Protokoll der Sitzung vom 24.01.2017

Der Einsatz der elektronischen Aufenthaltsüberwachung sollte für verurteilte Extremisten erweitert und für ausreisepflichtige und andere Gefährder geöffnet werden. Das ist keine neue Überwachungsorgie – so wie es viele sehen –, sondern der Gedanke der Überwachung ist längst in vielen Gesetzen normiert.

Deswegen will ich einen Blick darauf werfen, welche Auflagen und Weisungen die Führungsaufsicht für verurteilte Straftäter verhängen kann. In § 68b des Strafgesetzbuchs finden sich heute schon die Grundlagen dafür, dass bestimmte Personengruppen den Wohn- oder Aufenthaltsort nicht verlassen dürfen, dass bestimmte Personengruppen sich nicht an bestimmten Orten aufhalten dürfen, dass bestimmte Personengruppen Fahrzeuge nicht halten oder führen dürfen, sowie Grundlagen für Kontaktverbote, für Tätigkeitsverbote, für das Verbot, bestimmte Gegenstände zu besitzen, für Residenz- und Meldepflichten, für Alkoholund Suchtmittelverbote oder für die Weisung, sich in eine Behandlung zu begeben. – Das ist die aktuelle Rechtslage zu dem, was heute schon festgelegt werden kann.

Sie wissen, dass die Führungsaufsicht nur für verurteilte Straftäter gilt. Ausschließlich bei Sexual- und Gewalttätern kann nach einer vollständigen Haftverbüßung aufgrund von Erkenntnissen im Strafvollzug zusätzlich eine Fußfessel angeordnet werden, um diese Maßnahmen zu kontrollieren. Eine spezielle Personengruppe der Sexual- und Gewalttäter wird also aufgrund von behördlichen Erkenntnissen anders behandelt als andere Sexual- und Gewalttäter, die aufgrund ihres Verhaltens und der darauf basierenden Prognose vorzeitig entlassen werden.

Warum erzähle ich das so ausführlich? Weil es wichtig ist, zu verstehen, dass es schon heute und allein auf Basis von Erkenntnissen über die Person Gefahreneinschätzungen gibt, die das Tragen einer Fußfessel begründen. Inwiefern sind die Gefährder denn anders als die Personen, die ich eben beschrieben habe? Sie sind klassische Gefährder, weil zu befürchten ist, dass sie schlimmste Straftaten begehen. Sie sind Gefährder im Sinne der aktuellen Diskussion, und es wird wohl kaum einen geben, der die Führungsaufsicht

oder die Prognosefähigkeit aufgrund von Erkenntnissen im Strafvollzug infrage stellt.

Solche Überwachungsanordnungen gibt es auch in anderen Bereichen, z. B. im Bereich des Aufenthaltsrechts. Schon heute existiert in § 56 Aufenthaltsgesetz eine strenge Residenz- und Meldepflicht für ausreisepflichtige Ausländer aus Gründen der inneren Sicherheit.

Wir diskutieren also weniger über die Ausweitung der Überwachung als über eine effiziente Vollstreckung der Überwachung, und das macht einen entscheidenden Unterschied. Denn wenn ein ausreisepflichtiger Gefährder die Auflage hat, sich in einer bestimmten Gemeinde oder einem bestimmten Landkreis aufzuhalten, dann ist es den Behörden heute kaum möglich, dies effektiv zu überwachen. Die elektronische Fußfessel kann in solchen Fällen sehr effizient helfen. Davon bin ich überzeugt, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Bei Extremisten wäre eine Überwachung gerade zum Schutz von kritischen Infrastrukturen wie Bahnhöfen, Flughäfen, Internetknotenpunkten, Atomkraftwerken, aber auch Medienanstalten oder größeren Events sinnvoll. Man könnte zudem verhindern, dass Extremisten sich an Orten aufhalten, an denen der Radikalisierung Vorschub geleistet wird. Das gilt im Übrigen für religiös motivierte Personengruppen ebenso wie für politisch motivierte Täter. Denn auch der Umkreis einer Flüchtlingseinrichtung kann so zur Verbotszone für Rechtsextreme ausgestaltet werden.

Es wird jetzt abzuwarten sein, auf welche konkreten Vorschläge sich die Bundesregierung einigen wird. Insbesondere bei den noch nicht strafrechtlich verurteilten Personen wird es auf eine vernünftige und rechtssichere Lösung ankommen.

Der Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus widmet sich der Bund auch, wie Sie wissen, durch das Bundeskriminalamt. Es ist beispielsweise dann für die Gefahrenabwehr zuständig, wenn eine länderübergreifende Gefahr vorliegt. Vor diesem Hintergrund könnte die elektronische Aufenthaltsüberwachung auch im Bundeskriminalamtgesetz vorgesehen werden.

Ich erinnere an die Fraktionsredezeit.

Ja. – Herr Bundesinnenminister Thomas de Maizière hat in der Aktuellen Stunde des Bundestages letzte Woche ganz zutreffend gesagt – ich zitiere mit Genehmigung des Präsidenten –:

Die Gefährlichkeit von Menschen einzuschätzen, gehört zu den schwierigsten Aufgaben der Sicherheitsbehörden und der Justiz.

Hier ist es wichtig, so effektiv wie möglich vorzugehen und bundesweit geltende einheitliche Maßstäbe zu schaffen.

Die elektronische Aufenthaltsüberwachung wird deutschlandweit von der Gemeinsamen Überwachungsstelle der Länder im hessischen Bad Vilbel durchgeführt. Meine sehr

geehrten Damen und Herren, es wäre ein Leichtes, mit der jetzigen Infrastruktur die doppelte Anzahl derer, die eine solche Fußfessel tragen würden, auch von dort zu überwachen.

Ich komme zum Schluss. Sicherheit und Freiheit sind für Demokratie existenzielle Grundvoraussetzungen. Die Sicherheit zu bewahren heißt, die Freiheit zu schützen. Wie seinerzeit die Generation Roman Herzogs den Rechtsstaat verteidigt hat, gilt auch für uns: Wir müssen gemeinsam unseren Rechtsstaat gegen die heutigen Gefahren verteidigen. Wir müssen die Sicherheit erhalten, und das nicht nur für uns, sondern auch für unsere Kinder und Enkelkinder. Wir sind es ihnen schuldig, dass sie morgen, in einem Jahr, in zehn Jahren, in 50 Jahren genauso sicher und frei leben können wie wir heute. – Vielen Dank.

(Anhaltender Beifall bei der CDU und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Kolleginnen und Kollegen, ich eröffne die Aussprache zur Regierungserklärung und gebe das Wort Frau Kollegin Hofmann für die Fraktion der FDP – der SPD.

Herr Präsident, so viel Zeit muss sein: SPD, bitte.

Ein bisschen Freud muss auch sein.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Nicht zuletzt seit dem brutalen und kaltblütigen Anschlag vom 19. Dezember in Berlin wissen wir: Die öffentliche Sicherheit ist ein hohes Rechtsgut. Die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit gehört zu den wichtigsten Aufgaben unseres Staates. Alle Menschen in unserem Land und darüber hinaus haben ein Recht auf Sicherheit. Für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten gibt es ein Menschenrecht auf Sicherheit.

(Beifall bei der SPD)

Eine Politik der öffentlichen Sicherheit muss zum einen Gefahren erkennen, diese verhindern und wirksam bekämpfen, aber auch rechtsstaatliche Grundsätze und vor allem die Freiheitsrechte wahren. Für uns als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ist Sicherheit keine Privatsache. Im Gegenteil, sie ist Kernbestandteil staatlichen Handelns, und das muss sie auch bleiben. Deshalb wollen und brauchen wir auch hier in Hessen keine Bürgerwehren, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Wir nehmen mit großer Sorge zur Kenntnis, dass sich, auch durch die Vorfälle der vorletzten Silvesternacht in Köln, immer mehr Menschen in Hessen den sogenannten kleinen Waffenschein besorgen und seit 2005 dessen Anzahl um 60 % gestiegen ist. Das ist nicht nur deshalb besorgniserregend, weil die Gewährleistung von Sicherheit aus unserer Sicht Aufgabe hoheitlichen Handelns und nicht

Privatsache und nicht Sache des Einzelnen ist, sondern auch deshalb, weil im Einzelfall das Tragen solch einer Waffe sogar Gefahren und Risiken für den Einzelnen mit sich bringen kann.

Für uns als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ist die Sicherheit auch eine Frage der Verteilungsgerechtigkeit. Denn nur Starke können sich einen schwachen Staat leisten, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Angesichts einer sich durch internationalen Terrorismus verändernden Welt fragen wir uns: Mit welcher Sicherheitsarchitektur wollen wir dem begegnen? Ich kann Ihnen sagen, wie für uns als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten diese Sicherheitsarchitektur aussehen muss. Wir wollen und werden nicht zulassen, dass feige Attentate unsere Demokratie und unsere gemeinsamen Werte zerstören.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir wollen und werden auch weiterhin in einer offenen, toleranten Gesellschaft leben. Wir wollen, dass die Bürgerinnen und Bürger sich frei und selbstbestimmt in unserem Land bewegen können, unabhängig von ihrer Herkunft und unabhängig von ihrem Einkommen. Wir wollen so viel Sicherheit wie nötig und so viel Freiheit wie möglich für den Einzelnen. Diese Balance zwischen Freiheit und Sicherheit ist zu wahren. Das ist keine leichte Aufgabe. Aber zur Wahrung gerade der Bürgerrechte muss uns diese schwierige Aufgabe immer wieder neu gelingen.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Michael Bodden- berg (CDU))

Die beste Antwort auf die Taten und den Hass der Terroristen ist der wehrhafte Rechtsstaat. Dabei darf der Rechtsstaat nie seine Prinzipien preisgeben. Aber zum Rechtsstaat gehört auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dieser besagt: Je größer eine Gefahr ist, desto entschlossener, ja, entschiedener muss der Staat seine Bürgerinnen und Bürger vor diesen Gefahren schützen, meine Damen und Herren.

Für Konservative wie Sie, Frau Kühne-Hörmann, gibt es in solchen Situationen immer nur eine reflexhafte Antwort, und die heißt: schärfere Gesetze. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten stehen entgegen dieser Politik des Aktionismus und der Effekthascherei für eine Politik des Augenmaßes und der Verantwortung.

(Beifall bei der SPD)

Für uns gibt es nicht – wie bei den Konservativen – einen Automatismus, dass wir dann immer schärfere Gesetze brauchen. Nein, wir schauen uns erst den Einzelfall an, analysieren die Situation, fragen uns, wie es im Vollzug war, und klären erst dann, ob etwas nachzujustieren ist, ob weitere Schritte zu unternehmen sind oder nicht.

Für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ist außerdem eines klar: Die beste Sicherheit wird durch die Sicherheitsbehörden Polizei und Justiz sichergestellt, die mit ausreichend Personal ausgestattet sind, das hoch qualifiziert und hoch motiviert ist. Das ist der beste Schutz für die Sicherheit unserer Bevölkerung, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Wer hat denn den Aderlass bei der Polizei und insbesondere bei der Justiz in den letzten Jahren zu verantworten? Das sind doch Sie, Frau Justizministerin Kühne-Hörmann.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der LIN- KEN)

Die Justiz war jahrelang ein Steinbruch dieser Landesregierung. Ich darf die Zahlen hier noch einmal in Erinnerung rufen.

(Michael Boddenberg (CDU): Ach du liebe Zeit!)

Mit der „Operation düstere Zukunft“ im Jahr 2003 wurden im ersten Schritt 800 Stellen bei der Justiz abgebaut.

(Horst Klee (CDU): Das ist ja verjährt! – Gegenruf des Abg. Günter Rudolph (SPD))

Ich weiß, dass Sie das nicht hören wollen. Das tut weh. Das ist aber die Wahrheit.

(Günter Rudolph (SPD): So ist es!)

Im Folgeschritt wurden später, in jüngerer Vergangenheit, weitere 400 Stellen abgebaut. Das ist der Aderlass, der in der Justiz stattgefunden hat, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))

Das hat auch konkrete Folgen. Wir haben mit unserem Berichtsantrag herausgearbeitet – bzw. Sie mussten darauf antworten –, dass die Verfahren in Hessen im Durchschnitt länger dauern als im Bundesdurchschnitt. Das heißt, in Hessen wartet man durchschnittlich länger auf ein Strafurteil, man wartet in Hessen länger darauf, dass ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren abgeschlossen ist, als in anderen Bundesländern.