Protokoll der Sitzung vom 13.10.2016

Das war die Überlegung, die man zugrunde gelegt hat. Darum gibt es dieses Sammelsurium an prozentualen Anrechnungen, die den Gerichten gegenüber als Beleg dienen und die eine bestimmte Summe pro Monat ergeben. Dieses Geld kann dann natürlich in einem Monat für dies und in einem anderen Monat für etwas anderes ausgegeben werden. Das ist ein Teil der Systematik, die der Ermittlung zugrunde liegt. Das ist nun einmal so. Sie ist vom Bundesver

fassungsgericht überprüft und als rechtmäßig festgestellt worden. Es waren die Sozialverbände, die das ermittelt haben.

(Beifall der FDP – Zuruf der Abg. Marjana Schott (DIE LINKE))

Aber ich möchte ganz speziell auf ein Thema eingehen, das auch Sie, Frau Schott, heute schon erwähnt haben: die Steigerung der Energiekosten, die absolut signifikant ist, vor allem die Steigerung der Stromkosten.

Es ist so – das ist demjenigen nicht bewusst, der sich, weil er kein Fachpolitiker ist, nicht so intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt hat –: Es gibt das Wohngeld, und die Heizkosten werden bezahlt. Das sind zwei Kostenblöcke, die sozusagen von den realen Kosten abgeleitet werden. Dann haben wir die Erzeugung von Wärme durch Strom – ich weiß gar nicht mehr, in welchem Jahr das war – auch extra angesetzt; es war schon damals klar, dass das Erhitzen von Wasser mittlerweile ebenfalls ein Grundbedürfnis ist. Deshalb werden die Kosten speziell errechnet und nicht dem allgemeinen Satz zugeschlagen.

Man muss sich einmal Folgendes vor Augen führen: Der Paritätische Wohlfahrtsverband geht davon aus, dass im letzten Jahr in Deutschland 140.000 Hartz-IV-Haushalte vom Strom abgeklemmt worden sind. 350.000 Haushalte waren es insgesamt; dazu gehörten 140.000 Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften, denen im letzten Jahr der Strom abgestellt wurde: Stromsperre.

Jetzt will ich Ihnen deutlich machen, was es für diese Menschen bedeutet, keinen Strom zu haben: Wenn Sie keinen Strom in Ihrem Haus haben, leben Sie in einer Höhle mit einer Tür und Fenstern. Sie haben keine Kühlung, Sie haben keine Heizung, Sie haben keine Kommunikation und kein Licht. Sie leben in einer Höhle mit einer Tür und mehreren Fenstern, und das womöglich mit einer Familie und im Winter. Das ist ein Umstand, dem man mittlerweile – auch weil sich die Situation zugespitzt hat – Rechnung tragen muss. Darum ist es wahrscheinlich erforderlich, dass wir die Stromkosten

(Gerhard Merz (SPD): Das sind Sachleistungen!)

ebenfalls herausnehmen und sicherstellen, dass sie bezahlt werden. Es ist nämlich nicht mehr darstellbar, dass 140.000 Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften in unserem Land in Höhlen leben müssen.

(Befall bei der FDP)

Erwartungsgemäß sage ich noch einmal: Man könnte auch die Energiepolitik in Deutschland ändern. Das ist nämlich die eigentliche Ursache dieser Entwicklung.

(Marjana Schott (DIE LINKE): Oh nein! – Zurufe von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) )

Darum will ich speziell für die Kollegen von den GRÜNEN noch einmal erklären, warum insbesondere Bedarfsgemeinschaften von dieser Belastung betroffen sind. Jeder in diesem Raum hat sich sicherlich schon einmal Gedanken darüber gemacht, ob in Deutschland eine Flat Tax sinnvoll ist oder nicht. Wir haben darüber diskutiert; die SPD hat einmal einen Wahlkampf damit geführt, die CDU auch. Die Flat Tax ist in Deutschland nicht akzeptiert.

Was haben wir in der Energieversorgung? Wir haben eine Flat Tax. Alle Bürger haben in ihrem Lebensumfeld im

Schnitt den gleichen Stromverbrauch. Auf der Grundlage dieses Stromverbrauchs müssen sie eine Abgabe zahlen.

Wenn ich eine große Familie habe, sind in meinem Haushalt mehr Menschen, also muss ich mehr Abgaben bezahlen als z. B. jemand, der allein lebt. Es ist völlig egal, ob ich ein Jahreseinkommen von 1 Million € oder ein Monatseinkommen von 405 € habe; ich muss den gleichen Anteil einer Abgabe bezahlen. Jetzt hören Sie gut zu, Kolleginnen und Kollegen von den LINKEN: Es sind mittlerweile wahrscheinlich 30 Milliarden €, und das kommt in einen Topf. Wer kann aber hineingreifen? – Nur derjenige, der Geld hat, zu investieren, z. B. in ein Eigenheim, auf das er eine Solaranlage macht, oder in eine Windkraftanlage, die er sich für ein paar 100 € kaufen kann. Nur derjenige kommt an diesen Topf ran.

Das ist die brutalste Umverteilungsmaschine: Jeder zahlt zwangsweise ein, denn jeder muss Strom verbrauchen, wobei große Familien mehr verbrauchen. Der Anteil der Menschen, die kein Geld haben, ist besonders betroffen. Nur diejenigen, die Kapital zum Investieren haben, können an das Geld kommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den LINKEN, blenden Sie daher einmal aus, dass ich das gesagt habe, und stellen Sie sich vor, Oskar Lafontaine hätte das gesagt, und denken Sie noch einmal über Ihre Politik nach, die Sie hier immer vertreten. Denn Sie haben recht: Die Energiekosten sind für Menschen, die nicht so viel Einkommen haben, nicht mehr tragbar. Daher muss es ein Umsteuern der Politik geben.

(Beifall der Abg. Nicola Beer (FDP))

Ich will es noch einmal deutlich machen: Wir haben mittlerweile in unserem Land tatsächlich die Situation, dass die Energiekosten dazu führen, dass niedrige Einkommen existenziell betroffen sind. Wir haben über 300.000 Stromabschaltungen für alle Bürgerinnen und Bürger, natürlich in besonderer Weise bei Menschen, die von Hartz IV leben müssen. Der Paritätische Wohlfahrtsverband schätzt, dass es 140.000 Menschen sind – mit katastrophalen Folgen für die Bedarfsgemeinschaften.

Stellen Sie sich einmal vor: Im Dezember geht das Licht aus; Sie haben drei Kinder, und Sie bekommen den Strom nur angestellt, wenn Sie das Geld netto beim Stromversorger auf den Tisch legen. Ansonsten sagt dieser: Das gibt es nicht. Ich schalte nicht wieder an. Du musst bezahlen. Solange ich das Geld nicht habe, schalte ich deinen Strom nicht wieder frei. – Das sind einfach Situationen, die sich in Deutschland nicht ausbreiten dürfen. Es muss daher eine Lösung geben. Ich hätte grundsätzlich einen Vorschlag für eine Lösung. Wenn diese nicht erlangt werden kann, dann muss es für die Übergangszeit eine andere Lösung geben. Deshalb muss man bei den Hartz-IV-Sätzen noch einmal tief in sich gehen und fragen, ob man diesen Bereich nicht herausnehmen kann, um zumindest die 140.000 Bedarfsgemeinschaften vor diesen katastrophalen Auswirkungen zu schützen.

(Beifall der Abg. Nicola Beer (FDP) und Torsten Warnecke (SPD))

Sie haben noch einmal darauf hingewiesen – ich finde es eigentlich ganz gut, dass dies die Bundesregierung gemacht hat –, dass es bei den Asylbewerbern eine Anpassung gegeben hat. Die Asylbewerber, die in Sammelunterkünften leben, haben andere Kostenstrukturen als diejenigen, die dies nicht tun. Hier ist es zu einer Abschmelzung gekommen; damit kann ich leben. Das soll jetzt kein nega

tives Signal sein, aber wir haben ein Thema, das wir früher nicht hatten. Wir hatten früher eben nicht so viele Asylbewerber, die in Sammelunterkünften leben. Das wird jetzt dauerhaft oder für einen bestimmten Zeitraum noch ein intensives Thema sein. Darum haben sich die Bundesregierung und Frau Nahles dazu durchgerungen, eine 8-prozentige Abschmelzung vorzunehmen. Ich glaube, das kann man auch vertreten.

Herr Kollege, Sie müssten langsam, aber sicher zum Ende kommen.

Nichtsdestotrotz möchte ich feststellen: Die Bundesregierung hat mit Augenmaß gehandelt. Man kann in Details anderer Meinung sein. Aber bei dem Sektor Strom bin ich absolut der Meinung, dass etwas passieren muss, weil es dort Kostensteigerungen über alle Maßen gibt. Man kann die Menschen nicht solchen existenziellen Nöten aussetzen, wie das heute leider in Deutschland der Fall ist. – Vielen Dank.

(Beifall der Abg. Nicola Beer (FDP) und Torsten Warnecke (SPD))

Vielen Dank, Herr Kollege Rock. – Als Nächster spricht Herr Kollege Bocklet für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Bitte sehr.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Kolleginnen und Kollegen der LINKEN haben einen Antrag vorgelegt, der im Kern zwei Dinge zur Diskussion bringt. Das eine ist die Angemessenheit der Sätze für Sozialhilfeempfänger. Das andere ist die Frage, ob es sanktionsfrei geschehen muss oder ob das aktuell zu stark sanktioniert wird. Es ist in der Tat eine Frage, die fachpolitisch und sehr sachlich diskutiert werden muss. Das Interview mit dem Kollegen von der Caritas ist sehr lang, und ich finde es – Frau Schott, um es vorwegzunehmen – sehr beachtlich. Ich möchte gern einmal etwas zitieren, was ich auch an Ihre Adresse richten möchte. „Ist ein Hartz-IVEmpfänger arm?“, wird der Präsident dort gefragt, und er sagt:

Mit Hartz IV ist man jedenfalls unter der Armutsrisikoschwelle. Wir können aber die Höhe der Grundsicherung nicht an einer statistischen Konvention orientieren, sonst müssten wir sagen, die Grundsicherung soll über 1.000 € liegen. Wir müssen politisch festlegen, wie hoch die Grundsicherung sein soll. Dabei müssen wir

jetzt kommt Ihr Satz –

die Grundsicherung fair berechnen. Die Caritas beispielsweise hat den Vorschlag gemacht,

anders als DIE LINKE –

den Regelsatz etwa um 60 € zu erhöhen. Nur,

jetzt kommt das Spannende, um einmal die Komplexität der Diskussion aufzugreifen –

wenn wir das täten, hätten wir etwa 1 Million mehr Hartz-IV-Empfänger, weil mehr Personen unterstützend zu ihrem Lohn Arbeitslosengeld II erhielten.

(Dr. Ulrich Wilken (DIE LINKE): Das ist doch das Fatale!)

Ist das richtig? Das ist auch nicht erschreckend, denn das ist nicht das Problem. Das Problem ist aber, was dann passieren würde. Dazu sagt er – ich zitiere weiter –:

Dann würden die Sozialverbände, Kirchenvertreter, die Linken und Oppositionsvertreter sagen, die soziale Kälte in Deutschland habe zugenommen, weil wir plötzlich mehr Hartz-IV-Empfänger haben.

Ich finde, das ist ein sehr bedenkenswerter Beitrag, weil es genau um die Frage geht: Haben soziale Kälte und Armut zugenommen, und was bedeutet das? – Wenn Sie immer sagen, wir haben so und so viele Hartz-IV-Empfänger – –

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Schott?

Vielleicht später; ich möchte diesen Gedanken erst einmal ausführen. – Das heißt also: Wenn wir X Millionen Menschen im Bezug von Sozialhilfe haben, dann ist das Armutsrisiko für diese Gruppe unbestritten genauso groß. Aber die Frage lautet – es ist ja in der Genetik Ihrer Partei vorgegeben; das weiß ich; es gibt DIE LINKE, weil es Hartz IV gibt, aber das entbindet Sie nicht davon, hierauf zu schauen –: Was bedeutet es, wenn man mehr Rechte einräumt? Geht mit einem Anstieg der Zahl der Hartz-IVEmpfänger gleichzeitig einher, dass die Armut steigt, oder steigt die Armutsbekämpfung? Das ist etwas komplex.

Ich bitte Sie, genau diese Fragen – Frau Schott, diesmal war Ihre Rede nicht so scharf – mit zu diskutieren. Hartz IV gibt es unter anderem deshalb, weil wir das Menschenrecht und die Würde achten wollen. Das ist ein Sozialstaatsprinzip. Ich sage es noch einmal: Wenn durch die Einführung von Hartz IV verdeckte Armut überhaupt erst sichtbar wurde, dann war das ein politisches Ziel. Es war klar, dass die Zahl der Sozialhilfeempfänger ansteigen würde. Das heißt aber nicht, dass es plötzlich mehr Armut gibt, sondern, dass diese sichtbar wurde und es überhaupt erst möglich wurde, sie zu bekämpfen. Das ist ein Teil der Diskussion und ein Teil der Wahrheit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Willi van Ooyen (DIE LINKE): Die Armut steigt!)

Ich will keinen Zweifel daran lassen: Die Sicherung des menschwürdigen Existenzminimums ist ein Grundrecht und hat in Deutschland daher einen sehr hohen Stellenwert. Das Bundesverfassungsgericht leitet ein Grundrecht auf Existenzsicherung, d. h. die Sicherung der physischen Existenz sowie „ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben“, aus Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz ab.

Die Bekämpfung von Armut wird damit zu einer der wichtigsten Aufgaben des Staates. Der Staat hat für die Sicherstellung eines für die Existenzsicherung ausreichenden Einkommens der Staatsbürgerinnen und Staatsbürger Sorge zu tragen. Bei der Verhängung von Sanktionen, das gehört auch dazu, muss man die Rechte und Pflichten der Leistungsberechtigten auf der einen und die Rechte und Pflichten des Staates auf der anderen Seite in ein angemessenes und faires Verhältnis setzen. Auch das ist in diesem Zusammenhang eine ausgewogene Position.

Das bedeutet: Wir müssten zunächst die Angemessenheit der Regelsätze prüfen, und dabei gehen wir mit der Linkspartei zumindest in dieselbe Richtung: Es ist natürlich nicht so, dass die Regelsätze so ausgerechnet werden, dass sie den realen Bedürfnissen dieser Zielgruppe gerecht werden. Das ist natürlich nicht so. Wir wissen, was alles herausgerechnet wurde. Man hat – Frau Schott, Sie haben es beschrieben – nicht 20 %, sondern nur 15 % der Ärmsten genommen. Man hat bestimmte Bedarfe herausgerechnet wie Malstifte, Adventsschmuck und vieles andere. Das ist eine Ungerechtigkeit, die man nachjustieren muss. Ich finde, dass die Bundesregierung in diesem Zusammenhang tatsächlich viele Situationen herausrechnet und damit Teilhabe verhindert. Deswegen sind wir als GRÜNE sowohl im Bund als auch im Land der Meinung, dass diese Angemessenheit anders bzw. besser berechnet werden muss, als dies bisher der Fall gewesen ist. Dazu stehen wir auch.

Das heißt aber nicht, dass dies, wenn es zu einer Anhebung von beispielsweise 5 € kommt, wie es die Bundesregierung von SPD und CDU beschlossen hat, der falsche Schritt ist, auch wenn sie aus unserer Sicht zu gering ist. Es bleibt natürlich erst einmal ein Schritt in die richtige Richtung. Es ist nicht angemessen. Aber warum soll ich im Bundesrat gegen etwas stimmen, was ich im Kern erst einmal als Schritt in die richtige Richtung verstehe?

(Marjana Schott (DIE LINKE): Damit es gut wird!)

Das ist erst einmal ein richtiger Schritt. Jeder kleine Schritt bleibt, wenn er richtig ist, richtig. Nur weil ich mehr will, muss ich einen richtigen Schritt nicht erst einmal ablehnen. Deswegen lautet unsere Position: Ja, wir brauchen auf Bundesebene eine bessere Berechnung, eine angemessenere Berechnung. Wir brauchen eine Angemessenheit der Regelsätze. Ja, das teilen wir. Der erste Schritt, das zu erhöhen, ist nicht falsch. Wir würden dem als GRÜNE auch nicht entgegenstehen.

Jetzt kommen wir zum zweiten Punkt, der Sanktionsfreiheit. Wir haben schon einmal darüber geredet, auch letztes Jahr. Ich habe es noch einmal nachgelesen. Wir haben etwa eine Million verhängte Sanktionen. 730.000 davon, also etwa 73 % – das habe ich Ihnen damals schon gesagt –, sind deshalb verhängt worden, weil die Betroffenen überhaupt nicht zum Gespräch kamen. Die eingeladenen Personen sind bis zu dreimal nicht zum Gespräch ins Jobcenter erschienen.

(Zuruf des Abg. René Rock (FDP))