Protokoll der Sitzung vom 13.10.2016

Deswegen ist das, was da gesagt wurde, nicht wirklich sehr ernsthaft gewesen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

An dieser Stelle geht es also um die Frage: Wie können wir in Zukunft, verkürzt gesagt, saubere Diesel von dreckigen Dieseln unterscheiden? Hierzu gibt es bisher keine Möglichkeit. Seit dem 1. Januar 2014 ist Euro 6 Pflicht, auch bei Dieseln. Alle diese Fahrzeuge würden die blaue Plakette bekommen. Wir haben bisher aber keine Möglichkeit, die einen von den anderen zu unterscheiden.

Deswegen habe ich mich auf der Verkehrsministerkonferenz dafür eingesetzt, dass der Bund die 35. Bundes-Immissionsschutzverordnung weiterentwickelt und an dieser Stelle eine blaue Plakette einführt. Das ist ein umstrittenes Mittel. Das ist mir völlig klar. Die spannende Frage, die wir alle miteinander beantworten müssen, wenn wir in der Verantwortung stehen, ist: Welche Anreize können wir setzen, um auf eine Flottenerneuerung hinzuwirken? Außerdem steht die Frage im Raum, welche Möglichkeiten wir haben, die einen von den anderen Fahrzeugen zu unter

scheiden. Das ist das Problem; denn diese Möglichkeiten haben wir bisher nicht.

Wenn ich das einmal so sagen darf: Wenn am Ende das Verwaltungsgericht Düsseldorf in die Urteilsbegründung schreibt, das sei kein Problem, da ein Blick in den Fahrzeugschein genüge, versuche ich mir das einmal praktisch vorzustellen. Dann müsste die Stadt Wiesbaden an der Stadtgrenze Zollschranken aufbauen. Hunderte Mitarbeiter müssten dann Autofahrer nach ihrem Fahrzeugschein fragen, um zu sehen, ob darin Euro 4 oder Euro 6 steht oder ob es ein Benziner oder ein Diesel ist. Das ist insofern keine Antwort auf die Probleme, die wir momentan haben, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Herr Staatsminister, bitte denken Sie an die Redezeit der Fraktionen.

Ich denke an die Redezeit.

Deswegen will ich noch einmal ausdrücklich sagen: Es geht darum, dass wir an dieser Stelle handlungsfähig für die Zukunft sind. Aus meiner Sicht können eventuelle Fahrverbote erst dann verhängt werden, wenn dies verhältnismäßig ist. Das bedeutet, dass man das jetzt auf keinen Fall machen könnte, weil jetzt noch zu wenige Fahrzeuge eine blaue Plakette bekommen würden. Aus unserer Sicht müsste eine Marktdurchdringung von mindestens 80 % erreicht sein. Das heißt, mindestens 80 % der Fahrzeuge müssten diese Plakette haben, bevor man den Rest der Fahrzeuge ausschließen könnte.

(Zuruf des Abg. Timon Gremmels (SPD))

An dieser Stelle würden wir ebenso wie beim Feinstaub natürlich zusätzlich mit Ausnahmegenehmigungen arbeiten. Das will ich noch einmal ausdrücklich sagen. Wir haben doch im Zuge der Einführung der grünen Plakette Ausnahmegenehmigungen beispielsweise für Handwerker erteilt, also genau für die Leute, die Sie vorgeben zu vertreten. Es ist natürlich wichtig, zu sagen, dass wir eine Flottenerneuerung brauchen. Wir müssen aber auch dafür sorgen, dass man Einzelne nicht in den Ruin treibt, wenn die Erlangung der Plakette wirtschaftlich unzumutbar wäre. Es ist ja nicht so, dass es hierzu keine Erkenntnisse aus der Vergangenheit gäbe. Zudem gibt es eindeutig Anregungen, wie man das machen könnte.

Ein letzter Punkt ist mir noch sehr wichtig, Frau Präsidentin. Ich habe das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf bereits angesprochen. Das Land Nordrhein-Westfalen wird wahrscheinlich in Revision gehen. Vielleicht kommt es dann zu einer höchstrichterlichen Entscheidung. Wenn man dieses Urteil liest, dann stellt man fest, dass es nach Auffassung des Gerichts bereits nach geltendem Recht Möglichkeiten zur Anordnung von flächendeckenden Fahrverboten für Dieselfahrzeuge gibt.

Ich will an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich sagen – wir werden sehen, ob dieses Urteil in der nächsten Instanz Bestand hat –, dass wir eine Tendenz in der Rechtspre

chung haben, die sagt, dass die zuständigen Behörden sich im Rahmen der Luftreinhalteplanung differenziert mit der besonderen Schadstoffproblematik von Dieselfahrzeugen auseinandersetzen müssen.

Was würden wir denn machen, wenn uns am Ende ein Gericht sagen würde: „Dann verhängt doch ein Dieselfahrverbot“ und uns zu einer solchen Maßnahme zwingen würde? Wäre dann eine blaue Plakette nicht das mildere Mittel, damit man wenigstens die sauberen Diesel noch einfahren lassen kann?

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kollegen von der FDP, ich würde einmal sagen, ein solches flächendeckendes Dieselfahrverbot, angeordnet von einem Gericht, das wäre eine Katastrophe für die Handwerker und den Mittelstand. Deswegen glaube ich, dass es an dieser Stelle wichtig ist, dort weiterzukommen.

Ein allerletzter Punkt zum Stichwort „Industriepolitik“. Ich bin mir sehr sicher, dass die Autoindustrie – weil wir momentan schon erleben, dass die Zulassungszahlen für die Diesel einbrechen – auch sehr schnell Klarheit über die Frage will, ob sie den Käufern ihrer Neuwagen zusichern kann, dass diese Autos auch in Zukunft noch überall fahren können. Deswegen bin ich mir sehr sicher, dass wir sehr bald eine ganz andere Debatte über die Frage führen werden, ob es nicht auch im Sinne der Industrie und dann auch im Sinne von Handwerk und Mittelstand ist, dass wir an dieser Stelle eine Klarheit bekommen, die bundesweit gilt.

(Vizepräsident Wolfgang Greilich übernimmt den Vorsitz.)

Deswegen hoffe ich, dass wir ernsthaft weiter über die Frage sprechen, wie wir einerseits den Sorgen des Mittelstandes, des Handwerks, den Sorgen der Menschen in den Innenstädten und andererseits auch den Interessen der deutschen Automobilindustrie gerecht werden können. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit ist auch diese Aktuelle Stunde abgehalten.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 23:

Antrag der Fraktion DIE LINKE betreffend bedarfsdeckende sanktionsfreie Grundsicherung statt Hartz IV – als erster Schritt müssen 2017 die Regelsätze deutlich erhöht werden – Drucks. 19/3844 –

zusammen mit Tagesordnungspunkt 43:

Dringlicher Antrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend erfolgreiche Maßnahmen in Hessen zur dauerhaften Vermittlung in den Arbeitsmarkt und zur Verhinderung von Armut und sozialer Ausgrenzung – Drucks. 19/3882 –

Die Redezeit beträgt zehn Minuten je Fraktion. Zur Begründung und Einbringung des Antrags der Fraktion DIE LINKE hat sich Frau Kollegin Schott gemeldet. Bitte sehr, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! DIE LINKE bringt heute diesen Antrag ein, weil wir an Ihre soziale Verantwortung appellieren wollen. Die vom Bundesarbeitsministerium vorgelegten neuen Berechnungen der Regelsätze bei Hartz IV und der Sozialhilfe verschlechtern die Lage der betroffenen Menschen und sichern ihnen nicht den notwendigen Lebensunterhalt, wie es Art. 28 der Hessischen Verfassung beschreibt.

Lassen Sie mich hier insbesondere erläutern, warum wir beantragen, dass Hessen im Bundesrat den Änderungen der Regelsätze nach SGB II und SGB XII nicht zustimmen sollte und warum wir stattdessen anregen, dass von Hessen eine Bundesratsinitiative ausgehen soll, die das Existenzund Teilhabeminimum gewährleistet, also eine bedarfsdeckende Grundsicherung, die mit Art. 1 des Grundgesetzes vereinbar ist.

Das Bundesverfassungsgericht hat der Bundesregierung am 23. Juli 2014 Vorgaben gemacht. Damals wurden zwar die Regelsätze als „derzeit noch mit dem Grundgesetz vereinbar“ bewertet, doch in wesentlichen Punkten verlangte das Gericht, dass der Gesetzgeber dringend nacharbeiten müsste. Jetzt, da die Regelsätze vom Bundesarbeitsministerium überarbeitet wurden, besteht die Unterdeckung in den meisten der genannten Bereiche leider weiter.

Ich möchte nachdrücklich auf die Bedeutung dieser Versäumnisse hinweisen. Die bestehende Unterdeckung schließt mehr Menschen von der gesellschaftlichen Teilhabe aus und verschärft das Armutsrisiko. Ein wachsender Teil der Bevölkerung ist schon arm oder von Armut bedroht. In Nordhessen liegt die Armutsquote mit 6,3 % über dem bundesweiten Durchschnitt, in der Rhein-Main-Region beträgt sie 12,5 %. Hartz IV und Grundsicherung sind also kein Problem von unbedeutenden Randgruppen, die – wie landläufige Vorurteile unterstellen – zu ungebildet oder zu faul sind oder zu viel Alkohol trinken.

Von Armut betroffen sind Beschäftigte im Niedriglohnsektor, aber auch Akademiker, die jahrelang nur Hilfsjobs bekommen haben. Vor allem aber steigen die Kinderarmut und die Armut im Alter. Im Durchschnitt leben fast 17 % der hessischen Kinder unter 18 Jahren in Familien, die arm sind. In Städten wie Offenbach, Wiesbaden, Kassel, Frankfurt und Darmstadt bewegt sich die Spanne von 34 % bis 20 %. Dabei fällt auf, dass es besonders die Familien mit kleinen Kindern sind, bei denen die Eltern Grundsicherungsleistungen beantragen müssen, und es ist auch kein vorübergehendes Problem. Die Zahlen steigen in Hessen, und fast 60 % dieser Kinder sind drei Jahre und länger mit der Situation konfrontiert, dass nie genügend Geld vorhanden ist.

Mehr als 14 % der hessischen Rentnerinnen und Rentner sind arm. Diese Zahlen werden in dem Maß steigen, in dem Grundsicherungsempfänger und -empfängerinnen in das Rentenalter kommen, da seit einigen Jahren keine Rentenbeiträge mehr für diese abgeführt werden. Bei dieser Personengruppe haben wir den größten Teil an verdeckter Armut. Menschen, die ihr ganzes Leben gearbeitet haben und für die Gesellschaft aktiv waren, schämen sich, zum Sozialamt zu gehen und Grundsicherungsleistung zu beantragen.

Die Landesregierung betont immer, dass Hessen wirtschaftlich gut dastehe. Trotzdem wachsen die Armut und die Gefahr, in Armut abzurutschen. Einer Verschärfung der

Armut und einer weitere Spaltung der Gesellschaft kann aber niemand tatenlos zusehen – wir wollen das auf keinen Fall.

(Beifall bei der LINKEN)

Es liegt auch in der politischen Verantwortung dieses Landtags, dass eine Sozialpolitik gemacht wird, die Armut verringert. Das aber ist mit den vorliegenden Änderungen der Regelsätze im Sozialgesetzbuch nicht der Fall. Diese werden im Übrigen nicht nur von uns kritisiert. Stellvertretend für viele Organisationen und Institutionen der Wohlfahrtspflege möchte ich die Kritik des Deutschen Caritasverbandes zitieren:

Es ist entscheidend, dass die Grundsicherung fair berechnet wird. Der DCV ist aufgrund eigener Berechnungen der Auffassung, dass die Beträge derzeit zu niedrig sind.

Weiter sagt Präsident Dr. Neher:

Der Regelbedarf für Erwachsene sollte um rund 60 € pro Monat erhöht werden. Auch dann wäre das Leben der Grundsicherungsempfänger weiterhin von Knappheit geprägt, aber die Erhöhung würde ihnen ein wenig mehr Spielraum in ihrem Alltag verschaffen und den Stress mildern, der aus materiellem Mangel folgt.

Andere Organisationen kommen auf noch höhere Beträge, die erforderlich sind. Alle aber kritisieren den aktuellen Gesetzentwurf.

Es gibt zwar ein paar kleine Verbesserungen – der Regelsatz für Kinder von sechs bis 14 Jahren wurde erhöht, auch wenn dieser noch nicht ausreichend ist, ein Teil der Menschen mit Behinderungen hat jetzt eine kleine Entlastung –, dennoch bleibt eine wesentliche Unterdeckung bei Behinderten, z. B. denen, die allein, in einer Wohngemeinschaft oder einer Einrichtung leben. Viel schwerer aber wiegen die Probleme bei der Neuberechnung der Regelsätze.

2011 wurde die Referenzgruppe für die Berechnung der Regelsätze geändert. Man nimmt nicht mehr die 20 % der Ärmsten, sondern nur noch die unteren 15 %. Einbezogen in diese Referenzgruppe sind die Personen, die selber im ALG-II-Leistungsbezug sind, weil ihr Einkommen zu gering ist und die Personen keinen Antrag stellen, aber trotzdem arm sind. Allein dieser statistische Eingriff kostet jeden Grundsicherungsempfänger nach Berechnung des Paritätischen rund 20 € im Monat.

Dafür, dass im Regelsatz kein Alkohol und keine Tabakwaren enthalten sind, bekommt man in manchen Kreisen durchaus Applaus – mein Problem ist allerdings die unredliche Berechnung. Es wurden keine Sonderauswertungen bei den sozusagen enthaltsamen Haushalten vorgenommen. Und Grundsicherungsempfänger und -empfängerinnen haben sich nicht in Cafés zu treffen oder an Imbissbuden etwas zum Essen zu holen. Ein Familienbesuch im Restaurant soll für sie unerreichbar sein. – Meine Damen und Herren, ich hoffe, wenn Sie das nächste Mal irgendwo mit Freunden oder bei einem Geschäftsessen sitzen, dass Sie sich deutlich machen, dass es dabei ausschließlich um Nahrungsaufnahme geht.

Darüber hinaus gibt es aber die Positionen, die seit Langem unterfinanziert sind. Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber aufgegeben, fortlaufend zu prüfen, ob das Existenzminimum bei den Leistungen für Energie noch

gedeckt ist. Die steigende Zahl von Stromabschaltungen – 2014 waren es 352.000 bundesweit – zeigt, dass da etwas nicht stimmt. Energieversorgung ist eine elementare Sache: Ohne Strom gibt es kein Licht, oft keine Heizung und kein Warmwasser, keine Kühlung und keine Möglichkeit, sich Essen oder ein heißes Getränk zuzubereiten.

Energiesperren aus Armutsgründen müssen untersagt werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Stromkosten sind in den letzten Jahren massiv gestiegen. Ein Einpersonenhaushalt muss bei einem durchschnittlichen Verbrauch etwa 9 € pro Monat mehr als den Betrag ausgeben, der im Regelsatz enthalten sind. Das darf so nicht sein.

(Beifall bei der LINKEN)