Protokoll der Sitzung vom 11.10.2016

Ich sage Ihnen auch gleich, warum. Völlig offen bleibt, wie die Landesregierung gedenkt, individuelle Förderungen in allen Schulformen auszubauen, damit kein Kind zurückbleibt und jedes Kind zu einem qualifizierten Schulabschluss geführt wird. Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit kommen auf diesem Weg nicht voran. Jetzt hören Sie bitte zu: Dabei ist dies eine der wichtigsten Voraussetzungen für das spätere Berufsleben und damit für die Gewinnung neuer junger Fachkräfte.

(Beifall bei der SPD)

Des Weiteren stellt sich für uns die Frage, wie es denn in Hessen hinsichtlich der Kosten und der Effizienz bei den Ausgaben für Ausbildungsförderung aussieht. Auch hier ist eine Vielzahl von Maßnahmen zu verzeichnen. Eine grundlegende Evaluation aller Bildungsangebote des sogenannten Übergangsbereichs und der vollschulischen Ausbildung ist aber anscheinend bisher nicht erfolgt. Die SPDFraktion hat dies zum Anlass genommen, eine Große Anfrage auf den Weg zu bringen, um Nutzen und Wirkung überhaupt einmal herauszufinden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir wollen wissen, welche Maßnahme wirkt. Oder es kommt Ihnen am Ende nur darauf an, PR bei der Übergabe von Regierungsbescheiden zu machen? Meine Damen und Herren, es wird sich zeigen.

(Beifall bei der SPD)

Ein weiterer Baustein zur Eindämmung des Fachkräftemangels ist die Erwerbsbeteiligung älterer erfahrener Menschen, ein völlig richtiger Baustein. Herr Minister, Sie haben ihn auch völlig zu Recht an dieser Stelle angeführt. Dabei geht es aber nicht nur um den verstärkten Erhalt der Erwerbsfähigkeit und gezielte Weiterbildung: Es geht vor allem auch um nachhaltige Strategien zur Wiedereingliederung der älteren Arbeitslosen. Die Beschäftigung älterer Arbeitnehmer hat in den letzten zwei Jahren zugenommen. Das ist gut so, meine Damen und Herren. Aber es ist in erster Linie der guten Wirtschaftsentwicklung geschuldet. Auch das ist gut so.

(Beifall bei der SPD)

Außer der Feststellung, dass es hier Potenziale gibt, bietet der Statusbericht aus unserer Sicht leider keine ausreichend konkreten Ideen und Ansätze, mit welchen Maßnahmen die Beschäftigung älterer Menschen seitens des Landes flankierend unterstützt werden könnte. Auch an dieser Stelle bleiben Sie Antworten schuldig. Vermutlich werden Sie sagen, dass hierfür andere zuständig sind. Wir werden uns auch das näher anschauen.

Zum Fachkräftepotenzial von Menschen mit Behinderungen wird im Bericht ausgeführt, dass die Anzahl der schwerbehinderten Menschen in Beschäftigung in den letzten Jahren deutlich angestiegen ist. Von 93.800 im Jahr 2012 auf 95.100 im Jahr 2013. Ferner wird ausgeführt, dass die Bemühungen einer breiten Aufklärung über die Leistungsfähigkeit und Motivation von Menschen mit Behinderungen verstärkt fortzusetzen sind. Es wird auf die Träger der Arbeitsvermittlung und auf das Integrationsamt des Landeswohlfahrtsverbandes verwiesen. Des Weiteren heißt es, dass ebenso nachhaltige Strategien zur Wiedereingliederung von arbeitslosen Menschen mit Behinderungen in den Arbeitsmarkt zu verfolgen sind, sodass die Arbeitslosigkeit in diesem Bereich stark reduziert wird.

Wie sehen denn diese nachhaltigen Strategien aus Sicht der Landesregierung aus, meine Damen und Herren? Auch dazu haben wir heute nur Ungefähres von Ihnen gehört. Auf der Seite 34 des Berichts gibt es den Hinweis auf das Hessische Perspektivprogramm zur Verbesserung der Arbeitsmarktchancen schwerbehinderter Menschen, kurz genannt HePAS. Hier steht, dass im Zeitraum von 2014 bis 2016 insgesamt 30 Millionen € zur Verfügung gestellt werden. Gibt es denn schon Erkenntnisse über die Wirkung dieses Programms? – Es ist ja inzwischen – zum Jahresende hin – fast ausgelaufen. Wie genau soll das Anschlussprogramm

aussehen? Auch hierauf haben wir bisher keine Antwort erhalten. Wir gehen davon aus, dass wir auch das in naher Zukunft noch von Ihnen hören werden.

Im Statusbericht und in der Regierungserklärung nimmt die Gewinnung ausländischer Fachkräfte zu Recht großen Raum ein. Das ist notwendig und richtig. Selbst wenn wir alle inländischen Potenziale optimal gehoben haben, bleibt aufgrund des demografischen Wandels ein nicht unerhebliches Defizit an Fachkräften, das an dieser Stelle nur mit ausländischen Kräften geschlossen werden kann. Uns würden auch hierzu einmal konkrete Zahlen interessieren.

Ich erinnere mich ganz genau, dass vor wenigen Jahren mit großem Hallo Anwerbeabkommen mit der Region Madrid geschlossen worden sind. Viele von uns erinnern sich daran. Es ging unter anderem auch darum, Menschen für eine Ausbildung zu gewinnen.

Wie ist denn da eigentlich der Stand der Dinge? Ist das Land Hessen aus der gemeinsamen Anwerbestelle ausgestiegen? In Ihrem Redemanuskript war von einem Herrn Garcia aus Spanien die Rede. Ist er noch da? Oder ist er schon weg? – Wir wissen es nicht.

(Zuruf des Ministers Stefan Grüttner)

Wir werden aber sicherlich auch Näheres dazu hören, was es an dieser Stelle gebracht hat. An anderer Stelle hätte Ihre Partei ein herausragendes Signal setzen können, wenn sie den Mut gehabt hätte, sich für ein qualifiziertes Einwanderungsgesetz auszusprechen – wie es die SPD schon seit Langem fordert;

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

denn damit könnte man klare gesetzliche Rahmen setzen und vieles einfacher, transparenter und zielführender gestalten. Leider wehrt sich die Bundes-CDU noch dagegen. Ich weiß nicht, wie es bei der hessischen Union aussieht. Wir sagen Ihnen einfach: Werben Sie in Berlin dafür. Meine Damen und Herren, es wird Zeit, dass wir ein solches Gesetz auch in Deutschland haben.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Tobias Eckert (SPD))

Auch wenn wir wissen, dass Integration ein langer Prozess ist, ist es richtig, dass Flüchtlinge als Potenzial für den Arbeitsmarkt in den Blick genommen werden. Wir unterstützen dies ausdrücklich und fordern zugleich die Realisierung aller geplanten Maßnahmen ein, die sowohl im Aktionsplan zur Integration von Flüchtlingen und Bewahrung des gesellschaftlichen Zusammenhalts dargelegt sind als auch in der im Februar unterzeichneten Arbeitsmarktinitiative „Gemeinsam aktiv für die Integration von Flüchtlingen in die Arbeitswelt – Perspektiven für Menschen, Wirtschaft, Arbeitsmarkt, Hessen“.

Lassen Sie uns in einem Punkt weiterhin stark bleiben. Wir dürfen dabei keinerlei Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt zulassen. Meine Damen und Herren, es darf kein Ausspielen zwischen einheimischen Arbeitskräften und Flüchtlingen geben. In dem Punkt sind wir uns vollständig einig.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb dürfen wir auch weiterhin keine Aussetzung des Mindestlohns für Flüchtlinge zulassen, weil es nämlich dann gerade zu diesen Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt kommen würde.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Was wir übrigens völlig vermisst haben, ist das Thema Langzeitarbeitslosigkeit; denn auch hier steckt ein gewisses Potenzial für den ersten Arbeitsmarkt. Natürlich ist es nicht einfach, diese Menschen, die teilweise mit Mehrfachhandicap belastet sind, wieder nachhaltig in den Arbeitsmarkt zu vermitteln. Wir haben die Gründe hierfür schon oft debattiert. Aber auch hier darf man in der Anstrengung nicht nachlassen, vor allem auch wegen der betroffenen Menschen.

(Beifall bei der SPD)

By the way: Was macht eigentlich Ihr hessisches Pilotprojekt? Es ist ja ein Schritt in die richtige Richtung gewesen. Das haben wir Ihnen damals schon konzediert. Aber wir haben nach wie vor Zweifel, was seinen Wirkungsgrad anbelangt. Ich denke, Sie werden uns zu gegebener Zeit sicher auch darüber Auskunft geben, welche Erfolge Sie damit erzielt haben. Allerdings werden wir in dieser Frage darauf bestehen, die Erfolge nachgewiesen zu bekommen. Denn auch wenn das Projekt noch so schön ist und Sie, Herr Minister, nebst Fachsprechern einen weiteren Pressetermin machen können: Am Schluss zählt, wie viele Langzeitarbeitslose dadurch vermittelt werden konnten.

(Beifall bei der SPD)

Ich will noch einen weiteren Punkt in die Debatte einbringen, der bisher nicht erwähnt wurde. Das ist das Thema gute Arbeit. Wer Fachkräfte sichern und gewinnen will, muss für gute Arbeit, faire Löhne, sichere Beschäftigung und für starke Tarifbindung sorgen.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Dazu gehört im ersten Schritt nicht nur das bereits in Kraft befindliche Mindestlohngesetz. Dazu gehört auch die Eindämmung des Missbrauchs bei Leiharbeit und Werkverträgen. Dazu gehört auch die Entgeltgleichheit zwischen Frauen und Männern. Das werden wir übermorgen früh noch gemeinsam mit der Kollegin Gnadl an dieser Stelle diskutieren.

Bundesarbeitsministerin Nahles und ihre Kollegin Schwesig haben dazu bekanntermaßen Gesetzentwürfe eingebracht. Wenn Sie es auch an diesem Punkt ernst meinen, dann zeigen Sie Flagge, und stimmen Sie im Bundesrat beiden Gesetzesvorhaben zu; denn gute Arbeit und ein gutes Angebot an Fachkräften gehören für uns zusammen.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, es stimmt: Trotz der gegenwärtigen globalen konjunkturellen Risiken ist unser Land in guter Verfassung. Das ist gut so. Die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung steigt erfreulicherweise weiter, und die Arbeitslosigkeit sinkt, auch bei uns in Hessen. Auch für ausländische Fachkräfte wird der deutsche Arbeitsmarkt attraktiver. Darauf können und dürfen wir uns aber nicht ausruhen. Leistungsstarke und wettbewerbsfähige Unternehmen sowie Investitionen in neues Wissen, innovative Technologien, Infrastruktur und vor allem in Kompetenzen der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen sind auch künftig wichtige Erfolgsgarantien für uns.

Beruflich und akademisch qualifizierte Fach- und Führungskräfte in Industrie, Handwerk und den Dienstleistungsbranchen sind eine unverzichtbare Basis für Wachstum, Innovation, gute Arbeit und Wohlstand.

Deshalb müssen wir die Vereinbarkeit von Familie und Beruf stärken, müssen wir Bedürfnisse von Frauen und Familien stärker berücksichtigen. Ich sage es an dieser Stelle noch einmal: Eine bessere Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt setzt eine möglichst flächendeckende und qualitativ hochwertige flexible und bezahlbare Kinder- sowie Schulbetreuung voraus, damit die betrieblichen Angebote überhaupt erst greifen können.

(Beifall bei der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, da nützt es auch nichts, die Unternehmer, das Handwerk und den Dienstleistungsbereich zu loben für all die Schritte, die sie in die richtige Richtung machen. Dafür sind in erster Linie die Länder zuständig und damit auch die Landesregierung in Hessen.

Wir müssen die Beschäftigung und Qualifizierung älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer weiter voranbringen. Dazu gehört natürlich auch, dass sie ihre beruflichen Kompetenzen und Fertigkeiten regelmäßig aktualisieren und erweitern können.

Im Übrigen ist der oftmals abrupte Ausstieg aus dem Erwerbsleben in die Rente für viele Beschäftigte nicht gerade die beste Lösung. Wir müssen Wege finden, wie flexible Übergänge vom Erwerbsleben in den Ruhestand besser gestaltet werden können und wie eine Weiterarbeit nach Erreichen der Regelarbeitsgrenze attraktiv ausgestaltet werden kann.

(Beifall bei der SPD)

Ich will einen weiteren Aspekt ansprechen. Nach dem Ziel „Fachkraft bleiben“ muss auch das Ziel „Fachkraft werden“ stärker in den Fokus gerückt werden. Es hat zentrale Bedeutung in der Fachkräftedebatte. Alle ausbildungsinteressierten Jugendlichen sowie die sogenannten Spätstarter brauchen Chancen für eine berufliche Ausbildung. Ich nenne eine Zahl. Es gibt zurzeit 1,4 Millionen gering qualifizierte Menschen in Deutschland im Alter von 25 bis 35 Jahren. Wir sind uns doch alle in diesem Haus einig, dass dieser Schatz für den Fachkräftemarkt gehoben werden muss.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, wir müssen uns auch mit ganzer Kraft dem Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit und der Gestaltung des Wandels in der Arbeitswelt widmen. Neben kurz- und mittelfristigen Maßnahmen für bestimmte Beschäftigungsgruppen muss sich verstärkt auch um die Sicherung der Fachkräftebasis im Zusammenhang mit dem sich immer stärker abzeichnenden Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft gekümmert werden. Als Beispiel will ich den technologischen Wandel, in erster Linie die Digitalisierung der Wirtschaft, anführen. Er hat in Bezug auf Qualifikation und Berufe weitreichende Konsequenzen.

Industrie 4.0 steht als Stichwort für eine Veränderung der Arbeitswelten in Produktion, Dienstleistung und Handwerk. Es bestehen Chancen für individuelle Beteiligung und Selbstbestimmung, flexibleres Arbeiten, Zeitsouveränität und eine bessere Vereinbarkeit von Leben und Arbeit. Diesen Chancen stehen Risiken gegenüber, wenn sich Arbeitsplätze und Beschäftigungsverhältnisse in einer sich wandelnden Arbeitswelt anders gestalten. Es muss vor allem darum gehen, Arbeit weiterhin menschengerecht, sicher und fair zu gestalten. Auch das ist eine Aufgabe für uns in Hessen.

(Beifall bei der SPD)

Ich denke, wir sind uns in diesem Hause auch einig darüber, dass starke Sozialpartner eine wesentliche Grundlage für gute Arbeitsbedingungen sind. Gute Arbeitsbedingungen machen es einfacher, geeignete Fachkräfte zu finden und an den Betrieb zu binden. Das ist eine Logik in sich. Starke Partner tragen mit Tarifverträgen mit dazu bei, dass Betriebe im Wettbewerb um knappe Fachkräfte und Auszubildende erfolgreich sind.

Dabei reden wir nicht nur über die bisher bekannten Tarifverträge. Wir reden vielmehr auch über Demografie-Tarifverträge, die immer älter werdende Beschäftigte und betriebliche Veränderungsprozesse berücksichtigen. Es gibt bereits Branchen und Unternehmen, die vorausschauend solche tariflichen Vereinbarungen getroffen haben.

Meine Damen und Herren, ein Fazit. Leider besteht der Statusbericht ebenso wie die heutige Regierungserklärung in zu vielen Teilen aus Altbekanntem, aus Selbstverständlichem und bisweilen aus Worthülsen. Mit anderen Worten: Es fehlt an zahlreichen Stellen an Konkretem und Greifbarem. Es fehlt schlicht die Prüfung der Wirksamkeit.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, da können Sie sich ein Beispiel an unserem Nachbarland Rheinland-Pfalz nehmen, das sich exakt zu diesem Thema entsprechende Zielsetzungen in das Programm geschrieben hat. Das ist für uns messbar.