Daher meine Bitte und Aufforderung an die Landesregierung: Wenn Sie es ernst meinen mit der Integration, dann verhindern Sie die diskriminierenden Wohnsitzauflagen. Machen Sie sich Gedanken, wie strukturelle Benachteiligungen von Migrantinnen und Migranten angegangen werden können, und stecken Sie mehr Zeit und Geld in humanitäre Aufnahmestrukturen statt in rücksichtslose Abschiebepolitik. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Frau Kollegin Faulhaber. – Als nächster Redner spricht nun Kollege Hahn von der FDP-Fraktion. Bitte schön, Herr Kollege, Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt Situationen in einer knapp 30-jährigen hauptberuflichen Tätigkeit in diesem Landtag, in denen man ein bisschen in das dankbare Schmunzeln kommt. Das ist für mich jetzt gerade so eine Situation. Ich freue mich schon, dass die derzeit regierende Koalition von CDU und GRÜNEN das Programm, das in meiner Verantwortungszeit begonnen wurde, nicht nur lobt, sondern es intensiv ausgebaut hat. Ich will jetzt auch gar keine Vaterschaftstests machen,
sondern an dieser Stelle sehr deutlich sagen: Gäbe es den ehemaligen Leiter der Abteilung Integration, Herrn Dr. Kindermann, nicht, gäbe es nicht das WIR-Programm.
(Beifall bei der FDP – Karin Wolff (CDU): Das stimmt! – Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken übernimmt den Vorsitz.)
Es war seine Idee gewesen, wie wir ab dem Jahre 2009 zunächst die inhaltlichen Vorgaben organisieren mussten. Es lag leider nicht viel vor, sodass wir mit dem Prinzip der Modellregion Integration erst einmal in 6 plus 1 Zonen – das 6 plus 1 sind Hanau und der Main-Kinzig-Kreis – eine Best-Practice-Arbeit machen mussten, um dann die Ergebnisse, von Hochschulen evaluiert, umzusetzen und landesweit mit dem WIR-Programm auszurollen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich sage ausdrücklich Danke an die Mannschaft, die das unter Dr. Kindermann erarbeitet hat und sich intellektuell überlegt hat. Davon profitieren wir jetzt natürlich in einer besonderen Situation, die mit den Flüchtlingen zusammenhängt. Mein Bedürfnis ist es, dies noch einmal ausdrücklich zu sagen, weil auch Minister und Staatssekretäre immer nur so gut sind, wie es ihre verantwortlichen operativen Berater sind. Das war in diesem Fall der ehemalige Abteilungsleiter. Ich bin ein bisschen traurig darüber, dass diese Vorgeschichte
von meinem ehemaligen Koalitionspartner, lieber Ismael Tipi, noch nicht einmal in einem Satz, noch nicht einmal in einem Wort, zitiert wurde.
Ich bedanke mich ausdrücklich bei Herrn Bocklet, der das ehrlicherweise am Anfang gesagt hat. Liebe Kollegen von der Union, ich habe das Gefühl, wir müssen uns überlegen, dass das, was gerade von Ihrer Seite geprobt wird, nämlich die gemeinsamen Leistungen der Regierungszeit von 2009 bis 2013 schlicht auszublenden, nicht gerade der Stil ist, der zu der Abteilung Respekt gehört, den die Landesregierung doch gerade auf den Gipfel ihrer neuen Argumentation gesetzt hat.
Viele Sachen sind sehr gut. Lassen Sie mich deshalb, ohne dass ich jetzt hier groß herumkritteln will – den Eindruck will ich nicht vermitteln, das sage ich vorneweg –, auf zwei, drei Themen hinweisen, wo nach meiner Meinung noch ein bisschen mehr gemacht werden könnte. Das eine ist das Thema frühkindliche Bildung. Ich nehme das bewusst an den Anfang. Sie wissen, Kollege Rock hat heute, als das auch schon einmal diskutiert worden ist, darauf hingewiesen, dass so früh wie möglich die Chance genutzt werden muss, dass die Kinder altersgerecht Deutsch können.
Das gilt natürlich nicht nur für die Flüchtlingskinder, sondern noch viel mehr für die Kinder von Migrantenfamilien in der zweiten und dritten Generation. Wir haben dort – das haben die Statistiken immer wieder bewiesen – das Problem, dass insbesondere, aber nicht nur bei türkeistämmigen Mitbewohnern in unserem Lande die Deutschkenntnis in der Kindheit nicht altersgerecht ist. Dagegen müssen wir etwas unternehmen; denn wenn die Schultüte aus der Hand gelegt wird, es in der ersten Klasse an die Arbeit geht und man nicht altersgerecht Deutsch versteht, dann ist man nicht nur in Deutsch nicht gut, sondern eigentlich überall – es sei denn, man macht Sport oder betreibt ein Musikinstrument.
Es ist doch vollkommen klar: Wenn ich nicht richtig verstehe, dann kann ich auch Mathematik oder Rechnen nicht richtig verstehen, dann kann ich das und das und das nicht richtig verstehen. Ich bin sehr traurig darüber: Wir – gerade Kollege Grüttner und ich – hatten in der letzten Legislaturperiode immer ein bisschen dafür gekämpft, dass Bildungssysteme und auch Vergleichbarkeiten für Kinder im frühkindlichen Alter intensiver eingesetzt werden müssen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich weiß, was ich als Liberaler, als Freier Demokrat jetzt sage. Aber ich könnte mir vorstellen: Wenn das altersgerechte Deutsch bei einem viereinhalb- oder fünfjährigen Kind nicht vorhanden ist, könnte man auch eine Kindergartenpflicht einführen. Das Kind muss die Möglichkeit dazu haben, altersgerecht Deutsch zu lernen. Das kann es nicht, wenn die Eltern das Kind nicht mit diesem Angebot konfrontieren.
Zweites Thema. Das habe ich eben indirekt schon angesprochen: Bitte verkürzen Sie die Integrationsarbeit nicht auf die Flüchtlingsproblematik. Das ist so was von falsch.
Ich will nicht sagen, dass es zwei verschiedene Paar Schuhe sind. Aber Sie wissen, dass ich in Hessen Anfang der Siebzigerjahre Mengenlehre lernen musste, und die sich überschneidenden Teilmengen sind da sehr überschaubar. Es sind verschiedene Aufgaben – ich will jetzt nicht „Probleme“ sagen –, die zu erfüllen sind.
Also: bitte nicht immer wieder auch in der öffentlichen Kommunikation die Reduzierung ausschließlich auf die Flüchtlinge. Da muss auch etwas getan werden – vollkommen klar. Aber die Hauptaufgabe liegt vor der Flüchtlingswelle und nach der Flüchtlingswelle bei denjenigen, die schon in zweiter und dritter Generation in Hessen sind und schon zu Hessen gehören, aber leider nicht überall mitmachen können.
Es gibt zu viel Parallelarbeit. Ich muss Ihnen gestehen, irgendwann haben der Kollege Rock und ich, weil wir uns das, wie Sie merken, ein bisschen aufteilen, gar nicht mehr gewusst, zu welchem Themenbereich das jetzt gehört: ob da der Flüchtlingssprecher Rock oder der Integrationssprecher Hahn zuständig ist. Denn die Tagesordnungen waren auch fast immer identisch. Ich will ein bisschen flapsig formulieren: Ob man nun zum Flüchtlingsgipfel ging oder ob man nun im Integrationsbeirat saß – it’s the same procedure. Aber leider nicht jedes Jahr, sondern alle drei Monate oder so.
So wirklich viel Spaß macht das jedenfalls dann auch nicht mehr. Wenn teilweise die Vorlagen – ich kann mich an eine erinnern, eine hervorragende Vorlage der Handwerkskammer von meinem Freund Bernd Ehinger – überall auftauchen, merkt man, dass irgendwo die Übersicht ein bisschen verloren gegangen ist. Also: weniger Gipfel, mehr konkrete Arbeit.
Dann der vierte Punkt: eine um Längen intensivere Verzahnung mit den Kommunen. Ich weiß, wovon ich spreche. Gerade heute Morgen beim Kaffee oder Tee hat mir die Sozialdezernentin einer 33.000-Einwohner-Stadt noch einmal gesagt: „Sag doch bitte mal, dass wir in den Kommunen eigentlich fast nichts abbekommen“. Ich rede jetzt nicht von den Kreisen. Da ist die Situation offensichtlich um Längen besser. Aber so eine kleine Kommune wie Bad Vilbel kriegt eigentlich von dem ganzen Segen nichts ab, außer dass sie die Flüchtlinge hat.
Das kann auch nicht das Richtige sein. Deshalb meine herzliche Bitte: Denken Sie nicht nur an die Kommunalen Spitzenverbände, sondern denken Sie auch an die Mitglieder der Kommunalen Spitzenverbände, auch wenn in diesem Falle mein Bürgermeister auch gleichzeitig erster stellvertretender Präsident des Hessischen Städte- und Gemeindebundes ist.
Eine letzte Bemerkung, zu der mich Kollege Di Benedetto veranlasst hat: Sie wollen immer Weihrauch schwenken. Das habe ich schon vom Kollegen Joseph Martin Fischer vor knapp 30 Jahren gelernt, dass das eine besonders kluge Art der Politik sei. Meine sehr verehrten Damen und Herren, aber den eigenen Weihrauch sollte man wenigstens dazustellen, und das ist die Arbeit der Enquetekommission.
Wir hatten in der letzten Legislaturperiode eine intensive Auseinandersetzung in diesem Hause unter der Leitung von Herrn Banzer. Sie als Parlamentarier – in der letzten Legislaturperiode war meine Rolle ein bisschen anders – haben in dieser Enquetekommission entsprechende Vorstellungen und Ideen aufgeschrieben.
Dass keiner der beiden Redner der Regierungsfraktionen auch nur ansatzweise das Wort in den Mund genommen hat, macht mir deutlich, dass Sie es offensichtlich entweder vergessen haben oder nicht als so wichtig empfinden, wie ich, wie es die Freien Demokraten tun.
Langer Rede kurzer Sinn: Es ist auch von dieser Regierung ein weiterer Fortschritt in der ehemals brachliegenden Integrationsarbeit in unserem Lande erfolgt. Das Wichtigste ist, sich um die Menschen, die in der zweiten und dritten Generation hier wohnen, zu kümmern; denn sie sind viel mehr. Die Flüchtlinge müssen anders integriert werden, wenn überhaupt. Viele bleiben nicht hier.
Bitte machen Sie eine intensivere Arbeit in der frühkindlichen Bildung, weniger Gipfel und mehr mit den Kommunen zusammen. Dann würden wir mit noch größerer Überzeugung Ihrem Antrag zustimmen. – Vielen herzlichen Dank.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will ein paar allgemeine Bemerkungen am Beginn machen, würde dann aber darum bitten, dass der Herr Präsident Herrn Staatssekretär Dreiseitel, der das WIR-Programm im Wesentlichen weiterentwickelt hat, einiges dazu ausführen lässt.
Sehr geehrter, lieber Herr Kollege Hahn, es hätte nicht der Aufforderung bedurft; denn von mir wäre es gekommen, um an dieser Stelle zu verdeutlichen, wie Integrationspolitik in Hessen eine Tradition hat und wer an dieser Stelle ganz entscheidend mitgewirkt hat, nicht nur bei der Erarbeitung des WIR-Programms. Dabei ist man immer angewiesen auf gute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Aber die Tatsache des Aufbaus einer eigenständigen Abteilung, der Hervorhebung der Integrationsaufgabe im Ministeriumsnamen, das ist auf Jörg-Uwe Hahn zurückzuführen.
Weil es in dieser Frage eine konsequente Fortsetzung gibt, kann ich dem Punkt, den Herr Di Benedetto genannt hat, überhaupt nicht folgen, dass es an dieser Stelle eine Modelleritis gibt, sondern wir haben eine Konstanz, und wir haben einen Plan in unserer Integrationspolitik, deren Grund vor vielen Jahren gelegt worden ist und die fortgeschrieben wird.
An dem Programm WIR sieht man das auch in aller Deutlichkeit. Natürlich müssen auch neue Herausforderungen
Eine dieser Fortschreibungen ist, dass man in der vergangenen Legislaturperiode Integrationskonferenzen eingerichtet hat. Eine der wesentlichen und wichtigsten Fortentwicklungen an dieser Stelle unter Verantwortung von Herrn Dreiseitel ist, dass wir über diese Integrationskonferenzen zur Erarbeitung eines Integrationsplans kommen. Seien Sie gewiss, er wird in den nächsten Wochen und Monaten entsprechend präsentiert werden. Dann kann man sich auch damit auseinandersetzen.
Insofern gibt es keine Modelleritis. Es kann auch schon keine Modelleritis sein, weil viele der Maßnahmen auf Dauer angelegt sind. Sie können nicht, wenn Sie spezielle Arbeitsmarktförderprogramme zur Integration auflegen, sagen, dass das nur ein Modell ist. Diese Programme laufen vielmehr über mehrere Jahre, weil schlicht und einfach die Ausbildungszeit eine entsprechende Dauer hat. Insofern ist an dieser Stelle eine hohe Konstanz.
An einer Stelle gebe ich Herrn Hahn auch recht. Wir dürfen die Integration – das machen wir an diesem Punkt auch nicht – nicht ausschließlich auf die Flüchtlinge konzentrieren. Herr Di Benedetto hat den Begriff Bestandsausländer gebracht. Das gefällt mir. – Genau das ist der Punkt. Deswegen führt eine Weiterentwicklung des Programms WIR dazu, dass wir genau den Ursprung nicht vergessen, sondern ihn verstärken, aber zusätzlich neue Herausforderungen annehmen, und dabei spielt die Verzahnung mit den Kommunen sicherlich eine Rolle.
Noch zwei Sätze im allgemeinen Bereich. Ich möchte darauf eingehen, weil das eine Diskussion ist, die ich mit Jörg-Uwe Hahn schon mehrfach geführt habe. Er kennt meine Auffassung zu einer Kindertagesstättenpflicht. Wir brauchen an dieser Stelle nicht auszudiskutieren, dass ich das ablehne. Aber natürlich ist ein entscheidender Punkt der Integrationsarbeit die Sprachförderung in den Kindertagesstätten.
Es ist an dieser Stelle auch notwendig – deswegen muss man sehen, was wir als Koalition jetzt auch beschlossen haben –, wenn wir Sprachstandserfassungen im Hinblick auf die Beschulungsfähigkeit machen, das auszudehnen auf Kinder, die in unseren Kindertagesstätten sind und für die das obligatorische Instrument der Sprachstandserfassung gar nicht greifen kann, weil sie nicht Deutsch können. Vielmehr müssen wir nach anderen Instrumenten und Wegen suchen, um hier Hilfestellungen in der Sprachvermittlung zu geben. Die notwendigen Haushaltsmittel haben wir dafür eingestellt.
Das ist keine Sache, die man einfach aus dem Ärmel schüttelt, sondern da brauchen wir noch eine gewisse Zeit. WIR ist sozusagen die Klammer, mit dem vieles an dieser Stelle gemacht wird. – Mit Erlaubnis des Präsidenten kann der Herr Staatssekretär einmal darstellen, wie und mit welchen Modellen wir im Moment weiter vorangehen.