Protokoll der Sitzung vom 11.10.2016

Meine sehr verehrten Damen und Herren, da können Sie sich ein Beispiel an unserem Nachbarland Rheinland-Pfalz nehmen, das sich exakt zu diesem Thema entsprechende Zielsetzungen in das Programm geschrieben hat. Das ist für uns messbar.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, der Anhang vermittelt bisweilen den Eindruck, als gäbe es hier eine Art Maßnahmenhopping. Es kommt jedes Jahr etwas Neues dazu. So wie der Statusbericht heute von Ihnen an manchen Stellen zumindest in Ihrer Regierungserklärung verkauft worden ist, ist das ein bisschen nach dem Motto gewesen: Ob im Osten, ob im Westen, wir sind die Allerbesten.

Meine Damen und Herren, damit setzen Sie sich eigentlich unberechtigt dem Verdacht aus, dass es Ihnen in erster Linie um PR geht.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)

Das ist schade; denn etliche Maßnahmen gehen in die richtige Richtung.

Herr Kollege, die Redezeit ist zu Ende.

Ich komme zum Ende, Herr Präsident. – Der große Wurf ist es dennoch bei Weitem nicht; denn es mangelt auch hier an dem entscheidenden Willen, die Dinge maßgeblich und grundlegend zu verändern. Ein klares Bekenntnis zur flächendeckenden Verbesserung der Kinderbetreuung, zum Ausbau der Ganztagsschulen und zu einem qualifizierten Einwanderungsgesetz hätte uns in Hessen sicherlich auf dem Gebiet einen wesentlichen, großen Schritt weitergebracht. Es ist bedauerlich, dass Sie hinter den gegebenen Möglichkeiten zurückgeblieben sind, statt sie zu nutzen. Aber wir helfen Ihnen gerne. Das Thema wird uns weiter begleiten. – Herzlichen Dank.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD)

Das Wort hat Herr Abg. Bocklet für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Bevor ich zum Thema Fachkräftemangel komme, möchte ich Folgendes sagen: Liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU und liebe Kolleginnen und Kollegen der GRÜNEN, ich weiß nicht, wie es Ihnen geht. Mir geht es ganz oft so. Wenn ich der Kritik einer Rednerin oder eines Redners der SPD zuhöre, habe ich das Gefühl, dass sich die Hälfte der Kritik an die eigene Bundesregierung richtet.

(Lachen bei Abgeordneten der SPD)

Da fragt man sich doch oft: Wer regiert dort oben eigentlich mit? Da regieren Sie als SPD doch mit.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN – Vizepräsident Wolfgang Greilich übernimmt den Vorsitz.)

Das Einwanderungsgesetz, der Übergang zur Altersrente, die Rentenlösungen, das alles sind doch Bundesgesetze.

(Zurufe von der SPD)

Es ist schön, dass Sie wach geworden sind. – Das alles sind bundesgesetzliche Lösungen. Sie sitzen in der Bundesregierung. Sie sind offensichtlich nicht in der Lage, das, was Sie den Kollegen vorwerfen, in Berlin zu regeln. Ist das für so eine Fachdiskussion nicht ein bisschen traurig?

(Beifall der Abg. Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und bei Abgeordneten der CDU)

Das musste ich angesichts Ihrer Einlassungen zum Fachkräftemangel einmal sagen. Herr Kollege Decker, dabei haben Sie nicht viel falsch gemacht. Aber wenn Sie die Bundespolitik kritisieren, dann müssen Sie sich das einfach noch einmal anhören. Das gehört der Vollständigkeit halber dazu. Wenn man da gemeinsam regiert, muss man selbst überprüfen, wie es eigentlich mit der Durchsetzungsfähigkeit der eigenen Kräfte in Berlin bestellt ist. Wir werden das immer wieder einmal erwähnen.

Ich komme nun zum Fachkräftemangel in Hessen. Herr Kollege Decker, Sie haben das selbst angesprochen. Ich erinnere mich noch gut, wie wir hier im Jahr 2010, im Jahr 2011 und dann am Ende des Jahres 2012 zu diesem Thema diskutiert haben. Ich erinnere mich noch, wie die Fachkräftekommission eingesetzt wurde und wie sie ein Jahr später ihren Kommissionsbericht vorgelegt hat.

Ich erinnere mich auch noch an die Vorwürfe, die es damals gab. Ich will noch einmal an einen erinnern: Die Industrie- und Handelskammer prognostizierte im Jahr 2010 im Durchschnitt in den nächsten fünf Jahren 140.000 fehlende Fachkräfte. Der damals kommende Wirtschaftsboom schien zu massiven Problemen hinsichtlich der Fachkräftegewinnung der hessischen Unternehmen zu führen. Das war ein Alarmsignal, das mit dem Zitat der Industrie- und Handelskammer Hessen garniert wurde:

Damit ist die Wettbewerbsfähigkeit der hessischen Wirtschaft gefährdet.

Das sagte damals jemand von der Industrie- und Handelskammer.

Was folgte? – Herr Decker, Sie haben natürlich völlig recht. Nach drei Jahren muss man tatsächlich etwas tun. Man muss nämlich eine Zwischenbilanz ziehen. Sie haben nach messbaren Ergebnissen gefragt. Ich will darauf eingehen. Denn ich glaube, dass die Ergebnisse in sehr vielen Bereichen beeindruckend sind. In anderen Bereichen gibt es noch andauernde Aufgaben. Dem bedarf es nachzugehen.

Beginnen wir also mit den Fragen zu den Handlungsfeldern. Herr Kollege Decker von der SPD, Sie haben sie angesprochen. Die Fachkräftekommission sprach von sechs Handlungsfeldern. Der Übergang von der Schule in den Beruf war eines. Dann ging es darum, die Beschäftigungsfähigkeit im Alter zu erhalten, um lebenslanges Lernen, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, um die Inklusion und um die ausländischen Arbeitskräfte.

Schauen wir uns die Felder doch einmal an. Beginnen wir doch einmal mit dem, was wir mit Qualifikation überschreiben können. Wir schauen uns an, was in den Schulen passiert ist.

Die Fachkräftekommission empfiehlt, dass Schulabschlüsse dringend erforderlich sind. Da soll man den konkreten Zielwert auf 3 % festlegen, damit nicht noch mehr Schüler ohne Abschluss aus den Hauptschulen herauskommen.

Mir liegt die Zahl vor. Herr Kollege Decker, wir wollen da messbar bleiben. In den letzten zehn Jahren hat sich die Zahl der Abgänger ohne Hauptschulabschluss von 3.000 auf 1.089 verringert. Das war eine Aufgabe, die die Fachkräftekommission der hessischen Landespolitik aufgegeben hat.

1.000 sind immer noch zu viel. Jeder einzelne Schüler ist zu viel. Aber von 3.000 auf 1.000 in den letzten Jahren, das ist ein ordentliches Ergebnis. Das muss man hier auch einmal festhalten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie der Abg. Holger Bellino und Dr. Ralf-Norbert Bartelt (CDU))

Zweitens. Da geht es auch um die Schule. Man sagte, die staatlichen Fördermaßnahmen beim Übergang von der Schule in den Beruf, also das Übergangssystem, seien perspektivisch überdimensioniert. Schauen wir uns an, was mit dem neuen Schulgesetz beschlossen werden soll. Die einjährige Berufsfachschule soll auslaufen und soll schrittweise in eine neue Schulform überführt werden. Bestehende einjährige Berufsfachschulen sollen längstens bis zum Ende des Jahres 2020 fortgeführt werden können, usw.

Die Berufsorientierung gibt es flächendeckend. Die Hessische Landesregierung hat also all das, was die Fachkräftekommission in diesem Handlungsfeld uns hinsichtlich der Schule und des Übergangs in den Beruf aufgegeben hat, in den letzten drei Jahren angepackt. Daran können wir einen Haken machen. Wir müssen da aber weitermachen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Damit komme ich zu der Qualifikation, der Weiterbildung und der Ausschöpfung vorhandener Fachkräftepotenziale. Das haben damals alle Rednerinnen und Redner gesagt: Wir müssen darauf achten, dass wir die nachkommenden Generationen so beschulen, dass sie tatsächlich auch die Fachkräfte von morgen sein können. Das war die Aufgabe. Der Schulabbruch sollte vermieden werden. Jeder sollte ei

nem Schulabschluss zugeführt werden. Die Übergangssysteme sollten reformiert werden. Damit sollte dazu beigetragen werden, dass viele Jugendliche gute Abschlüsse haben. Das war Teil 1. Das habe ich mit Zahlen belegt.

Bei Teil 2 ging es um die Frage, wie es mit der Weiterbildung weitergeht. Dazu hat der hessische Wirtschaftsminister zu Recht festgestellt, dass wir in Hessen 320.000 sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ohne einen Abschluss haben. Deswegen hat er zu Recht das Programm „ProAbschluss“ aufgelegt. Das wird dazu führen, dass viele Menschen in Hessen ihren Abschluss werden nachholen können. Sie werden eine Aufstiegsqualifizierung machen. Sie werden dadurch nachhaltig im Betrieb bleiben können. Sie werden nicht immer die Ersten sein, die gefeuert werden, weil sie eine schlechte Qualifikation haben.

Das ist das, was uns die Fachkräftekommission aufgegeben hat. Das ist das, was die Landesregierung in Angriff genommen hat. Das ist richtig so.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Hinsichtlich der Qualifizierung will ich Folgendes nicht unerwähnt lassen: Herr Staatsminister Grüttner hat es gesagt. Wir haben das Ausbildungs- und Qualifizierungsbudget auf 25 Millionen € angehoben. Obwohl wir wissen, dass die Arbeitsmarktpolitik eigentlich eine originäre Aufgabe der Bundesagentur für Arbeit ist, nimmt das Land 25 Millionen € in die Hand.

Wir haben das im Sozialbudget abgesichert. Die Zahlen sind beeindruckend. Ich finde sie beeindruckend. In den letzten Jahren wurden dafür 127 Millionen € zur Verfügung gestellt. 10.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurden mittels des Ausbildungsbudgets erfasst. Über 52.000 Teilnehmer profitierten vom Arbeitsmarktbudget. Das macht das Land Hessen, um damit die Lücke zu dem zu schließen, was Schule nicht geschafft hat.

Ich finde, das ist richtig. Denn die große Überschrift heißt: Im Dreiklang der Qualifizierung, der Weiterbildung und des Ausschöpfens vorhandener Potenziale ist die Qualifizierung die Grundlage.

Wir haben das Arbeitsmarktbudget. Wir haben das Ausbildungsbudget. Wir haben das im Jahr 2015 geschlossene Bündnis Ausbildung Hessen. Das will ich auch noch einmal erwähnen. Das ist eine weitere Säule der guten Ausbildung und Qualifizierung der jungen Menschen in Hessen.

Man kann doch nicht allen Ernstes sagen, dass in den letzten drei Jahren nichts passiert sei. Die Säule Qualifikation wurde gut bearbeitet.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der CDU)

Zur Weiterbildung habe ich gesagt: Es gibt viele Möglichkeiten, sich weiterzubilden. Das Land Hessen hat die Initiative „ProAbschluss“ gegründet. Hier wurde sie gerade vorgestellt. Ich bin sehr gespannt, ob sie erfolgreich sein wird.

Das Filigrane an diesem Thema wird das Ausschöpfen der vorhandenen Potenziale sein. Auch das haben wir vor Jahren als GRÜNE eingeklagt. Die Fachkräftekommission hat das auch noch einmal gesagt.

Es gibt verschiedene Gruppen, die noch Potenziale haben. Zuallererst gibt es die gut ausgebildeten Migrantinnen und Migranten, deren Berufsabschlüsse nicht anerkannt werden. Noch immer dauert die Anerkennung dieser Abschlüsse zu lange. Noch immer müssen die Menschen mit Diplom putzen. So hieß das damals. Sie erinnern sich vielleicht noch daran. Das ist ein Verschenken des Fachkräftepotenzials.

Da müssen wir heran. Das lässt sich aber alles nicht mit einer vorgehaltenen Pistole erzwingen. Das hängt auch von den persönlichen Umständen der Migranten ab. Sie müssen sagen: Ich kann es mir jetzt leisten, eine Zusatzqualifikation zu machen oder einen Abschluss nachzuholen, oder ein Zertifikat zu erneuern. – Das kann man alles nicht erzwingen. Die Voraussetzungen sind aber gegeben. Die Menschen können das in Anspruch nehmen.

Das bleibt aber ein dauerhaftes Schieben. Man muss als Motor weiter arbeiten. Das ist ein mühsames Geschäft. Es gibt keinen Königsweg bei dieser Frage.

Herr Kollege Decker hat es angesprochen. Auch Herr Staatsminister Grüttner hat das getan. Ein Schwerpunkt ist natürlich das große Arbeitsmarktpotenzial der Frauen. Herr Decker, Sie haben gesagt, hinsichtlich der Kinderbetreuung habe die Landesregierung nichts gemacht.

(Wolfgang Decker (SPD): Ich habe nicht „nichts“ gesagt! Ich habe gesagt: zu wenig)