zu Wort gemeldet. Bitte schön, Frau Kollegin, Sie haben das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, werte Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Grüttner, in der Problembeschreibung gehen Sie darauf ein, „dass sich das Gesetz im Wesentlichen bewährt“ habe – das haben Sie auch eben gesagt –, „wenngleich sich auch Änderungsbedarfe ergeben“. Änderungsbedarfe sieht auch die hessische SPD. Wir sind sehr froh, dass Sie sich nun endgültig von dem Tenor des bis

lang geltenden Gesetzes verabschieden, wonach ältere und pflegebedürftige Menschen vor Pflegekräften geschützt werden müssten. Das begrüßen wir sehr. Das war, wie Sie wissen, ein entscheidender Kritikpunkt in der vergangenen Legislaturperiode. Seinerzeit hatte die SPD-Landtagsfraktion einen Änderungsantrag eingebracht und gefordert, diesen § 8, der das Engagement der Pflegekräfte diskriminiert hatte, zu streichen.

(Beifall bei der SPD)

Sie hätten bereits im Februar 2012 darüber entscheiden und unserem Antrag zustimmen können.

Nun gibt es einen neuen § 8, zuvor § 5, mit der Überschrift „Vermeidung freiheitsentziehender Maßnahmen“. Im ersten Moment dachte ich, Sie hätten sich bei all Ihren Gesetzentwürfen vielleicht im Gesetz geirrt, weil man so einen Paragrafen eher im PsychKG vermutet, das wir im Anschluss besprechen werden.

(Minister Stephan Grüttner: Nein, das hat dort schon seinen Sinn!)

Dazu komme ich auch. – Der Paragraf darf aber nicht dazu führen, dass freiheitsentziehende Maßnahmen durch das Gesetz als legitim erscheinen. In der professionellen Pflege können freiheitsentziehende Maßnahmen in Ausnahmesituationen zum Einsatz kommen. Hier gilt es jedoch, Maßnahmen immer nur zum Wohl der Person anzuwenden, um z. B. krankheitsbedingte Lebensgefahr oder erhebliche Gesundheitsschädigung abzuwenden. Ein Einsatz zur Erleichterung der Pflege, z. B. um den Zeitaufwand für die Betreuung zu verringern, ist somit keinesfalls zulässig.

(Beifall bei der SPD)

Grundsätzlich sollten jedoch, wie im PsychKG, freiheitsentziehende Maßnahmen immer das letzte Mittel der Wahl sein; denn sie können auch schwerwiegende Folgen haben, z. B. eine stärkere Unruhe, Aggression oder sogar Halluzinationen. Statt solcher Maßnahmen ist nach unserem Verständnis ein verantwortungsvoller Gesetzgebungsprozess notwendig, der den Wunsch nach Selbstbestimmung und den Schutz der Menschen, die von Hilfe abhängig sind, berücksichtigt sowie die Wünsche und Bedürfnisse der zu Pflegenden zum Ausgangspunkt der Begleitung und Pflege macht.

(Beifall bei der SPD)

Eine gute Pflege leistet nämlich genau das: Sie nimmt Wünsche auf und setzt sie um. Um das dauerhaft zu gewährleisten, muss die Selbstbestimmung in die täglichen Arbeitsabläufe integriert werden, und dazu braucht man mehr Personal.

(Beifall bei der SPD)

Nicht nur die hessische SPD, sondern auch der Ethikrat und der DBFK sowie andere fordern einen gesetzlich definierten Pflegepersonalschlüssel, auch in Heimen. Andere Länder haben hier bereits Fakten geschaffen. Dass nämlich Patientensicherheit und eine gute, risikoarme Versorgung mit der Pflegepersonalbemessung korrelieren, zeigen alle internationalen Studien, und das bestreitet auch niemand.

Im Zusammenhang mit der Patientenorientierung und der Selbstbestimmung möchte ich auch noch einmal auf die verschiedenen Wohn- und Einrichtungsformen zu sprechen kommen. Senioren-WG oder Mehrgenerationenhaus, betreutes Wohnen, ein Leben unter Palmen – die Frage, wie

man in der zweiten Lebenshälfte leben will, beschäftigt immer mehr Menschen und gehört zu den wichtigsten Vorbereitungen auf das Alter. Den Einzug in ein traditionelles Pflegeheim wollen viele so lange wie möglich hinauszögern.

Sie als Gesetzgeber verpassen es in Ihrem Entwurf leider erneut, auf die verschiedenen Wohn- und Einrichtungsformen entlang des Leistungsangebots einzugehen. Wohnangebote aber, die den besonderen Bedürfnissen von Pflegebedürftigen entgegenkommen, werden immer wichtiger. Wir wünschen uns dabei eine Differenzierung: Einrichtungen mit einem umfassenden Leistungsangebot – also die klassischen Seniorenheime –, solche mit einem eingeschränkten Leistungsangebot, wie Wohngruppen, betreutes Wohnen, Seniorenresidenzen oder auch Quartierskonzepte, und neue Wohnformen, wie selbst organisierte Wohngemeinschaft oder auch ambulante Hausgemeinschaften.

Mit dieser Einteilung kann zum einen die Vielgestaltigkeit der Einrichtungen abgebildet werden, und zum anderen können abgestufte und angepasste Regelungen für die verschiedenen Wohnformen gestaltet werden. Das gilt für trägerorganisierte sowie für private Angebote und für die entsprechenden ordnungsrechtlichen Anforderungen.

Man könnte beispielsweise auch über die Erhöhung der Quadratmeterzahl eines Bewohnerraums nachdenken. Dies fordern nämlich viele Engagierte. In Berlin beispielsweise wird das schon länger umgesetzt.

(Beifall bei der SPD)

Was die Einrichtungen betrifft, haben Sie – das freut uns sehr – einen Einrichtungsbeirat implementiert. Das steht jetzt in den §§ 4 und – neu – 5. Da haben Sie von uns abgeschrieben. Das ist nicht schlimm, sondern eher hilfreich.

(Beifall bei der SPD)

Zu bemängeln ist aber – darauf sind Sie eben schon eingegangen –, dass diese Soll- in eine Kannformulierung bezüglich der Angehörigen-, Betreuerinnen- und Betreuerbeiräte umgewandelt werden kann. Wir hätten lieber eine Sollformulierung; denn wir denken, ein Angehörigenbeirat bedeutet die Stärkung der persönlichen Rechte der Menschen, die in einem Heim leben.

Meine Damen und Herren, es hätte uns gefreut, wenn Sie mehr aus unserem damaligen Gesetzentwurf übernommen hätten, gerade weil die Koalition zum Teil von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gebildet wird, das vor vier Jahren seine Zustimmung dazu gegeben hat. Schön wäre auch eine Orientierung an anderen innovativen Landesgesetzen gewesen.

Ich betone noch einmal: Eine gute Pflege basiert auf individuellen Wünschen und Bedürfnissen der Pflegebedürftigen. Ein gutes Gesetz nimmt daher neue Entwicklungen und wissenschaftliche Erkenntnisse aus dem Pflegebereich auf und stellt die Achtung und die Würde der Menschen in den Mittelpunkt. Dafür setzen wir uns ein.

Wie Sie, Herr Minister Grüttner, bin ich auf die Anhörung gespannt. Ich freue mich auf die Auseinandersetzung über weitere wichtige Aspekte, wie die medizinische Versorgung, das Beschwerdetelefon und fehlende Rechtsverordnungen. Wir werden uns dafür starkmachen, dass Menschen, die Betreuungs- und Pflegeleistungen benötigen, im Alter gut versorgt werden und ihr Leben trotz Pflegebe

dürftigkeit weitgehend ihren Vorstellungen gemäß gestalten können. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)