Protokoll der Sitzung vom 26.01.2017

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))

Für die Haftpflichtproblematik liegt seit Jahren ein guter und umsetzungsfähiger Vorschlag der LINKEN mit einem steuerfinanzierten Haftungsfonds auf dem Tisch. Der Vorschlag, den die SPD-Fraktion heute zur Diskussion stellt, ist ein erster Schritt auf dem Weg, dass sich die Landesregierung dieses Themas annimmt und nach einer Analyse auch ein Konzept für eine gute Geburtshilfe erstellt. Herr Grüttner, das ist Ihre Aufgabe.

Immerhin steigt in den letzten Jahren die Zahl der Geburten in Hessen an. Das haben Sie eben selbst gesagt. Seit dem Jahr 2000 sind nicht so viele Kinder geboren worden. Das reicht noch nicht, um die Sterberate auszugleichen. Gemeinsam mit der Zuwanderung kann sich dadurch der demografische Wandel aber verändern.

Wir sollten unseren Teil in diesem Haus dazu beitragen, dass Eltern und auch potenzielle Eltern das Gefühl bekommen, dass ihre Kinder in diesem Bundesland willkommen sind, und das von Anfang an. – Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Dr. Danie- la Sommer (SPD) und Mürvet Öztürk (fraktionslos))

Nächster Redner, Kollege Rock für die FDP-Fraktion.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Bei dem Thema Geburten und der Frage, wie man Familien und Frauen bei der Geburt unterstützen kann, gibt es hier wohl große Einhelligkeit, dass jede Person andere Bedürfnisse hat. Traditionell ist es einer der großen Wünsche, dass die erfolgreichen Hilfestellungen durch Hebammen erbracht werden. Ich glaube, das ist unstrittig, und das finden wir hier alle gut. Das ist hier im Landtag auch vielfach beschlossen worden. Es ist auch wohl jedem klar, gerade wenn er selbst schon Kontakt zu Hebammen hatte – viele aus der Sozialpolitik haben Gespräche geführt oder kennen das aus dem Wahlkreis, wenn dieses Thema an sie herangetragen wird –, dass die meisten Hebammen ihre Tätigkeit nicht als Beruf, sondern als Berufung empfinden. Das ist zu Recht ein freier Beruf. Es ist eine besondere Berufsgruppe, die sich hier in der Regel mit außergewöhnlichem Enthusiasmus und Zuwendung engagiert. Es ist das, was Frauen und Familien in dieser schwierigen Situation brauchen. Deshalb ist es ein sehr sensibles Thema, und darum wurde es hier im Hessischen Landtag schon ganz oft besprochen.

Ich glaube, es ist das, worauf wir uns einmal verständigen und worüber wir im Ausschuss noch einmal reden müssen: Wir können die Position, die die Koalition zumindest zurzeit noch vertritt und die hier vielleicht schon oft beschlossen worden ist, weiter vertreten – aber das wird zu nichts führen. Es ist ein wichtiges Problem, das gelöst werden muss – aber wir sind nicht zuständig.

Ich weiß gar nicht – Herr Grüttner wird es in seiner Rede vielleicht genauer sagen können –, seit wann dieses Thema virulent ist. Es wurde ein Gutachten in Berlin in Auftrag gegeben, es wurde untersucht, es wurde versucht, Lösungen zu finden, und es wurde ein gewisser Zuschuss gezahlt. Aber wenn man mit den Hebammen oder Vertretungen der Hebammen vor Ort in seinem Wahlkreis spricht, dann erklären sie einem, dass das nicht auskömmlich ist. Wenn man tatsächlich möchte, dass Hebammen in unserem Land bei der Betreuung der Geburten weiterhin eine wichtige Rolle spielen, dann muss man sich des Themas annehmen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Die Landesregierung hat dann zwei Möglichkeiten: entweder den Druck in Berlin erhöhen oder aber – wie es z. B. Sachsen gemacht hat – zu überlegen, was wir vor Ort zur Unterstützung machen können. Ich muss ehrlich sagen: Eigentlich wäre es mir lieber, das Problem würde in Berlin gelöst werden. Dort sind auch die Verantwortlichen, die dieses Problem bewältigen müssten. Aber ich muss zur Kenntnis nehmen, dass dieses Thema hier seit vielen Jahren besprochen wird. Es scheint so zu sein, als ob die Lobby dieser Berufsgruppe einfach zu klein ist. Ich weiß auch nicht, wie man Hebammen in Gesprächen überhaupt noch motivieren kann. Wenn man mit ihnen spricht, sagen sie: Das habe ich schon hundertmal von euch gehört. Ihr habt mir doch versprochen, es wird gelöst. Es ist aber nicht mehr auskömmlich, wenn ich als Hebamme freiberuflich arbeiten möchte.

(Horst Klee (CDU): Ein Besuch bringt 32,80 €)

Dieser Zwischenruf ist ganz interessant. Es scheint, dass das in der CDU auch breit diskutiert wird, wenn hier schon solche Zwischenrufe kommen.

Ich möchte trotzdem noch einmal versuchen, an der Stelle einen Appell an die Koalition zu richten. Wir können immer wieder beschließen, dass wir das Problem erkannt haben und andere zuständig sind. Wir als Land Hessen können allerdings auch versuchen, in Berlin etwas zu erreichen. Wir können zumindest auch einmal eine Erhebung darüber machen, wie der tatsächliche Sachstand ist – das ist ein erster Schritt, den die SPD vorgeschlagen hat. Wir können auch an einem Konzept arbeiten, wie eine Übergangslösung in Hessen finanziert werden könnte – ob wir das nachher machen und was es kostet ist eine ganz andere Ebene. Wir haben Zahlen aus Sachsen: Es kostet schon eine Menge Geld, wenn wir das so machen würden. Aber ich wehre mich dagegen, dass wir uns jetzt wieder hierhin setzen

(Zuruf von der CDU: Sie stehen noch!)

und sagen: „Andere haben das Problem“, mit dem Finger auf Berlin zeigen, und am Ende ist der freie Beruf der Hebamme in Hessen eine absolute Seltenheit geworden. Das kann nicht Ziel und Zweck sein, jedenfalls nicht, wenn man das ernst nimmt, was man gesagt hat. Daher appelliere

ich noch einmal daran, dass wir versuchen, das im Ausschuss lösungsorientiert zu diskutieren. Vielleicht kann uns der Minister noch einmal sagen, wie der Sachstand in Berlin ist, damit wir einen Schritt weiterkommen und dieses wichtige Problem tatsächlich einmal einer Lösung zuführen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))

Das Wort hat Herr Kollege Roth. – Oh, Entschuldigung, dafür sind Sie jetzt nicht vorgesehen. Das Wort hat Frau Kollegin Erfurth für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. – Herr Kollege Roth, ich wollte Ihnen eine große Chance geben, nachdem Sie so engagiert mit Herrn Klee diskutiert haben.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst einmal möchte ich sagen, dass es nach meiner Wahrnehmung Gott sei Dank noch keinen Nachwuchsmangel bei den Hebammen gibt. Es entscheiden sich erfreulich viele Frauen und auch ein paar Männer für diesen schönen Beruf. Aber sie haben nachher, wenn sie ausgebildet sind, große Probleme, in ihrem Beruf zu arbeiten. – Frau Dr. Sommer, Sie können mit den Hebammenverbänden sprechen, weil Sie so ungläubig den Kopf schütteln: Es gibt erfreulicherweise im Moment noch viele junge Frauen, die diesen Beruf ausüben möchten.

Das Problem fängt dann an – das haben Sie sehr richtig beschrieben –, wenn die Frauen freiberuflich tätig sein wollen. Dann haben sie einmal das Problem der hohen Haftpflichtversicherungsbeiträge. Wir haben zusammen mit dem Sozialminister versucht, das in Berlin anzuschieben. Kollege Rock hat es richtig adressiert: Das ist auf Bundesebene zu entscheiden. Wir versuchen das, was zu regeln ist und was wir regeln können, von der Landesebene aus mit anzuschieben. Das tun wir mit sehr viel Engagement – das möchte ich betonen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Frau Kollegin Sommer, es ist anders, als es hier von Ihnen dargestellt wurde. Wir beobachten in der schwarz-grünen Koalition mit großer Sorge, dass uns Frauen berichten, sie fänden keine Hebamme. Es ist nicht so, dass man das einfach wegwischen kann. Das Beispiel, das Sie hier vorgetragen haben, wird uns auch vorgetragen. Ich höre das auch von anderen. Eine Bekannte von mir aus Frankfurt, die jetzt schwanger ist, hat nach zwei Anläufen Gott sei Dank eine Hebamme gefunden. Es gibt unterschiedliche Beispiele, aber das muss uns nicht beruhigen. Es gibt Klagen, dass man keine Hebamme oder keine passende Hebamme findet. Jetzt muss man schauen: Was kann die Lösung sein? Ich wage zu bezweifeln, dass der von Ihnen vorgeschlagene Weg, eine landesweite Liste zu erstellen, die richtige Problemlösung ist. Sie nützt uns nämlich nicht viel; denn eine Hebamme für die Wochenbettbetreuung und die Betreuung vor und nach der Geburt ist freiberuflich tätig. Sie können der Hebamme nicht vorschreiben, in welchem Umfang sie tätig sein soll. Ob eine Hebamme sieben Tage die Woche 24 Stunden am Tag tätig sein will, ob sie nur eine Wöchnerin begleiten will oder ob sie an zwei oder vier Ta

gen die Woche arbeiten will, das können Sie der Hebamme nicht vorschreiben. Deshalb nützt Ihnen auch diese Liste nichts.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Diese Listen gibt es bei den Gesundheitsämtern. Das sind diejenigen, die die Frauen auch abtelefonieren. Deshalb glaube ich nicht, dass das die Problemlage löst, die Sie beschrieben haben. Wir müssen deswegen schauen: Wo können andere Ansätze sein? – Der Zwischenruf vom Kollegen Klee war genau der Punkt, an dem es schmerzt. Die Hebamme bekommt 32,80 € für einen Besuch bei der Wöchnerin. Das ist entschieden zu wenig. Das ist auch ein Teil des Problems, warum sich Hebammen entscheiden, keine Wöchnerinnen mehr zu besuchen, sondern zu sagen: Ich mache etwas anderes, was mir meine Existenz sichert, z. B. wichtige Dinge wie Babymassage oder Yogakurse. – Das ist auch alles wichtig, aber die Hebammen fehlen uns dann in der Wöchnerinnenversorgung.

Das Grundproblem ist doch, für eine angemessene und richtige Vergütung zu sorgen. Das kann das Land Hessen leider nicht. Das regeln die Krankenversicherungen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Das ist doch unser Problem. Wir müssen schauen, dass wir das Problem da adressieren, wo es auch hingehört. Wir finden die Versorgung mit Hebammen und Geburtshelfern sehr wichtig. Wir alle haben hier betont, wie wichtig und richtig es ist, dass wir eine hochwertige Versorgung haben. Deshalb kümmern wir uns doch auch immer wieder um diesen Punkt. Aber wir müssen es an der Stelle anlanden, wo es hingehört. Da müssen wir die Hebel ansetzen. Deshalb ist es wichtig und richtig, zu sagen: Wir versuchen bei den Krankenkassen ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass es hier ein Problem gibt.

Wir haben mit den Krankenkassen geredet. Ich fand es sehr erstaunlich, dass sich diese der Problemlage gar nicht bewusst waren.

(Zuruf der Abg. Dr. Daniela Sommer (SPD))

Sie waren sich der Problemlage gar nicht bewusst, dass viele Frauen keine Hebamme finden. Hierfür muss erst einmal ein Problembewusstsein geschaffen werden.

Das ist der Punkt, den wir gemeinsam weiter voranbringen müssen. Wir müssen engagiert daran arbeiten, dass sich da etwas dreht und dass auch bei der Vergütung entschieden etwas getan wird.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Der ganze Prozess ist äußerst schwierig. Das Sozialministerium ist natürlich auch im Gespräch mit allen Akteuren vor Ort, wenn eine Geburtshilfeeinrichtung von der Schließung bedroht ist. Dann versucht das Sozialministerium gemeinsam mit allen Akteuren vor Ort, einen Lösungsweg zu finden. Genau das passiert doch.

Es macht doch überhaupt keinen Sinn – das hat die Kollegin Ravensburg beschrieben –, dass Geburtshilfeeinrichtungen aufrechterhalten werden, die von Wöchnerinnen bzw. von jungen Familien nicht angesteuert werden. Es ist doch das vornehmste Recht jeder jungen Mutter, selbst zu entscheiden, wohin sie geht, ob sie in ein Geburtshaus, in

ein Krankenhaus vor Ort oder aus welchen Gründen auch immer in das Krankenhaus in der Nachbarschaft geht. Dieser Prozess muss doch gemeinsam gesteuert werden. Daran wollen wir gemeinsam arbeiten. Es hilft nichts, wenn wir uns hierhin stellen und das beklagen und nicht an den Problemen arbeiten. Wir wollen an den Problemen arbeiten, und zwar mit Ihnen gemeinsam.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Das Wort hat der hessische Sozialminister, Herr Grüttner.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin Frau Kollegin Erfurth ausgesprochen dankbar, dass sie versucht hat, eine Versachlichung hinzubekommen, wenn es um unterschiedliche Aufgabenbereiche geht. Das muss man bei der Frage der Hebammenversorgung deutlich machen, auch wenn es gerade um die Fragestellung von Haftpflichtprämien, von Kosten und anderem geht.

Wir haben relativ wenige Probleme in Bezug auf die Haftpflichtversicherung von Hebammen und in Bezug auf Kosten, sofern Hebammen in einem Krankenhaus angestellt sind. Wenn sie Geburtshilfe innerhalb des Krankenhauses machen, dann sind sie über das Krankenhaus versichert. Für diesen Teil der Hebammen spielt die Frage der Haftpflichtversicherung überhaupt keine Rolle.

Wir haben aber zwei Bereiche, in denen es eine Problemlage gibt. Das betrifft zunächst einmal freiberufliche Hebammen, die fast ausschließlich in Geburtshäusern entbinden. Für diese sind die Haftpflichtprämien sehr stark angestiegen. Grund dafür waren Gerichtsentscheidungen infolge von Fehlern im Rahmen der Berufsausübung und der Schäden, die anschließend zu bewältigen sind. Das sind menschliche Schäden – um das einmal deutlich zu sagen. Das sind Behinderungen. Dafür sind natürlich auch Kosten aufzubringen. Hierzu gab es einen Kompromiss mit den Haftpflichtversicherern.

Der nächste Bereich, der überwiegend von freiberuflichen Hebammen wahrgenommen wird, aber auch von angestellten Hebammen, betrifft die Wochenbettbetreuung, die sicherlich ein ganz wesentlicher und wichtiger Teil der Nachsorge ist. Hier ist deutlich gemacht geworden, dass dies keine Frage des Verhandelns mit Haftpflichtversicherern ist, um Prämien für Haftpflichtversicherungen nach unten zu treiben, sondern dass es darum geht, dass die reale Kostensituation, die Hebammen für diese Arbeit entsteht, von den Kostenträgern, also letztendlich von den Krankenkassen, ordnungsgemäß erstattet wird. An diesem Punkt müssen wir ansetzen. Das ist der Punkt, an dem wir ansetzen müssen.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Dabei sind wir im Gespräch mit den Krankenversicherern. Weil das eigentlich jedem klar ist, bin ich ein wenig enttäuscht über diesen Antrag und auch über die Diskussion, insbesondere über den Diskussionsbeitrag von Frau Dr. Sommer. Sie nehmen schlicht und einfach eine Sorge werdender Eltern, insbesondere werdender Mütter, sehr undifferenziert auf und verstärken sie eher noch. Sie verunsi

chern, ohne sich zuvor sachkundig zu machen, was überhaupt passiert.

(Zurufe von der SPD)

Sie wollen noch ein paar Sachargumente wissen? Dann müssen Sie auch zuhören, weil Sie die zahlreichen Erläuterungen, die wir herausgeben, wahrscheinlich überhaupt nicht lesen bzw. zur Kenntnis nehmen.

Bei den Gesundheitsämtern in Hessen sind insgesamt rund 800 freiberuflich tätige Hebammen registriert. Leider lässt sich die genaue Zahl der Hebammen nicht ermitteln. Der Grund dafür ist nicht – wie Sie es in der Begründung Ihres Antrags schreiben –, dass Hebammen ihre Tätigkeit nicht anzeigen müssen. Das Hessische Gesetz über den öffentlichen Gesundheitsdienst verpflichtet die Hebammen sogar, ihre Tätigkeit anzuzeigen. Sie tun dies aber nicht.

(Zuruf der Abg. Dr. Daniela Sommer (SPD))

Wenn Sie wollen, dass der jetzt schon bestehenden Mitwirkungspflicht intensiver nachgekommen wird, wenn Sie wollen, dass sich Hebammen tatsächlich registrieren lassen, dann müssen Sie eine Sanktionspflicht einbauen. Diese fehlt aber in Ihrem Antrag. Davor drücken Sie sich schlicht und einfach, weil Sie Angst haben, darauf hinzuweisen, dass es halt ein paar Hundert oder Tausend Euro kosten soll, wenn man dabei erwischt wird, dass man sich nicht registrieren lassen hat.