Wenn wir das Thema „Fördern und Fordern“ ernst nehmen, dann müssen wir auch erwarten können, dass jeder, der vom Staat Sozialleistungen beziehen will, sich zumindest im Jobcenter blicken lässt und sich helfen lässt. Wenn aber 73 % nicht kommen, dann kann ich nicht mit Schaum vor dem Mund sagen, dass das Jobcenter drangsaliert und sanktioniert. Es handelt sich um eine ganz normale Mitwirkungspflicht, die wir bisher alle in diesem Saal befürwortet
haben. Wer etwas vom Staat möchte, unterliegt der Mitwirkungspflicht. Nur dann kann der Staat helfen. Wer gegen die Mitwirkungspflicht verstößt, muss damit rechnen, dass die Sanktionen dann greifen. So einfach ist das.
Das ist systemimmanent, das liegt in der Logik des Systems begründet. Eine völlige Sanktionsfreiheit ist deswegen Unfug. Im letzten Jahr lief beim Bundesverfassungsgericht der Fall aus Gotha auf, ob Sanktionen gegen das Existenzminimum verfassungswidrig sind. Es kam leider nicht zu einer Entscheidung, weil das Bundesverfassungsgericht es abgelehnt hat, diesen Fall zu behandeln. Ich hätte diese Entscheidung sehr spannend gefunden.
In der grünen Bundestagsfraktion vertreten wir die Auffassung, dass man nicht alles kürzen kann und das Existenzminimum jedem Menschen zusteht. Es geht um eine zehnprozentige Kürzung bei einem anzusparenden Bedarf. Eine komplette Sanktionierung halten wir auch für kritisch.
Ich vermisse bei der Linkspartei diese Differenzierung. Sie nuscheln es weg oder sind völlig anderer Meinung. Wir können Menschen nur dann helfen, wenn sie sich auch helfen lassen wollen. Das ist die Beteiligung über die Mitwirkungspflicht. Wenn 73 % das ausschlagen, kann ich nicht sagen, die seien nicht schuld daran. Sie haben eine aktive Schuld und müssen sich der Frage stellen.
Noch nicht. – Wenn wir sagen, diese 73 % haben die Zusammenarbeit in irgendeiner Art und Weise verweigert, dann müssen wir uns dem letzten Viertel zuwenden. Wir sind unzufrieden und denken dass es in den Jobcentern noch nicht der Weisheit letzter Schluss ist, was das hohe Potenzial des Förderns betrifft. Ich selbst habe immer wieder die Rede gehalten, dass diese Eingliederungstitel in Hessen, damals 350 Millionen €, heute 280 Millionen €, nicht völlig ausgeschöpft werden. Das sind Mittel, die für Langzeitarbeitslose und Arbeitslose gedacht sind, damit sie gefördert werden und in Arbeit kommen. Wenn die Mittel nicht ausgeschöpft werden und vor allem nicht klug ausgeschöpft werden, dann kommen sie auch nicht bei den Menschen an. Damit kommt nicht an, dass die Menschen wieder in Arbeit und Einkommen finden.
Das ist unsere Kritik. Das Fördern muss ausgebaut werden. Deswegen sind wir der Meinung, dass es bei Menschen, die ihren Eingliederungsplänen nicht zustimmen, auch nicht zu Sanktionen kommen darf. Da muss es andere Möglichkeiten geben, dass die Menschen so attraktive Förderungen erhalten, dass sie die Eingliederungspläne auch gerne annehmen.
Das ist eine fachpolitische Diskussion. Dazu gehört es auch, dass man sich die Situation in den Jobcentern genauer ansieht. Die Kritik reißt auch nicht ab. An dem Prinzip des Förderns und Forderns kann es keinen Zweifel geben.
Gerade bei Menschen unter 25 ist es mir ein Rätsel. Mir fällt nichts anderes ein, als diese Jugendlichen stärker zu fordern und ihnen zu sagen: Eure Zukunft liegt noch vor euch, geht zu den Jugendjobcentern, und meldet euch dort. Dort gibt es eine riesige Palette an Fördermöglichkeiten. – Wenn sie da nicht hingehen, können wir doch nicht sagen, es war nicht so gemeint. Dann nehmen wir doch unsere eigenen sozialpolitischen Ansprüche nicht ernst.
Ich komme zum Schluss. – Wir wollen, dass die Angemessenheit der Regelsätze stärker geprüft wird. Sie soll wohlwollender geprüft werden. Ich glaube tatsächlich, dass diese Prüfung nicht alle Lebensbedarfe beinhaltet. Wir wollen trotzdem, dass das Prinzip des Förderns und Forderns mit Augenmaß fortgeführt wird. Wenn es notwendig ist, müssen die Menschen auch zum Gespräch erscheinen. Deswegen verstehe ich die überdimensionierte Forderung der LINKEN nach Sanktionsfreiheit nicht. Wir stimmen gegen diesen Antrag. – Danke schön.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich bin ganz froh, dass die letzten beiden Beiträge erstens zum Thema waren und die beiden Kollegen das zweitens in einer sehr sachlichen Art und Weise gemacht haben und sich tatsächlich mit dem Antrag der LINKEN auseinandergesetzt haben. Das will ich auch tun.
Herr Kollege Bocklet hat den Präsidenten des Caritasverbandes zitiert. Ich wollte ein gleichlautendes Zitat des Generalsekretärs des Caritasverbandes an den Anfang meiner Rede stellen. Das kann ich mir jetzt sparen. Es läuft aber in der Tat darauf hinaus, zusammengefasst, dass es nicht ausreicht, einfach nur über Geld zu reden.
Wenn wir über die Weiterentwicklung des SGB II reden, reicht es nicht aus, nur über Geld zu reden, und zwar auf die Art und Weise: Bundesregierung plus 10 %. Das ist keine politische Strategie zum Umgang mit einem in der Tat drückenden Problem. Es ist ein drückendes Problem, das uns in der Sozialpolitik am meisten drücken muss, nämlich die sich verfestigende Arbeitslosigkeit in einem bestimmten Segment der Bevölkerung. Diese Verfestigung der Arbeitslosigkeit hat auch mit der Reform des SGB II nicht beseitigt oder nicht verhindert werden können. Über diesen Zusammenhang wäre jetzt viel zu sagen.
Ich glaube nicht, dass der Zusammenhang zwischen SGB II und dieser sich verfestigenden Armut so ist, dass man
sagen kann, daran ist das SGB II schuld. Wir hatten eine wirtschaftliche Situation, auf die das SGB II eine unvollständige Antwort war, die in der praktischen Ausführung mit vielen Problemen behaftet war. Es war eine Reaktion auf eine wirtschaftliche Situation, in der Massenarbeitslosigkeit geherrscht hat. Diese Massenarbeitslosigkeit hat vor dem Hintergrund einer internationalen Entwicklung und Globalisierung der Arbeitsmärkte stattgefunden, die den Druck auf den deutschen Arbeitsmarkt ausgeübt haben, an dessen Ende Druck auf die Löhne und auf die Arbeitsverhältnisse ausgeübt worden ist.
In Ihrem Antrag machen Sie gleich am Anfang unter der Überschrift „Der Druck auf die Löhne nimmt zu“ im Grunde genommen das SGB II alleine für den Druck auf die Löhne verantwortlich. Dieser Druck hat allerdings in den letzten Jahren wieder abgenommen, weil sich die konjunkturelle Situation gebessert hat.
Ich will jetzt nicht so weit gehen, zu sagen, die Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt haben sich deswegen verbessert, weil Deutschland sich zu einer Arbeitsmarktreform verstanden hat. Es gibt Leute, die tun das. Ich will gar nicht so weit gehen.
Ich konstatiere, dass es nach meiner Auffassung unzulässig ist, zu sagen, die sich verfestigende Arbeitslosigkeit bei einem Teil der Bezieher von SGB II hat nicht alleine etwas mit dem SGB II zu tun, sondern hat in der Tat etwas damit zu tun, mit wem wir es hier zu tun haben.
Von Vertretern des Jobcenters und der Arbeitsagentur in meiner Region bekomme ich gesagt, dass sich auch in diesem Segment auf dem Arbeitsmarkt etwas tut und es gelingt, Menschen in Arbeit zu vermitteln. Es handelt sich aber um das marktnahe Segment.
Jetzt können wir viel über die Arbeitsmarktförderung und die Arbeitsmarktbudgets reden – das tun Sie in Ihrem Antrag auch eher beiläufig. Ich glaube erstens, dass sie nicht ausreichen. Da stimme ich zu. Ich glaube zweitens, dass sich die Jobcenter zu sehr unter dem Druck sehen, Vermittlungszahlen aufweisen zu müssen, und sich deswegen zu sehr auf die marktnahen Segmente konzentriert haben.
Es gibt eine Gruppe von Menschen, deren Qualifikation, so wie sie sich im Moment darstellt und wie sie sich im Laufe der Biografie entwickelt hat – bzw. wie sich Biografien zu entwickeln drohen, wenn wir über Kinder und Jugendliche reden –, deren persönlicher Zustand, deren gesundheitlicher Status zum jetzigen Zeitpunkt eine Vermittlung in den Arbeitsmarkt nicht zulassen, schon gar nicht in den ersten Arbeitsmarkt. An diesem Segment muss noch einmal gesondert gearbeitet werden – Kollege Rock hatte darauf hingewiesen. Hierzu müssen neue Förderkonzepte entwickelt werden.
Aber diese Situation alleine mit den Mitteln des SGB II beseitigen zu wollen, würde auch wieder zu kurz greifen. Das SGB II ist kein Mittel zur Armutsprävention; das SGB II ist in seinem Leistungsteil auch kein Mittel zur Armutsbekämpfung.
Armutsprävention und Armutsbekämpfung ergeben sich aus einer vernünftigen Bildungspolitik, aus einer vernünftigen Familienpolitik, aus einer anständigen Wohnungspolitik, aus einer aktiven Arbeitsmarktpolitik, aus einer aktiven
Wirtschaftspolitik, die arbeitsmarktorientiert ist, und übrigens auch aus einer Politik – ich weiß nicht, wie das Bundesverfassungsgericht entschieden hat –, die die internationalen Märkte regelt und die Globalisierung gestaltet.
(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Michael Boddenberg (CDU))
Das will ich einmal an die Adresse derer richten, die an der Stelle immer in die falschen Hörner tuten.
Aber das gehört jetzt nicht zum Thema, und ich habe mir vorgenommen, beim Thema zu bleiben – man muss nicht zum Thema reden, wenn man hier vorne steht, das haben wir heute auch schon gehabt.
Ich meine, dass es zu kurz greift, das zu glauben – das schimmert in dem Antrag so durch –, weil Sie Armut und SGB-II-Bezug immer gleichsetzen, auf der Phänomenebene und auch im Ursache-Wirkungs-Verhältnis. Das ist mein fundamentaler Einwand gegen Ihren Antrag. Ich will jetzt noch ein paar Sachen sagen, zu einzelnen Punkten.
Ich habe schon etwas zu dem Zusammenhang Druck auf die Löhne und SGB II gesagt. Auf der zweiten Seite Ihres Antrags unter „Die Spaltung der Bevölkerung nimmt zu“ sagen Sie: „Noch nie hat es so viele Erwerbstätige gegeben,“ – immerhin – „aber ebenfalls noch nie so viele prekäre Tätigkeiten und Teilzeitbeschäftigungen.“ Ich will nur noch einmal darauf hinweisen, dass ich es nicht ganz redlich finde, prekäre Beschäftigungen und Teilzeitbeschäftigungen ohne Weiteres in einem Atemzug zu nennen: Nicht jede Teilzeitbeschäftigung ist prekär.
Viele Teilzeitbeschäftigungen sind so, weil die Menschen sie sich so wünschen. Ich weiß, wir müssen nicht darüber reden, dass es sehr viele gibt, die aus Vollzeitbeschäftigungen umgewandelt worden sind, und dass es an der Stelle auch Missbrauch gibt. Aber ich warne davor, immer das Kind gleich mit dem Bade auszuschütten; in der Argumentation über eine differenzierte Problemlage und über eine differenzierte Personengruppe ist auch ein bisschen differenzierter zu argumentieren, als Sie das tun.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Michael Boddenberg (CDU))
Zweitens. Was die Frage der Referenzgruppe angeht – Moment, jetzt muss ich meinen Zettel suchen –: Ich weiß nicht, wo Sie Ihre Informationen herhaben. Nach dem Schaubild, das ich hier habe, beträgt die Referenzgruppe immer noch 22,3 % und nicht 15 %, und es ist die ganze Gruppe der SGB-II-Bezieher herausgerechnet worden, die keine sonstigen Einkommen haben, sondern ausschließlich von SGB II ihren Lebensunterhalt bestreiten.
Das ist im Grunde eine Änderung zum Positiven. Ich kann es nicht anders zusammenfassen. Wir haben im Moment eine Armutsrisikogrenze, die bei 60 % der mittleren Einkommen liegt. Ob das richtig ist oder nicht, auch darüber wäre zu reden; Armut ist nämlich ein auslegbarer Begriff.
Ja, absolut. – Auch in dieser Differenzierung sind es auslegbare Begriffe. Ich finde, auch da sollte man ein bisschen vorsichtiger damit umgehen. Es ist richtig – ohne Umschweife –, dass die Zahl der Kinder und Jugendlichen in Sozialhilfe, im SGB-II-Bezug drückend hoch ist, dass die Kinderarmut das drückendste Problem im Gesamtkontext Armut ist.
Ich stimme mit der Einschätzung, dass die Erhöhungen nicht ausreichen, überein. Das habe ich, glaube ich, noch gar nicht gesagt. Ich dachte, das wäre konkludent. Ich sage explizit, dass das insbesondere für Kinder und Jugendliche gilt. Ich will allerdings hervorheben – das ist bei Ihnen ein bisschen untergegangen –, dass die Erhöhung für die Gruppe der Schulkinder in der Tat immerhin 21 € beträgt. Das ist nicht nichts; das ist substanziell. Wir können jetzt darüber reden, wie es bei den unter Sechsjährigen sein müsste. Auch bei den Jugendlichen muss das letzte Wort noch nicht gesprochen sein. Ich glaube, dass der Weg zu einer eigenständigen Kinder- und Jugendgrundsicherung zumindest ein diskussionswürdiger ist.
Meine Damen und Herren, Sie schlängeln sich übrigens bei dem Sanktionsteil – ich habe zu dem Sanktionsteil nichts gesagt; dazu hat Kollege Bocklet relativ viel gesagt, das ist alles auch grosso modo richtig – ein bisschen um die Frage des bedingungslosen Grundeinkommens. Da mogeln Sie sich herum. Da wollen Sie offensichtlich nicht heran, aber Sie versuchen es mit dem Sanktionsteil. Aber, wie gesagt, das will ich jetzt nicht vertiefen.
Ich kann es eigentlich nicht mehr – ich hätte gerne noch etwas zu den Energiekosten gesagt. Wer sich mit der Frage ein bisschen auskennt, wie es in der Realität aussieht, weiß, dass es da ähnlich ist wie bei den Sanktionen im SGB II. Es gibt immerhin noch ziemlich viele SGB-II-Bezieher, die ihre Energierechnung bezahlen. Jeder, der weiß, wie Stadtwerke damit geplagt sind, hat eine Ahnung, dass es nicht nur an der Höhe des SGB II liegen muss.
Wenn wir von dem derzeitigen Prinzip wieder zum Teilsachleistungsprinzip übergehen und die Stromrechnung von den Jobcentern bezahlen lassen würden, wären wir an der Stelle auch weiter.