Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Heute wird in Berlin der verstorbene ehemalige Bundespräsident Roman Herzog mit einem Staatsakt geehrt. Er ist uns als ganz große Persönlichkeit in Erinnerung. Er hat sich in vielen Funktionen um unser Land und unsere Gesellschaft über alle Maßen verdient gemacht.
Dabei erinnern wir uns natürlich besonders gut an seine Zeit als Bundespräsident mit der berühmten „Ruck“-Rede oder an seine Zeit an der Spitze des Bundesverfassungsgerichts. Ich denke aber auch an Roman Herzog als Innenminister Baden-Württembergs in den Jahren 1980 bis 1983. Damals terrorisierte die Rote Armee Fraktion unser Land.
Auch die damalige Generation der Politiker stand vor großen Herausforderungen. Sie war aufgerufen, den Rechtsstaat gegen Angriffe zu verteidigen. Damals wie heute gilt es, den freiheitlichen Rechtsstaat zu verteidigen.
Damals wie heute gewährleistet nur Sicherheit die Freiheit. Wenn wir heute z. B. auf Silvester 2016 blicken, können wir erfreulicherweise sagen, dass es überwiegend ruhig geblieben ist. Deshalb gilt an erster Stelle mein Dank den Sicherheitskräften und der Polizei, die mit ihrem Einsatz für die Sicherheit der Frauen und aller friedlich Feiernden und für Ruhe gesorgt haben.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Günter Rudolph (SPD) und Florian Rentsch (FDP))
Diesen Dank heute hier zu erwähnen, ist auch deshalb ganz besonders wichtig, weil die Sicherheitskräfte zunehmend von einer enormen Respektlosigkeit und einer unglaublichen Aggressivität betroffen sind. Beispielsweise sind Gerichtsvollzieher eine der Berufsgruppen, die von den sogenannten „Reichsbürgern“ besonders bedroht werden.
Polizisten und Rettungskräfte werden angespuckt und übel beschimpft. Sie werden körperlich angegangen, geschlagen oder sogar mit Waffen angegriffen. Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass die Polizei, die Rettungskräfte und die Vollzugsbediensteten strafrechtlich besser geschützt werden, als es bisher notwendig war. Dazu hat Hessen eine Bundesratsinitiative eingebracht.
Welche Schlüsse können wir nun aus den erfolgreichen Einsätzen in der Silvesternacht 2016 für die gesamte Diskussion zur inneren Sicherheit ziehen? – In erster Linie kann man den Schluss ziehen, dass der Staat und seine Institutionen nicht wehrlos, sondern gut vorbereitet sind.
In diesem Kontext ist auch die aktuelle Diskussion um die innere Sicherheit zu führen. Es geht um die Frage, wie wir in Deutschland sicher in Freiheit leben können. Dabei ist Sicherheit mehr als der Schutz der persönlichen Integrität des Einzelnen. Es geht darum, unsere Art zu leben zu ver
teidigen und unsere weltoffene Gesellschaft zu bewahren. Es geht darum, als Frau abends allein auf einen Platz gehen zu können. Es geht darum, dass wir Volksfeste, Konzerte und Fußballspiele ohne Angst besuchen können. Es geht darum, dass wir zu jeder Zeit, ob Tag oder Nacht, sicher und ohne Angst U-Bahn oder Bus fahren können. Wir alle wollen unsere Freiheit schützen und unsere Demokratie bewahren.
Die Hessische Landesregierung hat viel unternommen, um unser Land sicherer zu machen. Ich will ausdrücklich betonen: In diesen Anstrengungen dürfen und werden wir nicht nachlassen.
Bei der Verteidigung unserer Freiheit müssen manchmal sehr klare Antworten gefunden werden. Der Staat muss dann seine vornehme Zurückhaltung aufgeben und alle Möglichkeiten nutzen, um seine Bürgerinnen und Bürger zu schützen.
Bundespräsident Joachim Gauck hat letzte Woche ganz richtig gesagt – ich zitiere mit Genehmigung des Präsidenten –:
… der Rechtsstaat verliert, wenn er sich im Kampf gegen Gewalt und Terror als zu schwach oder gar hilflos erweist.
Im letzten Jahr waren bei den hessischen Staatsanwaltschaften über 1.000 Staatsschutzdelikte neu anhängig. Fast 100 dieser Verfahren betrafen schwere staatsgefährdende Gewalttaten. Bei schweren staatsgefährdenden Gewalttaten denke ich z. B. ganz konkret an die islamistischen Terrorangriffe auf die Besucher eines Fußballspiels und des Bataclan-Theaters in Paris oder auch an die Terroranschläge auf die Redaktion der Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ im Januar 2015.
Ich denke dabei auch an den Spähangriff auf das IT-Netz des deutschen Bundestages im Jahr 2015. In einer bis dahin beispiellosen Attacke war es gelungen, in das gesamte Bundestags-Netzwerk einzudringen und sensible Daten auszuspähen. Nachrichtendienste, Bundeskriminalamt, Bundeswahlleiter und viele andere Institutionen warnen davor, dass über Meinungsmanipulationen im Internet Einfluss auf Wahlen genommen werden kann. Das bedroht unsere Demokratie in Deutschland ganz konkret.
Ich bin mir sicher: Was wir in diesem Zusammenhang bei den Präsidentschaftswahlen in den USA erlebt haben, waren allenfalls die ersten Gehversuche einer neuen Technologie, deren missbräuchliche Nutzung wir national, europäisch und international ächten müssen. Die Gefahr, die von solchen Meinungsmanipulationen für unsere Demokratie und Stabilität ausgeht, ist nicht weniger schwerwiegend als die terroristische Bedrohung.
Ja, ich halte diese Art der Bedrohung für eine Form des Terrorismus, des Cyberterrorismus. Wir sind alle gut beraten, uns dieser Herausforderung aktiv und schnell zu stellen.
Um es ganz deutlich zu sagen: Das Argument, diese Täter säßen sowieso im Ausland, und deshalb seien Initiativen wie z. B. die hessische Botnetzinitiative überflüssig, halte ich für absolut an der Sache vorbei. Es käme auch niemand auf die Idee, zu behaupten, wir müssten in Deutschland aufhören, den Impfschutz gegen Grippe zu verbessern, weil aus dem Ausland andere Grippeformen eingeschleppt werden können.
Vielmehr ist es umgekehrt richtig: Wir müssen so gut wie möglich versuchen, auch im Ausland ansässige Cyberkriminelle zu fassen. Wir dürfen gleichzeitig nicht nachlassen, den strafrechtlichen Schutz zu optimieren.
Deshalb beschränken sich unsere Aktivitäten nicht nur auf Hessen und Deutschland. Wir arbeiten an Lösungen auf allen Ebenen, auch im europäischen und internationalen Bereich. Das Argument, wir bräuchten keine weiteren Sicherheitsgesetze, weil man außerhalb von deren Anwendungsbereichen immer noch Gefahren ausgesetzt sei, grenzt deshalb an blanken Zynismus.
Es ist ganz sicher die Aufgabe des Staates, demokratisch legitimiert zu bestimmen, was strafbar sein soll und was nicht. Natürlich ist klar, dass es bei jeder neuen technischen Entwicklung immer auch diejenigen gibt, die diese neuen Technologien zum Schaden anderer ausnutzen wollen. Es ist also nicht die Fixierung auf das Strafrecht, die immer wieder strafrechtliche Sanktionen erforderlich macht. Vielmehr sind es immer die neuen Phänomene und die damit verbundenen Gefahren, die einer rechtsstaatlichen Antwort bedürfen.
Es ist schlicht ignorant, Strafbarkeitslücken zu bemerken und sie nicht zu schließen und damit automatisch unsere Sicherheit zu gefährden.
Wer von Ihnen hätte denn vor Monaten gedacht, dass bei einer Wahl der Begriff „Social Bot“ überhaupt eine Rolle spielen könnte, geschweige denn, die Gefahren, die damit verbunden sind? Die Technologien entwickeln sich rasant, und genauso rasant müssen wir Lösungen entwickeln. Wir dürfen uns nicht in ritualisierten Grabenkämpfen verlieren. Es ist mitnichten so, als wäre jede Maßnahme, die mehr Sicherheit bringt, automatisch ein Angriff auf den Datenschutz. Vielmehr ist jede Maßnahme, die mehr Sicherheit bringt, Opferschutz, und sie gewährt natürlich auch unsere Freiheit.
Im Kampf gegen Botnetze und Social Bots ist Deutschland nicht gut aufgestellt. Die verfügbaren Rechtsnormen, die zur Bekämpfung der Botnetzkriminalität herangezogen werden können, sind im Kern fast 30 Jahre alt.
Es ist die rasante internationale und technische Entwicklung, die uns den Takt in der Debatte um die innere Sicherheit vorgibt. Deshalb gibt es nur einen einzigen Weg: schnelles, entschlossenes Handeln. Hierzu besteht keine Alternative. Es geht darum, den Rechtsstaat und seine Grundfesten zu sichern, zu verteidigen, zu stärken und fortzuentwickeln. Es muss allen in unserer Gesellschaft klar werden, dass wir nicht bereit sind, diese Bedrohungen und Respektlosigkeiten zu dulden. Wir kämpfen vielmehr um unsere Freiheit und unsere weltoffene Gesellschaft. Für
mich gibt es keinen Widerspruch zwischen Freiheit und Sicherheit. Es sind beides Seiten ein und derselben Medaille.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Mitte und Maß sind deshalb auch in der Debatte um die innere Sicherheit die vernünftige Richtschnur, damit wir unsere Gesellschaft weiterhin schützen und Deutschland weiter voranbringen können. Die Landesregierung hat mit zahlreichen Initiativen gezeigt, dass sie auf dem Feld der inneren Sicherheit geschlossen und in der Sache einhellig und schnell vorgeht.
Dazu will ich beispielhaft folgende Initiativen nennen, die wir unter anderem auch in den vergangenen Debatten diskutiert haben: zur Reform des § 89a Strafgesetzbuch – der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat –, zur Etablierung von Deradikalisierungsmaßnahmen wie das Netzwerk Deradikalisierung im Strafvollzug – kurz NeDiS genannt –, zu Hate Speech in sozialen Medien, zur Reform des Sexualstrafrechts unter dem Motto „Nein heißt Nein“, zu Kinderehen, zu Botnetzen unter dem Stichwort „Digitaler Hausfriedensbruch“, zu den Sicherheitsmaßnahmen in den Gerichten. Hinzu kommen Sicherheitspakete zu weiteren personellen Maßnahmen und zur Stärkung der Polizei- und Justizstrukturen, die wir ebenfalls erst vor wenigen Wochen hier im Landtag diskutiert haben und deren Dimension in den letzten Jahrzehnten einmalig ist.
In diese Anstrengungen fiel der Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt – ein Anschlag, der in seiner Kaltblütigkeit und Brutalität daran erinnert, dass es Menschen gibt, die bereit sind, jede denkbare Bedrohung in die Realität umzusetzen. Unsere Gedanken sind bei den Opfern dieses Anschlags, die wir nicht vor blindem Hass und menschenverachtendem Handeln schützen konnten.
(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und der FDP)
Der Berliner Anschlag war eine Zäsur. Er war ein TippingPoint. Ich bin stolz darauf, dass die Stimmung im Land nicht gekippt ist. Die Bürgerinnen und Bürger sind den hasserfüllten Tweets der AfD nicht gefolgt. Sie haben den Anschlag als das gesehen, was er war, nämlich ein feiger Mord an unschuldigen Menschen.
Ihn wie die AfD als Anlass zu nehmen, um Ängste zu schüren und Hass zu verbreiten, ihn also populistisch auszuschlachten – meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist ebenso durchsichtig wie schamlos. Dem müssen wir uns mit aller Macht entgegenstellen.
Nicht der Anschlag, sondern der Täter hat uns allen gezeigt, dass wir die Zusammenarbeit im föderalen System weiter verbessern müssen. Ein identifizierter ausreisepflichtiger Gefährder darf nicht abtauchen und die Behörden an der Nase herumführen. Die Initiative des Bundesministers des Innern und des Bundesjustizministers, Gefährder auch mit der elektronischen Fußfessel zu überwachen, ist deshalb ausdrücklich zu begrüßen.
Ich fordere schon seit Längerem: Wenn ein extremistischer Straftäter vom Gericht Weisungen erhält, wo er sich aufhalten muss oder wo er sich nicht aufhalten darf, dann müssen wir die Einhaltung dieser Weisungen auch elektronisch überwachen können. Bei Gewalt- und Sexualstraftätern praktizieren wir dies bereits mit großem Erfolg. So gewährleisten wir, dass ein Vergewaltiger nicht erneut in den Nahbereich eines Opfers eindringen kann.
Es war die Initiative Hessens zur Justizministerkonferenz im Juni 2015, die die Erweiterungsmöglichkeiten des Einsatzes dieser Überwachungstechnik bereits gefordert hat. Dabei will ich nicht den Eindruck erwecken, als sei das Instrument der elektronischen Fußfessel ein Allheilmittel der Sicherheitspolitik. Aber eingebettet in die vielen weiteren Maßnahmen ist sie ein Werkzeug im Baukasten der Sicherheitsbehörden, das wir als Gesetzgeber zur Verfügung stellen können, um die Sicherheit in Deutschland weiter zu erhöhen.
Meine Damen und Herren, wenn wir den Behörden zur Erfüllung dieser schwierigen Aufgabe besseres und präziseres Werkzeug an die Hand geben können, dann sollten wir es auch machen – und das dann richtig.
Der Einsatz der elektronischen Aufenthaltsüberwachung sollte für verurteilte Extremisten erweitert und für ausreisepflichtige und andere Gefährder geöffnet werden. Das ist keine neue Überwachungsorgie – so wie es viele sehen –, sondern der Gedanke der Überwachung ist längst in vielen Gesetzen normiert.