Protokoll der Sitzung vom 13.06.2001

Das habe ich jetzt leider nicht verstanden.

Von diesem Vorschlag kann man nun natürlich nicht erwarten, daß er eins zu eins umgesetzt wird, denn man könnte unserem Vorschlag auch eine asoziale Komponente unterstellen. Wenn ich sage, daß wir mehr Umsatzsteuerpunkte auf der Länderseite haben wollen, könnte man entgegnen, daß es vorrangig die reichen Länder stärken und den armen Ländern weggenommen würde. Diese Sache müßte man in diesem komplizierten System in einer nächstfolgenden Stufe korrigieren.

Ich möchte deutlich machen, daß wir diesen Vorschlag nicht als Steilvorlage gemacht haben, damit der Bund Geld sparen soll, sondern wir wollen insgesamt nur den Blick darauf richten, daß die Auseinandersetzung um die Umsatzsteuerpunkte zukünftig verstärkt Bedeutung erfahren wird. Wie penibel und genau man sich darüber jeweils auseinandersetzt, sieht man schon daran, daß der Bund an

geboten hat, die Finanzierung des Fonds Deutscher Einheit zu übernehmen, dafür aber Umsatzsteuerpunkte haben will. Es gab die große Handreichung, indem gesagt wurde, wir schenken den Ländern 1,5 Milliarden DM, für uns zählen aber Umsatzsteuerpunkte. Daraufhin haben sogleich die Ministerpräsidenten – und, ich glaube, Sie auch, Herr Runde – erkannt und gesagt, daß man damit gutes gegen schlechtes Geld tausche.

Deswegen haben wir von der Enquete-Kommission in unserer Strategie auch empfohlen, daß die Länder diesbezüglich weiter aufmerksam bleiben, denn die Auseinandersetzung um die Umsatzsteuerpunkte, die Auseinandersetzung um die Einnahmehoheit der indirekten Steuern, wird zukünftig immer mehr an Bedeutung gewinnen – das ist auch der härteste Kampf, den Bund und Länder in der Regel miteinander führen –, weil wir sonst auf unserer Einnahmeseite in der Perspektive Probleme kriegen werden, da man mit den direkten Steuern perspektivisch wahrscheinlich etwas weniger zu erwarten hat.

Ich möchte auch noch einmal auf den Punkt der Einwohnerwertung eingehen, weil ich eine Geschichte bei uns in der Kommission sehr interessant fand. Wir haben es uns in der Hamburger Kommission nicht so leichtgemacht, daß wir uns alle dem Hamburger Patriotismus verpflichtet fühlen und gesagt haben, dann wollen wir mal alle die Reihen fest schließen und sagen, 135 Punkte plus, das ist die Lösung.

In unserer Kommission war einer der Chefgutachter – so nenne ich ihn einmal – der Südländer. Es war eine äußerst interessante Diskussion. In der fachlichen Diskussion konnten wir allerdings herausarbeiten, daß bei dem Gutachten, das eine Zeitlang durch die Presse ging und von dem es hieß, die Einwohnerwertung sei zu hoch angesetzt, diese mit 135 Prozent durch wissenschaftliche Argumente mehr oder weniger unwidersprochen blieb. Das liegt daran, daß das Gutachten, das bei einer geringeren Wertung für die Stadtstaaten landete, zwei der wesentlichen Begründungsfaktoren einfach außen vor gelassen hat.

Für uns muß klar sein – das will ich noch einmal in Erinnerung rufen –, daß die Einwohnerwertung kein Verhandlungsspielball der Hamburger Seite ist, sondern es ist schon eine Zumutung, daß man im Föderalismus eine strukturelle Eigenart verteidigen muß.

Man kann die 135 Prozent für Hamburg in Vergleich setzen, was nicht nur für Stadtstaaten angemessen ist, sondern auch für Metropolen in Flächenländern. Nichts anderes haben wir untersucht. Wir haben die verschiedensten Argumente beleuchtet, wie eine Metropole überhaupt finanziell ausgestattet sein muß, sei sie ein Stadtstaat oder in einem Flächenland. Dann kommt man zu den 135 Prozent. Das, glaube ich, ist eine wichtige Aussage. Es ist kein Verhandlungsgegenstand, bei dem wir irgend etwas ins Trockene gebracht haben, sondern schlicht und ergreifend normale Existenzgrundlage, die für Stuttgart und München mindestens in einer vergleichbaren Weise Anwendung finden.

Ferner muß man sich überlegen, welche Metropolen wir in Deutschland haben und welche Stadtstaaten Metropolen sind. Dann fällt auf, daß Berlin und Hamburg, die beiden größten Metropolen Deutschlands – das hat auch etwas mit einer Wettbewerbsperspektive in Europa zu tun –,

(Rolf Kruse CDU: Richtig!)

als Stadtstaaten organisiert sind. Wenn man diese größten Metropolen gegenüber den kleineren oder den Flächen

(Anja Hajduk GAL)

ländern noch besonders schwächen will, dann ist das eine vollkommen falsche bundesrepublikanische Perspektive.

(Rolf Kruse CDU: Sehr richtig!)

Abschließend möchte ich auf ein paar Argumente Ihres Minderheitenvotums eingehen, Herr Kruse. Ich muß Sie korrigieren. Sie haben Ihr Minderheitenvotum mit einem Aspekt dargelegt, der überhaupt kein Minderheitenaspekt ist. Sie haben gesagt, es sei falsch, daß automatisch alle Länder auf 99,5 gehoben würden. Der Aspekt, den ich vorhin genannt hatte und mit dem wir einen ziemlich radikalen Vorschlag gemacht haben, nämlich die Fehlbetragsergänzungszuweisung für schwächere Länder wegzunehmen, ist in der Kommission eine allgemein einige Position gewesen. Insofern haben Sie das für meine Begriffe nicht richtig dargelegt. Die Kommission insgesamt hat sehr wohl diese Richtung eingeschlagen.

Ferner möchte ich noch etwas zur regionalen Steuerautonomie sagen. Sie haben von einem klein bißchen Wettbewerb gesprochen. Wir wären uns ja weitgehend einig, Sie würden aber so ein bißchen in die Richtung denken. Ich muß sagen, daß der Vorschlag, den Sie unterstützt haben, nicht so harmlos ist.

(Erster Bürgermeister Ortwin Runde: Ne!)

Er ist für neue Länder ein großer Wettbewerbsnachteil, darauf gehe ich zuerst ein.

Bereits heute haben die wirtschaftstarken Regionen die stärksten Steuerzuwächse. Deswegen zahlen wir auch immer mehr, weil wir so stark sind und eine so gute Politik haben, das macht einen manchmal schon ein bißchen nachdenklich. Wenn diese Differenzen beim jetzigen System in der Abstandsgewinnung zuwachsend sind, ist es ein Strickfehler einer Reform, zu sagen, man baue etwas ein, von dem sich die starken Regionen einen Steuer- und Wettbewerbsvorteil verschaffen können, und sogar noch gesagt wird, solange die schwachen Regionen ihre Steuerstellschraube nicht ausgenutzt haben, erhalten sie nicht einmal die volle Ausgleichszahlung aus dem Länderfinanzausgleich. Das hat wirklich nichts mit einer Politik zu tun, die vielleicht nicht für die nächsten 100 Jahre notwendig, aber von heute an aktuell notwendig ist, um gerade die ostdeutschen Länder zu einem fairen Wettbewerbseinstieg zu führen.

Des weiteren möchte ich dazu sagen, daß der Vorschlag für die wirtschaftsschwächeren Regionen kein harmloser Vorschlag ist, und für Hamburg ist es letztlich wahrscheinlich ein Papiertiger. Wenn wir für Hamburg einmal beide Alternativen durchspielen und sagen, wir machen Gebrauch von der regionalen Steuerautonomie, erheben einen Zuschlag auf die Einkommensteuer – wir setzen rauf –, produzieren wir das, was wir hier im Hause schon kritisch diskutiert haben. Wir müssen aufpassen, daß wir keine Suburbanisierungstendenzen zusätzlich verstärken und keinen Wegzug produzieren. Sie wissen selbst genau, daß wir in Hamburg nicht nur Nutzer der hamburgischen Güter haben, sondern Pendler, die im hamburgischen Umland wohnen. Daher möchte ich Sie fragen, ob Sie das wirklich fördern wollen? Oder ganz zu schweigen von Scheinwohnsitzwechseln.

Scheinwohnsitzwechsel sind kein dahergeredetes Thema. Es gibt etliche Leute in dieser Stadt – wahrscheinlich auch Einkommensteuerstarke –, die Zweitwohnungen haben. Was würde ich denn machen, wenn ich eine Wohnung auf Sylt oder an der Ostsee hätte

(Zuruf von Rolf Kruse CDU)

und wüßte, dort ist die Einkommensteuer niedriger? Sie produzieren Folgeeffekte, wenn Sie davon ausgehen, die Steuern hochzusetzen, die nicht wünschenswert sind, weil sie eventuell eine nichtsoziale Komponente haben. Sie folgen damit nicht den Interessen Hamburgs, denn wir sind eine verdichtete Region, die ein Umlandproblem erfolgreich zu bestehen hat. Sie kennen das Ganze auch aus der Gewerbesteuerdiskussion. Daher glaube ich, daß das ein Papiertiger ist, denn die andere Seite, daß wir die Einkommensteuer eventuell herabsetzen könnten, glaube ich Ihnen seit heute nicht mehr. Das würde bedeuten, Sie müßten mit Einnahmeverlusten und Steuereinnahmen kalkulieren, die eine solide Ausgabenpolitik erfordern würde, die ich gerade in den letzten Wochen, am Ende der Legislaturperiode, von Ihrer Fraktion nicht mehr nachvollziehen kann.

(Dr. Holger Christier SPD: Gut formuliert!)

Deshalb glaube ich, daß Sie nur ein wenig mit dem Wort Wettbewerb gespielt haben, aber zielführend, insbesondere für Hamburg, ist das nicht. Hamburg, das haben wir vor zwei Wochen festgestellt, als wir über die BertelsmannStudie gesprochen haben, macht eine kluge Politik, wenn sie den Wettbewerb der Regionen aufnimmt, aber die Region geht über die Stadtgrenzen hinaus. Wenn sie sich dem Wettbewerb der Regionen erfolgreich stellen will, soll man einen kleinen Steuerwettbewerb innerhalb der Regionen meiden. Auch das stand in der Bertelsmann-Studie. Es sollte keine aggressive Konkurrenz mit dem Umland geben, das hilft uns nicht weiter.

Deswegen war Ihr Vorschlag theoretisch vielleicht interessant, in der Praxis zeigt er sich nicht gerade als zielführend und ist daher auch nicht tatsächlich umsetzungsrelevant. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Das Wort hat Frau Uhl.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach diesen vielen Details muß ich wohl unsere Gehirne mal wieder ein bißchen lüften. Ich fange damit an, daß ich ausnahmsweise einmal Herrn Kruse recht gebe, der, wie ich glaube, als erster gesagt hat, daß es sich tatsächlich lohnt, diese Vorlage zu lesen; das finde ich auch.

In dieser Vorlage gibt es eine Fülle von Informationen, die dieses komplizierte Thema halbwegs verständlich darlegen können, so daß Sie sogar etwas wie eine kleine Leidenschaft entwickeln können, was, wie ich glaube, bei so einem Thema normalerweise ziemlich schwierig ist.

Wenn jemand wie ich so eine Vorlage liest, geschieht das vor dem Hintergrund der Kontroverse, die es dazu gibt, nämlich einer auch ideologischen Kontroverse des Wettbewerbsföderalismus, den die Vertreter der ökonomischen Theorie des Föderalismus, also die Ökonomen – heute würde man sie wahrscheinlich Mainstream-Ökonomen nennen –, vertreten, und dem, was man kooperativen Föderalismus nennt. Das ist etwas, das wir in Ansätzen in der Bundesrepublik schon haben, das aber durchaus noch ausgebaut werden könnte: Kooperation, Stichwort Solidarität. Für beide Punkte gibt es Indikatoren, anhand derer eine so dicke Vorlage dahin gehend durchgesehen wird,

(Anja Hajduk GAL)

wohin die Enquete-Kommission mit dem, was sie uns vorgelegt hat, tendiert.

Dabei muß ich dann doch etwas schmunzeln, weil beide Formulierungen in der Vorlage gar nicht mehr auftauchen. Da liest man wenig von Wettbewerbsföderalismus und auch nichts von kooperativem Föderalismus. Das besorgen dann Herr Freytag und Herr Ehlers in einem Buch, das parallel dazu herausgegeben wird; darin wird die große Kontroverse gefeiert.

(Erster Bürgermeister Ortwin Runde: Das ist auch lesenswert!)

Die Enquete-Kommission findet aber witzigerweise einen Weg, auf den sich plötzlich alle einigen können, der lautet: Solidarischer Föderalismus.

Nun fragt sich jemand wie ich, was denn der Unterschied zwischen einem solidarischen und einem kooperativen Föderalismus ist. Ich habe daraufhin noch einmal die Vorlage durchgelesen, weil sich dafür ja Indikatoren finden müssen, also in der Steuerkraftmeßzahl oder in der Berechnung des Ausgleichstarifs oder irgendwo sonst. Witzigerweise finde ich, daß sich, wenn man das ideologisch werten sollte, mit der Vorlage eher diejenigen durchgesetzt haben, die einem kooperativen Föderalismus das Wort reden. Ich gebe zu, daß das mein Herz doch gefreut hat. Deshalb finde ich es auch bemerkenswert, daß sich die CDU in dieses gemeinsame

(Dr. Holger Christier SPD: Erlebnis!)

Erlebnis des solidarischen Finanzausgleichs einbinden läßt. Da scheint tatsächlich die CDU in Hamburg weiter als die im restlichen Bundesgebiet zu sein, und dafür kann man sie dann ja auch einmal loben.

Frau Hajduk sprach eben von der spannenden Situation, in der wir uns mit dem Finanzausgleich gegenwärtig befinden, und verwies auf die Verhandlungen, die mit der Bundesregierung geführt werden. Ich muß zugegebenermaßen sagen, daß bei mir gegenwärtig die Spannung noch nicht richtig aufgekeimt ist,

(Anja Hajduk GAL: Das war mir klar!)

da die Diskussion im allgemeinen zwar spannend ist, aber nicht auf Grundlage der Vorlage der Bundesregierung, denn die einzigen, die es geschafft haben, sich noch in keiner Weise zu positionieren, außer an einzelnen Punkten, haben sich das mit der Steuerreform abkaufen lassen. Das Problem der Vorlage der Bundesregierung ist, daß sie sich eigentlich gar nicht positioniert.

(Anja Hajduk GAL: O nein!)

Das kann hinter den Kulissen durchaus so sein, nur frage ich mich, wo eigentlich das Bekenntnis zum kooperativen Föderalismus von seiten der rotgrünen Bundesregierung bleibt. Weder in der Vorlage noch in den Diskussionen gibt es auch nur einen Hauch dessen, sondern – das muß ich leider feststellen – die rotgrüne Bundesregierung tendiert im Gegenteil ideologisch zu den südlichen Ländern; das finde ich bemerkenswert.

(Dr. Andrea Hilgers SPD: Ich auch!)

Den Prozeß, sozusagen Rotgrün davon zu überzeugen, daß Kooperation in diesem Land irgendwie vorgehen muß vor einer Zuspitzung des Wettbewerbs, sollten Sie in kürzester Zeit leisten, denn sonst geht die Entwicklung an Hamburg vorbei.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke – Dr. Andrea Hilgers SPD: Das ist schon geleistet!)

Mir bleibt nur noch ein dritter Punkt, der mir aber ganz wichtig ist. Wir reden hier über wichtige Details des Finanzausgleichs, und Hamburg hat es in der Vorlage, die es im Elfer-Kreis unterstützt, sogar noch geschafft, die witzigen Hafenlasten irgendwie zu verteidigen, also 200 000 DM wiederum vor dem Hintergrund in die Offensive zu bringen, daß Hamburg in den nächsten vier Jahren Milliarden durch Einnahmeverluste verlieren wird, die die rotgrüne Bundesregierung uns beschert; das finde ich dann doch recht amüsant. Das heißt, wir reden hier über potentielle Einnahmeverluste aus dem Finanzausgleich. Sie halten es aber nicht mehr für nötig, über die riesigen Einnahmeverluste aus der rotgrünen Steuerpolitik zu reden. Das finde ich widersinnig und auch sehr falsch. – Danke.