Protokoll der Sitzung vom 14.09.2016

Die Diskussionen, die im Zusammenhang mit diesem Gesetzentwurf stehen, treffen weitere Bereiche, beispielsweise die Frage der Gewaltprävention. Ich finde es richtig und wichtig, dass jetzt konkrete Anforderungen an die Träger hinsichtlich Schulungsverpflichtungen und Erstellung von Konzeptionen gestellt werden. Das Thema Gewaltprävention wird bearbeitet. Es gibt auch Kritik an erweiterten Führungszeugnissen. Das wird eine spannende Diskussion. Zur Debatte steht auch, wie weit der Anwendungsbereich bei der Palliativversorgung ist. Das ist eine fachpolitisch komplexe Diskussion.

Ich finde, der erste Entwurf, der hier vorgelegt worden ist, ist sehr gelungen. Er hat die zwei wichtigen politischen Themen richtig und gut benannt. Herr Dr. Bartelt, ich kann mir vorstellen, wie wir das als Regierungsfraktionen immer gemacht haben: Wir hören bei den Anhörungen aufmerksam zu. Wenn es berechtigte und nachvollziehbare Kritik gibt, sind wir die Letzten, die das nicht aufgreifen würden und in einem Änderungsantrag einbringen würden. – Ich bin gespannt auf die Anhörung. Wir bedanken uns für die Einbringung.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Bocklet. – Als nächste Rednerin spricht Frau Kollegin Klaff-Isselmann von der CDUFraktion. Bitte schön, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Jeder von uns kennt einen Menschen, der betreut oder gepflegt werden muss. Vielleicht ist es ein Familienmitglied, der eigene Vater oder die eigene Mutter. Oft genug ist es auch jemand, der keine Angehörigen mehr hat, die sich engmaschig um ihn kümmern können, sei es wegen einer zu großen räumlichen Trennung oder wegen einer nicht zu bewältigenden persönlichen Überforderung.

Pflege und Betreuung sind kostspielig. Die Betroffenen sind dem Prozess ausgeliefert. Wer also schützt die Interessen älterer Menschen, pflegebedürftiger volljähriger Menschen und volljähriger Menschen mit Behinderungen, die gegen Entgelt betreut oder gepflegt werden? – Frau Dr. Sommer, im Übrigen sehe auch ich keine Festlegung auf eine bestimmte Wohnform. Dem wird hier nicht das Wort geredet, anders als Sie glauben es zu lesen.

Dieses Gesetz schützt die Interessen jener von mir benannten Personen, und zwar unter Beachtung der Würde des Menschen. Frau Dr. Sommer, Sie sollten nicht den Eindruck erwecken wollen, dass dies infrage gestellt sein könnte. Das halte ich für unlauter.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Lassen Sie eine Zwischenfrage von Frau Dr. Sommer zu?

Nein, das möchte ich nicht.

Das Hessische Gesetz über Betreuungs- und Pflegeleistungen tritt Ende des Jahres außer Kraft, also müssen wir jetzt darüber reden, was zu tun ist. Das Gesetz soll allerdings nicht ersetzt und völlig neu aufgelegt werden. Wir sind der Meinung, dass dieses hessische Gesetz hervorragend ist und sich im Wesentlichen bewährt hat.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Darum soll es nach der entsprechenden Evaluation nun mit geringfügigen Veränderungen bis 2024 gelten.

Im Vorfeld wurden zahlreiche Verbände angehört; wir haben das schon gehört. Sie gaben ihre Stellungnahmen mit ihren spezifischen Wünschen und Anforderungen gegenüber dem Sozialministerium ab.

Einige Änderungen, die wir nun vornehmen, sind redaktioneller Art. Andere sollen bereits formulierte Aspekte konkreter fassen. Vor allem aber sollen neuere Entwicklungen und Erkenntnisse berücksichtigt werden, so beispielsweise im Bereich der Gewaltprävention.

Betreuungs- und pflegebedürftige Menschen müssen in jeder Form vor Gewalt, Ausbeutung und Missbrauch geschützt werden. Daher sollen freiheitsentziehende Maßnahmen auf das notwendigste Maß reduziert werden, selbstverständlich unter Beachtung des Schutzes der Selbstbestimmung, Frau Dr. Sommer. Das ist klar.

Vielmehr soll die Gewaltprävention den gesamten Bereich der Pflege- und Behindertenhilfe umfassen. Hierbei sollen die Einrichtungen mitwirken und Konzepte entwickeln, wie Gewalt frühzeitig verhindert werden kann. Besonders Frauen sind leider oftmals Opfer von Gewalt in Einrichtungen. Dies schließt auch sexuelle Übergriffe nicht aus. Daher hat sich dieses Gesetz besonders dem Schutz der behinderten und pflegebedürftigen Frauen verschrieben.

Um das Risiko von Übergriffen zu mindern, erhalten diese Frauen in stationären Einrichtungen künftig die Möglichkeit, eine Vertrauensfrau zu wählen. Diese Vertrauensfrau soll den Frauen als unabhängige und neutrale Person beistehen und Hilfestellung leisten.

Ich möchte an dieser Stelle, weil ich besonders durch die Äußerungen von Frau Schott den Eindruck gewonnen habe, dass in solchen Debatten die Pflege deutlich schlechtgeredet wird, noch einmal erwähnen, welch hervorragende Leistungen in der Pflege erbracht werden. Dies möchte ich auch noch einmal besonders lobend herausstellen.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Gesetzesänderung sieht zudem den Abbau bürokratischer Hindernisse vor. So sind Anzeigen für Personaländerungen nicht mehr quartalsweise nötig, sondern jährlich. Bei ambulanten Diensten entfällt die Anzeigenpflicht sogar völlig. Liegt zudem ein aktueller Prüfbericht des Sozialhilfeträgers vor, kann der Umfang der regelmäßigen Überprüfung von stationären Einrichtungen durch die Betreuungsund Pflegeaufsicht reduziert werden.

Meine Damen und Herren, es gibt keine Alternative zu diesem Gesetz. Die Vorteile liegen klar auf der Hand. Wir hoffen auf Zustimmung aller Interessenverbände. Behinderte und pflegebedürftige Menschen werden noch besser geschützt.

Nicht zuletzt: Das Gesetz wird sich auch künftig am hohen Maß der UN-Behindertenrechtskonvention orientieren. Daher bitten wir um Ihre Zustimmung. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Gerhard Merz (SPD))

Vielen Dank, Frau Kollegin Klaff-Isselmann. – Es liegen keine Wortmeldungen mehr vor. Damit sind wir am Ende der Debatte.

Zur Vorbereitung der zweiten Lesung überweisen wir den Gesetzentwurf Drucks. 19/3743 an den Sozialpolitischen Ausschuss.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 8 auf:

Erste Lesung des Gesetzentwurfs der Landesregierung für ein Gesetz zur Regelung des Rechts der Hilfen und Unterbringung bei psychischen Krankheiten – Drucks. 19/3744 –

Eingebracht wird der Gesetzentwurf von Staatsminister Stefan Grüttner. Bitte schön, Herr Staatsminister, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir zu Beginn der Einbringung eine sehr persönliche Anmerkung. Ich bin seit vielen Jahrzehnten in der Sozialpolitik aktiv. Ich bin vor 25 Jahren als Mitglied einer Oppositionsfraktion in den Landtag eingezogen, mit dem klaren Ziel, ein Gesetz zur Hilfe psychisch Kranker zu schaffen

(Zuruf des Abg. Günter Rudolph (SPD))

und das auf dem Ordnungsrecht basierende Hessische Freiheitsentziehungsgesetz abzulösen. Diese Diskussion hat mich in all den Jahren begleitet. Es ist unabhängig von der politischen Couleur auch schon zum damaligen Zeitpunkt bei Ankündigungen und Absichtserklärungen geblieben, ein solches Gesetz zu schaffen. So ist immer noch festzustellen, dass wir im Jahr 2016 immer noch ein Hessisches Freiheitsentziehungsgesetz haben. Das ist ein polizei- und ordnungsrechtlich orientiertes Gesetz, das 1952 in Kraft trat, also 23 Jahre vor der Psychiatrieenquete und 36 Jahre vor dem Bericht der Expertenkommission zur Umsetzung der Psychiatriereform in Deutschland.

Es ist wichtig, dass in den Koalitionsvereinbarungen für diese Legislaturperiode ein entsprechender Passus formuliert worden ist, der nun auch umgesetzt werden kann. Das finde ich ausgesprochen erfreulich. Denn es ist ein Meilenstein in der Verbesserung der Versorgung psychiatrisch hilfebedürftiger Menschen in Hessen. Nach 64 Jahren ist es gelungen, das Hessische Freiheitsentziehungsgesetz abzulösen und ein Gesetz zu schaffen, das den heutigen Ansprüchen an eine moderne und bedarfsgerechte psychiatrische Versorgung gerecht wird. Hilfen wird der Vorrang

vor Zwang und freiheitsentziehenden Maßnahmen eingeräumt.

Es ist die Abkehr vom Ordnungsrecht hin zum Hilfegesetz. Es werden erstmals Hilfen und Schutzmaßnahmen für psychisch kranke Menschen in zusammengeführter Form gesetzlich geregelt. Es wird eine Rechtsgrundlage für vorsorgende und nachsorgende Hilfen mit dem Ziel geschaffen, die Unterbringung möglichst zu vermeiden. Die Priorisierung ambulanter Hilfen bildet hierbei einen Schwerpunkt.

Alle Maßnahmen dienen dem Zweck, die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen, zu erhalten und wiederherzustellen, Wiedereingliederung zu erleichtern und zu fördern. Diese Hilfen sollen dann individuell personenzentriert und passgenau erfolgen. Von besonderer Relevanz ist die Einbeziehung psychiatrieerfahrener Personen sowie deren Angehöriger, also die Umsetzung eines eher dialogischen Ansatzes. Selbsthilfe ist ein wichtiger Baustein in der Versorgung, genauso wie Peer-Angebote.

Die Kommunen erhalten neue Aufgaben. Die Sozialpsychiatrischen Dienste sollen künftig im Vorfeld drohender Unterbringung in einem gestuften Verfahren tätig werden, um genau diese Unterbringung zu verhindern. Außerdem sollen sie Angebote vor Ort koordinieren und steuern, zusammen mit allen an der Versorgung Beteiligten. Hierfür erhalten die Kommunen einen Mehrbelastungsausgleich.

Es wäre schön, wenn die Psychiatrie auf jede Form von Zwang verzichten könnte. Ich kann mir schon den einen oder anderen Debattenbeitrag vorstellen, der sagt: Es sind immer noch Zwangsmaßnahmen in diesem Gesetz vorhanden, das ist ganz schlimm und fürchterlich. Das ist rückgekehrt und kein modernes Gesetz.

Ich will an dieser Stelle schon sagen: In den letzten Jahren wurden verstärkt Konzepte zur Minimierung von Zwangsmaßnahmen in der Psychiatrie entwickelt, und das mit gutem Erfolg. Aber noch immer können wir nicht ausschließen, dass – hoffentlich in ganz wenigen Fällen – gegen den natürlichen Willen der betroffenen Personen gehandelt werden muss. Menschen, denen krankheitsbedingt die Einsicht fehlt, dass sie behandlungsbedürftig sind und Hilfe brauchen, sind auf Unterstützung angewiesen. Wer das negiert, hat den Zweck von psychiatrischen Hilfen schlicht und einfach nicht verstanden. Es ist nach wie vor notwendig. Es ist auf ein Minimum zu konzentrieren, gar keine Frage. Hilfestellungen ist Vorrang zu geben.

Ich mache es an einem plastischen Beispiel deutlich, weil manche sich das vielleicht nicht vorstellen können. Wenn jemand auf dem Dach eines Hochhauses steht und mir zeigen will, dass er fliegen kann – nicht in der Absicht, sich selbst zu töten –, dann braucht er schlicht und einfach Intervention und Hilfe, wenn in diesem Moment die Selbsteinsicht fehlt, in welche Situation er sich bringt.

An einer solchen Stelle muss es eine Zwangsmaßnahme geben, und zwar im Interesse der Schutzbedürfnisse der betroffenen Person. Auf diesen Bereich bezieht sich das letztendlich.

(Beifall bei der CDU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der FDP)

Deshalb gibt es in dem vorliegenden Gesetzentwurf verfassungskonforme Regelungen zur Unterbringung und Behandlung gegen den Willen der betroffenen Person. Da es sich hier in der Tat um Grundrechtseingriffe handelt, werden die Träger der psychiatrischen Krankenhäuser künftig

beliehen und die Ärzte bestellt, um die demokratische Legitimationskette zu gewährleisten.

Gerade im Bereich der Grundrechtseingriffe ist der Rechtsstaat gefordert, Regelungen zu treffen. Da darf es keine Grauzonen geben. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf die Entscheidung des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Juli dieses Jahres, der unter Bezug auf Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz ausdrücklich die Schutzpflicht des Staates betont, für nicht einsichtsfähige Betreute bei drohenden erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen unter strengen Voraussetzungen eine ärztliche Behandlung als letztes Mittel auch gegen deren natürlichen Willen vorzusehen. Diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist sozusagen das, was sich in unserem Gesetzentwurf wiederfindet. An genau dieser Stelle setzt das an. Wer das negiert, verliert den schutzbedürftigen Menschen aus seinem Blick.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Während der gesamten Erarbeitung war das im Ministerium zuständige Referat unter Beteiligung des Staatssekretärs durch einen Beirat unterstützt, der uns beraten hat, insbesondere bei der Formulierung und Erarbeitung des Gesetzentwurfs, und auch um als Transmissionsriemen zu der kommunalen und der klinischen Ebene zu wirken. Er hat uns sehr stark unterstützt in der Erarbeitung des Gesetzentwurfs. Natürlich ist auch das zuständige Referat zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention einbezogen gewesen. All die Fragen von Freiheitsentzug, Behandlung und dem, was damit zusammenhängt, wurden sehr intensiv fachlich diskutiert und abgestimmt.

Einen weiteren Schwerpunkt bildet die Stärkung der Patientenrechte. Neben den Patientenfürsprechern wird es Besuchskommissionen und in jeder Gebietskörperschaft eine unabhängige Beschwerdestelle geben.

Der vorliegende Gesetzentwurf wurde, wie schon ausgeführt, im Vorfeld mit allen Beteiligten diskutiert. Wir halten es für unbedingt notwendig. Deshalb wird der hessische Fachbeirat Psychiatrie nun auch gesetzlich verankert, um klarzustellen, dass in der weiteren Beobachtung und Ausführung des Gesetzes die Fachexpertise Berücksichtigung findet.

Es ist gelungen, umfassende Hilfen für psychisch kranke Menschen gesetzlich zu regeln, Maßnahmen bei Eigenund Fremdgefährdung rechtssicher zu gestalten. Im Gesetz ist darüber hinaus eine Reihe von Berichtspflichten verankert, sodass sich die Datenlage für das Versorgungsgeschehen in Hessen erheblich verbessern wird.

Ich bin überzeugt, dass die Umsetzung des PsychischKranken-Hilfe-Gesetzes in Hessen einen großen Fortschritt darstellt. Wir haben die kommunale Ebene bewusst gestärkt; denn dort leben die Menschen, dort werden die Hilfen erbracht. Wir als Land werden diesen Prozess eng begleiten; denn nur durch Kooperation und Kommunikation aller Beteiligten wird sich zugunsten der Menschen, die dieser Hilfestellungen bedürfen, tatsächlich etwas ändern. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit.