was Demokratinnen und Demokraten dazu zu sagen haben. Solange nachdenkliche Beiträge wie das kritische Hinterfragen von Polizei- oder Repressionsmaßnahmen praktisch niedergeschrien werden, wird die Diskussion von vornherein verengt, und wir werden nicht die bestmögliche Lösung für mehr Sicherheit finden.
Allerdings muss man da schon ein wenig grundsätzlicher herangehen, als Sie, Frau Justizministerin, dies in Ihrer Regierungserklärung getan haben. Viele Ihrer kleinteiligen Forderungen oder Wünsche sind von uns größtenteils bereits mehrfach als entweder kontraproduktiv, schädlich oder überflüssig zurückgewiesen worden. Wir müssen also etwas grundsätzlicher herangehen. Meine Vorrednerin von der SPD hat dies auch bereits getan.
Zur Sicherheitsarchitektur. Sie kennen die Aussage unseres Bundesjustizministers, es könne sich nach dem, was da geschehen ist, und nach dem, was man mittlerweile weiß, niemand hinsetzen und sagen, es seien keine Fehler gemacht worden. Ich will dem ausdrücklich zustimmen. Bloß möchte ich natürlich auch wissen, wer den Fehler gemacht hat und welche Verantwortungen es da gibt. Darauf gibt es bisher sehr wenige Antworten.
Auch wir wollen, dass ein Terroranschlag in Deutschland ein seltenes Ereignis bleibt. Unser Mitgefühl und unsere Anteilnahme gelten sowohl den Toten und Verletzten des Terroranschlags von Berlin, ihren Angehörigen und Familien, als auch den weltweiten Opfern von Krieg, Terror und Vertreibung.
Doch zur Diskussion um die Sicherheit. Keiner der jetzt von Bundesinnenminister Thomas de Maizière oder Bundesjustizminister Heiko Maas gemachten Vorschläge oder auch keines der von der Justizministerin aufgezählten Beispiele hat wirklich einen relevanten Bezug zum Anschlag in Berlin oder einen tatsächlichen Effekt für die öffentliche Sicherheit. Es läuft alles nach einem sattsam bekannten Schema ab: Die Union holt lange verpönte Instrumente aus der Schublade, die endlich wider jede Vernunft umgesetzt werden können, und die SPD fühlt sich dazu berufen, einer verunsicherten Bevölkerung mindestens ebenso viele Vorschläge wie die große Koalitionspartnerin machen zu müssen.
Bereits in der Vergangenheit sind Maßnahmen getroffen worden, die aus rechtsstaatlicher Sicht äußerst hinterfragbar sind. Im Gemeinsamen Terrorabwehrzentrum arbeiten Polizeien und Geheimdienste der Länder und des Bundes gemeinsam und erfolglos, wie der Fall Amri auf tragische Art und Weise gezeigt hat.
Noch länger gibt es die Antiterrordatei und andere gemeinsame Informationssammlungen von Polizei und Geheimdiensten auf Verdachtsbasis. Es ist also trotz dieser rechtsstaatlich fragwürdigen Zusammenarbeit einiges schiefgelaufen. Jetzt wird lauthals mehr von dem gefordert, was nicht funktioniert.
Die Trennung von Polizei und Geheimdiensten ist mit dem Antiterrorzentrum und der sogenannten Antiterrordatei weitgehend aufgehoben. Jetzt legt de Maizière die Axt an den bewährten Föderalismus auch im Bereich der inneren Sicherheit. Dieser Föderalismus – ich darf Sie daran erin
nern – ist ein wichtiges Element zur demokratischen Einhegung der Sicherheitsbehörden. Die Entscheidung für ein föderales System, vor allem in Bezug auf die Sicherheitsbehörden, war eine wichtige Konsequenz aus dem Nationalsozialismus. Das sollten wir nie vergessen.
Sie werden sich jetzt nicht wundern, dass insbesondere die Schaffung eines zentralen Inlandsgeheimdienstes von uns, der LINKEN, klar abgelehnt wird. Gefordert sind Abbau und Begrenzung von Geheimdiensten, nicht eine weitere Zentralisierung.
Zu den anderen Vorschlägen. Auch sie sind untauglich zur nachhaltigen Bekämpfung des Terrorismus. Die elektronische Fußfessel – die Frau Ministerin hat sie angesprochen – liefert Daten über ihren Träger, solange dieser regelmäßig den Akku lädt und sie nicht ablegt. Sie kann zur Überwachung kooperationswilliger Menschen eingesetzt werden. Aber eine elektronische Fußfessel hindert niemanden am Lkw-Fahren und hindert niemanden daran, Terroristen zu rekrutieren oder zu finanzieren, und sie schützt nicht vor dem Untertauchen Verdächtiger. Nur zur Erinnerung: In Frankreich wurde 2016 ein Priester vom Träger einer Fußfessel ermordet.
Insbesondere der Missbrauch des Aufenthaltsrechts für Maßnahmen der Sicherheitsbehörden ist der Weg zurück in die Zeiten eines Fremdenpolizeirechts. Es ist die Absage an ein modernes und aufgeklärtes Zuwanderungsrecht.
Auch Videoüberwachung verhindert keine Gewaltkriminalität. Die Angriffe in Berlin fanden eben trotz Videoüberwachung statt. Sie schreckt Terroristen nicht ab, die sie sogar mit in ihre Propaganda einbeziehen, wie der Gruß von Anis Amri in eine Überwachungskamera am Zoo gezeigt hat.
Gefordert werden jetzt Videokameras an jedem Bahnhof. Früher gab es dort Personal, das eingreifen konnte, wenn es Übergriffe gab. Doch über viele Jahre hat der Staat Personal abgebaut und sich aus vielen Bereichen zurückgezogen.
Deswegen gilt nicht zuletzt: Der Kampf gegen Terror darf keine sicherheitspolitische Diskussion allein bleiben. Sicherheit darf nicht allein auf den Schutz vor Kriminalität und Terror reduziert werden. Soziale Ausgrenzung, Armut, befristete Arbeitsverhältnisse und Leiharbeit, die auch räumlich immer größer werdende Kluft zwischen Arm und Reich, abgehängte Stadtteile oder Kommunen und der schlanke, sich aus der Verantwortung für die Bevölkerung zurückziehende Staat sind alles andere als ein Werbeprogramm für demokratische und gesellschaftliche Partizipation.
Wir müssen daran arbeiten, den Ausstieg aus unserer Gesellschaft und die Ablehnung unserer Werte und Normen nicht mehr so leicht zu machen. Dazu gehört allerdings gerade auch, dass wir politische Verantwortungsträger diese Werte mit Überzeugung leben und nicht über Bord werfen, sobald sie politisch hinderlich sind. Ich bin davon überzeugt: Hundert Sozialarbeiter werden mit Sicherheit mehr ausrichten als Hundert Überwachungskameras.
Wir brauchen mehr Geld für Kommunen, für funktionierende Nachbarschaften, mehr Integrationsarbeit und mehr Mittel für Bildung, für kommunale Jugend- und Sozialarbeit, damit diese vor allem in den sozialen Brennpunkten besser ist als die der Salafisten oder Rechtsradikalen.
Dazu gehört auch die Stärkung von Präventions- und Deradikalisierungsprogrammen, auch im Gefängnis. Frau Kühne-Hörmann, Sie haben darauf hingewiesen. Aber Sie müssen dort deutlich mehr tun. Das ist momentan nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
Es geht aus unserer Sicht auch um die Wiederherstellung des Sozialstaates: mehr Personal für Bildung, Prävention und auch Polizei. Das alles hat mit dem Rückzug des Staates zu tun. Als Beispiel nenne ich noch einmal das Bildungssystem. Den existierenden Mangel an Nachhilfe und Hausaufgabenbetreuung können islamistische Organisationen für sich nutzen, indem sie solche Dienste anbieten, die der Staat eben nicht leistet. Erdogans Arm reicht bis in den Religionsunterricht für muslimische Kinder. Damit befördert man nicht die Chance auf Integration, sondern zerstört sie.
Die als Lösungen präsentierten Ideen der Bundesregierung sind gefährlich ineffektiv im Kampf gegen den Terror. Dadurch ist der mit ihnen einhergehende Eingriff in Freiheit und Grundrechte erst recht unverhältnismäßig.
Liebe GRÜNE, ich hoffe, dass Sie jetzt auch an dieser Stelle mit mir dem Lob der Pressefreiheit zustimmen, die Übertreibungen zur Veranschaulichung eines Problems benutzen darf: Heribert Prantl hat letzten Herbst bereits in der „Süddeutschen Zeitung“ die Logik des Überwachungsstaates folgendermaßen beschrieben:
Jeder Einzelne gilt … als potenziell verdächtig – so lange, bis sich durch die Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen seine Entlastung ergibt.
Zum Schluss, aber nicht zuletzt: Wir müssen daran arbeiten, dem Terrorismus real den Boden zu entziehen. Wir müssen Interventionskriege stoppen sowie den Waffenund Rüstungsexport einstellen. Dann ergreifen wir die richtigen Maßnahmen, damit dem Terrorismus der Boden entzogen wird. – Ich bedanke mich.
Vielen Dank, Herr Wilken. – Für die Fraktion der Freien Demokraten spricht Herr Abg. Rentsch. Sehe ich das richtig? – Bitte sehr.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Bedauerlicherweise sitzt die Hälfte meiner Fraktion hinter mir und die andere Hälfte vor mir. Das ist optisch schon einmal nicht das Schlechteste.
Ich darf mich zunächst einmal – das will ich wenigstens sagen, Frau Justizministerin –, dafür bedanken, dass Sie das Thema heute auf die Tagesordnung gesetzt haben.
Jetzt will ich offen zugestehen, nachdem Sie heute schon ein Pressefrühstück gemacht und dieses Thema – sehr gut – so unpromoted angeteasert haben, haben wir gedacht, dass heute auch ein Feuerwerk an neuen Erkenntnissen kommt.
Die habe ich bisher noch nicht gesehen. Aber möglicherweise kommen sie noch in der Debatte, wenn wir ein bisschen diskutieren, weil – das eint uns, glaube ich, in der Debatte – innere Sicherheit und Rechtsstaat zwei Themenpunkte sind, die zurzeit sicherlich die höchste Priorität in einem Kampf gegen Extremismus haben, und wir alle gemeinsam über die Frage nachdenken müssen, wie wir diesen Rechtsstaat effektiv ausgestalten können. Das ist etwas, was Menschen massiv bewegt. Das kennt jeder aus seinem Umfeld.
Die Diskussionen nach den Anschlägen außerhalb und innerhalb von Deutschland haben zugenommen; die Menschen machen sich Gedanken über die Frage: Ist mein eigenes Leben noch sicher oder nicht? – Natürlich ist es auch so, dass die Sicherheitslage sich gerade seit dem letzten Jahr nicht unbedingt verbessert hat; denn die Tatsache, dass wir viele Tausend Menschen im Land haben, die sich anscheinend unidentifiziert hier aufhalten können, ist nicht unbedingt eine beruhigende Tatsache – im Gegenteil.
Nichtsdestotrotz will ich vielleicht eingangs noch einen Punkt zum Kollegen Wilken sagen: Herr Wilken, wir haben Ihren Antrag gelesen. Damit will ich es dann auch mit den LINKEN bewenden lassen. Ich gebe ehrlich zu, ich werde gleich Kritik an der Union üben. Wir werden auch diskutieren, wo es hingehen soll.
Aber bevor ich mich entscheiden würde, einem Antrag der Linkspartei zum Thema innere Sicherheit und Rechtsstaat zuzustimmen, müsste noch viel passieren. Ich kann es mir ehrlicherweise nicht verkneifen, zu sagen, dass Sie nun wirklich gar keine Antworten auf die Frage haben, wie der Rechtsstaat in diesem Land auszugestalten ist.
Ihre Rede hat heute wieder eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass Sie leider überhaupt nichts zu dieser Frage beitragen können. Das ist bedauerlich, weil Sie bei der Frage, wohin sich der Rechtsstaat entwickelt, an vielen Stellen Verantwortung tragen. Da hätte ich heute ernsthaft mehr erwartet, auch von einer Partei, die vielleicht links im Parteienspektrum steht, aber sicherlich auch das eine oder andere bei dieser Frage ernst nehmen sollte.
Meine Damen und Herren, die Debatte, die wir heute führen, hat eine ganze Reihe von Aspekten. Frau Ministerin Kühne-Hörmann hat das, was sie in der letzten Zeit gemacht hat, zusammengestellt und in diese Regierungserklärung gebettet. An vielen Stellen gibt es sehr starke Schnittpunkte mit dem Bereich der inneren Sicherheit und des Innenministeriums. Ehrlicherweise hat man ein bisschen das Gefühl, dass es hier einen Wettbewerb – vielleicht ist es ja
ein positiver – zwischen Justiz- und Innenpolitik gibt. Ich will gar nicht bewerten, wer hier welchen Hut aufhat. Uns ist wichtig, dass die Vorschläge, die gemacht werden, nachher auch in Taten umgesetzt werden. Das hat an vielen Stellen aus unserer Sicht noch Luft nach oben.
Die Ministerin hat ihre Initiativen vorgestellt. Sie hat die Kritik an Minister Maas erneuert. Ehrlicherweise, Frau Ministerin, wollen wir uns nicht alle in der Frage erschöpfen, dass der Bundesjustizminister das eine oder andere so oder so sagt. Ich glaube, wir haben unsere eigenen Hausaufgaben in diesem Land zu machen. Darauf hat Frau Kollegin Hofmann hingewiesen: Da gibt es eine Reihe von Punkten in der Frage, wie wir diesen Rechtsstaat ausgestalten und wie wir die Freiheit der Menschen effektiv verteidigen können.