Protokoll der Sitzung vom 24.01.2017

te, unkontrollierte Gegengewalt hervorbringe … Diese Erwartungen werden sich nicht erfüllen. Der Rechtsstaat bleibt unverwundbar, solange er in uns lebt.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Anhaltender Beifall bei der SPD)

Nächste Wortmeldung, Frau Abg. Müller (Kassel) für die Fraktion der GRÜNEN.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Als Erstes möchte ich der Frau Ministerin danken, die selbst vielen gedankt hat. Diesem Dank möchte ich mich natürlich anschließen, aber ich danke auch der Frau Ministerin, dass sie diese Regierungserklärung heute eingebracht hat und wir über das Thema Sicherheit und Freiheit hier im Landtag reden können.

Das Thema Sicherheit und Freiheit füllt ganze Bücherwände und wird immer wieder diskutiert. Die Gewichtung der Sicherheit als Voraussetzung von Freiheit wird sicherlich unterschiedlich ausfallen. Es zeichnet die Demokratie aber aus, dass wir diese Auslotung vornehmen, die besten Argumente austauschen und nach Lösungen für aktuelle Probleme suchen können.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Die Wechselbeziehungen zwischen Freiheit und Sicherheit werden seit der Antike immer wieder erörtert, aber es ist noch nicht alles gesagt. Das kann auch nicht der Fall sein; denn die Ereignisse, auf die wir uns einstellen müssen, werfen immer wieder neue Fragen auf und erfordern Antworten auf die Frage: Wie viel Freiheit sind wir aufzugeben gewillt, um Sicherheit zu gewährleisten? Dieses Verhältnis muss immer wieder neu austariert werden, und auch den Datenschutz dürfen wir auf keinen Fall aus dem Blick verlieren.

Freiheit braucht Sicherheit, aber die Sicherheit muss die Freiheit schützen und darf sie nicht aufheben. Deshalb ist es gut, wenn diese schwarz-grüne Koalition nicht nur fragt, wie wir Ökonomie und Ökologie in Einklang bringen können, sondern auch, wie Sicherheit und Freiheit miteinander vereinbar gemacht werden können.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Zur Sicherheit gehört ein starker Rechtsstaat. An dieser Stelle möchte ich mich kurz an Frau Hofmann wenden. Sie haben im Ausschuss eine Frage zu der Belastung der Richterinnen und Richter gestellt. Sie haben eine ausführliche Antwort bekommen. Sie bewerten die Sachlage aber immer nur quantitativ. Ich denke, muss man das auch unter qualitativen Gesichtspunkten betrachten. Zum einen handelt es sich um umfangreiche Verfahren, zum anderen wird der Rechtsstaat sehr ernst genommen. Die Richterinnen und Richter arbeiten sehr sorgfältig; deswegen brauchen manche Verfahren eben länger. Dass wir nicht genug Richterinnen und Richter haben, ist erkannt worden. Deshalb haben wir im Bereich der Justiz den Einstellungsstopp in größerem Umfang ausgesetzt.

Klar ist auch, dass die Gewährleistung sowohl von Sicherheit als auch von Freiheit die nationalen Grenzen sprengt. Das wurde angesprochen. Das heißt aber nicht, dass wir unsere Hände in den Schoß legen können und gar nichts zu machen brauchen. Das, was wir tun können – das ist genauso wie bei der Energiewende –, müssen wir tun, und das tun wir auch. Da ist Hessen gut aufgestellt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Frau Staatsministerin Kühne-Hörmann ist auf Herrn Herzog eingegangen. Ich möchte einen anderen CDU-Politiker zitieren, nämlich Norbert Lammert, der sich aus Anlass des Gedenkens an die Opfer von Berlin zu diesem Thema geäußert hat. Unter anderem wegen des dortigen Anschlags haben wir die heutige Regierungserklärung gehört. Er hat gesagt, dass die Terrorgefahr unser Leben verändere und jeder Terrorangriff ein Angriff auf unsere Freiheit sei. Das erleben wir täglich. Es gibt bei den Menschen ein wachsendes Sicherheitsbedürfnis. Es gibt eine diffuse Bedrohung, leider aber auch eine reale. Zum Glück ist sie noch nicht so relevant, dass jeder von uns täglich bedroht ist, aber sie ist durchaus ernst zu nehmen. Deswegen warnte Herr Lammert in seiner Rede davor, den Staat bei der Suche nach einer guten Balance zwischen Sicherheit und Freiheit mit Ansprüchen zu überfordern oder vorzutäuschen, dem Terror mit scheinbar einfachen Mitteln begegnen zu können. Das wird nicht möglich sein. Auch Länder, die keine Freiheit zulassen oder diese im Namen der Sicherheit stark einschränken, bieten keineswegs einen besseren Schutz, so Herr Lammert. Als Beispiel nannte er die Türkei. Es wird niemand bestreiten, dass die exekutive Autorität in der Türkei auf Kosten der Freiheit und der rechtsstaatlichen Prinzipien ausgedehnt wurde. Aber auch in der Türkei gibt es keine hundertprozentige Sicherheit. Wir alle konnten das kurz vor Silvester erleben, als es zu einem Terroranschlag auf eine Diskothek kam.

Rechtsstaatliche Befugnisse müssen also da erweitert werden, wo es erforderlich ist. Zunächst muss aber überprüft werden, ob die rechtsstaatlichen Mittel ausgeschöpft sind und ob es Defizite in der Anwendung rechtsstaatlicher Mittel und bei deren Vollzug gibt. So haben wir es bisher immer gehalten, z. B. beim Thema digitaler Hausfriedensbruch. Da, wo es Lücken im Strafrecht gibt, werden sie geschlossen, aber auch Prävention und Forschung sind wichtig. Diesem Dreiklang muss stets Rechnung getragen werden.

Auch im Fall Amri hat man Folgendes gut gesehen. Rechtsstaatliche Mittel wurden nicht konsequent angewendet. Selbst Innenminister Jäger hat mittlerweile zugegeben, dass dieser Fall sorgfältig aufgearbeitet werden muss und dass man aus den Versäumnissen lernen muss.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Wir alle müssen wachsam sein, damit politische Rationalität nicht zum Ende der Demokratie führt. Dieser Entwicklung kann nur beigekommen werden, wenn man die Verabschiedung der Sicherheitsmaßnahmen in Zeiten großer Bedrohung – ob gefühlt oder real, sei dahingestellt – mit sogenannten Sunshine-Klauseln verbindet. Das heißt, dass man zeitlich befristete Gesetze verabschiedet und diese dann evaluiert, um nicht sozusagen Nägel mit Köpfen zu machen und die Maßnahmen nicht mehr zurückholen zu

können. Die für die Demokratie notwendige Freiheit wird dadurch auch nicht dauerhaft eingeschränkt.

Wir dürfen uns aber auch nicht in unserem täglichen Leben einschränken lassen. Frau Kühne-Hörmann hat als Beispiel genannt, dass wir uns nicht mehr sicher fühlen. Wenn immer mehr Menschen sagen, dass sie sich im öffentlichen Raum nicht sicher fühlen, muss dem nachgegangen werden: woher das kommt und was dagegen zu tun ist.

(Vizepräsident Wolfgang Greilich übernimmt den Vorsitz.)

Unser Ziel ist es selbstverständlich, dass sich alle Menschen im öffentlichen Raum frei und sicher bewegen können. Erfreulicherweise erklären in Umfragen 77 % der Hessinnen und Hessen, dass sie sich in diesem Bundesland sicher fühlen. Das sind 7 % mehr als noch vor einem Jahr. Man kann also sagen, die Maßnahmen der Landesregierung haben gewirkt: Das Sicherheitsgefühl in Hessen ist gestiegen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Zum Beispiel haben wir die Mittel für die Videoüberwachung auf 1,3 Millionen € aufgestockt. Damit werden in diesem Haushalt 1 Million € mehr zur Verfügung gestellt. Wir sagen aber, die Videoüberwachung muss an sicherheitsrelevanten Orten erfolgen: nicht querbeet, wie es in anderen Ländern der Fall ist, sondern immer nur verfassungsrechtlichen Grundsätzen entsprechend. Die Mittel stehen bereit, und die Kommunen sind jetzt aufgefordert, die notwendige Videoüberwachung mit Augenmaß und aus konkretem Anlass installieren zu lassen.

Hessen ist also gut aufgestellt. Da, wo es Lücken gibt, werden diese identifiziert. Es wird geprüft, welche Lösungen es gibt, und danach wird gehandelt. So werden wir es auch mit den aus Berlin kommenden Vorschlägen halten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Ich kann jetzt unseren Fraktionsvorsitzenden zitieren:

Wir werden Vorschläge unterstützen, die tatsächlich der Sicherheit dienen, verhältnismäßig und rechtsstaatlich sind. … Wir werden zügig, aber auch mit der insbesondere bei diesem Thema notwendigen Ernsthaftigkeit und Gründlichkeit die Vorschläge bewerten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen; aber ich habe noch Redezeit. Uns geht es darum, wirkliche Lösungen zu finden. Auch das wurde bereits erwähnt. Wir haben im Polizeivollzug 1.000 neue Stellen geschaffen, wir haben 100 zusätzliche Wachpolizisten eingestellt und 250 neue Stellen in der Justiz eingerichtet. Auch die Ausstattung der Polizei haben wir verbessert, und wir haben ein landesweit einmaliges Programm zur Extremismusprävention, in dem in diesem Jahr knapp 4 Millionen € zur Verfügung stehen.

Die Regierungserklärung der Ministerin bildet den Abschluss eines Dreiklangs; es ist jetzt die dritte in diesem Zusammenhang. Die erste Regierungserklärung behandelte das Thema Prävention, die zweite die Sicherheitslücken: digitaler Hausfriedensbruch und Cyberkriminalität z. B. Auch hatten wir schon einen Setzpunkt zu dem Thema Hate Speech. Ich finde, die Prävention ist das Fundament un

seres Rechtsstaats; denn jemand, der nicht zum Täter wird, produziert auch keine Opfer. Durch mehr Prävention steht der Rechtsstaat auf sicheren Füßen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Ein gutes Beispiel dafür ist Molenbeek in Belgien. Wir sind mit dem Rechtsausschuss nach Brüssel gefahren. Die Bürgermeisterin von Molenbeek hat uns erzählt, dass sie an den Folgen zum Teil selbst schuld waren: Sie haben nicht genug für die Prävention getan. Sie haben gedacht, die Integration laufe von alleine, Sprachangebote müssten sie nicht machen, und um die Integration in die Gesellschaft bräuchten sie sich nicht zu kümmern. Dann hatte man abgehängte Jugendliche, die zu Kriminellen wurden.

So weit lassen wir es in Hessen nicht kommen; denn wir sind gut aufgestellt. Es gibt das Programm NeDis – Netzwerk zur Deradikalisierung im Strafvollzug. Gerade im Strafvollzug, wenn die jungen Menschen an einem Scheidepunkt ihrer Biografie stehen, sind sie empfänglich für Entwürfe, die sie angeblich stark machen. Da ist ein Angebot von Dschihadisten – das sind die gefährlichen Salafisten – oft willkommen. Dem muss man entgegenarbeiten.

Das erfolgt im Vollzug mithilfe von Violence Prevention Network, aber auch in direkter Ansprache durch deutschsprachige Imame, um erst einmal darüber aufzuklären, was eigentlich im Koran steht, und um herauszufinden, ob das ein Lebensentwurf ist, dem man folgen sollte. Dazu sagen wir natürlich Nein. Auch diese Bundesratsinitiative zum Aufbau eines bundesweiten Netzwerks ist ein Baustein in der Sicherheits- und Präventionspolitik dieser Landesregierung.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Aber nicht nur das: Wir haben schon sehr früh – für die Jahre 2016 und 2017 – den Aktionsplan zur Integration von Flüchtlingen und Bewahrung des gesellschaftlichen Zusammenhalts erstellt, auch mit Unterstützung der SPD. Nahezu 3 Milliarden € haben wir für die Aufnahme, Unterbringung und Integration von Flüchtlingen sowie für Schule, Bildung und Soziales ausgegeben. Sie alle kennen diese Maßnahmen. Sie greifen, und sie waren wichtig, um für die Sicherheit in unserem Land zu sorgen.

Jetzt komme ich zu dem Thema elektronische Fußfessel, das hier schon angesprochen worden ist. Ich glaube, da muss man unterscheiden. Zum einen geht es um das, was es auf der Bundesebene bereits gibt: die Fußfessel, die für Sexualstraftäter und Gewaltverbrecher angeordnet wird, wenn sie drei Jahre im Vollzug waren – eine mildere Maßnahme im Vergleich zur Sicherheitsverwahrung. Zum anderen geht es um das, was jetzt aus Berlin kommt: die Schaffung einer Maßnahme für diejenigen, die noch nicht zu Straftätern geworden sind, sondern bei denen es sich um potenzielle Gefährder handelt.

Dazu sagen wir: Wir müssen erst einmal eine klare Definition des Begriffs „Gefährder“ haben, und wir müssen auch einen Rahmen setzen, innerhalb dessen das Tragen dieser Fußfessel angeordnet werden soll. Da diese Maßnahme auf Verdacht, also vor einer möglichen Straftat, angeordnet werden soll, muss die Definition dessen, was einen Gefährder ausmacht, rechtssicher sein. Wir werden prüfen, wie die Ausgestaltung aussieht.

Wir werden uns dem nicht verschließen, aber es ist klar, dass es eine gesetzliche Definition des Begriffs „Gefährder“ geben muss und dass die Anlässe und die gesetzliche Grundlage klar umrissen sein müssen. Außerdem muss noch geklärt werden, ob das ein Eingriff in die freiheitlichen Grundrechte ist. Das würde dann einen Richtervorbehalt nach sich ziehen. Aber all das ist noch offen. Solange uns nichts vorliegt, können wir darüber nur spekulieren. Wenn uns etwas vorliegt, werden wir es prüfen, bewerten und dann darüber entscheiden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Die Fußfessel kann natürlich nur ein kleiner Baustein sein – das hat Frau Hofmann unter Verweis auf den Fall des Priesters gesagt –, aber ein kleiner Baustein ist besser als gar keiner.

Dann gibt es verschiedene Themen, über die diskutiert werden muss, bei denen aber auch ganz klar ist, dass es oft am Vollzug mangelt. Die Haft für Gefährder, zu der es schon bisher hätte kommen müssen, muss auch durch konsequenten Vollzug und Verfolgung ermöglicht werden. Ich glaube, dafür reicht das aus, was wir haben. Das müssen wir überprüfen und es konsequent einsetzen. Die anderen Punkte habe ich genannt, etwa die hessische Bundesratsinitiative. All das will ich jetzt nicht wiederholen; denn das wurde schon in den letzten Regierungserklärungen thematisiert.

Deswegen fasse ich zusammen: Sicherheit und Freiheit sind auf der Grundlage der aktuellen gesellschaftlichen Diskussion und der Ereignisse immer wieder auszutarieren. Dabei steht die Rechtsstaatlichkeit immer im Vordergrund. Nur ein konsequentes Verteidigen des Rechtsstaats gewährleistet auch Freiheit und Sicherheit. Vor diesem Hintergrund prüfen wir Sicherheitslücken aufgrund der bestehenden Rechtslage, drängen auf einen konsequenten Vollzug der Gesetze, prüfen Vorschläge, die auf dem Tisch liegen, auf Umsetzbarkeit und Wirkung und stärken die Prävention auf allen Ebenen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Hessen ist dabei gut aufgestellt und hat mit dem Aktionsplan zur Integration von Flüchtlingen und Bewahrung des gesellschaftlichen Zusammenhalts einen wesentlichen Beitrag zur Bekämpfung der Radikalisierung geleistet. In Hessen sind die Hessinnen und Hessen sicher und leben in Freiheit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Vielen Dank, Frau Kollegin Müller. – Als Nächster spricht Herr Abg. Wilken für die Fraktion DIE LINKE. Bitte sehr, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch wir sind gern bereit, eine Diskussion über die Sicherheit zu führen. Sie ist nicht nur berechtigt, sondern auch geboten. Dazu gehört aber auch, dass Sie hören wollen, was wir, was Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtler und

was Demokratinnen und Demokraten dazu zu sagen haben. Solange nachdenkliche Beiträge wie das kritische Hinterfragen von Polizei- oder Repressionsmaßnahmen praktisch niedergeschrien werden, wird die Diskussion von vornherein verengt, und wir werden nicht die bestmögliche Lösung für mehr Sicherheit finden.