Protokoll der Sitzung vom 11.10.2016

Ich habe auch überhaupt kein Problem damit, dass alle großen Weltreligionen – zumal wenn ihre Anhänger in relevanter Anzahl in Deutschland leben – im Rundfunkrat vertreten sind. Aber was ist denn z. B. mit den Alevitinnen und Aleviten? Was ist mit den Menschen, die keiner Religion angehören, also den Agnostikern? In anderen Ländern ist z. B. die Humanistische Union im Rundfunkrat vertreten. Was ist denn mit Organisationen des Natur- und Umweltschutzes und des Verbraucherschutzes? Was ist mit der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union? Was ist mit der Seniorenvertretung? Was ist mit Lesben und Schwulen? All das sind gesellschaftliche Gruppen und Interessenverbände, die in anderen Ländern im Rundfunkrat vertreten sind. In Hessen soll das zukünftig wieder nicht der Fall sein.

Der Änderungsantrag der SPD-Fraktion bereinigt dieses Problem in einigen Punkten. Deswegen werden wir ihm durchaus zustimmen können. Außerdem versucht man es dort mit einem anderen Ansatz bei dem noch viel größeren Problem, das wir mit diesem Änderungsgesetz haben, nämlich der strukturellen Benachteiligung von Frauen, die dazu führt, dass wir auch fürderhin keinen geschlechterparitätisch gesetzten Rundfunkrat haben werden.

Frau Wolff, Sie wissen doch selbst, das, was Sie in den Gesetzentwurf geschrieben haben, über den wir heute in zweiter Lesung beraten, ist bestenfalls ein Appell an die entsendenden Organisationen, Geschlechterparität herzustellen. Sie haben gerade selbst am Beispiel der SPD gezeigt, dass dieser Appell im Zweifelsfall nichts fruchtet. Wir sind aber als Gesetzgeber dazu verpflichtet, eine strukturelle Benachteiligung dort aufzuheben. Von daher springen Sie mit diesem Gesetzentwurf, was die Geschlechterparität anbelangt, hoffnungslos zu kurz.

(Beifall bei der LINKEN)

Ein Gutachter hat in der Anhörung einen guten Vorschlag gemacht, der im Übrigen auch ein Losverfahren beinhaltet: Jede Organisation, die entsendet – vielleicht mit Ausnahme des Landesfrauenrats –, soll dazu verpflichtet werden, Kandidaten beiden Geschlechts zu benennen, und dann soll das Los darüber entscheiden, wer von den beiden in den Rundfunkrat kommt. Das wäre eine Methode, mit der wir Parität erreichen können – mit Ihrem Gesetzentwurf leider nicht. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort hat Herr Kollege Rentsch, Fraktion der FDP.

(Abg. Florian Rentsch (FDP) schaut sich, neben der Regierungsbank stehend, gemeinsam mit Minister Tarek Al-Wazir etwas auf dem Smartphone an. – Zuruf des Ministers Stefan Grüttner)

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Vertrauen in die Regierung hat Grenzen. Die Freundlichkeiten gingen heute schon sehr weit.

(Allgemeine Heiterkeit – Minister Stefan Grüttner: Und das nur, weil die SMS-Nachrichten lesbar sind? – Allgemeine Heiterkeit)

Lieber Kollege Grüttner, das ist ein Foto des Kollegen Al-Wazir und von mir aus alten Zeiten. Wir gehören ja dem Parlament schon einige Zeit an – Kollege Al-Wazir noch länger. Wir haben uns einmal angeschaut, wie wir heute aussehen und wie wir damals aussahen. Das, was man feststellt, ist erschreckend.

(Heiterkeit des Ministers Tarek Al-Wazir)

Das liegt aber auch daran, dass der Kollege Grüttner auf dem Foto nicht auftaucht. Auch da gibt es sicherlich Veränderungen.

(Heiterkeit des Ministers Tarek Al-Wazir)

Zum Schluss der Landtagsdebatte über das Rundfunkgesetz und den Änderungsantrag von CDU und GRÜNEN möchte ich sagen: Ja, Frau Kollegin Wolff, ich bin traurig,

dass Sie sich ein bisschen in dem Bereich bewegen, von dem ich mir das schon gedacht habe. Die Überraschungstaktik der Regierung und der Regierungsfraktionen heute Abend ist also überschaubar. Ich hoffe, die deutsche Nationalmannschaft spielt überraschender, wenn sie nachher gegen ihren Gegner antritt.

(Beifall bei der FDP)

Man hätte nämlich erwartet, dass die Diskussion weitergeht. Jetzt will ich ein bisschen retrospektiv sagen: Wir haben in unserem Gesetzentwurf zum einen deswegen gefordert, dass die Landtagsfraktionen jeweils ein Fraktionsmitglied in den Rundfunkrat entsenden, weil das schon einmal Gesetzeslage war. Wenn ich mich recht erinnere, war das bis Anfang der 2000er-Jahre die Situation. Das ist dann geändert worden, nachdem es immerhin 50 Jahre der Standard war.

Der andere Punkt ist der Hauptpunkt, um den es heute Abend geht: Wer legitimiert die Vertreter der Verbände, die im Rundfunkrat sitzen? Die Kritik, die daran anklang, kann ich zu großen Teilen teilen: Allein der Antrag zur Frauenquote zeigt, welche Verrenkungen man unternehmen muss, um ein begründbares Verfahren zu haben, wie sich diese Quoten errechnen.

(Beifall bei der FDP)

Ich glaube, das sollte uns zum Nachdenken anregen. Deshalb sage ich – als Ergebnis dessen, worüber wir heute diskutieren –: Wir sind der Auffassung, dass man, wenn man den Rundfunkrat besetzt, erstens legitimierte Strukturen braucht. Etwas selbstbewusster dürften wir in diesem Haus mit uns selbst umgehen, denn wir sind vom Wähler direkt gewählt und legitimiert. Das ist ein Unterschied zu dem, was viele Verbände für sich in Anspruch nehmen.

(Beifall bei der FDP)

Zweitens sind wir aus diesem Grunde auch der Auffassung – selbst wenn diese Kritik eher in die Zukunft weist: wenn hier einmal sieben oder acht Fraktionen sitzen könnten –, dass das eine Frage der Handhabbarkeit der Größe ist. Es ist keine Frage der Staatsferne. Frau Kollegin Wolff, was das Parlament angeht: Da muss man zwischen staatlichen Institutionen und parlamentarischen Institutionen differenzieren.

(Beifall bei der FDP)

Ich glaube, darin sollten wir uns einig sein. So viel Selbstbewusstsein und so viel Rechtskenntnis sollten die Mitglieder des Hessischen Landtags an der Stelle haben.

Zu den Punkten, die die Koalition noch eingebracht hat: Ich finde es gut, dass Sie eine Anhörung nutzen, um zu sagen: Das wollen wir vielleicht ändern. – Trotzdem ist es wie beim Fußball. Wir haben gedacht – jedenfalls war die Hoffnung da –, wir würden mehr überrascht werden. Eines ist nämlich klar: Sie haben hier ein bisschen den Eindruck vermittelt, Sie wollten eher den Koalitionsvertrag von CDU und GRÜNEN umsetzen, als in diesem Rundfunkrat eine größtmögliche Repräsentanz wichtiger Institutionen in Hessen zu etablieren.

Jetzt frage ich Sie: Was war Ihnen wichtig? War es die Staatsferne, oder war es das, was der Kollege Frömmrich mit seiner Macht im Koalitionsvertrag hat verankern lassen? Ich glaube, es war eher Letzteres.

(Zurufe von der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb kann ich an dieser Stelle sagen, es ist erstaunlich, dass all das wieder auftaucht, was, jedenfalls größtenteils, im Koalitionsvertrag steht. Ob man damit Anspruch auf besondere Qualität erheben kann, will ich nicht sagen. Ich finde, dass viele Institutionen ein Anrecht darauf hätten, dass ihre Anliegen in der Rundfunkberichterstattung Berücksichtigung finden. Ich sage aber auch, die zentrale Frage ist eigentlich, wo das zu Ende ist. Wie das legitimiert ist, ist die andere zentrale Frage.

(Beifall bei der FDP)

Deshalb bleibt es für uns, die FDP, dabei, dass wir eine weitere Ausweitung nicht sehen. Das sage ich auch an die Kollegen Sozialdemokraten gerichtet, die heute Abend mit ihrem Antrag ein bisschen versuchen, die GRÜNEN in eine schwierige Situation zu bringen. Das ist legitim. Aber die SPD weiß doch auch, wie sich die GRÜNEN in den letzten zweieinhalb Jahren verhalten haben: Die GRÜNEN lassen sich weiß Gott nicht davon beeindrucken, wenn man ihnen sagt, was sie einmal erzählt haben und was in ihrem Wahlprogramm stand.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Bei aller Liebe, Sie müssten doch mittlerweile wissen, dass das nichts mehr zählt. Kollege Frömmrich ist flexibel und biegungsfähig, so, wie ich ihn schätze. Ich erlebe ihn im Hauptausschuss. Insofern werden Sie die GRÜNEN an der Stelle nicht erwischen.

(Beifall bei der FDP)

So schnell und wendig wie die GRÜNEN sind Sie, Herr Kollege Rudolph, beileibe nicht, auch wenn ich mir das wünschen würde.

(Beifall bei der FDP – Günter Rudolph (SPD): Das nehme ich jetzt als Kompliment!)

Das dürfen Sie mir übel nehmen.

(Günter Rudolph (SPD): Nein, als Kompliment wollte ich das nehmen!)

Aber ich habe ja auf einer Delegationsreise von Ihnen schon viele Lebensweisheiten übernommen.

(Lachen bei der SPD)

Seien Sie deshalb sicher, dass ich auch Ihre nordhessische Schlauheit berücksichtige, die Sie immer wieder in das Parlament hineintragen.

Jetzt ist es fast schon wieder schwierig, die Kurve zu kriegen. Zu einem wichtigen Punkt möchte ich jetzt kommen, und zwar die Aufnahme von Vertretern der islamischen Religionsgemeinschaften. Ich will offen sagen, dass das in der Vergangenheit, gerade auch aufgrund der aktuellen Diskussion, ein nicht unproblematischer Punkt war. Ich bin mir sehr sicher, ohne dabei gewesen zu sein, dass dieser Punkt seitens der Unionsfraktion massiv diskutiert worden ist.

Die Situation, dass wir keine geordnete Struktur bei den muslimischen Verbänden haben, kennen wir aus unserer Zeit. Das haben wir damals gemeinsam beraten. Das war beim Thema muslimischer Religionsunterricht ein wichtiges Thema. Aber Fakt ist nun einmal, dass das, was jetzt passiert, dazu führen wird, dass gerade DITIB wahrscheinlich demnächst im Rundfunkrat eine wichtige Stimme wird

erheben können. In der aktuellen Situation können wir doch nicht sagen, dass das, was in den letzten eineinhalb oder zwei Jahren passiert ist, von uns keine Berücksichtigung findet.

Ich will offen sagen: Das ist nicht unproblematisch. Ich habe nicht das Gefühl – das hoffe ich jedenfalls nicht –, dass es in der nächsten Zeit, wenn es einen Kabarettisten gibt, der möglicherweise ein Gedicht macht, sozusagen eine direkte Kommunikationslinie zwischen der Regierung in Ankara und dem Rundfunkrat des hr geben wird. So weit sollte man nicht gehen. Aber natürlich ist DITIB ein umstrittener Verband. Die Regelung, die Sie gefunden haben, ist zwar aus einem anderen Gesetz entliehen, aber sie führt trotzdem nicht dazu, dass wir bei dieser Frage zu einer sehr verlässlichen Struktur kommen. Sie müssen verstehen, dass wir das kritisieren. Ich glaube auch, dass wir nicht die Einzigen sind, die es mehr als kritisch sehen, DITIB in eine solche Rolle zu bringen.

(Beifall bei der FDP)

Deshalb hätten wir uns gefreut, wenn das nicht passiert wäre und wenn es hier eine andere Idee gegeben hätte. Aber das war nicht der Fall.

Deshalb will ich abschließend für uns sagen: Wir halten es grundsätzlich nicht für sinnvoll, den Rundfunkrat mit Dutzenden von Institutionen zu erweitern, weil wir gemeinsam kein Argument haben werden, die eine Institution zuzulassen, die möglicherweise im Koalitionsvertrag steht, aber der anderen entgegenzutreten und zu sagen: Ihr kommt nicht in den Rundfunkrat, weil ihr keine legitime wichtige Gruppe in Hessen vertreten würdet.

Ich habe gerade dieses Schreiben vom Landkreistag bekommen. Dort wirbt der geschätzte Kollege Pipa noch einmal um einen Platz im Rundfunkrat für den Landkreistag. Was wollen wir denn dem Kollegen Pipa und den anderen Institutionen sagen? Sind die Kommunen und die Landkreise auf der Ebene nicht ein wichtiger Ort des Lebens in unserem Land, die es auch verdient hätten, in diesem Rundfunkrat zu sitzen? – Das ist ein Teil des Problems Ihrer Argumentation. Man wird mit dieser Argumentation kein Ende finden. Denn, wie gesagt, ist die einzige Legitimation, dass man das im Koalitionsvertrag von CDU und GRÜNEN so festgehalten hat. Das ist meines Erachtens deutlich zu wenig, um wirklich ein gutes Argument zu haben, warum das so geregelt worden ist.

(Beifall bei der FDP – Zuruf des Abg. Michael Bod- denberg (CDU))

Deshalb kann ich für uns sagen: Es muss natürlich die dritte Lesung mit dem Änderungsantrag der Sozialdemokraten stattfinden. Wir werden uns bei dem SPD-Antrag enthalten. Es sind Gruppen, die die SPD anspricht, die wir definitiv sehen. Aber ich sage auch, dass wir einer Erweiterung dort, ähnlich wie in der Argumentation, was die Regierungsfraktionen angeht, nicht zustimmen können.