Protokoll der Sitzung vom 24.11.2016

Danke, Herr Kollege Greilich. – Als nächster Redner spricht nun Kollege Holschuh für die SPD-Fraktion. Bitte schön, Herr Kollege, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Setzpunkt der LINKEN greift zum wiederholten Mal

den NSA-Skandal auf. Es gilt in diesem Zusammenhang noch vieles aufzuklären und vor allem die Lehren daraus zu ziehen. Das haben die Vorredner schon aufzuzeigen versucht. Vielleicht komme aber zumindest ich zu einem anderen Schluss.

Durch die Enthüllungen von Edward Snowden im Sommer 2013, die auf Material des US-amerikanischen Geheimdienstes NSA zurückgehen, wurde es möglich, zu sehen, in welchem Ausmaß Nachrichtendienste offenbar seit Jahren private, geschäftliche und politische Kommunikation in Europa und in der ganzen Welt ausspähen. Die Beweisaufnahme im NSA-Untersuchungsausschuss auf Bundesebene offenbarte dabei auch schwere technische und organisatorische Defizite beim BND, die der BND inzwischen selbst zugegeben hat. Aber auch das Bundeskanzleramt hat diese Vergehen eingeräumt.

Die Lehren aus den aufgedeckten Vorfällen zu ziehen ist das, was wir in Berlin politisch auf den Weg bringen müssen. Die schwierige Aufgabe dabei ist, den Spagat hinzubekommen zwischen dem Aufklärungsinteresse, der Beseitigung des im Rahmen des NSA-Untersuchungsausschusses bei den Nachrichtendiensten festgestellten Fehlverhaltens und dem legitimen Interesse der Sicherheitsbehörden und vor allem unserer Bürgerinnen und Bürger auf Schutz vor terroristischen Bedrohungen und Angriffen.

(Beifall bei der SPD)

Die SPD hat in der Bundesregierung darauf gedrängt, den Forderungen aus dem Ausschuss so weit wie möglich zu entsprechen, ohne dabei die Arbeits- und Kooperationsfähigkeit des BND zu gefährden. Dieses Bemühen kann man leider nicht von allen Beteiligten behaupten. Unser Regierungspartner in Berlin hatte kein besonderes Interesse daran, eine grundlegende Reform der strategischen Fernmeldeaufklärung des BND auf den Weg zu bringen. Kein Interesse bei de Maizière und dem BND, kein Schuldbewusstsein angesichts der fortgesetzten Verstöße gegen den Datenschutz, kein Bedauern der Verfehlungen, keine Erklärungen für das Abhören unter Freunden: Deshalb war es notwendig, dass die SPD ihren Partner treibt, wie auch bei vielen anderen Themen in Berlin. Das kennen wir aus den täglichen Diskussionen.

Das, was wir mit den grundlegenden Reformen auf den Weg gebracht haben, kann sich – da unterscheidet sich meine Einschätzung von dem, was Herr Greilich gesagt hat – ein Stück weit sehen lassen und formuliert die Anforderungen an die moderne Ausgestaltung eines Rahmens, den die Nachrichtendienste dringend brauchen, um auf den rechtsstaatlichen Weg zurückzukommen.

Die Diskussion darüber hat nicht nur zu einer Belastung der deutsch-amerikanischen Beziehungen geführt, sondern ist auch der Ausgangspunkt einer längst überfälligen Debatte über nationale und internationale Regeln für das neue Zeitalter globaler Kommunikationsstrukturen, in welchem Nachrichtendienste in Anbetracht einer stetig wachsenden globalen Gefahrenlage eine immer größere Rolle spielen.

Der Selektorenskandal hat gezeigt, dass im BND zwar offenbar die Beachtung von Art. 10 des Grundgesetzes – die G 10-Kommission ist ja schon angesprochen worden –, der Schutz des Telekommunikationsverkehrs deutscher Staatsbürger, Berücksichtigung fand, aber für die Fernmeldeaufklärung ausländischer Staatsbürger im Ausland gab es kaum Beschränkungen. Hier war alles „zum Abschuss freigegeben“, so ein Mitarbeiter des BND im Ausschuss. Wie

der Umgang mit den Selektoren, also bestimmten Suchbegriffen der Datenkommunikation, genau erfolgt, wurde aktuell vom Bundesverfassungsgericht überprüft, und es wurde festgestellt, dass die Liste ein rechtmäßiges Mittel nachrichtentechnischer Ermittlungen ist und daher geheim bleiben muss, was auch wir von der SPD für vernünftig halten.

Mit der Einführung einer unabhängigen Vertrauensperson ist die parlamentarische Kontrolle über die Arbeitsweise der Dienste aber gewährleistet. Die Transparenz gegenüber dem Parlament und vor allem gegenüber der Öffentlichkeit wurde deshalb, wie ich finde, maßgeblich verbessert und geht sogar über das hinaus, was das Verfassungsgericht als Mindestmaß angezeigt hat.

(Beifall bei der SPD)

Das gilt im Übrigen auch für die Reform des BND-Gesetzes. Dass ein 20 Jahre altes Gesetz über die Telekommunikation keine Lösungen für die heutige radikal geänderte, digitale Kommunikationswelt bereithält, dürfte jedem klar sein. Nicht nationale Grenzen, sondern die Wahl von Anbieter und Software entscheidet, welchen Weg digitale Informationen auf unserem Erdball nehmen. Die rechtliche Unterscheidung zwischen In- und Ausland verliert dadurch erheblich an Bedeutung. In Deutschland transportieren Telekommunikationsnetze in gleicher Weise ausländische Kommunikation wie die Kommunikation deutscher Teilnehmer ins Ausland. Entscheidender wird die rechtliche Stellung jener Personen werden, die Ausgangs- und Endpunkt dieser Kommunikationsvorgänge sind.

Für die Erfassung von Telekommunikation im Ausland bzw. unter ausschließlicher Beteiligung von Ausländern gibt und gab es bislang für den BND keine klaren gesetzlichen Vorschriften. Das ist nicht nur verfassungsrechtlich problematisch und wird zu Recht kritisiert, sondern es beschädigt auch das Vertrauen der Bevölkerung in die Arbeit der Sicherheitsbehörden. Die Beweisaufnahme des Untersuchungsausschusses hat ergeben, dass die Rechtsanwendung durch den BND in der nachrichtendienstlichen Praxis zu einer ganzen Reihe von Folgeproblemen geführt hat, insbesondere wenn die Behörde im Inland und damit im Geltungsbereich des Grundgesetzes handelte, wie z. B. an dem heute schon oft zitierten DE-CIX-Internetknotenpunkt in Frankfurt – insbesondere dann, wenn es im Umgang damit an entsprechender Transparenz fehlt. Der BND kann nur dann gute Arbeit leisten, wenn er auch auf einem gesicherten, stringenten rechtlichen Fundament steht. Insofern ist im Bund mit dem neuen BND-Gesetz der richtige Schritt in die richtige Richtung getan worden.

(Beifall bei der SPD)

Aber es muss aus unserer Sicht als oberste Maxime gelten, dass die Nachrichtendienste die rechtsstaatlichen Grenzen und die Freiheitsgarantie unseres Grundgesetzes strikt zu wahren haben. Freiheitsrechte dürfen nicht abstrakten Sicherheitsinteressen geopfert werden. Wir halten nichts von dem amerikanischen Handlungsgrundsatz, dass alle und alles verdächtig sind.

(Beifall bei der SPD)

Jeder Eingriff in Bürgerrechte bedarf einer Rechtfertigung und einer umsichtigen Güterabwägung. Parlamentarische Kontrollgremien müssen dies in jedem Einzelfall sicherstellen.

Neue Bedrohungslagen bedürfen wirksamer Antworten und Taten. Die Bedrohung durch die Terrorgruppe Islami

scher Staat ist beispielhaft, hoch aktuell und hat unmittelbare Auswirkungen auf die heutige Gefahrenlage in Deutschland. Die Rückkehr von gewaltbereiten, radikalisierten Kämpfern aus Syrien oder aus dem Irak stellt eine unmittelbare Bedrohung dar. Es sind fundierte nachrichtendienstliche Erkenntnisse erforderlich, um wirksame Gegenmaßnahmen treffen zu können. Es ist unsere Aufgabe, den Schutz von Menschenleben mit all unseren rechtsstaatlich zur Verfügung stehenden Mitteln zu gewährleisten.

Ja, dafür brauchen wir auch die Hilfe unserer Verbündeten und Freunde. Wir brauchen eine vertrauensvolle, rechtlich gebundene und wirksam kontrollierte Kooperation mit den Nachrichtendiensten befreundeter Staaten. Vor allem der technologische Austausch mit den US-Diensten ist für den BND und die Sicherheit in Deutschland unverzichtbar.

Dass der Umgang gerade mit den USA bei diesem Thema schwierig ist, hat die Vergangenheit gezeigt. Sogenannte No-Spy-Abkommen waren die Interviews nicht wert, in denen sie propagiert wurden. Trotzdem: Dort, wo wir auf die Gesetzgebung Einfluss nehmen können – übrigens am besten im Schulterschluss mit unseren europäischen Partnern; aber das ist schon angeklungen –, müssen wir das auch tun. Wir müssen gegenüber den USA als starker Partner auf Augenhöhe auftreten und rechtliche Standards einfordern, die für uns selbstverständlich gelten.

Dazu müssen wir die gesetzlichen Grenzen einer solchen Überwachung bestimmen. Wir müssen die Erfassung ausländischer Kommunikation auf das erforderliche Maß beschränken. Daten, die für die Aufgabenerfüllung nicht notwendig sind, sind schnellstmöglich zu löschen. Anstatt einen großen „Datenheuhaufen“ zusammenzutragen, wie es die NSA immer angestrebt hat, muss für den BND gelten: so viel wie nötig, so wenig wie möglich.

(Beifall bei der SPD)

Dass wir uns heute mit dem BND-Gesetz beschäftigen und einen Bezug zu Hessen herstellen, ist im Zusammenhang mit dem Internetknoten DE-CIX in Frankfurt schon angeklungen. In unserem Land betreiben wir tatsächlich einen der weltweit größten Internetknoten. Der Betreiber weist zu Recht darauf hin, er hat seit Jahren große Bedenken dagegen, dass der BND an dem DE-CIX-Knoten Daten abfischt.

Ich finde – das gehört in einem Rechtsstaat ganz einfach dazu –, dass er nach dem Bekanntwerden der Erkenntnisse aus dem NSA-Untersuchungsausschuss auch das Recht hat, in die Offensive zu gehen und vor dem Bundesverwaltungsgericht zu klagen. Allerdings ist dem Betreiber schon seit mehr als acht Jahren bekannt, wie die Nachrichtendienste dort mit den Daten umgehen. Zumindest müsste man das dem Betreiber zugestehen.

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.

Ich bin gleich durch. – Als Mittelweg zwischen einem verdeckten, rechtlich unklaren und sich am Rande der Verfassung bewegenden „Weiter so“, wie es unser Koalitionspartner im Bund und auch der BND gern gehabt hätten, und dem völligen Verzicht auf eine Gefahrenabwehr durch die Nachrichtendienste, wie es DIE LINKE am liebsten

hätte, wurde mit dem BND-Gesetz ein Schritt in die richtige Richtung getan. Vor allen Dingen wurde die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger nicht aus dem Blick verloren. Wir, die SPD, unterstützen dies. Den Antrag der LINKEN lehnen wir ab.

(Beifall bei der SPD)

Danke, Herr Kollege Holschuh. – Als nächster Redner spricht nun Kollege Bauer von der CDU-Fraktion. Bitte schön, Herr Kollege, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Thema eignet sich wahrlich nicht zum Skandalisieren und zum Schüren von Ängsten. Aber es zeigt einmal mehr das tief sitzende Misstrauen der LINKEN gegenüber staatlichen Institutionen.

(Holger Bellino (CDU): So ist es! – Janine Wissler (DIE LINKE): Ein gesundes Misstrauen ist gar nicht so schlecht!)

Worum geht es in den Gesetzen zum Einsatz und zur Kontrolle der Nachrichtendienste, die Bundestag und Bundesrat vor wenigen Wochen verabschiedet haben? Es geht um die Lehren, die man aus den Vorkommnissen in der Vergangenheit zu ziehen hat, und um die Konsequenzen, die sich aus den im NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages – immerhin 115 Sitzungen in drei Jahren – festgestellten Missständen ergeben. Da kann es doch von niemandem in diesem Haus ernsthaft bestritten werden, dass man hier Handlungsbedarf hat und etwas regeln muss.

Beim BND-Gesetz wägt man maßvoll und gewissenhaft zwischen den beiden Bereichen Freiheit und Sicherheit ab, damit beiden Grundrechten Rechnung getragen wird. Es geht zum einen um die Frage: Wie weit darf das berechtigte Bedürfnis nach dem Schutz der Bevölkerung vor Terrorismus und anderen Gefahren gehen? Zum anderen geht es um die Frage: Welche Befugnisse sollen unsere Nachrichtendienste besitzen, um unsere freie Gesellschaft vor ihren Feinden zu schützen?

Wir Christdemokraten sind von der grundsätzlichen Notwendigkeit von Nachrichtendiensten überzeugt. Sie sind ein Bestandteil unserer Sicherheitsarchitektur. Hunderte von Menschen, die in den letzten Jahren in Europa bei Terroranschlägen ums Leben gekommen sind, machen die Bedrohung greifbar und spürbar. Ohne die Aufklärungsarbeit der Nachrichtendienste wären es vermutlich viel mehr gewesen. Der erst jüngst in Chemnitz gefasste syrische Terrorist wurde dank nachrichtendienstlicher Erkenntnisse – zugegebenermaßen eines befreundeten Geheimdienstes – entdeckt.

Vergessen Sie nicht die Zunahme der Zahl der Cyberattacken, einer unsichtbaren, aber realen Gefahr für unsere hoch technologisierte Gesellschaft, vergessen Sie auch nicht die längst grenzüberschreitend tätige organisierte Kriminalität.

(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Kollege Bauer, vergessen Sie auch die Kriege nicht!)

Wenn man sich für die Existenz von Nachrichtendiensten ausspricht, muss man auch für deren Arbeit den notwendi

gen rechtlichen Rahmen schaffen. Nichts anderes wurde in Berlin beschlossen, und wir stehen dazu.

Meine Damen und Herren, was wird denn geregelt? In dem neuen § 6 des BND-Gesetzes wird eine ganz klare Zuständigkeit für das Verbot der Überwachung Deutscher verankert. Die Privatsphäre der Menschen wird ausdrücklich geschützt. Sobald anzunehmen ist, dass im Rahmen nachrichtendienstlicher Aufklärungen das Privatleben berührt wird, werden die Maßnahmen unzulässig. Die Daten dürfen nicht verwendet werden und müssen unverzüglich gelöscht werden.

Unzulässig ist auch Wirtschaftsspionage. Sie ist ausdrücklich verboten. Ebenso ausdrücklich ist das Ausspähen befreundeter Staats- und Regierungschefs untersagt. Wie der Name des Gesetzes schon besagt, wird vorrangig die Fernaufklärung von Ausländern im Ausland, also die Überwachung von Internet- und Telefonverbindungen durch den BND, geregelt. An einer Überwachung von Datenströmen ausländischer Gesprächspartner im Ausland, etwa in einer bekannten Krisenregion, führt angesichts der weltumspannenden Terrorgefahr wahrlich kein Weg vorbei. Der BND muss die Daten doch dort abschöpfen können, wo sie anfallen.

Da hier in der Vergangenheit jedoch – zu Recht – die Ausspähung auch von EU-Bürgern Empörung hervorgerufen hat, enthält das BND-Gesetz besondere Schutzvorgaben für EU-Bürger und Einrichtungen der Europäischen Union. Europäische Bürger werden, sofern sie keine Terrorverdächtigen sind, nicht überwacht. Diese Standards sind europaweit, ja weltweit einmalig.

(Beifall bei der CDU – Willi van Ooyen (DIE LIN- KE): Aber Frau Merkel wurde doch überwacht! – Weitere Zurufe von der SPD und der LINKEN)

Die mangelnde Kontrolle der Geheimdienste, die in der Vergangenheit zu beklagen war, wird mit diesem Gesetz beendet. Das Bundeskanzleramt ordnet die Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung an, und ein unabhängiges Gremium, das aus zwei Richtern bzw. Richterinnen des Bundesgerichtshofs und einer Bundesanwältin bzw. einem Bundesanwalt besteht, überprüft dies. Das Richtergremium wird auch die verwendeten Selektoren überprüfen.

Meine Damen und Herren, das ist ein Mehr an Kontrollmöglichkeit. Die Notwendigkeit der Zusammenarbeit der einzelnen nationalen Nachrichtendienste steht doch angesichts grenzüberschreitender Bedrohungen nicht infrage. Aber auch bei der Regelung der Kooperation von Geheimdiensten ist kein Platz für Willkür. Deshalb wird die Kooperation mit fremden Diensten nun erstmals auf eine Rechtsgrundlage gestellt. Das ist doch ein Fortschritt.

Zur Transparenz der Geheimdienstarbeit wird auch die geplante alljährliche öffentliche Anhörung der Präsidenten der bundesdeutschen Geheimdienste vor dem Kontrollgremium beitragen. Das ist eine wirklich sinnvolle Maßnahme. Auch in den USA hat sich nämlich ein solches Verfahren etabliert. Es ist üblich und trägt durchaus zur Akzeptanz nachrichtendienstlicher Arbeit bei. So etwas ist auch in Deutschland anwendbar und wird von uns unterstützt.

Mitarbeiter der Dienste, die dem Parlamentarischen Kontrollgremium Missstände und Beschwerden mitteilen wollen – man kann sie „Whistleblower“ nennen –, werden ebenfalls durch dieses Gesetz geschützt. Sie können sich

ohne Einhaltung des Dienstwegs an das Gremium wenden. Auch das ist ein Fortschritt.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, in Deutschland nehmen wir die schwierige Arbeit der Geheimdienste nicht auf die leichte Schulter – auch wenn DIE LINKE hier einen anderen Eindruck erweckt.