Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Sozial- und Integrationspolitische Ausschuss empfiehlt dem Plenum mit den Stimmen von CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP gegen die Stimme der LINKEN, den Gesetzentwurf in zweiter Lesung abzulehnen.
Danke, Herr Rudolph. – Ich eröffne die Aussprache. Die vorgesehene Redezeit ist zehn Minuten. Als erster Rednerin erteile ich für die Fraktion DIE LINKE Frau Schott das Wort.
Bedauerlicherweise ja, denn wenn Sie dem Entwurf zugestimmt hätten, hätten wir eine deutliche Verbesserung der Situation der Eltern, der Kinder, der Erzieherinnen und Erzieher in unserem Land – und auch der Verwaltung.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir haben Ihnen unseren Gesetzentwurf zur Abschaffung der Elternbeiträge und zur Erhöhung der Pauschalen deswegen noch einmal vorgelegt, weil wir in der sehr interessanten Anhörung, bei der es eine große Resonanz für eine Erhöhung der Qualität und für eine Finanzierung durch das Land zur Entlastung der Eltern gab, dazugelernt haben. So etwas soll es in diesem Landtag gerüchteweise geben. Danach haben wir einige wenige Modifikationen an unserem Entwurf vorgenommen.
Wir bleiben dabei: Die Pauschalen des Landes müssen erhöht werden. Die Elternbeiträge sollen abgeschafft werden. So heißt es im neuen Entwurf wörtlich. Das Pauschalensystem soll vereinfacht werden. Was sich geändert hat: Die Qualität soll durch das Gesetz deutlicher abgefordert werden. Die Pauschalen sollen deshalb eine Differenzierung danach erfahren, ob ein Kind unter oder über 25 Stunden in eine Kita geht. Die Anpassung an tarifliche Erhöhungen soll aufgenommen werden. Statt der aktuell 28 unterschiedlichen Pauschalen – 28! – soll es nur noch vier Pauschalen geben. In diese sind die bisherigen Pauschalen einberechnet; sie orientieren sich an der jeweils höheren Pauschale. Das ist eine radikale Vereinfachung.
Ich muss allerdings zugeben, dass ich von Anfang an die Befürchtung hatte, dass aus einem schlechten Gesetz – das ist das KiföG – auch mit mutigen Verbesserungen kein ganz gutes Gesetz werden kann. Die Lektüre des Evaluationsberichts hat dieser Befürchtung ordentlich Nahrung gegeben.
Ich kann die Einschätzung des Sozialministers nicht nachvollziehen, dass sich die meisten Annahmen – damit meint er die kritischen – bei der Einführung des Gesetzes durch wissenschaftliche Evaluation nicht bestätigt hätten und es sich um ein gutes und solides Gesetz handeln soll. Wenn keine Kita wegen des Gesetzes geschlossen wurde – aber zumindest einige Träger haben aufgegeben – und alle Kinder überlebt haben, ist das noch kein Zeichen für ein gutes Gesetz.
Sowohl zu Beginn als auch zum Abschluss der Evaluation wurde das hessische KiföG durch die befragten Akteure und Akteurinnen mehrheitlich abgelehnt. Die Ablehnungsquote wurde zwar im zweiten Befragungsjahr etwas besser, allerdings kommt keine der befragten Gruppen auf eine Zustimmungsquote von über 50 %, fast alle kommen aber auf eine Ablehnungsquote von über 50 %. Trotzdem müssen alle, die mit dem Gesetz zu tun haben, sich damit arrangieren und damit arbeiten.
Wahrscheinlich wäre der Widerspruch noch viel größer, wenn nicht viele Kommunen die Mindeststandards des KiföG nicht als Begrenzung nehmen und einen viel höheren Personalschlüssel ansetzen würden. Das sind Kommunen, die verstanden haben, wie wichtig eine gute und gut ausgestattete frühkindliche Bildung ist und wie entscheidend sie für die Entwicklung der Kinder ist. Wir können uns bei diesen Kommunen nur bedanken.
Die Landesförderung für die Kommunen, die mehr Spielraum brauchen – und auch nutzen – für bessere Qualität, für mehr Personal und für eine gute Ausstattung, muss erhöht werden, wie wir mit diesem Gesetzentwurf vorschlagen. Sie muss in den nächsten Jahren weiter steigen – bis zur weitestgehenden Übernahme der Kosten durch das Land.
Der Mangel an Erziehungsfachkräften wird nicht bewältigt, solange die Arbeitsbedingungen so schwierig sind wie derzeit. Die Belastungen in den Kitas sind hoch. Mehr Personal ist auf jeden Fall der richtige Schritt, um die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu entlasten, aber auch für die Kinder zu sorgen, genügend Zeit zu haben, damit sie dort wirklich gut und pädagogisch richtig betreut werden können.
Eine Kita, in der sich genügend Personal um die Kinder kümmert, ist für alle Beteiligten, auch für die Eltern, weniger anstrengend. Erzieherinnen und Erzieher können länger berufstätig sein. Es werden mehr junge Leute für den Beruf zu begeistern sein, wenn auch noch die Arbeitgeber davon überzeugt werden können, die Bezahlung zu verbessern. Dann kann irgendwann nichts mehr im Wege stehen, der frühkindlichen Bildung den Stellenwert zuzumessen, den sie in den meisten anderen europäischen Ländern, insbesondere in den nordeuropäischen Ländern, bereits hat.
Dafür ist aber ein Paradigmenwechsel erforderlich. Ein erster Schritt wäre beispielsweise, die Voraussetzungen zu schaffen, dass Kitaleitungen von ihrer Arbeit in den Gruppen freigestellt werden. In 42 % der kleinen Kitas, in 21 %
der mittleren Kitas und in 10 % der großen Kitas gibt es in Hessen keine pädagogisch Tätigen, die für Leitungsfunktionen freigestellt sind. Das ist doch unvorstellbar. Das können wir uns in keinem anderen Betrieb vorstellen.
Die Freistellungen wären noch viel nötiger als in VorKiföG-Zeiten, da mit diesem Gesetz so große bürokratische Vorgaben geschaffen wurden, dass die Kritik sogar beim Sozialminister angekommen ist. Mehr Belastung, aber immer noch keine Freistellung – das ist ein unerträglicher Zustand. Ändern Sie das endlich.
Ich will mir heute noch einmal die Mühe machen, Ihre Behauptung zu widerlegen, dass die Befreiung von den Elternbeiträgen nur die Reichen bevorzuge. Zwei Personen mit einem Kind, die ein Einkommen ab 1.400 € plus angemessene Mittel für ihre Unterkunft haben, haben ganz schöne Probleme, durch den Monat zu kommen. Diese Familien sind alles andere als reich. Eine Befreiung von Elternbeiträgen bekommen diese Familien aber nur stellenweise und oft auch nur teilweise. Das heißt, genau diese Zielgruppe wird durch Kitabeiträge belastet. Die Betroffenen haben ein Einkommen, das nur knapp über dem Grundsicherungsanspruch liegt, aber sie werden von den Beiträgen nicht befreit. Sie müssen auch anderenorts bezahlen: Sie müssen den Rundfunkbeitrag bezahlen, sie haben keine Erleichterungen bei Krankheitskosten oder in anderen Lebenslagen. Es handelt sich also um arme Kinder aus armen Familien. Kinderarmut interessiert die Politik aber meist nur in Sonntagsreden. Wenn es darum geht, tatsächlich Maßnahmen zu ergreifen, damit alle Kinder unabhängig von den häuslichen finanziellen Verhältnissen an pädagogischen Maßnahmen teilnehmen können, dann verliert die Politik ihr Sonntagsgesicht. Das richtige Konzept wäre aber, das Gemeinwohl, all das, was im öffentlichen Interesse ist, für alle zugänglich zu machen – diskriminierungsfrei, barrierefrei und erreichbar. Eigentlich war das auch ein Konzept der GRÜNEN. Das haben sie aber irgendwo auf dem Weg verloren.
Auch wenn heutige Eltern nicht allesamt jung sind: Meistens sind sie Berufsanfänger und -anfängerinnen, sind noch im Studium und verdienen nicht üppig. Für Menschen mit geringem und mit normalem Einkommen sind die Beiträge, die neben vielen anderen Kosten gerade auf Familien zukommen, wie Grundsteuer, Anliegerkosten, Kosten für Strom, Wasser, Heizung, Miete, die alle nicht einkommensabhängig sind, eine echte Belastung. Selbstverständlich profitieren auch Reiche von dem Gesetz. Da kann ich Sie aber nur auffordern, mithilfe der Politik zu steuern, Menschen in unteren Einkommenssphären zu entlasten und dafür die Menschen mit hohen Einkommen stärker zu belasten. Dann hätte der Staat auch genügend Einnahmen, um die Beitragsfreiheit zu finanzieren.
Hier kann das Land im Interesse eines gerechten Ausgleichs tatsächlich steuern. Dem stehen aber die Forderungen aus der Wirtschaft nach Steuerentlastungen für Unternehmen und Gutverdiener entgegen, denen die Bundesregierung viel lieber nachkommt. Das wissen wir hinlänglich.
Ich habe Sie schon bei der Vorlage des ersten Gesetzentwurfes darauf hingewiesen: Wer Verwaltungsvereinfa
chung und Bürokratieabbau erreichen möchte, der muss diesem Gesetzentwurf zustimmen. Stellen Sie sich einmal vor, was alles wegfällt, wenn Sie unser Modell akzeptieren. Das Land braucht weniger Personal, um die Zuschläge zu kontrollieren, zu verausgaben und die Pauschalen zu berechnen. Es kann auch besser kalkulieren. Die Landkreise und die kreisfreien Städte brauchen keine Abteilungen mehr, bei denen Ermäßigungen oder ein Beitragserlass beantragt werden. Sie müssen diese Gelder den Trägern nicht zur Verfügung stellen. Beispielsweise spart ein Kreis mit 250.000 Einwohnern und Einwohnerinnen auf diese Weise etwa 2 Millionen € ein. Der Kitaträger braucht sich nicht mehr mit den Eltern über die Beträge auseinanderzusetzen. Er muss die Beiträge nicht mehr einfordern, anmahnen, vollstrecken oder am Ende doch niederschlagen, weil sie nicht beizubringen sind. Die Auseinandersetzung läuft in der Regel zulasten des betreuten Kindes. Die Eltern bringen dann ihre Kinder oft nicht mehr in die Kitas. Die meisten der Beiträge sind sowieso nicht einbringbar.
Die Kitas könnten sich auf ihre Kernaufgabe konzentrieren und müssten nicht ständig rechnen, ob noch genügend Kinder für das vorhandene Personal da sind oder ob man pädagogische Kräfte, die in Vollzeit arbeiten wollen, tatsächlich so einstellen kann, wie man die Teilzeitkräfte einsetzt, oder ob jemand seine Arbeitsstunden reduzieren muss, usw. In Kassel diskutiert man im Moment beispielsweise darüber, ob man die Schließzeiten der Kitas verlängert, d. h. die Öffnungszeiten verkürzt, und die Ferien künstlich verlängert, was für berufstätige Eltern ein echtes Problem darstellt. Das sind die „kreativen“ Lösungen, die die Kommunen finden müssen, um den Belastungen entgegenzutreten, die sie tatsächlich ereilen. Dem könnten wir entgegenarbeiten, wenn wir uns dazu entschließen würden.
All das würden wir uns ersparen, wenn das Land seine Aufgabe ernst nehmen würde, gute Bedingungen für die Kindertagesbetreuung zu schaffen. Selbstverständlich kann sich die Landesregierung an den Bund wenden, um in dieser Frage Unterstützung zu bekommen. Auch auf der Bundesebene gibt es eine Diskussion um gute und verbindliche Standards, die finanziert werden müssen.
Dieser Gesetzentwurf ist ein Schritt zur vollständigen Übernahme der Kosten der Kindertagesbetreuung durch das Land. Diese sollte schrittweise erfolgen; die finanzielle Anstrengung des Landes wird auch von uns nicht unterschätzt. Ich gebe zu: Wir haben die Kosten für die Einführung der Kostenübernahme in diesem Jahr versehentlich als Kosten für den Gesetzentwurf veranschlagt. Für ein Jahr wäre also das Doppelte des Betrags, der bereits im Haushalt eingestellt ist, für die Kinderbetreuung vom Land zur Verfügung zu stellen. Aber schließlich tragen auch andere Bundesländer diese Kosten, die ansonsten bei den Eltern landen würden.
Um den üblichen Zwischenrufen zu begegnen: Der Länderfinanzausgleich richtet sich nicht nach den Aufwendungen, sondern nach den Einnahmen eines Landes.
Mache ich. – Die Haushaltsüberschüsse zeigen, dass ein solches Gesetz finanzierbar ist. Hier ist der Einsatz des Länderfinanzausgleichs richtig. Wenn der Bund diese Belastung übernimmt, steht nichts dem entgegen, dass Hessen endlich damit anfängt, eine wirklich gute Finanzierung zu schaffen: im Interesse der Eltern, der Kinder, der Kommunen sowie der Erzieherinnen und Erzieher. – Herzlichen Dank.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein neues Jahr hat begonnen, zu dem ich erst einmal Ihnen persönlich alles Gute wünschen möchte und uns gemeinsam frische Ideen, gute Argumente in den Beratungen und immer wieder kluge Entscheidungen. Ich gebe Ihnen gern auch meine Zusage, dass ich, soweit ich es kann, versuchen werde, einen kleinen Beitrag dazu zu leisten.
Frau Schott, ich finde aber, der heutige Debattenauftakt erschwert es etwas, diesen guten Vorsatz in die Tat umzusetzen. Wir beraten über einen Gesetzentwurf der LINKEN, den nicht einmal die Sozialdemokraten verstehen, die die Intention Ihrer Initiative vielleicht teilen. Lieber Herr Kollege, wenn ich mich richtig erinnere – Sie werden es gleich ausführen; vielleicht habe ich Sie auch falsch verstanden –, sagten Sie in der Ausschussberatung, die zwischenzeitlich stattgefunden hat, dass sich Ihnen trotz Ihres Bemühens die Vorschläge zur Neugestaltung der Pauschalen nicht erschließen konnten und dass Sie im Ausschuss keinen Aufschluss darüber erhielten. So steht es hier; ich brauche natürlich nicht Ihre Position vorzutragen. Das war für mich aber erhellend.
Aus der Perspektive meiner Fraktion kann ich hier nur die wichtigsten Argumente unserer Beurteilung wiederholen, die wir in der ersten Lesung im Dezember 2016 formuliert haben. Frau Schott, im Ausschuss – Herr Merz, diese Einschätzung teile ich – haben Sie nämlich leider nichts Erhellendes in Bezug auf unsere Bedenken gesagt.
In aller Kürze, denn das Leben ist kurz, und der eine oder andere hat heute noch etwas Wichtiges vor, wiederhole ich unsere drei wesentlichen Gründe, Ihren Gesetzentwurf auch in dieser Lesung abzulehnen.
Erstens. Sie wollen Kitabeiträge grundsätzlich verbieten, obwohl es heute im Wesentlichen die ganz gut Gestellten sind – das muss ich wiederholen –, die sie tragen. Außerdem wollen Sie die Förderpauschalen des Landes um ein Mehrfaches erhöhen, was nicht ersichtlich und auch nicht nachzuvollziehen ist.
Im Ergebnis bedeutet das vor allen Dingen: Sie wollen ein gewaltiges Entlastungsprogramm für diese relativ gut gestellte Gruppe von Menschen beschließen lassen, und es
soll im Endausbau den Steuerzahler fantastische zusätzliche 700 Millionen € pro Jahr kosten. Sie wollen damit den stattlichen und angemessenen Betrag von rund 460 Millionen € verzweieinhalbfachen, den das Land dank der Politik der CDU, erst gemeinsam mit der FDP, dann gemeinsam mit den GRÜNEN, pro Jahr für die Kinderbetreuung aufwendet – und das nach den großen Zuwächsen in den vergangenen zehn Jahren. Ich erinnere an die 100 Millionen € im Jahr 2006.
Wir finden, mit solchen Vorschlägen untergraben Sie die Zukunft nicht nur der Familien, sondern letztlich aller im Hessenland und schaden den Perspektiven künftiger Generationen, die dafür irgendwie aufkommen müssen.
(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten des Bündnisses 90/DIE GRÜNEN – Hermann Schaus (DIE LINKE): Das ist eine Investition in die zukünftige Generation!)
Nix da, die Kinder müssen dafür ja aufkommen. Herr Schaus, gerade das ist verantwortungsvolle Politik: dass man bedenkt, dass zukünftige Generationen das einlösen müssen, was man heute verspricht.
Ich sage Ihnen, das sind unseriöse Vorschläge, und Sie präsentieren sie immer wieder von Neuem: nach dem Gießkannenprinzip, ohne Rücksicht darauf, was Ihnen dazu gesagt wird, und ohne die Berechnung offenzulegen und vernünftige Begründungen zu liefern. Das ist einfach nicht ernst zu nehmen.