Das hat auch konkrete Folgen. Wir haben mit unserem Berichtsantrag herausgearbeitet – bzw. Sie mussten darauf antworten –, dass die Verfahren in Hessen im Durchschnitt länger dauern als im Bundesdurchschnitt. Das heißt, in Hessen wartet man durchschnittlich länger auf ein Strafurteil, man wartet in Hessen länger darauf, dass ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren abgeschlossen ist, als in anderen Bundesländern.
Außerdem ist die Belastungssituation bei Richtern, Staatsanwälten, Rechtspflegern, aber auch bei der Amtsanwaltschaft besonders hoch. Bei den Staats- und Amtsanwaltschaften liegt sie bei über 140 % nach dem Personalberechnungssystem PEBB§Y.
Auch die Ausbildung von Justizfachangestellten haben Sie sträflich vernachlässigt. Sie haben nicht nur die Ausbildungsgerichte zusammengelegt, sondern auch die Zahl der Ausbildungsstellen reduziert. Sie haben die Zahl der Anwärterstellen bei den Rechtspflegern reduziert. Außerdem haben Sie die Zahl der Ausbildungsstellen im Strafvollzug reduziert. Das rächt sich nun, auch wenn jetzt mehr Personal kommt, was längst überfällig ist. Die entsprechenden Personen fallen aber nicht vom Himmel, sondern müssen ausgebildet werden.
Es ist nur dem großen Engagement von Polizei und Justiz zu verdanken, dass unter schwierigsten Rahmenbedingungen solch eine hervorragende Arbeit bei Polizei und Justiz geleistet wird, meine Damen und Herren.
Wer über Sicherheit redet, darf über die Versäumnisse der Landesregierung bei der Polizei nicht schweigen.
Trotz eines immensen Aufgabenzuwachses, der vorhersehbar war, hat damals unter CDU-Innenminister Volker Bouffier der Stellenabbau bei der Polizei begonnen. Vom Jahr 2001 bis zum Jahr 2009 wurden 720 Vollzugsstellen
und weitere 600 Stellen im Tarifbereich abgebaut. Der Abbau im Tarifbereich ging bis zum vergangenen Jahr weiter, meine Damen und Herren.
Die Polizei ist sehr belastet. Insofern empfehle ich Ihnen, regelmäßig den Dialog mit unseren Polizeibeamtinnen und -beamten bei den Stationen zu suchen, wie es die Kolleginnen und Kollegen der SPD machen. Dann wüssten Sie das nämlich.
Die Motivation bei der Polizei ist nicht gerade hoch angesichts der Kürzungen bei der Beihilfe, beim Weihnachtsgeld und beim Urlaubsgeld, angesichts der Nullrunde bei der Besoldung, angesichts fehlender Aufstiegsperspektiven usw. Eines kommt noch obendrauf: Die Belastungssituation wird auch durch einen Aufbau von drei Millionen Überstunden, die die Polizei vor sich herschiebt, skizziert.
Meine Damen und Herren, da muss man Abhilfe schaffen. Es ist doch wichtig, dass wir an dieser Stelle unsere Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten stärken und in innere Sicherheit investieren.
Frau Kühne-Hörmann, da sagen Sie noch der Presse, dass der Staat die Bürger schützen könne, wenn er gut vorbereitet sei. Ist dieser Aderlass eine gute Vorbereitung, ein guter Schutz der Bürgerinnen und Bürger im Rahmen der Sicherheit? – Mitnichten, meine Damen und Herren.
Sie haben zu Recht angesprochen, dass der Respekt in unserer Gesellschaft auch gegenüber Sicherheitskräften und gegenüber der Polizei abnimmt. Das ist eine besorgniserregende Entwicklung, der wir uns entgegenstellen müssen, meine Damen und Herren.
Das können wir aber nicht nur durch strafrechtlichen Schutz, sondern auch durch die Vermittlung von Werten wie Respekt, Achtung des Nächsten und Anstand. Das ist ein gesamtgesellschaftlicher Auftrag, meine Damen und Herren.
Sie haben zu Recht die besondere Belastungssituation der Gerichtsvollzieher angesprochen, nicht nur angesichts der sogenannten Reichsbürger. Frau Justizministerin, wie aber unterstützen Sie die Gerichtsvollzieher in unserem Lande bei dieser wichtigen Aufgabe? – Fehlanzeige.
Kommen wir nun zur elektronischen Fußfessel. Hierzu hat Bundesjustizminister Heiko Maas einen Vorschlag auf den Tisch gelegt.
Wenn Sie Kritik an Heiko Maas üben, bin ich schon etwas irritiert; denn dieser Vorschlag wird gerade von Ihrem Parteikollegen, Bundesinnenminister Thomas de Maizière, unterstützt.
So einfach ist das eben nicht, zumal wir uns beim Einsatz der elektronischen Fußfessel im präventiven Bereich bewegen. Sie wissen aber ganz genau, dass es schwierig ist, dies verfassungsrechtlich umzusetzen.
Ich finde es gut, dass der Bund – wie auch beim BKA-Gesetz – ganz klar gesagt hat: Liebe Länder, ihr seid gefordert. Schaut euch an, ob ihr entsprechende Regelungen treffen könnt. – Der Ball liegt also nun bei Ihnen und bei niemand anderem.
Ich finde es auch hier wichtig, bei der Wahrheit zu bleiben. Die elektronische Fußfessel ist kein Allheilmittel. Sie darf gerade bei einem solch wichtigen Thema nicht zur PRNummer verkommen. Die bisherigen langjährigen Erfahrungen, die wir mit der elektronischen Fußfessel gemacht haben, zeigen doch gerade, dass sie nur für einen eingegrenzten Personenkreis wirklich geeignet ist, nämlich insbesondere für solch eine Tätergruppe bzw. Personengruppe, die ihren Tagesablauf gut strukturieren kann. Aber auch mit der elektronischen Fußfessel wird es keine hundertprozentige Sicherheit geben, meine Damen und Herren. Gerade der Attentäter in Frankreich, der auf eine schreckliche Art und Weise einen Priester in den Tod gerissen hat, hat eine Fußfessel getragen.
Eine andere Bedrohung, die Sie auch zu Recht angesprochen haben, ist die der zunehmenden Cyberkriminalität, die nicht nur den Staat, sondern auch den Bürger und jedes zweite Unternehmen in unserem Land betrifft. Hier haben wir auf gesetzlicher Ebene in den letzten Jahren sehr viel erreicht. Insofern bitte ich darum, seriös zu bleiben.
Durch das IT-Sicherheitsgesetz wird beispielsweise die sogenannte Botnetzkriminalität besser bekämpft als je zuvor. Mit dem Gesetz zur Erhöhung der Sicherheit informationstechnischer Systeme werden Teledienstleister wie die Telekom verpflichtet, ihre Angebote vor dem Zugriff Dritter zu sichern. Das trägt diesem Umstand Rechnung. Auch internationale Standards, wie sie der Europarat gefordert hat, sind in unserer Strafprozessordnung verankert.
Meine Damen und Herren, hier ist also bereits vieles geschehen, und das muss man auch einmal anerkennen.
Wir erkennen aber eher ein Vollzugsproblem, insbesondere im Bereich der Cyberkriminalität und im Bereich der Internetkriminalität. Haben wir wirklich genügend Fachpersonal mit der entsprechenden IT-Kenntnis bei den Staatsanwaltschaften, in der Richterschaft und bei der Polizei, um des Anstiegs der Internetkriminalität Herr zu werden?
Wenn wir Staatsanwaltschaften besuchen, hören wir oft, dass sich diese trotz größter Anstrengungen und trotz größtem Engagement wie Sisyphus fühlen. Dabei sollte man sich insbesondere den Zuwachs der Internetkriminalität anschauen.
Frau Kühne-Hörmann, Sie gehören seit 2009 dem Kabinett an. Deshalb haben an erster Stelle Sie es zu verantworten, dass das hierfür erforderliche Personal in den letzten Jahren abgebaut worden ist. Das ist sträflich, meine Damen und Herren.
Nicht jede Initiative, die Sie angesprochen haben, kommt von Ihnen. Nicht jede Initiative führt zum Ziel. Zudem kann keine der Initiativen, die Sie hier angesprochen haben, von den Fehlern Ihrer Personalpolitik ablenken – und das ist auch gut so.
Welche realen Konsequenzen müssen jetzt gezogen werden? Richtig ist, dass die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden der Länder und des Bundes weiter verbessert
werden muss. Wie war es aber möglich, dass ein Attentäter wie Amri, der schon zwei Tage in Haft gesessen hat, trotzdem eine solche Tat verüben konnte? Das müssen wir uns in der Tat fragen. Deshalb ist es wichtig, hier eine vollumfängliche Aufklärung zu betreiben – was auch geschieht –, und es muss konstatiert werden, dass das Recht weiter flexibilisiert werden muss, was die Anordnung der Abschiebehaft betrifft, die zurzeit für einen Zeitraum von bis zu 18 Wochen möglich ist. Wir brauchen hier eine Erweiterung der gesetzlichen Möglichkeiten; denn die Abschiebung muss innerhalb von drei Monaten durchgeführt werden können. Das war im Fall Amri nicht möglich, und deshalb ist die Abschiebehaft auch nicht angeordnet worden. Wir sehen, hier gibt es einen gesetzgeberischen Handlungsbedarf.
Es ist nämlich wichtig, dass die Bevölkerung weiß und sich darauf verlassen kann, dass kriminelle, gefährliche Extremisten, die sich als Flüchtlinge getarnt haben und zu uns kommen, wirklich bestraft und konsequent abgeschoben werden.
Darauf muss sich die Bevölkerung verlassen können; denn nur so können wir die große Hilfsbereitschaft der Bevölkerung in unserem Land und ihre Warmherzigkeit, die sie Gott sei Dank an den Tag legt, aufrechterhalten. Da bin ich mir ganz sicher.
Frau Justizministerin, wir waren beim Lesen Ihrer Regierungserklärung bass erstaunt, dass kein einziges Mal das Wort Prävention gefallen ist. Sie sind wahrscheinlich die Einzige, die der Meinung ist, dass wir keine präventiven Maßnahmen brauchen, dass Repressionen alleine auskömmlich sind, um hier tätig zu werden. Das ist aber der falsche Ansatz; wir brauchen beides.
Für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ist die Prävention der zentrale Ansatz. Hier müssten viel, viel mehr Anstrengungen unternommen werden, unter anderem bei denjenigen, die in unserem Lande radikalisiert werden. Viele von ihnen können wir übrigens überhaupt nicht in ein anderes Land abschieben, weil sie den deutschen Pass besitzen. Weitere wichtige Präventionsansätze sind eine gute Bildungspolitik, ein gutes Angebot an Betreuungsplätzen für Kinder und Jugendliche und der Ausbau der Jugendbildungs- und der Jugendarbeit. Das sind wichtige Ansätze im Bereich Prävention, die auch hier in Hessen gestärkt werden müssen.
Altbundeskanzler Helmut Schmidt hat zum Thema Terror gesagt – ich darf ihn mit Ihrem Einverständnis zum Schluss zitieren –:
Die Mörder wollen ein Gefühl der Ohnmacht erzeugen. Sie wollen die Organe des Grundgesetzes verleiten, sich von freiheitlichen und rechtsstaatlichen Grundsätzen abzukehren. Sie hoffen, dass ihre Gewalt eine bloß emotional gesteuerte, undifferenzier
te, unkontrollierte Gegengewalt hervorbringe … Diese Erwartungen werden sich nicht erfüllen. Der Rechtsstaat bleibt unverwundbar, solange er in uns lebt.