Es ist bezeichnend, wenn die Gewerkschaftsgruppen in den Kliniken darüber informieren, dass die normale Besetzung im Tagdienst inzwischen dem Standard des Wochenenddienstes entspricht oder dass in einigen Kliniken die Auszubildenden als Springer auf den Stationen eingesetzt werden. Das gilt für alle Krankenhäuser, wobei private Kliniken noch mehr Personal einsparen als die öffentlich-rechtlichen und die gemeinnützigen.
Bekannt ist die Misere schon lange. Nicht ohne Grund hat die Landesregierung 2014 ein Gutachten zur Situation der Pflege in hessischen Akutkrankenhäusern in Auftrag gegeben. Ich fürchte manchmal, Sie haben das schon bereut, aber man kann es auch gut in die Schublade tun und dort liegen lassen. Das ist jedenfalls das, was Sie damit machen.
Sie konnten diesem Gutachten entnehmen, dass die Arbeitssituation der Pflege auf den Stationen entscheidend durch das Phänomen der „nicht mehr kompensierbaren Arbeitsspitzen“ geprägt wird. Das Phänomen beschreibt, dass es auf den Stationen aus verschiedenen Gründen wiederholt zu kurzfristig erhöhtem Arbeitsanfall kommt, der durch das vorhandene Personal nicht ausreichend ausgeglichen und bewältigt werden kann.
Da diese Arbeitsspitzen mit mehr Personal gelöst werden, müssen die Pflegekräfte, aber auch andere Beschäftigte in den Kliniken Einschränkungen in der Tätigkeit vornehmen. Von den 22 Pflegetätigkeiten, die im letzten Dienst nötig gewesen wären, aber aus Zeitmangel nicht durchgeführt werden konnten, gaben die Pflegefachkräfte an, zu 78 % die Zuwendung versäumt zu haben, die die Patienten haben sollen, gefolgt von ausreichender Beobachtung verwirrter Patientinnen und Patienten mit 57 %. Beratung und Mobilisierung von Patientinnen und Patienten – was besonders nach OPs oder Brüchen wichtig ist – und Gespräche mit Angehörigen sind zu 50 % vernachlässigt worden.
Die Pflegekräfte machten in der qualitativen Studie ihre Unzufriedenheit und Frustration mit der beruflichen Situation deutlich: dass sie zu über 60 % mit den körperlichen Anforderungen bzw. zu fast 50 % mit den psychischen Anforderungen sehr oder eher unzufrieden seien. Das heißt, sie werden körperlich und psychisch verschlissen, arbeiten deutlich zu viel und machen ihre Arbeit nach ihrem eigenen Gefühl nicht mehr so, wie sie es machen müssten.
Es gibt aber durchaus Lösungen. Der aktuelle Zustand des Gesundheitswesens ist kein alternativloser Zustand. Er bedarf dringend der Änderung.
Es geht um die Gesundheit der Beschäftigten, es geht aber um unser aller Gesundheit. Wenn man selbst oder ein Angehöriger einer stationären Versorgung bedarf, wollen wir, dass sie gut ist. Da wollen wir uns keine multiresistenten Keime einfangen, weil die Beschäftigten keine Zeit für die Hand- und Bettenhygiene hatten. Da wollen wir persönliche und individuelle Zuwendung haben, nicht nur, wenn wir privat versichert sind. Da wollen wir nicht in die Situation kommen, uns selbst um die verwirrte Bettnachbarin kümmern zu müssen, weil das Pflegepersonal keine Zeit hat. Dies will der Patient, die Patientin, dies wollen aber auch die Beschäftigten in den Kliniken.
Ich denke, hier ausnahmsweise für alle im Hause sprechen zu dürfen, wenn ich mich bei den Beschäftigten in den hessischen Kliniken für ihre engagierte Arbeit, ihren hohen Einsatz und ihr Engagement ganz herzlich bedanke.
Ein bisschen Beifall wäre an der Stelle nicht schlecht gewesen. Aber wenn Sie den Klinikbeschäftigten so Ihren Dank ausdrücken wollen, finde ich das cool.
Es gibt Lösungen. Durchaus ist die Personalbemessung in den Kliniken ein gangbarer Weg für eine bessere Ausstattung in der Pflege, der Hygiene, der Technik, des ärztlichen Dienstes und der Verwaltung. Wissen Sie, was Connecticut, Kalifornien, New York, Texas, Queensland, Tasmanien, Japan, Südkorea, Taiwan und Belgien gemeinsam haben? Sie alle und einige mehr haben Vorgaben zur Mindestbesetzung nach dem Zahlenverhältnis Pflegefachperson zu Patientin/Patient gemacht. Es kann also nicht so falsch sein, das zu tun, und so unmöglich auch nicht.
Die Wissenschaftler der Studie „Nurse-to-Patient Ratios“ betonten, dass Deutschland dabei hinterherhinkt. Die internationale Pflege-Vergleichsstudie RN4CAST aus dem Jahr 2012 hat festgestellt, dass in den USA durchschnittlich 5,3 Patienten auf eine Pflegefachkraft kommen, in den Niederlanden 7, in Schweden 7,7 und in der Schweiz 7,9, und in Deutschland sind es 13. Das heißt, wir haben hier wirklich deutlich schlechtere Verhältnisse.
Aber doch, seit Anfang des Jahres gibt es in Deutschland auch eine Personalbemessung, und zwar in der Neonatologie, der Frühchenstation. Hier hat der Gemeinsame Bundesausschuss das Verhältnis 1 : 1 festgelegt, allerdings oh
ne sich vorher Gedanken zu machen, wo das Personal herkommen soll; denn auch das muss man bedenken, auch dafür muss man Sorge tragen. Also werfen Sie mir nicht vor, ich forderte hier Dinge, die nicht zu realisieren sind. Man muss an der Stelle vorher hinschauen, dass man genügend Menschen qualifiziert. Aber dafür müssen die Rahmenbedingungen im Beruf so sein, dass die Menschen dahin wollen.
Es wird vermutlich bis Ende 2018 Übergangslösungen in den Kliniken geben müssen. Anders wird man das Problem nicht lösen können. Aber man kann in dieser Beziehung insgesamt mit Übergangslösungen arbeiten und dafür Sorge tragen, dass der Beruf attraktiver wird. Es ist also nicht ausgeschlossen, dass auch in Deutschland in dieser Frage noch Aufholpotenzial besteht.
Immerhin wurde bei der Charité ein Haustarifvertrag abgeschlossen; im Saarland wird im Moment daran gearbeitet.
Ich denke, es ist höchste Zeit. Die Beschäftigten und die Patientinnen und Patienten in Hessen haben verdient, dass wir eine gute Versorgung in den Krankenhäusern haben, dass sich Menschen nicht an der Gesundheit anderer krank arbeiten und dass es vernünftige Arbeitsbedingungen gibt. Wir können hier für den Rahmen sorgen. Tun wir das bitte auch.
Verehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Der Antrag der Fraktion DIE LINKE zeigt eine völlig verzerrte Wahrnehmung. Er verunsichert Patienten, demotiviert Personal und ist wirklich kein Beitrag, der Krankenhäuser weiterführt.
Dass ausgerechnet eine Abgeordnete der LINKEN uns das System der USA zum Vorbild macht, wo ein Siebtel der Bevölkerung gar keine medizinische Versorgung hat, das müssen Sie mir einmal erklären. Ist das vielleicht auch irgendein Trump-Effekt, der bei Ihnen eingeschlagen ist
(Janine Wissler (DIE LINKE): Was denn jetzt? Trump oder Putin, oder Krankenhäuser? – Weitere Zurufe – Glockenzeichen der Präsidentin)
Meine Damen und Herren, es wird der Eindruck erweckt, das Land werde der Aufgabe, in die Krankenhäuser zu investieren, nicht ausreichend gerecht, und deshalb müssten Mittel der Krankenkassen dafür verwendet werden, und dabei fehle es an Personal. Das ist Ihre Argumentation.
Aber das ist eben falsch. – Der Vergleich der Bundesländer ist ein Maß, dies zu klären. Hier nimmt Hessen eine deutlich überdurchschnittliche Position ein.
Nach Angaben der Deutschen Krankenhausgesellschaft ist die Investitionsquote in Hessen 4,2 %, im Bundesdurchschnitt 3,5 %. Die Förderung pro Bett beträgt in Hessen 8.240 €, im Bundesdurchschnitt 6.220 € und in NRW – abgeschlagen – 4.410 €.
Eine weitere Vergleichszahl ist die Förderung pro Einwohner in den Krankenhäusern. In Hessen sind es 37 €, in Deutschland 32 € und in NRW – weit dahinter – 28 €.
Diese Zahlen wurden von der Krankenhausgesellschaft im August 2015 publiziert und beziehen sich auf die Bilanzen ein Jahr zuvor.
Auch eine Langzeitbeobachtung lohnt sich; sie hat den Vorteil, einen parteipolitischen Streit zu vermeiden. Zwischen 1991 und 2013 investierte Hessen durchschnittlich 170 Millionen € jährlich, Nordrhein-Westfalen 107 Millionen €. Unser Gesundheitsminister Grüttner hat bei der Krankenhausfinanzierung in Zusammenarbeit mit dem Finanzminister in den letzten Jahren wirklich Akzente gesetzt.
Nach der Wirtschaftskrise von 2008/2009 wurden im Landeskonjunkturprogramm zusätzlich 100 Millionen € für 34 Kliniken zur Verfügung gestellt. Im Kommunalinvestitionsprogramm wurden vor zwei Jahren 77 Millionen € zusätzlich für jene Kliniken bereitgestellt, die länger auf eine Einzelförderung gewartet haben, bevor auf die Pauschalförderung umgestellt wurde. Weiterhin standen in den letzten Jahren Darlehen der WIBank Hessen im Volumen von 150 Millionen € zur Verfügung.
Hessen kann sich im Vergleich mit anderen Bundesländern sehen lassen. Das findet auch auf den Jahrestagungen der Hessischen Krankenhausgesellschaft stets Anerkennung.
Meine Damen und Herren, im Antrag der LINKEN wird die Honorarabrechnung mittels DRGs als Teufelswerk dargestellt. Bis 2003 erhielten die Kliniken pro Tag für jeden Patienten eine Tagespauschale. Dies setzte Fehlanreize für lange Liegezeiten. Vor operativen Wahleingriffen lag der Patient erst einmal eine Woche lang im Krankenhaus. Die Entlassung eines Patienten am Freitag führte stets zur Vorladung des Assistenzarztes beim Chefarzt am folgenden Montag.
Die Einführung der DRGs war dem Grunde nach richtig. Die Umstellung erfolgte übrigens durch ein Bundesgesetz zu einem Zeitpunkt, als die Union an der Regierung gar nicht beteiligt war.
(Günter Rudolph (SPD): Was? – Janine Wissler (DIE LINKE): Es gibt auch schlechte Gesetze, die nicht von der Union gemacht wurden!)
Nicht richtig war dagegen die jährliche Anpassung der Honorierung orientiert an den allgemeinen Lebenshaltungskosten. Durchschnittlich 60 % der Ausgaben eines Krankenhauses sind Personalkosten. Die Tariferhöhungen lagen stets über der Inflationsrate. Daher öffnete sich eine Schere zwischen der Steigerung der Ausgaben und der Anpassung der Fallpauschalen.
Dieser Anpassungsmechanismus wurde vor drei Jahren verändert. Die Entwicklung der Personalkosten wird nun stärker berücksichtigt. Damit ist ein Erfolg erreicht, an dem unser Gesundheitsminister durch sein Engagement in der Bund-Länder-Kommission erheblich mitwirkte.
Die Fallpauschalen, berechnet durch Landesbasiswert und DRGs, sind ein lernendes System. Sie müssen unter Berücksichtigung des medizinischen Fortschritts und der Alterung der Gesellschaft immer wieder angepasst werden. Das wäre ein konstruktiver Beitrag im Sinne der Krankenhäuser.
Im Antrag der LINKEN wird populistisch suggeriert – Sie haben das in Ihrer Rede eben wieder dargelegt, Frau Schott –, das Land könne durch ein Gesetz zu Personalmindeststandards Engpässe in der Pflege beheben.
Diese Diskussion haben wir bereits mehrfach im Landtag geführt; das war eines der Hauptthemen meines sehr geschätzten Kollegen Spies.