Protokoll der Sitzung vom 13.10.2016

(Beifall bei der LINKEN)

Ich könnte Ihnen das für alle Kategorien der Regelsatzberechnung vorturnen; dafür bräuchten wir aber den restlichen Tag.

Ich möchte an der Stelle noch drei Themen ansprechen, erstens den Ansatz in Höhe von 32,90 € für Verkehrsausgaben. Die Bundesregierung geht davon aus, dass ein Grundsicherungsempfänger keinen Pkw benötigt. Für die, die arbeiten gehen, gibt es den Mehrbedarf. Ich fände es ja wunderbar, wenn man überall in Hessen ohne Pkw mobil sein könnte. Ganz Sportliche können es mit dem Fahrrad versuchen. Wer sich aber ein Fahrrad kaufen will, der muss dafür sehr lange sparen, denn es sind genau 0,81 € im Monat für ein Fahrrad vorgesehen. Angenommen, ein gebrauchtes Rad würde 180 € kosten, dann müssten Sie 222 Jahre lang sparen, um es sich kaufen zu können. Ich weiß nicht, wie gut Sie dann noch Fahrrad fahren können.

(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN)

Im öffentlichen Nahverkehr kommen Sie mit dem Regelsatzbetrag auch nicht weit. In Wiesbaden kostet eine Fahrkarte 2,20 €. Das bedeutet, Sie können den Bus etwa siebenmal im Monat benutzen.

Bei der Anschaffung von existenznotwendigen, langlebigen Konsumgütern oder von Brillen gibt es nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts schon jetzt eine deutliche Unterdeckung. Da bleibt den meisten nichts anderes übrig, als ein Darlehen aufzunehmen. Das muss aber wieder abgetragen werden. Das sind nochmals 30 €, die im Monat weniger zur Verfügung stehen.

Am Schlimmsten ist die Unterdeckung bei den Bedarfen für Kinder. Die Referenzgruppe war viel zu klein, um den wirklichen Bedarf zu ermitteln. Das Mindeste wäre gewesen, eine Plausibilitätsüberprüfung der Zahlen vorzunehmen. Jedem vernünftigen Menschen wäre sofort klar, dass 83 € für einen jungen Mann zwischen 14 und 18 Jahren nicht reichen, um den Bedarf an Schuhen für das ganze Jahr zu decken. Außerdem wird deutlich, dass man mit 2,63 € kein Kind vernünftig ernähren kann. Da gibt es andere Berechnungen, was dafür an Geld wirklich notwendig wäre. Wie es außerdem möglich sein soll, genügend Toilettenpapier, Papiertaschentücher und ähnliche Hygieneartikel, z. B. Windeln, für 3,87 € im Monat zu kaufen, bleibt mir schleierhaft. Das ist überhaupt nicht machbar.

(Beifall bei der LINKEN)

Dazu kommt, dass viele Kinder in Einelternfamilien leben. Das erzeugt natürlich einen Mehrbedarf, denn es kostet mehr Geld, wenn man in zwei Haushalten lebt.

Es gäbe noch viel, viel mehr zu diesem Thema zu sagen. Wie sich die Agenda 2010 auf die Arbeitswelt ausgewirkt hat, darüber haben wir ja schon gesprochen.

Wir brauchen eine bedarfsdeckende Grundsicherung, die das Existenz- und Teilhabeminimum sicherstellt.

Meine Damen und Herren, setzen Sie ein Zeichen für eine Wende in der Sozialpolitik. Machen Sie sich dafür stark, dass die Armut abnimmt und nicht weiter steigt. Lehnen Sie im Bundesrat die Änderungen der Regelsätze beim SGB II und beim SGB XII ab. Dringen Sie auf eine Bundesinitiative, die eine bedarfsdeckende Grundsicherung erarbeitet und damit dem Verfassungsauftrag endlich gerecht wird. Das wäre eine gute Sozialpolitik im Interesse der Menschen auch in diesem Land. Dass es viele gibt, die davon betroffen sind, habe ich Ihnen vorhin dargestellt. Zeigen Sie, dass Ihnen diese Menschen nicht gleichgültig sind. Bewegen Sie sich in diese Richtung. Sorgen Sie dafür, dass diese Menschen endlich am gesellschaftlichen Leben teilhaben können, ohne in Armut zu leben, vor allem die Kinder und die Alten.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Schott. – Als Nächste hat Frau Kollegin Klaff-Isselmann für die CDU das Wort.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ So lautet Art. 1 unseres Grundgesetzes.

Ein Mensch behält unter anderem dann seine Würde, wenn er seinen Lebensunterhalt selbst bestreiten kann und nicht auf staatliche Hilfe angewiesen ist. Unser erklärtes Ziel ist daher, dass jede Bürgerin und jeder Bürger einen Arbeitsplatz hat. So kann man sich selbst verwirklichen und seine Zukunft eigenhändig und in Eigenverantwortung gestalten.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wirkungsvolle Sozialpolitik – an diesem Punkt unterscheiden wir uns generell und sehr grundlegend von den LINKEN – unterstützt die Menschen in ihrer Selbstbestimmung, in ihren eigenen Anstrengungen, und leistet ihnen Hilfe zur Selbsthilfe. Dennoch kann es sein, dass Menschen unverschuldet in Not geraten. Hier greift der Sozialstaat; denn für uns alle gilt das Solidarmodell. Keiner wird im Stich gelassen. Den Menschen in Deutschland und in Hessen geht es so gut wie nie, nicht nur dank der starken Wirtschaft und einer Rekordzahl an Arbeitsplätzen, sondern auch deshalb, weil der Sozialstaat in unserem Land so leistungsstark ist und niemanden zurücklässt.

(Beifall bei der CDU – Zurufe von der LINKEN)

Unsere hohen sozialen Standards sind in Europa und in der Welt einmalig; denn unser Sozialsystem bietet jedem Menschen ein Zuhause und die finanziellen Mittel, um am Leben der Gesellschaft teilzunehmen – ob jung oder alt, ob gesund oder krank, gleich welcher Herkunft und welchen

Geschlechts. Jeder Bürgerin und jedem Bürger ist eine Teilhabe möglich. Unsere Maßnahmen dienen dem Vorbeugen vor Armut und vor sozialer Ausgrenzung, und sie schaffen Chancengerechtigkeit – all das dank einer ausgewogenen Sozialpolitik von CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hier in Hessen.

Die Fakten sprechen klar für unsere Politik; sie sind über jedwede Polemik und Scharfmacherei erhaben. Ich nenne z. B. das Sozialbudget Hessens und eine simple Zahl: 70 Millionen €. Mit dem hessischen Sozialbudget unterstützt die Hessische Landesregierung soziale Angebote in den Landkreisen und in den kreisfreien Städten. Die Mittel sind für nicht investive soziale Maßnahmen bestimmt. Die Verwendung dieser kommunalisierten Landesmittel wurde in entsprechenden Zielvereinbarungen zwischen dem Land Hessen, dem Landeswohlfahrtsverband Hessen und den einzelnen Gebietskörperschaften festgelegt. Über die Verteilung der kommunalisierten Landesmittel entscheiden die Gebietskörperschaften jedoch eigenständig. So gewährleisten wir eine schnelle und nachhaltige Hilfe. Durch diese Mittel richten wir ein starkes Signal der Wertschätzung auch an die Verbände und Institutionen, die hilfebedürftige Menschen unterstützen, um ihnen eine gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Wir gewährleisten damit Planungssicherheit für alle diese Einrichtungen.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir fördern die Familien und unterstützen sie in allen Belangen. In diesem Zusammenhang wird unter anderem die Förderung der Familienzentren weiter ausgebaut. Familienzentren stellen ein wichtiges regionales Instrument in Hessen dar, um eine flächendeckende, familienbezogene Infrastruktur aufzubauen. Die Familienzentren bieten für alle Generationen sowie für jede Lebensphase wohnartnahe Hilfen. Von der Kinderbetreuung bis zur Seniorenarbeit stehen in den Familienzentren die unterschiedlichsten Angebote zur Verfügung. Die Familienzentren holen die Menschen dort ab, wo sie im Alltag stehen, und bieten ihnen zielgenaue Hilfen sowie effektive Entlastung und leiten zur Selbsthilfe an.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben die Familienkarte eingeführt. 500.000 Hessinnen und Hessen nutzen sie bereits. Sie bietet Informationen und Vergünstigungen für die ganze Familie, unter anderem bei Kultur, Freizeit, Sport, Bildung und Mobilität. Die Familienkarte beinhaltet auch eine Unfallversicherung für die Familie.

Wir fördern Kinder. Das Kinderförderungsgesetz bietet dafür anspruchsvolle Rahmenbedingung. Wir investieren deutlich mehr Geld in die Kinderbetreuung – für eine bessere Qualität, für mehr Gerechtigkeit, für alle Eltern und ihre Kinder; denn kein Kind soll zurückgelassen oder ausgegrenzt werden.

Mit einer Investition in die Kinderbetreuung in Höhe von jährlich 460 Millionen € fördern wir auch die Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Karriere.

Wir fördern auch die Schuldnerberatung. Sie bietet eine essenzielle Unterstützung für Menschen in prekären Verhältnissen, um wieder in ein geordnetes und selbstbestimmtes Leben einzutreten. Hier gilt das Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe.

Ich erinnere an meine einleitenden Gedanken an ein Leben in Würde. Wer sich selbst helfen kann, der geht mit gestärktem Selbstbewusstsein aus einer misslichen Lage hervor.

(Beifall bei der CDU)

Wir setzen Standards für gute Bildung: über 9.000 neue Lehrer in den vergangenen 16 Jahren, ein Lehrer-SchülerVerhältnis von 1 : 15 und eine bundesweit einmalige Unterrichtsversorgung von 105 % im Landesdurchschnitt. Das Nachbarland Rheinland-Pfalz z. B. kann davon nur träumen.

Bildung ist die Voraussetzung für ein eigenes Auskommen und ein selbstbestimmtes Leben. Wir schaffen gute Rahmenbedingungen für neue Ausbildungs- und Arbeitsplätze; denn auch das ist ein Teil guter Sozialpolitik. Für Langzeitarbeitslose wurde das neu initiierte Förderangebot „Kompetenzen entwickeln – Perspektiven eröffnen“ realisiert. Das Programm hilft Langzeitarbeitslosen dabei, einer sozialversicherungspflichtigen Arbeit nachzugehen und sich gleichzeitig praxisnah zu qualifizieren, um langfristig den Einstieg in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu schaffen.

Mit 5,1 % ist die Arbeitslosenquote derzeit so niedrig wie seit 20 Jahren nicht. 2,4 Millionen Menschen in Hessen haben eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung – ein Rekord. Hessen gehört zu den wirtschaftsstärksten Ländern in Deutschland. Dass es neue, also mehr Arbeitsplätze gibt, bildet die Grundlage für die Finanzierung unserer sozialpolitischen Errungenschaften. Hiervon profitieren alle. Auch künftig werden wir die ökonomischen und sozialen Herausforderungen anpacken. Wir werden Menschen in Not helfen, die sich nicht selbst helfen können.

Ich fasse zusammen: Ein starkes Sozialbudget, Familienzentren, Kinderförderung, Familienkarte, Schuldnerberatung, mehr Lehrer, gute Bildung, neue Arbeitsplätze – all das garantiert ein starkes und soziales Hessen. Prävention und Intervention bilden das Fundament sozialer Gerechtigkeit. So gelingt ein erfolgreiches Miteinander. Wir laden Sie ein, daran mitzuwirken. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Klaff-Isselmann. – Als Nächster hat sich Kollege René Rock für die Freien Demokraten zu Wort gemeldet. Bitte sehr, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kollegen von der CDU, ich glaube, die Zielrichtung des Antrags der LINKEN war etwas konkreter angelegt.

(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN)

Es ging um das SGB II und die Angemessenheit der Leistungen. Ich weiß nicht recht, ob das, was Sie eben vorgetragen haben, hundertprozentig in die Debatte passt. Aber ich werde in der Mittagspause noch einmal in Ruhe darüber nachdenken. Vielleicht fällt mir noch ein Ansatz dazu ein,

(Heiterkeit bei der LINKEN)

oder es folgt auf mich ein Redner, der das nachhaltig erläutern kann, Herr Bocklet z. B. Er wird sich wahrscheinlich dafür einsetzen.

(Heiterkeit des Abg. Gerhard Merz (SPD))

Zur Sache. Erst einmal möchte ich sagen – ich glaube, das muss man heutzutage machen –: Wir Freie Demokraten stehen weiterhin zu den sogenannten Hartz-Gesetzen. Das muss man hier vorwegschicken. Der Grundsatz ist, dass die Menschen aus der Sozialhilfe heraus einen Weg in die Beschäftigung finden. Dabei wird versucht, jeden, der pro Tag drei Stunden am Stück arbeiten kann – der früher in der Sozialhilfe war –, in eine Beschäftigung zu vermitteln. Auch das Aufstocken war als Brücke in den Arbeitsmarkt immer gewollt. Dazu stehen wir weiterhin.

Allerdings möchte ich ausdrücklich sagen: Nach den Erfahrungen, die wir mit den Hartz-Gesetzen gemacht haben, ist nicht von der Hand zu weisen, dass wir eine sich verfestigende Langzeitarbeitslosigkeit haben. Darum muss man sich Gedanken darüber machen, wie man dieses Gesetz effizienter macht und weiterentwickelt. Auch das will ich meinen Ausführungen voranstellen.

(Beifall von der FDP)

Man kann sich jetzt im Klein-Klein verlieren; aber ich glaube, es gibt eine grundsätzliche Frage: Es muss in den Hartz-Gesetzen ein zweites, gleichrangiges Ziel geben. Neben dem Ziel der Arbeitsvermittlung muss das Ziel der Qualifizierung stehen. Nur mit dem gleichrangigen Ziel der Qualifizierung in den Hartz-Gesetzen – oder im SGB II; es ist eines der vier Gesetze – ist es angemessen, weiterhin zu versuchen, Menschen dauerhaft aus der Arbeitslosigkeit herauszuführen. Darum sollte man diese zwei grundsätzlichen Bemerkungen voranstellen, bevor man sich mit den Details auseinandersetzt.

Bei der Frage, wie sich im SGB II der Satz zusammensetzt, haben wir eigentlich gar nicht so viel Spielraum, weil es, angestoßen durch die Verbände, zwei Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts dazu gab. 2014 gab es auch eine endgültige Überprüfung der Systematik, mit der die Bundesregierung die Sätze ermittelt. Die Spielräume sind also nicht so unermesslich, wie es hier dargestellt wird, sondern es gibt einen klaren Rechtsrahmen, innerhalb dessen die Sätze ermittelt werden. Das muss man feststellen. Dann kann man vielleicht noch auf Folgendes hinweisen.

Frau Schott, Sie haben jetzt die Kleinbeträge, die für die einzelnen Leistungen zur Verfügung stehen, herausgegriffen. Aber Sie wissen doch ganz genau, dass, als es bei der Entwicklung des SGB II um die Vergütung ging, die grundsätzliche Frage gestellt worden ist: Soll es Einzelanträge für jede Leistung geben, oder wollen wir die Selbstbestimmtheit der Menschen, die von diesen Leistungen abhängig sind, dadurch sicherstellen, dass es einen Durchschnittsbetrag gibt, bei dem die Menschen selbst entscheiden können, was sie mit dem Geld machen?

(Beifall bei der FDP)

Das war die Überlegung, die man zugrunde gelegt hat. Darum gibt es dieses Sammelsurium an prozentualen Anrechnungen, die den Gerichten gegenüber als Beleg dienen und die eine bestimmte Summe pro Monat ergeben. Dieses Geld kann dann natürlich in einem Monat für dies und in einem anderen Monat für etwas anderes ausgegeben werden. Das ist ein Teil der Systematik, die der Ermittlung zugrunde liegt. Das ist nun einmal so. Sie ist vom Bundesver