Protokoll der Sitzung vom 28.02.2019

(Lebhafter Beifall SPD, AfD, Freie Demokraten, DIE LINKE und vereinzelt CDU)

Herzlichen Dank, Frau Kollegin Alex. – Als nächster Redner hat sich der Kollege Pürsün für die Fraktion der Freien Demokraten gemeldet.

Vielleicht nur als Anmerkung für die nächsten Redner: Es sind Maximalredezeiten; sie müssen nicht unbedingt ausgeschöpft werden. Es ist aber natürlich die Freiheit des Abgeordneten, 7:30 Minuten auszuschöpfen. – Herr Pürsün, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Die Gleichstellung aller Menschen ist ein wichtiges Prinzip freier Gesellschaften. Daher ist ein Gleichstellungsgesetz wie das Hessische Behinderten-Gleichstellungsgesetz immer auch ein wichtiges Anliegen für Freie Demokraten.

(Beifall Freie Demokraten)

Wenn wir das Wort „behindert“ verwenden, dann darf es kein Stigma sein. Die Behinderung geht womöglich auch von der Gesellschaft aus, die mehr tun muss, um volle Teilhabe zu ermöglichen. Wortwahl und Symbolik zeigen dabei auch, wie viel Verständnis und Wertschätzung wir aufbringen.

Wir haben letztes Jahr in Frankfurt vorgeschlagen, dem Schwerbehindertenausweis eine „Schwer-in-Ordnung“Hülle beizugeben.

(Beifall Freie Demokraten)

Der Vorschlag bekam in den Medien Unterstützung unter anderem von zwei CDU-Stadträten und auch einem CDUAbgeordneten. Bei der Abstimmung haben sie dann aber dagegen gestimmt.

Wir sind hartnäckig geblieben und haben einen weiteren Antrag gestellt. Diesen haben CDU, SPD und GRÜNE abgelehnt und unsere Forderung nur als Maßgabe protokolliert. Souverän geht anders, dieses Verhalten ist voll daneben.

(Beifall Freie Demokraten)

Barrieren müssen wir noch konsequenter abbauen. Dabei ist die Umsetzung wichtiger als die Ankündigung. An der Realität werden die Worte gemessen, z. B. auch im Verkehr: die Mitnahme von Elektroscootern in Bussen und Bahnen, die Mitfahrt mit Rollstühlen in Fernzügen oder die Geräuscharmut von Elektrobussen für Sehbehinderte. Auf dem Papier kann es solche Probleme eigentlich gar nicht mehr geben. Aber es gibt sie auch noch 15 Jahre nach der Verabschiedung des Gesetzes auf Bundesebene.

Wir Freie Demokraten fordern mehr Barrierefreiheit. Die Möglichkeit, an allen Facetten des Lebens teilzunehmen, ist Grundvoraussetzung für ein selbstbestimmtes Leben.

(Beifall Freie Demokraten, vereinzelt SPD und DIE LINKE)

Damit ältere Menschen und Menschen mit Einschränkungen ungehindert am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können, müssen wir Barrieren abbauen. Dies betrifft auch digitale Angebote. Gerade digitale Angebote und Systeme sollten genutzt werden, um Barrieren abzubauen oder zu verringern. Dabei müssen die Programme der Stadtentwicklung für Barrierefreiheit effizient umgesetzt werden.

Für uns Freie Demokraten ist Barrierefreiheit eine Haltung. Deshalb begrüßen wir jeden Schritt in jedem Bereich, der Hindernisse aus dem Weg räumt und somit zu mehr Barrierefreiheit beiträgt.

(Beifall Freie Demokraten)

Wir Freie Demokraten definieren Barrierefreiheit aber weiter: Barrierefreiheit auch im Kopf. Wir wehren uns gegen jede Art von Diskriminierung, insbesondere gegenüber Älteren. Wir wollen eine vorurteilsfreie Gesellschaft mit Chancen für jeden.

(Beifall Freie Demokraten)

Die Umsetzung der Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention ist uns ein wichtiges Anliegen. Sie erkennt die Rechte von Menschen mit Behinderungen als allgemeine Menschenrechte an. Die Anpassung an die novellierte Fassung des Behindertengleichstellungsgesetzes ist grundsätzlich sinnvoll. CDU und GRÜNE sind letztes Jahr damit gescheitert, die Änderungen im Hauruckverfahren durchzupeitschen. Die Koalition hat bei diesem sensiblen Thema die mündliche Anhörung verweigern und auf eine dritte Lesung verzichten wollen. Diese Rechnung ging nicht auf. Sie konnte nicht aufgehen, weil dafür der Entwurf viel zu spät eingebracht wurde.

Jetzt gibt es einen zweiten Anlauf mit einem veränderten Entwurf, in den einige Forderungen aus den Anhörungen, insbesondere aus der alleine von den Oppositionsfraktio

nen durchgeführten mündlichen Anhörung, aufgenommen wurden. Das ist schon einmal bemerkenswert.

(Beifall Freie Demokraten, SPD und DIE LINKE)

Wir wollen Betroffene und Fachverbände beteiligen und schriftlich und mündlich anhören. Im Ausschuss werden wir den Entwurf im Detail beraten und durchleuchten und diesmal in Ruhe bewerten. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall Freie Demokraten, vereinzelt SPD und DIE LINKE)

Ich bedanke mich sehr bei dem Abg. Pürsün. – Nächster Redner ist der Kollege Max Schad für die Fraktion der CDU.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Regierungsfraktionen haben sich in der Behindertenpolitik ein ambitioniertes Programm für diese Legislaturperiode gegeben. Unser Ziel ist es, Hessen für Menschen mit Behinderungen ein ganzes Stück lebenswerter und gerechter zu machen.

(Beifall CDU und vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir wollen, dass sich Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt in das gesellschaftliche Leben einbinden können. Dazu haben wir einen breiten Ansatz gewählt, der an vielen Stellschrauben ansetzt, um Verbesserungen zu erreichen – von der Wohnung zum Arbeitsplatz, von der Schule zu Kultur und Freizeit. Wir wollen Barrieren abbauen, Unterstützung optimieren, Selbstbestimmung fördern und dem inklusiven Gedanken stärkere Geltung verschaffen.

(Beifall CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In dieser Legislaturperiode werden wir deshalb eine ganze Reihe von Maßnahmen umsetzen, um diese Ziele zu erreichen. Die Einführung eines Gehörlosengelds, die bessere Förderung von Wohnmöglichkeiten mit höchstmöglicher Eigenständigkeit, der Ausbau des Perspektivprogramms HePAS und die Einrichtung eines Kompetenzzentrums Barrierefreiheit sind hierbei nur vier Beispiele der anstehenden Maßnahmen.

Den Auftakt bildet heute das Zweite Gesetz zur Änderung des Hessischen Behinderten-Gleichstellungsgesetzes.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, heute ist in Hessen ein guter Tag für die Menschen mit Behinderungen. Der vorliegende Entwurf eines Änderungsgesetzes beinhaltet konkrete Verbesserungen für alle Betroffenen. Mit der Novellierung des Gesetzes wollen wir gemeinsam einen weiteren Schritt hin zu mehr gesellschaftlicher Teilhabe gehen.

Bund und Land müssen bei der Behindertenpolitik mit gutem Beispiel vorangehen. Mit dem Hessischen Behinderten-Gleichstellungsgesetz kommen wir dieser Aufgabe nach. Durch die vorgeschlagenen Änderungen werden wir unserer Verantwortung gerecht, unsere hessischen Regelungen an die UN-Behindertenrechtskonvention anzupassen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, was genau wollen wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf erreichen? – Ich will an dieser Stelle drei besonders wichtige Themen nennen.

Erstens werden wir klarstellen, dass in Zukunft Neu- sowie Um- und Erweiterungsbauten des Landes barrierefrei errichtet werden sollen. Wir werden bei Umbau und Erweiterung auf einschränkende und auslegungsbedürftige Rechtsbegriffe verzichten. Künftig wird das Argument der unangemessenen wirtschaftlichen Belastung nicht mehr für die Zulassung von Ausnahmen gelten. Damit werden wir die barrierefreie Gestaltung bereits bestehender Bauten in ganz erheblichem Maße erleichtern.

Dies soll zukünftig nicht nur Gebäude im Eigentum des Landes betreffen, auch bei Anmietungen muss zukünftig auf das Erfordernis Barrierefreiheit geachtet werden. Insgesamt stärken wir damit die Maßnahmen hin zu mehr baulicher Barrierefreiheit. Gleichzeitig wollen wir mit der Umsetzung der entsprechenden Richtlinie der Europäischen Union für einen barrierefreien Zugang zu Webseiten und zu mobilen Apps öffentlicher Stellen sorgen.

Zweitens wollen wir, dass die Behörden in leicht verständlicher Sprache kommunizieren. Kommunikation in verständlicher und leichter Sprache ist die Grundvoraussetzung für eine Teilhabe am Verwaltungsverfahren. Damit ist es für die Behörden die Grundvoraussetzung für eine ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung. Bei Schwierigkeiten mit dem Textverständnis sind die Dokumente in verständlicher Weise und Leichter Sprache schriftlich zu erläutern.

Drittens werden wir mit dem vorliegenden Entwurf des Änderungsgesetzes die Position des Beauftragten der Landesregierung für Menschen mit Behinderungen aufwerten. Das klang bereits an. Statt ehrenamtlich werden wir das Amt hauptamtlich besetzen. Es ist unser erklärtes Ziel, die Interessenvertretung der Menschen mit Behinderungen deutlich zu stärken. Das soll hin zu wirksamen Einflussmöglichkeiten gesteigert werden. Zudem soll der Inklusionsbeirat als explizit normiertes Gremium die Möglichkeit haben, eine bedeutsame Rolle einzunehmen.

All dies wird die Möglichkeit verbessern, Rechte effektiv wahrzunehmen und Interessen durchzusetzen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist richtig, künftig auch explizit die kommunalen Gebietskörperschaften als Normadressaten in den Geltungsbereich des Gesetzes einzubeziehen. Andere Länder um uns herum sind diesen Schritt bereits gegangen. Wir werden nun in Hessen das wichtige Zeichen setzen: Diskriminierungsverbot und Teilhabe sind uns bis auf die lokale Ebene wichtig.

(Beifall CDU und vereinzelt SPD)

Ich will an dieser Stelle aber auch klar sagen: Schon jetzt ist es so, dass die Landesbehörden, der Landtag, die Gerichte und Staatsanwaltschaften, aber auch die kommunalen Gebietskörperschaften an Art. 3 Abs. 3 Grundgesetz und an die UN-Behindertenrechtskonvention gebunden sind. Schon jetzt müssen auch die Kommunen und Landkreise Chancengleichheit gewährleisten und das Diskriminierungsverbot beachten. Schon jetzt bindet die UN-Behindertenrechtskonvention ohnehin alle staatlichen Organisationseinheiten, also auch die kommunalen Gebietskörperschaften, die wir nun mit den §§ 9 und 10 in den Geltungsbereich des Gesetzes einbeziehen werden.

Wir werden deswegen mit diesem Änderungsgesetz an dieser Stelle keine neuen Verantwortlichkeiten schaffen, wer

den aber in erster Linie Rechtsunsicherheit beseitigen. Wir werden damit Rechtsklarheit schaffen.

Eines möchte ich an dieser Stelle auch noch einmal unterstreichen. Die Schaffung gleichberechtigter Bedingungen ist eine Querschnittsaufgabe. Nicht allein der Bund und das Land sind hier in der Pflicht. Nein, das ist eine permanente Aufgabe auf allen Ebenen, von der Kommune bis hin zu den Institutionen der Europäischen Union.

In der zurückliegenden Legislaturperiode gab es Diskussionen darüber, wie sichergestellt wird, dass die Anliegen der Verbände effektiv einbezogen werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit Zufriedenheit stelle ich fest: Da haben wir unsere Hausaufgaben gemacht.

(Beifall CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wer sich den neuen Gesetzentwurf anschaut, dem wird auffallen: Wir haben die Rückmeldungen und Stellungnahmen nicht einfach beiseitegelegt, wie Sie das pauschal behauptet haben. Vielmehr haben wir sie uns zu Herzen genommen und das an ganz vielen Stellen berücksichtigt. Wir haben genau hingeschaut. Wir haben den neuen Gesetzentwurf ein Stück weit besser gemacht.

Ich möchte das an drei Stellen deutlich machen. Das ist schon angeklungen: Wir werden in § 4 Abs. 2 die Beweislastumkehr deutlich normieren. – Das war eines der Hauptanliegen: Wir werden mit § 18 die Einführung des hauptamtlichen Behindertenbeauftragten umsetzen. Wir werden mit § 10 den Verzicht auf die zulässigen Ausnahmen bei unangemessener wirtschaftlicher Belastung beim Bau umsetzen. Das alles sind explizit Anregungen und Hinweise aus dem Anhörungsverfahren gewesen. Auch wenn Sie das nicht wahrhaben wollen, darf das nicht unter den Tisch fallen.