Spaß beiseite. Ich möchte auch die Gelegenheit nutzen, das Thema in einem etwas größeren Rahmen zu beleuchten; denn es geht um eine der größten Herausforderungen für unser Land, nämlich um den Fachkräftemangel. Es reicht nicht, wenn man nur eine Karte für satte Rabatte anbietet. Wir vermissen über die Azubi-Card hinausgehende Aktivitäten der Landesregierung, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Was tun Sie gegen die Zentralisierung und Verlagerung von Ausbildungsklassen, die von der Aufnahme einer Ausbildung abhalten? Was tun Sie gegen die altertümlichen Ausstattungen in den Lehrwerkstätten der Schulen? Wir sind soeben noch einmal von der IHK darauf hingewiesen worden. Was tun Sie für die Digitalisierung der Berufsschulen, die oft das letzte Glied in der Schullandschaft sind? Da würden wir uns mehr wünschen.
Wir Freie Demokraten sehen im beruflichen Abitur eine große Chance, die Berufsausbildung und die Hochschulqualifikation klug zu verbinden und eine Berufsorientierung junger Menschen zu erleichtern. Wir setzen uns dafür ein, dass der Handwerker bei Eignung für die Meisterprüfung und Ausbildung genauso gefördert wird wie der Student für den Master.
Der Beginn einer Ausbildung soll und darf nicht die Entscheidung gegen ein späteres Studium sein. Unser Ausbildungssystem muss durchlässig bleiben, damit jeder nach wie vor eine Chance hat.
Wir Freie Demokraten fordern außerdem, duale Studiengänge nach dem Vorbild des Studium Plus auszubauen, um wissenschaftlich fundierte, aber auch praxisnahe Ausbildungsangebote zu stärken.
Um dem Mittelstand sowohl im Handwerk als auch in der Industrie zukünftig gerade auch Fachkräfte im ländlichen Raum zu sichern, ist es sehr wichtig, dass dezentrale duale Studienangebote ausgebaut werden. Das hat der Kollege Eckert völlig richtig gesagt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Es gibt viel zu tun. Die duale Ausbildung und das duale Studium müssen attraktiver werden. Wir müssen den goldenen Boden, den das Handwerk in Hessen nach wie vor hat, mehr in den Vordergrund stellen. Diese gemeinschaftliche Aufgabe müssen wir gemeinsam angehen. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Herzlichen Dank, Herr Dr. Naas. – Nächste Rednerin ist die Abg. Birgit Heitland für die Fraktion der CDU.
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren! Eine funktionierende Gesellschaft ist angewiesen auf eine branchenübergreifende und ausreichende Versorgung mit Fachkräften. Ohne die vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den handwerklichen Betrieben, im Bereich der Pflege, auf dem Gesundheitssektor, in der Betreuung, in der Industrie, in der Fertigung und in vielen anderen Bereichen könnte unsere Gesellschaft nicht überleben.
Dem Fachkräftemangel treten wir, die schwarz-grüne Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen, daher entschieden entgegen. Ich habe zweimal gehört, wir würden an dieser Stelle zu wenig tun. Bereits in der vergangenen Legislaturperiode haben wir eine Reihe von Maßnahmen ergriffen. Ich erinnere an das Bündnis Ausbildung Hessen 2015 bis 2019. Ich erinnere an die Qualifizierte Ausbildungsbegleitung in Betrieb und Berufsschule, das Ausbildungsprogramm, das Hauptschülerprogramm, die Initiative Bildungsketten usw. Ich habe schon einmal an dieser Stelle über dieses Thema geredet. Insoweit weiß ich noch sehr genau, dass ich das schon einmal vermittelt habe. Das sind alles Maßnahmen, die wir auf den Weg gebracht haben.
Im Koalitionsvertrag für die 20. Wahlperiode haben wir uns erneut zum Kampf gegen den Fachkräftemangel, die Auswirkungen des demografischen Wandels und zur Förderung der Ausbildung bekannt. So setzen wir uns beispielsweise für eine Kostenfreiheit der Ausbildung in allen gesundheitlichen Ausbildungsberufen und eine Ausbildungsvergütung ein.
Wir prüfen darüber hinaus auch im pädagogischen Bereich, konkret bei der Ausbildung zur Erzieherin bzw. zum Erzieher, dass wir sie entsprechend umsetzen und installieren können.
Durch flexible Ausbildungsmodelle und gute Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten ermöglichen wir so den jungen Menschen in Hessen eine Berufsausbildung, verhindern unproduktive Warteschleifen, wenn der NC nicht ausreicht, und erhöhen nachhaltig die Attraktivität von Ausbildungen. Die duale Ausbildung ist ein Erfolgsmodell. Sie verhindert Jugendarbeitslosigkeit. Sie sichert eine bedarfsgerechte Qualifikation. Sie wird weltweit gelobt und bewundert.
Eine wesentliche Voraussetzung für eine gelingende Berufsausbildung ist natürlich auch ein guter Unterricht in modernen und gut ausgestatteten Berufsschulen. Unser Ziel ist es, die Berufsschulstandorte in Hessen zu sichern und weiterhin eine wohnortnahe berufliche Ausbildung zu ermöglichen.
Die Azubi-Card ist in diesem Gesamtpaket ein weiteres Instrument. Es ist bereits seit Langem üblich, dass Kultureinrichtungen, Gastronomie oder Freizeitveranstalter Rabatte für Schülerinnen und Schüler oder Studierende gewähren. Meine Damen und Herren, wenn wir wollen, dass sich wieder mehr junge Menschen für eine Ausbildung entscheiden, dann müssen wir auch auf dem Sektor der Rabattierungsangebote für eine Gleichwertigkeit der Ausbildungs
wege sorgen. Mit der Azubi-Card werden zukünftig rund 120.000 hessische Auszubildende Zugang zu solchen rabattierten Angeboten erhalten.
Außerdem wird ihnen die Karte ermöglichen, online Prüfungsergebnisse und Unterlagen abzurufen, wie dies im Studium bereits jetzt Standard ist. So erhöhen wir die Gleichwertigkeit und stellen sicher, dass individuelle Präferenz die Grundlage einer Berufswahl ist, aber nicht die möglichen Vorteile einzelner Bildungswege. Das erreichen wir an dieser Stelle.
Das ist fair. Das ist gerecht. Denn junge Menschen können sich somit für eine Kariere entscheiden, ohne im Nachhinein beim Schwimmbadbesuch, im Museum – um einmal vom „Hessischen Hof“ wegzukommen – oder bei sonstigen Freizeitangeboten gegenüber Schülerinnen und Schülern und Studierenden benachteiligt zu sein.
Meine Damen und Herren, nicht jeder muss studieren. Es ist tatsächlich unsere Aufgabe, den Menschen zu zeigen, dass Ausbildungsberufe ein zentraler Baustein einer überlebensfähigen Gesellschaft sind. Die Gesellschaft muss diesen Berufsfeldern den verdienten Respekt und die angemessene Wertschätzung entgegenbringen.
Die Azubi-Card ist ein weiterer Schritt in die richtige Richtung. Deshalb möchte ich mich abschließend im Namen meiner Fraktion bedanken bei den Hessischen Industrieund Handelskammern, den drei Hessischen Handwerkskammern in Wiesbaden, in Frankfurt und in Kassel sowie bei den hessischen Ärzten, Zahnärzten und Rechtsanwälten, die dieses Projekt gemeinsam mit uns ins Leben gerufen haben. Dafür ganz herzlichen Dank.
Darauf können wir insbesondere deshalb stolz sein, weil wir in Hessen, wie schon oft in der Vergangenheit, mit großen Schritten vorangehen und als erstes Bundesland eine solche Karte einführen. – Vielen Dank.
(Beifall CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Tobias Eckert (SPD): Dazu habe ich eben ein paar Takte gesagt!)
Vielen Dank, Frau Kollegin Heitland. – Nächste Rednerin ist die Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE, Frau Kollegin Wissler. Bitte schön, Sie haben das Wort.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Landesregierung hat sich wieder einmal etwas einfallen lassen: Nach der Ehrenamts-Card jetzt die Azubi-Card, die Bonuskarte der Hessen Agentur und der IHK.
Was diese Karte den Inhaberinnen und Inhabern genau bringt, bleibt abzuwarten. Sie hat den Zweck, dass Auszubildende den Studierenden und Schülern nicht nachstehen, was Rabatte in Museen, in Schwimmbädern, bei Handyverträgen usw. angeht, wie man bei der Vorstellung der Card gehört hat. Diese Funktion – darauf ist schon hingewiesen worden – erfüllt allerdings in vielen Fällen schon heute der Schülerausweis, den jede Berufsschülerin, jeder Berufsschüler und damit jeder Azubi erhalten kann.
Von daher gesehen, ist der Zusatznutzen der Azubi-Card etwas ungewiss. Auf der dazugehörigen Website bieten viele Kommunen beispielsweise Ermäßigungen für den Besuch von Schwimmbädern und Museen an. Das ist zwar gut und sinnvoll, aber das hat man bisher auch gegen Vorlage des Schülerausweises bekommen. Ansonsten findet man Angebote von Bars, Hotels und Einzelhändlern, die die Website ein Stück weit auch als Werbeplattform nutzen. Von daher gesehen, ist die Frage, ob diese Karte in der Praxis viel nutzt.
Hinter der Azubi-Card steht der Versuch, die duale berufliche Ausbildung attraktiver zu machen, weil – so wird es hier immer wieder dargestellt – angeblich alle jungen Menschen studieren wollten. Das wird gerne auf das vermeintlich schlechte Image der Ausbildung zurückgeführt. Deshalb starten Sie Werbekampagnen – bei denen Sie zugleich für die Landesregierung werben –, und Sie beschließen hier im Landtag Anträge, die zum Inhalt haben, dass Ausbildungen toll und einem Studium gleichwertig sind.
Es ist aber eben nicht einfach der angeblich schlechte Ruf der Berufsausbildung, der sie unattraktiv macht, sondern der Grund sind schlechte Rahmenbedingungen und schlechtere Gehaltsaussichten. Erzieherinnen und Erzieher in Kindertageseinrichtungen verdienen z. B. deutlich weniger als Lehrkräfte, die bekanntlich studiert haben.
Was die berufliche Ausbildung wirklich attraktiver machen würde, wären bessere Ausbildungsbedingungen, bessere Perspektiven und höhere Löhne für Ausgelernte sowie Mindestausbildungsvergütungen für Auszubildende, wie es die Gewerkschaften seit Langem fordern.
Eine Gehaltsstudie aus dem Jahre 2017 besagt, dass ein Akademiker im Schnitt mit 31 Lebensjahren einen gleich alten Menschen mit Berufsausbildung beim bis dahin erzielten Lebenseinkommen überholt. Bis zur Rente wird ein Durchschnitts-Akademiker rund ein Drittel mehr Geld verdient haben. Obwohl die Gefahr der Altersarmut auch bei höher Qualifizierten steigt, kommt sie bei diesen, statistisch gesehen, immer noch deutlich seltener vor.
Auch der Mangel an bezahlbarem Wohnraum ist angesprochen worden. Es ist selbstverständlich ein Problem, wenn man sich vom Azubi-Lohn nicht einmal die Miete leisten kann. Das ist ein Missstand. Darauf hat die IHK bei der Vorstellung der Azubi-Card hingewiesen.
Wir müssen auch über die Qualität der Ausbildung reden. Hier gibt es Probleme, besonders häufig in den Berufen, in denen am lautesten über einen Bewerbermangel geklagt wird. Wenn man sich den „Ausbildungsreport 2018“ der DGB-Jugend anschaut, dann liest man, dass die Zufriedenheit mit der Ausbildung bei den 15.000 befragten Azubis auf ein Rekordtief von 70 % gesunken ist. Besonders in den Lebensmittel verarbeitenden Berufen sowie im Hotelund Gaststättengewerbe gibt es große Qualitätsdefizite.
Die Ausstattung der Berufsschulen – die so etwas wie ein Stiefkind des Schulsystems sind – trägt ebenfalls nicht zur Attraktivität des Ausbildungssystems bei. Zwei Drittel aller Berufsschüler sagen, die Berufsschulen seien zu schlecht ausgestattet und hätten keine zeitgemäßen Unterrichtsmaterialien.
Vor diesem Hintergrund kann man eine Azubi-Card zwar einführen, sie wird die tatsächlichen Probleme aber nicht lösen.
Es wird darüber geklagt, dass die berufliche Ausbildung nicht attraktiv genug sei. Es gibt in der Tat in bestimmten Branchen und in bestimmten Regionen einen Bewerbermangel. Darüber dürfen wir aber nicht vergessen, dass es nach wie vor junge Menschen gibt, die keinen passenden Ausbildungsplatz finden. Die Zahl der Menschen, die einen Ausbildungsplatz suchen, ist weiterhin höher als die Zahl der unbesetzten Stellen. Die Angebots-Nachfrage-Relation in Hessen liegt weiterhin unter dem Bundesschnitt, und die Ausbildungsquote in Hessen ist erneut gesunken – auf jetzt 4,4 %.
Wir sind weiterhin der Auffassung, dass eine Ausbildungsplatzumlage notwendig und sinnvoll wäre, damit die Betriebe, die ausbilden, wenigstens dabei unterstützt werden. Vor allem die Klein- und Kleinstbetriebe bilden aus, während sich viele große Unternehmen aus der Verantwortung stehlen. Deshalb brauchen wir eine Ausbildungsplatzumlage.
Wir brauchen eine stärkere Förderung der Ausbildungsverbünde, und wir brauchen auch mehr Ausbildungsplätze beim Land. Der öffentliche Dienst hat sich nämlich aus der Berufsausbildung ziemlich zurückgezogen und bildet deutlich weniger junge Menschen aus, als das vorher der Fall war.