Protokoll der Sitzung vom 14.12.2016

Eingebracht wird der Gesetzentwurf von Frau Kollegin Schott von der Fraktion DIE LINKE. – Meine Damen und Herren, ich bitte um etwas mehr Ruhe. – Bitte schön, Frau Kollegin, Sie haben das Wort.

Frau Vorsitzende, meine Damen und Herren! Es ist ein bisschen schwierig,

(Unruhe)

Bitte einen kleinen Moment. – Meine Damen und Herren, bitte ein wenig mehr Ruhe. Man muss Frau Schott verstehen können.

nach dieser Debatte wieder zu den lebenspraktischen und geerdeten Dingen zu kommen. Es fällt auch mir schwer.

Das Thema Kindertagesbetreuung ist uns so wichtig, dass es richtig ist, dass wir im Landtag fortlaufend darüber reden. Wichtig ist es insbesondere deshalb, weil die Situation unbefriedigend und ungerecht ist.

Unbefriedigend ist die Qualität der Kinderbetreuung. Unbefriedigend deswegen, weil der finanzielle und der politische Druck auf die defizitären Kommunen zur Senkung der personellen Ausstattung führen. Einen besonderen Bärendienst leistet dabei der aktuelle Kommunalbericht des

Rechnungshofs. Dieser sagt den Städten deutlich, dass sie ihren Zuschuss für die Kinderbetreuung senken sollen, und zwar durch die Verringerung der Zahl der Fachkräfte, die Erhöhung der Elternbeiträge und die Reduzierung der Schulkinderbetreuung in Kitas.

Beim letzten Punkt könnten wir sogar noch mitgehen, wenn das Land gleichzeitig dafür Sorge tragen würde, dass wir in Hessen echte Ganztagsgrundschulen in einer nennenswerten Zahl hätten.

(Beifall bei der LINKEN)

Bei der Verabschiedung des KiföG wurde deutlich gesagt, es sei nur ein Mindeststandard. Ich zitiere Frau Wiesmann aus der damaligen Beratung:

Wir schaffen also zusätzliche finanzielle Spielräume, damit je nach Ausgangssituation vor Ort der Mindeststandard erreicht werden kann, bereits darüber liegende Standards aber gehalten oder weiter verbessert werden können. … Unsere bürgerliche Politik … regelt das Unabänderliche, den Mindeststandard, das Unverzichtbare nämlich, und sie erleichtert das Wünschenswerte, den tatsächlichen Standard. Vor allem aber überlässt sie die konkrete Entscheidung im Einzelfall denen, die es vor Ort am besten beurteilen können.

Das waren Ihre Worte. – Ich kann mich erinnern, dass die damalige Opposition deutlich davor gewarnt hat, dass niedrigere Mindeststandards festzuschreiben gefährlich ist, weil das den Kommunen um die Ohren gehauen werden kann. Genau so ist es gekommen. Das zeigt jetzt der Bericht des Rechnungshofs.

Er rechnet jetzt vor, dass das Ergebnis der Kommunen verbessert werden könnte, wenn die Kommunen und Kreise keine höheren Standards anbieten würden, als das KiföG festgeschrieben hat. Er kritisiert auch die Kommunen, die mehr Personal eingestellt haben, als Sie in Ihren Standards festgehalten haben.

Bitte erklären Sie uns doch einmal, was die Kommunen sonst tun sollen, wenn Kinder jetzt drei Jahre alt werden – das passiert andauernd – und sich dann der Fachkräftefaktor von 0,2 auf 0,07 verringert. Wenn das bei 25 Kindern passiert, hat die Kita in Ihrer Denke 3,25 Erzieherinnen, die überflüssig sind. Sollen sie dann heimgeschickt werden? Oder wollen Sie ihnen sagen, dass sie ab sofort nur noch 13 Stunden arbeiten sollen oder keinen vollen Lohn mehr bekommen und sich überlegen müssen, woher das restliche Geld zum Überleben kommt?

Abgesehen davon, dass die Kommunen das nicht machen können und wollen, wenn sie fest angestellte Mitarbeiterinnen haben, können sie auch nicht beliebig Kinder herzaubern und die älter werdenden Kinder durch neue ersetzen. Das geht auch räumlich gar nicht zu organisieren. Wie, bitte schön, soll das funktionieren? – Aber das ist der Alltag vor Ort.

Das Konstrukt ist deshalb an sich schon makaber; das aber jetzt auch noch als Ausgang zu nehmen, um die Kommunen zu kritisieren, die sich um eine qualitativ hochstehende Kindertagesbetreuung bemühen und alles daransetzen, ihr Personal zu halten – denn andererseits wird wegen des allgemeinen Personalmangels Personal abgeworben – und die Arbeitsbedingungen erträglich zu gestalten, das ist für die Kommunen eine völlig unlösbare Situation.

Ich finde es unerträglich, dass das pädagogische Personal in hessischen Kitas tatsächlich keine Sicherheit hat, oft nicht weiß, wie viele Stunden in den nächsten Monaten gearbeitet und wie viel Geld verdient wird. Das ändert sich mit den Zeiten, die von den Eltern gebucht werden. Die Eltern orientieren sich dabei ganz häufig an der Höhe der Elternbeiträge.

Glauben Sie nicht, das sei kein Thema da draußen. Sie werden wieder sagen, dass es sowieso gebührenfrei für Eltern sei, die wenig Geld haben. Gerade eben fand das Gespräch mit den Frauen statt, die alljährlich über das Frauenseminar des Büro F kommen. Was war eine der ersten Fragen? – Was wollen Sie gegen die Altersarmut bei Frauen tun? Wann schaffen Sie es endlich, Kinderbetreuung so zu organisieren, dass Frauen weiterhin ihr Leben lang erwerbstätig sein können, damit sie nicht altersarm werden? Wann kommen die Gebühren für diese Kitas weg?

Das waren die realen Fragen, die eben von ganz realen, ganz zufällig hier anwesenden Frauen gestellt worden sind. Das Büro F ist bestimmt nicht die Vorfeldorganisation, die uns als LINKEN hier die Frauen in den Landtag schickt, um diese Fragen zu stellen.

(Beifall bei der LINKEN)

Stattdessen werden aber real in den Kommunen die Betreuungszeiten von den Eltern reduziert. Die Kinder werden vom Mittagessen abgeholt und von der Nachmittagsbetreuung abgemeldet, weil die Beiträge so hoch sind, dass man sie nicht mehr tragen kann oder will. Frauen müssen sich ernsthaft überlegen: Gibt Erwerbstätigkeit wirtschaftlich bei den Gebühren noch Sinn, die an vielen Orten genommen werden?

Das führt zu meiner zweiten Qualifikation, nämlich „ungerecht“. Die Beiträge im Land sind völlig unterschiedlich. Wir haben eine Handvoll Kommunen, die in der Lage sind, auf die Elternbeiträge zu verzichten. Aber ansonsten gibt es große Unterschiede. Bereits bei den zwölf Kommunen in der vergleichenden Untersuchung, die der Rechnungshof gemacht hat, gibt es eine Diskrepanz zwischen 144 € und 410 €, im Prinzip für dieselbe Leistung. Also sagen Sie bitte nicht, das sei gerecht.

Wir haben landauf, landab Proteste und Ärger wegen der Elternbeiträge. Das müssen aber in erster Linie die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister und die Kommunalpolitiker ausbaden. Das hat die Hessische Landesregierung ganz geschickt eingefädelt. Sie sagt, die haben die Kompetenz. Die haben aber auch den Druck vor Ort, und die haben jetzt den Stress, weil sie nämlich die Gebühren erhöhen müssen und die Eltern hoch unzufrieden sind.

Das geht nach dem Motto: „Teile und herrsche“. Da lobe ich mir Bürgermeister, die das auch immer wieder benennen, z. B. gibt es da Herrn Kötter der Gemeinde Wölfersheim, der immer wieder deutlich macht, dass Kommunen mehr Geld für die Kinderbetreuung vom Land brauchen, und er ist da nicht der Einzige:

(Zuruf des Abg. Norbert Kartmann (CDU) – Gegenruf des Abg. Günter Rudolph (SPD))

Geld, um die Elternbeiträge abzuschaffen, um das Defizit der Gemeinden zu senken und um die Qualität der Betreuung weiter zu verbessern. Bei 10.000 Einwohnern und Einwohnerinnen kostet das die Kitas ungefähr 2,5 Millionen €. Die Gemeinde zahlt davon 70 %. Jetzt ist es aber nicht so, dass DIE LINKE in Wölfersheim die Mehrheit hat. Trotz

dem hat die Gemeinde genau die Punkte genannt, die für unseren Gesetzentwurf ausschlaggebend waren, den wir Ihnen jetzt in veränderter Form vorlegen.

Wir legen Ihnen den Gesetzentwurf deshalb noch einmal vor, weil wir in der sehr interessanten Anhörung, bei der die meisten Anzuhörenden sich positiv auf unseren Gesetzentwurf bezogen haben, dazu gelernt – so etwas soll es gerüchteweise hier im Landtag geben –

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Ja, das kann man auch zugeben! – Zuruf des Abg. Norbert Kartmann (CDU))

und danach einige wenige Modifikationen vorgenommen haben. Wir müssten dafür auch keinen neuen Gesetzentwurf einbringen, wenn es nicht so eine Sturheit in diesem Haus gäbe, dass es nicht möglich ist, dass eine einbringende Fraktion ihren eigenen Gesetzentwurf wieder ändern kann.

(Zurufe von der CDU: Oh! – Janine Wissler (DIE LINKE): Stur sind wir nicht!)

Aber wenn Sie es so haben wollen, werden wir das jetzt und auch in Zukunft so handeln. Wir werden uns nicht abgewöhnen, zuzuhören, wir werden uns nicht abgewöhnen, unsere eigenen Anträge zu verändern. Dann gibt es eben wieder eine erste Lesung und wieder eine zweite Lesung.

Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen.

Wir bleiben dabei: Die Pauschalen müssen erhöht werden. Die Elternbeiträge sollen abgeschafft werden.

In diesem Sinne freue ich mich auf die weitere Beratung und darauf, was die Anzuhörenden zu sagen haben werden, die wir sicherlich wieder hören werden, um zu sehen, ob das so ist, dass man es tatsächlich in die Tat umsetzen kann.

(Beifall bei der LINKEN)

Danke, Frau Kollegin Schott. – Als nächste Rednerin spricht nun Kollegin Wiesmann von der CDU-Fraktion. Bitte schön, Frau Kollegin, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Zuhören haben wir es heute auf der linken Seite des Hauses nicht immer richtig gehandhabt. Aber ich will gern versprechen, dass ich auch in einer zweiten Anhörung zu einem sehr ähnlichen Gesetzentwurf, den Sie heute einbringen, wieder zuhören werde – zu gegebener Zeit und in angemessenem Rahmen.

Wir gehen auf Weihnachten und den Jahreswechsel zu – so wollte ich eigentlich anfangen –, und die meisten von uns sind doch etwas milde und verständnisvoll gestimmt. In dieser Stimmung habe ich Ihren zweiten Versuch einer Neuregelung des KiföG tatsächlich vor einigen Tagen gelesen, und ich will die Sache auch nach der eben geführten

Diskussion mit gutem Willen und vielleicht auch etwas Humor angehen. Ich gehe darüber hinweg, dass Sie eben für unsere Politik, erheblich mehr Mittel und mehr Qualität in die Kinderbetreuung in diesem Lande zu bringen, den Begriff „makaber“ verwendet haben.

Es sind von Ihnen aber auch zum wiederholten Male viele Anmerkungen hier gefallen, sodass ich mich jetzt noch einmal ganz konkret mit Ihren Vorschlägen befassen möchte. Neu ist nicht sehr vieles davon.

Erstens. Sie schreiben – nicht wörtlich, aber dem Sinne nach –, Kitabeiträge sind des Teufels und werden verboten. Sie sind jedenfalls nicht mehr vorzusehen. – Die Grundposition meiner Fraktion dazu habe ich hier schon dargelegt, übrigens fast so oft, Herr Merz, wie meine Neugier zum Thema Familienzentren. Deshalb will ich es heute nicht noch einmal tun.

(Gerhard Merz (SPD): Geht doch!)

Ich will mich auf zwei Aspekte beschränken, die mir gerade angesichts Ihrer Autorenschaft von der Linkspartei besonders relevant erscheinen. Erstens. Wir sind der Auffassung, dieser Ihr Gesetzentwurf – auch der zweite – wäre faktisch ein gewaltiges Subventionsprogramm für Gutverdiener, die mit ihren Beiträgen von landesdurchschnittlich 15 % doch erheblich zu den großen und auch notwendigen Investitionen in gute Kinderbetreuung beitragen.

(Zuruf der Abg. Marjana Schott (DIE LINKE))

Sie können beitragen, sie sollten es, so denken wir, und viele wollen es sogar auch. Es kann eigentlich kaum Ihr Ernst sein, das, wie Sie es vorschlagen, zu ändern. Und es wirft die Frage auf, ob sich nicht hinter der Fassade des sozialen Gewissens, das Sie gerne für sich in Anspruch nehmen, doch auch ganz andere Beweggründe verbergen: dass es Ihnen vielleicht auch um etwas ganz anderes geht, nämlich darum, die Grenzen der Zuständigkeiten zu verschieben, zwischen Kommunen einerseits und Land andererseits in Fragen der Kinderbetreuung, aber auch zwischen Eltern einerseits und Staat andererseits in Sachen Erziehungsverantwortung. Ich will das nur fragen. Beantworten können Sie das vielleicht auch selbst.

Zweitens. Das Gesamtprogramm, das Sie hier mit diesem so harmlos erscheinenden Entlastungsgesetz vorschlagen, beläuft sich nach Berechnungen unserer Fachleute auf eine Größenordnung von rund 700 Millionen € jährlich, also auf die Kleinigkeit einer Verzweieinhalbfachung – ziemlich genau – unseres jährlichen Etats für Kinderbetreuung. Wer so etwas fordert, setzt nicht nur die wirklichen Prioritäten in diesem Feld aufs Spiel – so z. B. die weitere Qualitätsentwicklung in Kindertageseinrichtungen und -tagespflege, an der wir mit Überzeugung und Nachdruck arbeiten. Wer so etwas ernsthaft vorschlägt, untergräbt auch unsere Handlungsfähigkeit insgesamt im Angesicht wirklicher Jahrhundertaufgaben. Da war heute schon von vielen die Rede. Ich will es gar nicht ausführen; jeder weiß, was gemeint ist.

Zweite Bemerkung. Weiterhin bleibt es auch diesseits der haushalterischen Folgen bei Ihrer Absage an Qualität. Ihr Gesetzentwurf ist, wie sein Vorgänger, bedarfsungerecht und qualitätsfeindlich.

(Beifall der Abg. Judith Lannert (CDU))