Protokoll der Sitzung vom 22.09.2022

Prof. Bäuerle, auch ein anerkannter Jurist der Szene, sagt, die inhaltliche Regelung stoße auf Bedenken, da die Videoüberwachung pauschal eingeführt werden solle.

Prof. Goldhammer von der EBS sagt, die Regelungsstrategie sei nachvollziehbar, rufe aber gravierende verfassungsrechtliche Bedenken hervor.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Innenminister, wie kommen Sie eigentlich dazu, dem Hessischen Landtag einen solchen Gesetzentwurf vorzulegen, der offensichtlich von Anfang an in elementaren Teilen verfassungswidrig ist? Wie kommen Sie eigentlich zu dieser Auffassung?

(Beifall SPD)

Ich könnte jetzt freundlich formulieren: Wir haben ja die Erfahrung gemacht, dass man in Hessen mit Recht und Gesetz nicht immer ganz ordentlich umgeht. Sie haben zwei Klagen anhängig: die Klagen gegen den Präsidenten des Landeskriminalamts als politischen Beamten und gegen die HöMS. Beides sind Fälle, die juristisch hochinteressant sind, und wir sehen durchaus bei beiden Verfahren Erfolgschancen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie haben noch die Sicherheitsgesetze insgesamt. Sie müssen die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Bayerischen Verfassungsschutzgesetz noch umsetzen. Was ist eigentlich los in Hessen? Wo wird von Ihnen die Balance zwischen den Befugnissen der Sicherheitsbehörden und den Freiheitsrechten der Bürgerinnen und Bürger gewahrt? Die ist Ihnen vollständig verloren gegangen.

(Beifall SPD und Torsten Felstehausen (DIE LIN- KE))

Ich weiß natürlich – das wird in der Diskussion noch kommen –, dass Innenpolitiker auch der SPD weiter gehende Befugnisse haben wollen. Aber die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zur Vorratsdatenspeicherung hat es deutlich gemacht: Es gibt immer noch Möglichkei

ten, etwa bei schweren Gewalttaten – wie bei der Bekämpfung von Kinderpornografie –, auf Daten zuzugreifen.

Dieser Gesetzentwurf gehört zurückgezogen. Dieser Gesetzentwurf hat nicht die nötige Balance zwischen Freiheit und Befugnissen für die Sicherheitsbehörden. Das ist ein ganz schlechter Gesetzentwurf, und die Anhörung war ein einziger Verriss. Ziehen Sie den Gesetzentwurf zurück. – Vielen Dank.

(Beifall SPD, Torsten Felstehausen und Saadet Sön- mez (DIE LINKE))

Vielen Dank, Herr Abg. Rudolph. – Für die Fraktion der Freien Demokraten hat jetzt Dr. h.c. Hahn das Wort.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Sozialdemokratie, insbesondere Kollegen Rudolph, sei Dank, dass wir uns über den Gesetzentwurf der Landesregierung nicht erst unterhalten, wenn wir uns in der zweiten Lesung mit der Auswertung der Anhörung beschäftigen, sondern dass wir es jetzt schon einmal tun. Zum Glück für mich und die Freien Demokraten, vielleicht ein bisschen zum Pech der Sozialdemokraten, ist in dieser Woche auch noch das Urteil des EuGH zur Video – – Quatsch, zur

(Zurufe SPD und Freie Demokraten: Vorratsdaten- speicherung!)

Vorratsdatenspeicherung – vielen Dank – gekommen.

Lieber Kollege Rudolph, ich will für die Freien Demokraten das alles unterstützen, was Sie im Zusammenhang mit dem Gesetzentwurf gesagt haben. Ich habe es in mehreren Jahrzehnten Anwesenheit in diesem Parlament und in mehreren Jahrzehnten Anwesenheit im Innenausschuss noch nie erlebt, dass ein von der Landesregierung bzw. von den sie tragenden Fraktionen vorgelegter Gesetzentwurf inhaltlich so zerrissen wurde, wie das bei dieser Anhörung passiert ist.

(Beifall Freie Demokraten, SPD und Torsten Felste- hausen (DIE LINKE))

Ich muss auch noch den Witz dazusagen: zu Recht, einfach zu Recht.

(Beifall Freie Demokraten und SPD)

Er ist in meinen Augen verfassungswidrig. In meinem Redekonzept steht drin, dass er sehr stark verfassungsgefährdend sei. Meine sehr verehrten Damen und Herren, so geht es nicht. Man kann nicht eine Paketstation – – Das ist für mich das schönste aller Beispiele; denn jeder von uns kennt Paketstationen. Die Paketstation, zu der ich manchmal fahre, ist in einem Gebiet, wo es zwei Handelshäuser gibt – ich will jetzt nicht die Namen nennen, weil Sie mich sonst vielleicht wieder der Werbung bezichtigen –: Eines hat seinen Sitz in Fulda, und eines ist ein etwas größerer Discounter. Genau daneben ist die Paketstation.

(Günter Rudolph (SPD): Ja!)

Wo ist da die Gefährdung? Wo ist da ein konkreter Anlass? – Der ist nicht da. Der ist einfach nicht da.

(Moritz Promny (Freie Demokraten): So ist es!)

Deshalb macht dieses Beispiel deutlich, wie undurchdacht – oder: wie hinterlistig – der Gesetzentwurf von der Landesregierung formuliert worden ist.

(Beifall Freie Demokraten und SPD)

Wir wollen das nicht, sondern wir wollen, dass tatsächliche Anhaltspunkte Grundlage dafür sind, dass die Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger eingeschränkt werden – damit das klar ist. Denn diese Platte höre ich schon seit 20 Jahren: Die FDP sei sowohl gegen Videoüberwachung als auch gegen Datenspeicherung. – Nein. Aber wir wollen jeweils eine Verhältnismäßigkeit gesichert haben. Wir wollen hier immer eine Abwägung haben zwischen der Sicherheit auf der einen und der Freiheit auf der anderen Seite. Die Paketstation: Es ist einfach der Witz des Tages, dass da eine Abwägung gar nicht vorgenommen werden konnte.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, für die Nichtjuristen im Raume, Sie müssen sich das so vorstellen: Bisher musste, konnte, durfte ein Richter vor der Arbeit der Polizei und Staatsanwaltschaft abwägen, ob dort eine Gefährdung vorhanden ist und ob man dort eine entsprechende Videoüberwachung durchführen kann, muss, soll, darf. Das fällt weg. Der kann nicht mehr abwägen. Das wird einfach – wir Juristen nennen das im forensischen Bereich so – als wahr unterstellt. Meine Packstation ist nach dem Gesetzeswortlaut einfach eine „Örtlichkeit“. Jeder sieht bestimmt seine Packstation vor sich und denkt: Oha, das ist schon ein gefährlicher Raum. – Da kann dann nicht mehr abgewogen werden, sondern es ist einfach so, und man muss sich daran halten. Das geht natürlich auf gar keinen Fall.

Kollege Rudolph, Sie haben schon vorgetragen, dass sich in der Anhörung fast alle Sachverständigen mit dieser Teilmenge – es gab andere, die sind gelobt worden; ich will das hier ganz ausdrücklich sagen – sehr kritisch auseinandergesetzt haben. Ich zitiere Prof. Markus Ogorek, der nicht nur ein anerkannter Universitätsprofessor zu Köln ist, sondern bis vor einem Jahr – deshalb mache ich das so gerne: Werbeblock – Präsident der EBS im Rheingau gewesen ist: Auch hinsichtlich der Videoüberwachung ergäben sich verfassungsrechtliche Bedenken. Die pauschale, ohne jede Einzelfallprüfung auskommende Erweiterung der Videoüberwachung würde dem grundrechtlichen Schutz des Persönlichkeitsrechts in keiner Weise gerecht, laufe auf eine bedenkliche Entgrenzung der Gefahrenabwehr hinaus und sei verfassungsrechtlich nicht haltbar.

Jetzt will ich nur einen kurzen Schlenker in die Bundespolitik tun. Ich hoffe im Namen der verhältnismäßigen Abwägung zwischen Sicherheit und Freiheit, dass die sich derzeit noch ein bisschen inhaltlich auseinandersetzenden Vertreter in der Bundesregierung – nämlich die Innenministerin und der Justizminister –

(René Rock (Freie Demokraten): Guter Mann! – Günter Rudolph (SPD): Kriegen wir hin!)

sich auf das sogenannte Quick-Freeze-Verfahren einigen, das auch in der Sozialdemokratie immer mehr Fans findet. Heute hat die „FAZ“ sehr ausführlich darüber berichtet. Sie alle haben es bestimmt gelesen. Ich glaube, dass damit der Rechtsstaat auf der einen Seite der Sicherheit,

Herr Abg. Hahn, der Schlenker müsste zum Ende kommen.

auf der anderen Seite aber auch der Freiheit gerecht werden kann. Herr Innenminister, ziehen Sie also bitte Ihren Gesetzentwurf zurück; und das andere regeln wir in Berlin. – Vielen Dank.

(Beifall Freie Demokraten und SPD)

Vielen Dank, Herr Abg. Hahn. – Für die Fraktion der AfD hat jetzt der Abg. Herrmann das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren Abgeordnete! „Keine grenzenlose Videoüberwachung in Hessen durch Innenminister Beuth“, so lautet der Titel der Aktuellen Stunde der SPD. „Grenzenlose Videoüberwachung“ hört sich dramatisch an. Ist es auch so dramatisch, oder übertreibt die SPD hier deutlich?

Angesichts vergangener massiver Fehlentscheidungen liegt es mir fern, den CDU-Innenminister zu verteidigen. Aber diese Überschrift suggeriert, dass die Hessische Landesregierung flächendeckend im ganzen Land Kameras installieren will, um eine lückenlose Überwachung der Bürger zu ermöglichen.

(Zuruf Alexander Bauer (CDU))

Solche Absichten würden mich zwar angesichts des grünen Regierungspartners der CDU nicht überraschen, zeigen doch so manche Aussagen, insbesondere grüner Politiker, wie sie den Bürger bevormunden und gängeln wollen.

(Beifall AfD)

Die GRÜNEN haben sich nicht umsonst den Ruf der Vorschriften- und Verbotspartei erworben. Auch aus der einst konservativen CDU ist eine grün schillernde, dem linken Zeitgeist folgende Partei geworden.

(Beifall AfD)

Dennoch spreche ich selbst dieser CDU noch nicht ab, dass sie die Videoüberwachung im Interesse der Sicherheit der Bürger verstärken will. Dass dazu auch Gesetze und Rechtsvorschriften anzupassen sind, ist selbstverständlich. Hier werden wir allerdings darauf achten, dass aus den notwendigen Anpassungen keine grenzenlosen Generalvollmachten werden.

Betrachten wir die aktuelle Situation und die Fakten, wie sich die Videoüberwachung in Hessen darstellt. In Hessen gibt es 422 Gemeinden, inklusive 191 Städte. Anfang 2022 gab es 26 Schutzzonen in 20 Städten mit 298 Kameras. Das HSOG erlaubt es also der Polizei, zur Abwehr einer Gefahr, oder wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass Straftaten drohen, öffentlich zugängliche Orte mittels Bildübertragung offen zu beobachten und dies aufzuzeichnen. Das gilt auch zum Schutz besonders gefährdeter öffentlicher Einrichtungen oder Räumlichkeiten. Hierbei werden Fallstatistiken, Kriminalitätsanalysen und die besonderen örtlichen Gegebenheiten berücksichtigt.

Videoüberwachung findet also aufgrund von Straftaten und polizeilicher Erkenntnisse und nicht einfach an x-beliebigen Orten statt. Es wäre tatsächlich fahrlässig zu nennen,

wenn die Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden von der Regierung nicht berücksichtigt würden.

(Beifall AfD)

Es ist die Aufgabe des Staates, den Bürger bestmöglich vor Straftaten zu schützen. Mit der Videoüberwachung an Kriminalitätsschwerpunkten können Täter abgeschreckt, verdrängt und Straftaten verhindert sowie das Sicherheitsgefühl der Bürger gestärkt werden. Erfahrungsgemäß wird die Videoüberwachung an gefahrenträchtigen Orten von der Mehrzahl der Bürger positiv wahrgenommen. Insofern ist das Vorhaben der Landesregierung, Orte wie Flughäfen, Bahnhöfe und Einkaufszentren grundsätzlich als Gefahrenpunkte einstufen zu wollen, verständlich, insbesondere, wenn entsprechende Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden vorliegen. Das sind alles Orte von relevanter Bedeutung und mit einem hohen Personenaufkommen.

Die Videoüberwachung allein ist aber kein Allheilmittel. Mehr Sicherheit entsteht nur dort, wo die Bildübertragungen direkt überwacht werden, wodurch ein schnelleres Eingreifen der Polizei möglich wird. Dort, wo eine Bildüberwachung nicht zu realisieren ist, können Täter mittels Videoaufzeichnungen nachträglich identifiziert und ihre Handlungen beweissicher dokumentiert werden. In Kauf nehmen muss man allerdings, dass durch die Videoüberwachung ein Verdrängungseffekt entstehen kann, also eine Verlagerung der Kriminalität an andere Orte. Hier ist es die Aufgabe der Polizei, dem durch entsprechende Kontrollmaßnahmen entgegenzuwirken. Die AfD-Fraktion jedenfalls unterstützt Maßnahmen, die zu mehr Sicherheit und zu einem höheren Sicherheitsgefühl der Bürger führen.

(Beifall AfD)

Entsprechend begrüßen wir die Videoüberwachung von Bereichen, in denen es vermehrt zu Straftaten kommt bzw. sich eine kriminelle Szene etabliert. Allerdings sagen wir genauso deutlich: Zu einem Wildwuchs an Videoüberwachung darf es nicht kommen. Die Örtlichkeiten sind durch das Gesetz und durch Rechtsvorschriften klar zu definieren und zu begrenzen. Außerdem wird Sicherheit nicht nur durch Kameras erzeugt, sondern auch durch eine Vielzahl von Maßnahmen, die die Städte und Gemeinden in eigener Zuständigkeit leisten können. Beispielhaft seien hier Beleuchtungs- und Baumaßnahmen genannt, die dunkle Räume und Ecken vermeiden. Meine Damen und Herren, es bleibt festzustellen: Von einer grenzenlosen Videoüberwachung in Hessen wären wir auch unter Berücksichtigung von Bahnhöfen, Flughäfen sowie von Einkaufszentren noch weit entfernt.