Viele europäische Länder sind uns beim Ganztag einiges voraus, beispielsweise Frankreich oder Schweden, die traditionell mit echten Ganztagsschulen arbeiten. Nun gibt es in Deutschland und auch in Hessen schon ganztägig arbeitende Schulen, aber insbesondere der Ausbau echter Ganztagsschulen im Grundschulbereich wird seit Jahren verschleppt. Ja, das muss sich die schwarz-grüne Landesregierung vorwerfen lassen. Hessen ist immer noch Schlusslicht beim Anteil der ganztägig arbeitenden, gebundenen Grundschulen, also der Grundschulen, die jeden Tag verbindliche schulische Bildungsangebote am Nachmittag haben. Davon gibt es in Hessen ganze zwölf Grundschulen. Ich finde, das ist einfach immer noch ein Armutszeugnis.
Stattdessen macht Schwarz-Grün mit dem Pakt für den Nachmittag, jetzt Pakt für den Ganztag, den SchmalspurGanztag. Nicht einmal der wird wahrscheinlich ausreichen, um dem Rechtsanspruch auf Betreuung ab 2026 gerecht zu werden.
In Hessen gab es im Schuljahr 2020/2021 673 reine Grundschulen mit ganztägigen Angeboten. Das sind etwa 58 % aller Grundschulen. Das Bundesfamilienministerium geht aber von einem deutlich höheren Bedarf von schätzungsweise 75 % bis 80 % aus, um den Rechtsanspruch umzusetzen. Da frage ich mich schon: Was macht der Kultusminister denn, um diese Lücke bis 2026 zu schließen?
Es braucht jetzt ein Konzept, wie Hessen das personell, baulich und organisatorisch überhaupt hinbekommen will – allein bei der Frage, wie dem Bedarf an Fachkräften gerecht begegnet werden soll. Der Lehrkräftemangel führt schon jetzt, und zwar unabhängig von Corona, zu Unterrichtsausfall. Immer wieder hören wir von Schulen, in denen ganze Unterrichtsfächer für längere Zeit ausfallen müssen, weil es keine Lehrkraft und auch keinen Lehrkräfteersatz gibt. Zunehmend werden Lehramtsstudierende als Lückenfüller herangezogen. Mittlerweile ist es so, dass Studierende aufgrund ihrer Lehrtätigkeit ihre Abschlüsse um ein oder zwei Semester verschieben müssen. Es fehlt schlicht und ergreifend ein Konzept, woher die notwendigen Fachkräfte – und das sind nicht nur Lehrkräfte – bis 2026 herkommen sollen. Die Landesregierung hat das jahrelang, wenn nicht jahrzehntelang verschlafen.
Herr Lorz, da nützen auch keine Werbevideos, die junge Menschen für den Beruf begeistern sollen und die in hessischen Kinos liefen. Der Kultusminister stellte die Kampagne „Lehrer werden in Hessen“ folgendermaßen vor. Herr Präsident, ich darf zitieren:
„Sie“ sind natürlich die Lehrerinnen und Lehrer, denen hier ein Denkmal gesetzt wird, aber kein Denkmal für die Vergangenheit, wie sonst, sondern eines für die Zukunft. Wir wollen die Botschaft senden, dass Lehrer ein toller Beruf ist und bleibt.
Herr Lorz, ein Denkmal für die Lehrkräfte: Na, da werden sich die Kolleginnen und Kollegen, die am Rande der völligen Erschöpfung arbeiten und im Grundschulbereich die höchste Pflichtstundenzahl aller Länder haben, aber ganz herzlich bedanken.
Nein, mit Werbefilmchen alleine löst man keinen Fachkräfte- und Lehrermangel. Stattdessen braucht es gute Arbeitsbedingungen, eine faire Bezahlung, auch an den Grundschulen, wo die Kolleginnen und Kollegen noch immer weniger verdienen als an den anderen Schulformen. Es braucht auch eine echte Ausbildungsoffensive an den Hochschulen, die mit einer modernen Lehrerausbildung Studierende gewinnen kann, die das Studium auch beenden und dann wirklich an den Schulen arbeiten wollen. Stattdessen verschlechtern Sie mit Ihrem neuen Lehrkräftebildungsgesetz sogar noch die Qualität des Lehramtsstudiums im Grundschulbereich. Darüber werden wir morgen noch einmal diskutieren.
Vor diesem Hintergrund sind Ihre Werbefilmchen die reinste Steuergeldverschwendung und ein herber Schlag in die Magengrube der Lehrerinnen und Lehrer, die so dringend Entlastung brauchen. Außerdem braucht es für den Ganztag nicht nur Lehrkräfte, sondern auch Pädagoginnen und Pädagogen. Auch die müssen ausgebildet werden; denn da gibt es auch einen erheblichen Fachkräftemangel. Dazu müssten aber der Kultusminister und der Sozialminister endlich einmal anfangen, zusammenzuarbeiten. Das klappt aber weder beim Thema Inklusion, noch hat es bei dem Thema Corona funktioniert. Da frage ich mich schon: Gibt es denn eine Zusammenarbeit beim Thema Ganztag? Wie
sieht die aus? Ist die Beauftragte für Kinderrechte einbezogen? Ich finde, es kann doch echt nicht sein, dass bei diesen Schnittstellenthemen jeder vor sich hin wurschtelt und keiner in der Landesregierung weiß, was der andere macht. Ich glaube, da muss es endlich eine bessere Zusammenarbeit der Ressorts geben.
Aber nicht nur personell fehlt es in Hessen an allen Ecken und Enden; auch die Frage nach dem baulichen Zustand und der nötigen baulichen Erweiterung der Grundschulen, die ganztägig arbeiten sollen, geht an dem Kultusminister scheinbar spurlos vorbei. Weder weiß er, wie hoch der Sanierungs- und Ausbaubedarf an seinen Schulen ist, noch interessiert es ihn.
Ganze 80 Millionen € standen den Schulträgern im letzten Jahr zur Verfügung, um Investitionen zu tätigen, damit der Rechtsanspruch auf ganztägige Betreuung an den Grundschulen umgesetzt werden kann. Das meiste Geld kommt, wie so oft in Hessen, vom Bund, mit einem Anteil in Höhe von rund 55 Millionen €. Das Land ergänzt diesen Betrag großzügig um 25 Millionen €.
Frau Ravensburg hat gerade angekündigt, dass das Land noch mehr Mittel zur Verfügung stellt. Das finde ich interessant und finde ich gut. Aber von diesem Geld sollen Grundschulen instand gesetzt und ausgebaut werden mit Ruheräumen, Mensen und neuer Ausstattung. Angesichts des enormen Sanierungsbedarfs, gerade an den Grundschulen, dürften diese Mittel nur ein Tropfen auf den heißen Stein sein. Die GEW schätzt den Gesamtsanierungsbedarf in Hessen auf rund 3 bis 4 Milliarden €.
Deswegen: Herr Lorz, machen Sie endlich eine Bestandsaufnahme, wie hoch der Investitionsbedarf an den Grundschulen ist, um den Rechtsanspruch umzusetzen; und reden Sie sich bitte nicht wieder mit haarsträubenden verfassungsrechtlichen Argumenten heraus, das Land könne den Bedarf gar nicht ermitteln. Das Land Thüringen hat den Sanierungsbedarf der Schulen im Schuljahr 2016/2017 ermitteln lassen. Das geht, wenn man es will.
Selbst wenn die Landesregierung es schaffen würde, diese Voraussetzungen umzusetzen – wovon sie leider meilenweit entfernt ist –, sind die Programme des Landes, die den Grundschulen angeboten werden, sozial und pädagogisch nicht sinnvoll. Sie wollen den Ausbau des Ganztags an den Grundschulen auf Sparflamme. Es wird nämlich hauptsächlich im Pakt für den Ganztag umgesetzt und kaum über das echte Ganztagsschulprogramm. Im Pakt für den Ganztag übernehmen Fördervereine, städtische Betreuungseinrichtungen und auch Kitas die Ganztagsbetreuung. Unterricht findet am Nachmittag hingegen nicht statt. Für diese Betreuung müssen Eltern dann nicht selten richtig blechen. Mit dem Mittagessen, welches nur für Kinder von Transferleistungsbeziehern kostenfrei ist, kommen monatlich auch einmal 200 € für den Ganztag an der Grundschule zusammen. Meine Damen und Herren, das geht gar nicht. Bildungs- und Betreuungsangebote müssen grundsätzlich kostenfrei sein, ansonsten wird die soziale Spaltung vertieft statt bekämpft.
Echte, gebundene Ganztagsschulen haben einen rhythmisierten Tagesablauf aus Unterricht, Freizeit und Sport – verpflichtend, mindestens acht Stunden am Tag. Das ist
sozial und pädagogisch sinnvoll. Aber die Landesregierung scheut die damit verbundenen Kosten und verlagert Verantwortung auf die Schulträger, die den Pakt für den Ganztag umsetzen sollen. Dafür gibt es aber keinerlei Qualitätsstandards. Ungefähr 300 hessische Grundschulen sind aktuell Teil dieses Pakts, der von der Landesregierung wie warme Semmeln angepriesen wird. Auch der Rechtsanspruch soll hauptsächlich darüber umgesetzt werden.
Meine Damen und Herren, wir lehnen den hessischen Ganztag auf Sparflamme ab und setzen uns weiterhin für echte ganztägige Bildungs- und nicht nur Betreuungsangebote ein, um allen Kindern den bestmöglichen Start in das Leben zu ermöglichen. – Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Kollegin Kula. – Das Wort hat der Abg. Daniel May, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Bitte sehr, Daniel.
Sehr geehrter Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen! Der Ausbau der Ganztagsangebote an unseren Schulen hat für diese Koalition seit Jahren Priorität und hat weiter Priorität.
In ihrem Koalitionsprogramm in der 19. Wahlperiode haben sich die CDU und die GRÜNEN das Schaffen eines Pakts für den Nachmittag vorgenommen. Wir haben gesehen, dass es im Bereich der Kindesbetreuung vor Eintritt in die Grundschule seinerzeit schon ein relativ gutes Angebot gab, aber viele Eltern mussten eben ab Eintritt in die Grundschule vor allem ein ganztägiges Angebot sehr lange suchen. Daher war es unsere Überlegung, dass wir zusammen mit den für die Kindertagespflege zuständigen Kommunen ein Projekt entwickeln, wie wir das Ganztagsangebot im Bereich der Grundschulen so schnell wie möglich ausbauen können. Daraus ist der Pakt für den Nachmittag entstanden: ein Modell für den Bund – wie ich gleich noch aufzeigen werde – und ein Modell, das seitdem sehr vielen Eltern und sehr vielen Kindern ein Betreuungsangebot geschaffen hat.
Unser Fokus lag darauf, die Bedürfnisse der Eltern, die das Angebot benötigen, sehr schnell befriedigen zu können. Wir haben deswegen darauf gesetzt, zusammen – Kommunen und Land – ein Angebot zu entwickeln; denn man kann an dieser Stelle zusammen mehr schaffen. Ich war sehr froh, dass wir dieses Angebot nicht nur in den Städten, sondern gleichermaßen auch im ländlichen Raum entwickeln konnten. Ich möchte dabei beispielhaft sagen, dass mein Heimatkreis bereits im Mai 2016 unter der Führung des damaligen Schuldezernenten Jens Deutschendorf ganz vorne mit dabei war und die sieben ersten Grundschulen aus unserem Kreis damals mit an den Start gegangen sind.
Mittlerweile sind 349 Schulen im Pakt für den Nachmittag. Wenn man die Schulen im Profil 2 und 3 dazuzählt – das sind noch einmal 71 Schulen –, dann sind es insgesamt 78.000 Plätze, die an den Grundschulen entstanden sind. Dazu kommen noch einmal 24.000 Hortplätze. Sie sehen, es ist schon eine ganze Menge geschaffen worden. Aber ich will auch ganz klar sagen, dass der Bedarf wächst und dass wir diesem wachsenden Bedarf der Eltern gerecht werden und deswegen kontinuierlich in den Ausbau investieren wollen; denn der Mittelpunkt unserer Politik sind die Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler, der Eltern und die Weiterentwicklung unseres Schulsystems.
Wenn man sich die Geschichte des Pakts für den Nachmittag anschaut, muss man leider auch feststellen, dass die Akzeptanz seitens der Politik für den Pakt für den Nachmitttag sehr unterschiedlich war. Wir haben damals gesehen, dass die Einführung dieses wichtigen Ganztagsangebotes aus parteitaktischen Gründen in mancher Kommune lange Zeit blockiert wurde.
Gerade die antragstellende Fraktion hat sich meines Erachtens in diesem Zusammenhang nicht immer mit Ruhm bekleckert, sondern hat die Einführung des Pakts für den Nachmittag vor Ort teilweise lange Jahre blockiert.
(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und CDU – Günter Rudolph (SPD): Falsch! Wenn keine Anträge vorliegen, kann man das nicht machen!)
So ist die vom Bundesgesetzgeber im letzten Herbst getroffene Regelung in doppelter Hinsicht eine Ohrfeige für die Sozialdemokratie in Hessen, weil er die bisher blockierenden SPD-Kommunen erstens dazu gezwungen hat, den Pakt endlich zu verwirklichen,
und weil die neue Regelung im SGB VIII zweitens die Umsetzung als Aufgabe der Jugendhilfeträger, also der Kommunen, festschreibt. Wir wollen aber keine Zuständigkeitskonflikte aufmachen, sondern setzen auf Kooperation. Letztendlich bestätigt das Bundesgesetz genau unseren Ansatz, den wir beim Pakt für den Nachmittag gewählt haben, nämlich die Kooperation von staatlicher Ebene, die für die Schule zuständig ist, und kommunaler Ebene, die seit jeher für die Betreuung zuständig ist.
Daher ist es ganz erstaunlich, dass das größte Lob für die bundesgesetzliche Regelung in dieser Debatte bisher von der Rednerin der Linkspartei kam, die die Regelung des Bundes aber anscheinend ein bisschen anders interpretiert, als sie tatsächlich lautet. Wenn Sie sich das einmal anschauen, werden Sie feststellen, dass im SGB VIII erstens die Einrichtungen der Kindertagespflege adressiert werden und dass dort zweitens kein Ganztagsangebot in gebundener Form vorgehalten wird, sondern dass es um ein Angebot geht. Von daher ist das, was Sie gelobt haben, nicht innerhalb dessen, was Sie gefordert haben. Daher, glaube ich, müssen Sie noch einmal genau schauen, was im Bundesgesetz tatsächlich steht.
Auch erstaunlich ist, dass auf Bundesebene vonseiten der Sozialdemokraten zwar sehr gelobt wurde, dass es zwischen Bund und Ländern quasi eine Einigung auf diesen Rechtsanspruch gab, Herr Kollege Degen aber zum Ergebnis dieses halbjährigen Beratungsprozesses von diesem
Rednerpult aus sagte, es sei ihm alles gar nicht so klar, was das Bundesgesetz eigentlich wolle. Das ist schon eine ganz erstaunliche Erkenntnis.
Herr Kollege Degen, ich glaube, die Qualität des Bundesgesetzes ist doch besser als das, was Sie heute Morgen beschrieben haben. Aber zur Wahrheit gehört auch dazu, dass man den Rechtsanspruch schon früher hätte verwirklichen können, wenn es aufseiten des Bundes seinerzeit mehr Bewegung hin zu den Ländern und Kommunen gegeben hätte. Daher muss man schon einmal darauf verweisen, dass es vor allem Hessen und Baden-Württemberg waren, die Druck gemacht und dafür gesorgt haben, dass sich der Bund nicht aus der Verantwortung stiehlt. Wir haben in Hessen das Konnexitätsprinzip, das heißt: Wer bestellt, muss bezahlen. – Es war auch auf Bundesebene nicht minder unser Anspruch, dass sich der Bund, wenn er sagt, es müsse etwas bundesgesetzlich verankert werden, zumindest beteiligt; und das halte ich nach wie vor für richtig.
Wir hätten das Bundesgesetz aber nicht benötigt, um aktiv zu werden; das habe ich Ihnen schon deutlich gemacht. Das zeigen auch die Ressourcen, die wir in diesem Bereich bereits untergebracht haben. Rund 4.000 Stellen stehen mittlerweile ganztags zur Verfügung. Allein im letzten Haushalt haben wir 350 Stellen hinzugefügt. Das zeigt, welche Bedeutung das Thema für uns hat. Von daher haben wir einen kontinuierlichen Ausbaupfad, mit dem wir die Bedürfnisse der Eltern ganz klar in den Blick nehmen. Deshalb haben wir auch keine Sorgen in Bezug auf den Rechtsanspruch; denn wir sind da kontinuierlich dran und werden das ganz sicher gut bewerkstelligen können.
Ich will hier noch eines ganz deutlich machen: Mit dem, was wir jetzt auf Bundesebene rechtlich verankert haben, haben wir auch eine Bestätigung dessen, was wir in Hessen mit dem Pakt für den Nachmittag auf den Weg gebracht haben – bzw. mit dessen Weiterentwicklung zu einem Pakt für den Ganztag. Wir haben uns in diesem Hause sehr oft darum gestritten – auch die SPD war seinerzeit diesbezüglich immer vorne mit dabei –, ob es der richtige Weg sei, dieses Angebot zu machen, ob wir erst flächendeckend ein Betreuungsangebot schaffen sollten, oder ob wir die Ressourcen nicht im Bereich der gebundenen Ganztagsschule bündeln sollten.
Damals gab es auch dahin gehend Haushaltsänderungsanträge der SPD-Fraktion, nicht in den Pakt für den Ganztag zu investieren, sondern diese Mittel umzuswitchen. Ich muss einmal ganz klar feststellen: Mit dem Bundesgesetz ist ganz klar unser Modell zum Zuge gekommen, dass das Angebot für die Eltern im Mittelpunkt steht, dass quasi das Angebot einer ganztägigen Betreuung im Vordergrund steht. Daher wäre es schön gewesen, wenn Sie diesen historischen Irrtum heute eingeräumt und gesagt hätten: CDU und GRÜNE haben von Anfang an das richtige Modell auf den Weg gebracht,