Protokoll der Sitzung vom 10.12.2020

Dieser Antrag von CDU und GRÜNEN ist für uns eine inhaltsleere Beschäftigungstherapie. Wir haben daher eine Alternative vorgelegt: einen Antrag, mit dem wir die Landesregierung auffordern, die Kommunen stärker bei dem Aufbau der Impfzentren und vor allem auch bei der Durchführung der Impfungen zu unterstützen. Denn für die Akteure vor Ort, die Bürgerinnen und Bürger und auch für uns sind viele Fragen weiterhin offen: Wie werden die Anmeldungen und Einladungen koordiniert? Woher kommen die Daten über die Einzuladenden? Woher sollen ausreichend Ärzte kommen? Wie wird die Haftung geregelt?

(Zuruf: Es ist unfassbar! – Marcus Bocklet (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN): Stellen Sie doch eine Kleine Anfrage! – Gegenruf Lisa Gnadl (SPD): Dann wird man nachher beschimpft, wenn man Anfragen stellt!)

Wo werden welche Beratungsgespräche außerhalb des Impfzentrums stattfinden? Ist dafür ausreichend Zeit im Impfzentrum? Wie stellen wir sicher, dass die Impfpatienten nicht infiziert sind? Wenn jetzt jemand die Wärmemessung nennt, erinnere ich gerne daran, wie hier seitens der Landesregierung sehr vehement erklärt wurde, dass diese Geräte nichts bringen. Was geschieht mit den Praxen der Ärzte, die dann im Impfzentrum tätig sind? Kann für die Patienten die Versorgung durch die niedergelassenen Ärzte trotzdem weiter sichergestellt werden?

Diese Fragen sind es, die noch Sorgen bereiten – bei den Patienten, bei den Ärzten, bei den Landräten und auch bei den zu Impfenden. Die Sorgen und Fragen müssen wir ernst nehmen. Wir erwarten Antworten von der Landesregierung.

(Beifall Freie Demokraten)

Dazu gehört auch eine fundierte Aufklärung über das Impfen. So steigern wir die Akzeptanz. Eine hohe Impfquote ist hilfreich, sie kommt aber nicht von alleine. Wir fordern auch, dass die Landesregierung regelmäßig im Ausschuss über den Stand der Planung und der Umsetzung unterrichtet. Unser Dringliche Berichtsantrag zu dem Thema im Ausschuss hat leider wenige Erkenntnisse geliefert.

(Dr. Daniela Sommer (SPD): Der Antrag war von uns! Vielleicht haben Sie das vergessen?)

Das kann nicht die Art von Kommunikation sein, die wir hier pflegen.

In unserem Antrag sprechen wir auch die Alten- und Pflegeheime an. Dazu habe ich gestern schon einiges gesagt. Ich möchte aber noch einmal daran erinnern, dass wir mehr testen müssen. Ihre Einschätzung über die Gefahren in den

Alten- und Pflegeheimen war falsch, Herr Staatsminister Klose.

(Beifall Freie Demokraten und Robert Lambrou (AfD))

Sie haben eine Verzögerung bei der Bestellung der Schnelltests verursacht. Ob die Tests angekommen sind und wie sie verwendet werden, konnte die Landesregierung am Dienstag nicht beantworten. Auf diese wichtigen Fragen ist Staatsminister Klose gestern nicht eingegangen. Wir wissen, dass zu wenig getestet wird. Wer das Gegenteil sagt, redet schön. Das ist angesichts der hohen Zahlen der Todesfälle insgesamt und bei Menschen aus Alten- und Pflegeheimen unangemessen.

Ich habe mich sehr über die Äußerung des Kollegen Bauer zu den Todeszahlen gefreut. Das bestätigt nämlich auch die Position der FDP. Ich hatte gestern darauf hingewiesen, dass Staatsminister Klose noch vor Kurzem gesagt hat, dass er keine Notwendigkeit sieht, Menschen in Alten- und Pflegeheimen anlasslos zu testen. Für uns ist die Gesundheit dieser Menschen immer ein Anlass, sie zu testen.

(Beifall Freie Demokraten)

In diesem Zeitraum sind fast 800 Menschen aus Alten- und Pflegeheimen sowie aus ähnlichen Einrichtungen gestorben. Aktuell sind fast 4.000 Bewohner und Mitarbeiter infiziert. Einmal mehr muss ich sagen: Übernehmen Sie Verantwortung, werte Kolleginnen und Kollegen der Landesregierung, anstatt uns allen bei einem so wichtigen Thema ein solch schwaches Papier vorzulegen.

Die Impfungen sind eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die wir gemeinsam stemmen müssen – gemeinsam im Landtag, gemeinsam in den Landkreisen. Ihr Papier wird der Bedeutung der Impfungen, der Bedeutung der vor uns liegenden Kraftanstrengung nicht gerecht.

(Beifall Freie Demokraten)

Vielen Dank, Kollege Pürsün. – Nächste Rednerin ist Frau Kollegin Böhm, Fraktion DIE LINKE.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Impfungen sind ein entscheidender Schlüssel zur erfolgreichen Bekämpfung von Viruserkrankungen. Daher – da stimmen wir vollkommen überein – ist es ein wesentlicher Fortschritt, dass Impfstoffe gegen SARS-CoV-2 in absehbarer Zeit verfügbar sein werden. Ich begrüße es auch, dass sich alle Bundesländer deshalb zügig auf den Weg gemacht und sich ehrgeizige Ziele für eine flächendeckende Impfkampagne gesetzt haben. Das ist richtig und notwendig.

Es ist auch vollkommen verständlich, dass priorisiert werden muss, wer zuerst geimpft wird. Auch wenn die Pharmabranche zurzeit auf Vorrat produziert, sind die Ressourcen und insbesondere das Personal endlich. Die in dieser Woche von der Ständigen Impfkommission, STIKO, vorgelegte Reihenfolge überrascht mich deshalb nicht. Ich sehe aber auch durchaus einige Lücken.

Es ist richtig, die Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeheimen so schnell wie möglich zu impfen und in diesem

Zusammenhang auch gleich das dort arbeitende Personal. Für mich weiter ungeklärt ist aber, wie ein vergleichbares Angebot für den größten Anteil der Pflegenden und Pflegebedürftigen – ich meine den Bereich der häuslichen Pflege – gemacht werden soll. Insbesondere Familienangehörige, die arbeiten gehen und nebenher pflegen oder die pflegen und nebenher arbeiten gehen, haben oft große Angst, das Corona-Virus in die eigene Familie hineinzutragen.

Niedergelassene Ärztinnen und Ärzte, die den größten Teil der Testungen vornehmen, werden nachrangig geimpft. Mehrfach vulnerable Personengruppen, auch jüngere, die viele Krankheiten haben, werden noch nicht angemessen erfasst. Hier müssen noch gute Antworten gefunden werden.

Vergleichbares gilt beispielsweise für obdachlose Menschen, die kaum zu erfassen sind, insbesondere dann, wenn sie nicht in Unterkünften untergekommen sind. Auch Menschen ohne einen legalen Aufenthaltsstatus brauchen ein Angebot zur Impfung. Diese können schließlich nicht einfach anhand des Einwohnermeldeverzeichnisses eingeladen werden. Hier gibt es wirklich einen großen Bedarf, noch nachzuarbeiten.

Ich schließe mich dem Dank von Herrn Bauer gerne an: an die Kommunen, an die Hilfsorganisationen und insbesondere an den sehr belasteten öffentlichen Gesundheitsdienst, der im vergangenen Dreivierteljahr und auch schon zuvor Ungeheures geleistet hat und jetzt wieder das Zentrum der Aufwendungen ist.

(Beifall DIE LINKE)

Ich sehe einige Belastungen auf die Kommunen zukommen, insbesondere wenn es um die Anwerbung von Impfpersonal und von Ärztinnen und Ärzten sowie um die Organisation der Impfzentren geht. Das sind große Herausforderungen. Ich hoffe, dass das Land bei seinen Versprechungen bleibt, die Kommunen entsprechend zu unterstützen.

In diesem Bereich muss nachgesteuert werden. Aber auch in einem anderen Bereich muss dringend nachgesteuert werden. Da haben wir nur mittelbaren Einfluss. Für uns als LINKE ist klar, dass es zu diesen Fragen ein Bundesgesetz braucht.

Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages hat ausdrücklich davor gewarnt, die STIKO-Empfehlungen per Rechtsverordnungen umzusetzen, wie dies bisher wohl im Bundesgesundheitsministerium geplant wird. Eine solche Rechtsverordnung kann juristisch angreifbar sein, sei es durch Impfgegner oder Corona-Leugner, sei es durch Personen, die die Reihenfolge infrage stellen und schneller geimpft werden wollen. Ein Gesetz ist aber auch deshalb erforderlich, weil sich bei diesen neuen und unerprobten Impfstoffen natürlich auch Risiken ergeben können. Es geht auch um eine klare Absicherung bei möglichen Impfschäden, bei Haftungsfragen für die Firmen, für die staatliche Seite, aber auch für die impfenden Ärztinnen und Ärzte. Außerdem geht es um eine demokratische Legitimation und eine Debatte zu diesem Thema.

(Beifall Torsten Felstehausen (DIE LINKE))

Ich fordere Sie deshalb auf, Herr Klose, sich in den BundLänder-Gesprächen dafür starkzumachen, dass eine eigenständige gesetzliche Grundlage für das Impfprozedere schnellstmöglich erfolgt.

(Beifall DIE LINKE)

Ich möchte aber auch betonen, dass die Verfügbarkeit des Impfstoffes noch lange nicht alle Probleme löst. Ich kann ja verstehen, dass manche CDUler so kurz vor Weihnachten den Chef von Biontech, Ugur Sahin, fast wie einen neuen Heiland feiern. Warum seine Geschäftspartnerin, Frau Dr. Özlem Türeci, so selten genannt wird, ist wohl dem altbekannten Patriachat geschuldet.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD – Zurufe)

Ich freue mich, dass ich bei diesem schwierigen Thema für Erheiterung sorge.

(Zurufe – Glockenzeichen)

Aber nur, weil die Impfungen beginnen, haben wir noch lange nicht die Pandemie besiegt. Aktuell wissen wir weder, wie lange die Immunisierungswirkung anhält, noch, ob der Impfstoff bei möglichen Virusmutationen schützt. Es kann sogar einen gegenteiligen Effekt geben. In der Erwartung, dass Risikogruppen durch die Impfungen geschützt werden, kann das zeitnah zu Nachlässigkeiten bei den Schutzmaßnahmen führen. Wenn alle nur noch auf die Impfrate schauen, dann wird es viel schwieriger werden, die Menschen zu überzeugen, sich dennoch pandemiekonform zu verhalten. Das werden wir sicherlich noch eine ganze Zeit lang tun müssen.

Deswegen möchte ich auf den ersten Teil der Überschrift Ihres Antrags zu sprechen kommen:

Vorausschauend und verantwortungsvoll durch die Pandemie …

Meine sehr geehrten Damen und Herren von SchwarzGrün, vorausschauend war bisher eigentlich nichts an dieser Pandemiebewältigung. Vorausschauend wäre gewesen, das Angebot des hessischen Jugendherbergsverbandes vom März zeitnah aufzugreifen, um Gemeinschaftsunterkünfte für Geflüchtete zu dezentralisieren, statt dann im November gerade mal eine Jugendherberge, nämlich die in Büdingen, zu nutzen, nachdem schon Hunderte Geflüchtete infiziert wurden.

(Beifall DIE LINKE)

Vorausschauend wäre es gewesen, Corona-Schnelltests frühzeitig zu ordern, um sie dann an die Alten- und Pflegeheime abzugeben. Stattdessen hat der Gesundheitsminister fast das ganze Jahr lang von einer trügerischen Scheinsicherheit gesprochen. Ich habe ihn schon im Frühjahr gefragt, ob es nicht besser gewesen wäre, dass die Pflegekraft zumindest eine kurzfristige Gewissheit hat, statt sie in ständiger Ungewissheit leben zu lassen.

Die Pflegekraft will das Virus nicht in die Einrichtung tragen. Es wurde nicht getestet, weil es keinen Ersatz für infizierte Pflegekräfte gibt. Die hohen Todeszahlen von Patientinnen und Patienten, die an oder mit COVID-19 erkrankt sind, in den hessischen Altenheimen zeigen doch, dass es auch vorher schon nicht gestimmt hat. Die Personalnot war doch schon zuvor für jeden, der hingeschaut hat, greifbar und sichtbar.

Wenn jetzt ständig Anträge an das Gesundheitsamt gestellt werden, dass infizierte Pflegekräfte weiterarbeiten müssen, weil sonst der Laden zusammenbricht, ist das eine Bankrotterklärung unserer Altenpflege.

(Beifall DIE LINKE)

Wenn ständig Zeitarbeitskräfte finanziert werden müssen, weil das Personal nicht ausreicht, zeigt das doch deutlich, dass die Bezahlung überhaupt nicht stimmt. Das zeigt doch, wie wenig wichtig den Regierungen in diesem Land die Situation alter und pflegebedürftiger Menschen und der Beschäftigten ist. Es kann doch nicht verwundern, dass sich viele Pflegekräfte wegen der herrschenden Arbeitsbedingungen aus dem Beruf verabschieden.

Hier ist ein Umsteuern dringend erforderlich – und zwar mit und ohne Pandemie –, wenn Sie sich nicht den Vorwurf gefallen lassen wollen, dass Sie wissentlich den Tod der Menschen in Kauf nehmen.

Statt zu handeln, wartet Hessen auf ein Bundesgesetz. Bis heute sind dank langer Bearbeitungsdauer durch die Regierungspräsidien noch immer keine Schnelltests in den meisten Einrichtungen zu haben. Diese sind auch nicht ausreichend. Vorausschauend wäre es gewesen, von Anfang an an der Seite der Altenheime zu stehen und zu handeln.

(Beifall DIE LINKE und Dr. Daniela Sommer (SPD))

Vorausschauend wäre es gewesen, wenn die 3 Millionen FFP2-Masken für Senioreneinrichtungen nicht erst im Dezember, sondern bereits im Oktober ausgegeben worden wären. So hätte man einige Todesfälle im November vermeiden können.

Vorausschauend wäre es gewesen, wenn die Schulen klare Informationen bekommen hätten, ab welchen Inzidenzwerten welche Maßnahmen zu ergreifen sind, wenn es wenigstens für die weiterführenden und die beruflichen Schulen Planungen und auch die technischen Voraussetzungen zum Wechselunterricht gegeben hätte.