Protokoll der Sitzung vom 14.06.2001

„... konnten Gründe, die eine drastische Bettenreduzierung ohne Einschränkung der Qualität der Versorgung psychisch Kranker ermöglichen, nicht überzeugend dargelegt werden.“

Es ist die reine Finanzierung gewesen. Insofern befürchtet die Kommission auch zu Recht, daß es statt einer Krankenversorgung von schwerkranken Patienten immer mehr zu einer reinen Akutversorgung und Krisenintervention kommt.

Zu diesen, für alle, die tatsächlich von Psychiatrie Ahnung haben, schwerwiegenden Vorwürfen, fällt dem Senat nur ein zu sagen, daß die zuständige Behörde nach intensiven Gesprächen mit dem Klinikum Nord zu der Überzeugung gekommen ist, daß Mißverständnisse ausgeräumt werden konnten und daß das Klinikum Nord versichert habe, daß aufgrund der strukturellen Veränderungen keine qualitativen Einbußen in der klinischen Versorgung zu erwarten sind. Meine Damen und Herren, das ist Hohn gegenüber den Patienten und Mitarbeitern, die vor Ort ganz anderes erleben.

Selbst der Senat stellt fest, daß zur damaligen Zeit ein Punkt erreicht war, an dem man nicht weiter abbauen dürfte. Die Wahrheit ist aber, daß seit 1999 weitere 10 Prozent der Betten auf nunmehr 560 abgebaut worden sind.

Ganz dramatisch stellt es sich in der Gerontopsychiatrie dar. Wie Sie wissen, ist das die Versorgung älterer Menschen, deren Anzahl durchaus steigt. Hier wurde von der Aufsichtskommission der Abbau von 128 auf 100 Betten kritisiert. Seit dieser Maßnahme ist die Behandlungskapazität erneut um 15 Prozent auf nunmehr 85 Betten abgesenkt worden.

Frau Roth, Sie und die BAGS haben die ganze Zeit seit 1998 über diesen massiven Kahlschlag der Psychiatrie in Ochsenzoll Bescheid gewußt. Ihnen sind aus der eigenen Behörde, aus der Aufsichtskommission, von Fachleuten und nicht zuletzt aus dem Gesundheitsausschuß die schwerwiegenden Qualitätsverschlechterungen bekannt gemacht worden. Sie haben in der ganzen Zeit nichts unternommen, sondern statt dessen wurde im vergangenen Jahr in Ochsenzoll weiter kräftig abgebaut. Sie können sich hier nicht auf Nichtwissen herausreden, im Gegenteil, Sie sind persönlich für die Verschlechterung der psychiatrischen Versorgung auf dem Rücken von Mitarbeitern und Patienten in Ochsenzoll verantwortlich. Sie decken mit ihrem Verhalten den rein ökonomisch bedingten Abbau von Krankenversorgung durch die LBK-Spitze in Ochsenzoll. Das mag Ihren Aufgaben als LBK-Vorsitzende entsprechen, aber nicht ihren Aufgaben als Gesundheitssenatorin. Sie haben mit dem Kahlschlag in der Psychia

(Petra Brinkmann SPD)

triepolitik in Ochsenzoll den Hamburger Bürgerinnen und Bürgern einen Bärendienst erwiesen.

(Beifall bei der CDU – Dr. Mathias Petersen SPD: Das ist ein Gerücht!)

Das Wort bekommt der Abgeordnete Jobs.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Brinkmann, welchen Bericht haben Sie eigentlich gelesen? Einzig die Dezentralisierung der stationären Versorgung ist ein durchaus positiver Schritt, der sich in dem Bericht auch zeigt, aber ansonsten konnten wir doch nachlesen – das haben alle anderen, außer Ihnen, auch getan –, daß der Bericht etwas anderes zeigt.

Die Rahmenbedingungen und damit auch die Qualität der psychiatrischen Versorgung haben sich in Hamburg in den letzten Jahren drastisch verschlechtert. Dies war bereits die zweite Erklärung aus dem Hamburger Hilfesystem, die das vor Monaten deutlich dokumentiert hat. Genau diese Dokumentation zeigt sich auch im Bericht der Aufsichtskommission. Wenn Sie sich genauer damit beschäftigt haben, kommen Sie nicht umhin, das auch festzustellen.

Nach Jahren der eher moderaten Kritik haben sie jetzt sehr deutliche Worte zu einigen strukturellen Defiziten in der Stadt gefunden. Zu drei dieser Kritikpunkte möchte ich etwas sagen.

Erstens: Die Bettenreduzierung in Ochsenzoll. Dazu haben wir schon einiges gehört. Trotz der hohen Auslastung wurde eine drastische Bettenreduzierung vorgenommen und damit eine Verweildauer durchgesetzt, ohne daß die Menschen, die jetzt früher entlassen werden, irgendwo aufgefangen werden. Das ist der eigentliche Skandal. Es geht nicht darum, daß die Zahl der Betten gekürzt werden, darüber kann man reden – und eine Verkleinerung bei einer so großen Klinik finde ich auch nicht unbedingt unsympathisch –, es muß aber etwas geben, das diese Menschen außerhalb der Klinik auffängt.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke und bei Dr. Dorothee Freudenberg GAL)

Heute werden psychisch kranke Menschen ja nicht schneller gesund oder überwinden ihre Krisen schneller als vor wenigen Jahren. Deshalb ist deutlich geworden, daß es nur ökonomische Gründe im AKO sind, durch die diese Bettenreduzierung erfolgte. Diese Veränderung trifft wie so oft die Schwächsten.

So kommt auch die Aufsichtskommission zu der Erkenntnis, daß besonders die schwerstkranken und chronisch kranken Menschen darunter leiden müssen. Der Berichtszeitraum liegt, wie wir hörten, schon zwei bis drei Jahre zurück, Betten sind weiter abgebaut worden, und die Realität hat die Befürchtung lange eingeholt. Diese Entwicklung muß ganz dringend gestoppt werden – diesbezüglich sind wir ja in der Mehrheit in diesem Hause –; so darf es nicht weitergehen in Ochsenzoll.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Zweitens: Beim Ausbau des außerklinischen Hilfsangebots ist auch die BAGS ganz besonders in der Verantwortung. Da passiert auch nichts in Hamburg, was hoffen läßt; ganz im Gegenteil. Erst sind jahrelang die gemeinnützigen Hilfsangebote zusammengestrichen worden, dann wurde mit dem Einsatz kommerzieller Anbieter der Qualitätsstan

dard gesenkt, und nun sollen die ohnehin überlasteten Einrichtungen auch noch weitere Angebote für zusätzliche Personenkreise weiterentwickeln. Das ist im Prinzip zwar nichts Schlechtes, nur dann müßten die Kapazitäten dafür geschaffen werden. Davon ist in der letzten Zeit nichts, aber auch gar nichts zu sehen gewesen. Daher mein Appell: Hören Sie auf, dieses Hilfesystem kaputtzusparen. Sorgen Sie endlich für einen bedarfsgerechten Ausbau, damit alle Menschen die Hilfe in dem Maße und an dem Ort bekommen, die sie in Hamburg brauchen.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Es ist bald drei Jahre her, daß wir hier gemeinsam – ich glaube, es war sogar einstimmig – den Senat aufgefordert haben, endlich dafür zu sorgen, daß Menschen mit psychischen Erkrankungen nicht mehr irgendwohin weit außerhalb der Stadt verlegt werden. Trotzdem haben wir in dem Bericht gelesen, daß 20 Personen nach BargfeldStegen und zehn Personen nach Rickling verlegt wurden, nicht zu vergessen all diejenigen, die in privaten Heimen weit weg von ihrer Umgebung landen. Vorgestern mußten wir im Gesundheitsausschuß hören, daß diese Verlegungen zugenommen haben, und nicht, wie Sie es dargestellt haben, Frau Brinkmann, abgenommen. Sie haben doch die deutliche Äußerung der HGSP gehört, in der dargestellt wurde, daß diese Verlegungen in den letzten Jahren in Hamburg zugenommen haben. Das ist sehr besorgniserregend, denn für die Betroffenen haben derartige Verlegungen immer noch viel zu oft den Effekt einer Sackgasse am Ende einer Einbahnstraße. Das waren genau die Verhältnisse, die nach der Psychiatrie-Enquete-Kommission bereits vor 25 Jahren abgeschafft werden sollten. 15 bis 20 Jahre lang gab es ja auch langsame Reformen, weg von der Verwahrpsychiatrie hin zur Rehabilitation in der Gemeinde. Dieser Prozeß ist in Hamburg allerdings viel zu früh beendet worden. Aber leider nicht nur das, sondern die Kürzungen der Strukturveränderungen der letzen Jahre können dafür sorgen, daß dieser Prozeß, der von allen begrüßt worden ist, kurz davor steht, wieder zurückgedrängt zu werden.

Eine derartig bittere Bilanz, wie sie jetzt von so vielen in der Psychiatrie erfahrenen und dort tätigen Personen nach vier Jahren Rotgrün in Hamburg gezogen wird, überrascht alle, selbst die größten Pessimisten. Viele hatten darin ihre Hoffnungen gesetzt, die in diesen Jahren sehr enttäuscht wurden.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke und bei Dietrich Wersich CDU)

Das Wort bekommt Senatorin Roth.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist richtig, daß die Arbeit der Aufsichtskommission aus meiner Sicht wichtig und notwendig ist, und ich bin auch froh und glücklich, daß wir diese Aufsichtskommission hier in Hamburg haben.

Ich stimme dem Bericht der Aufsichtskommission zu, die besonders kritisch mit dem Thema Verweildauer in Kliniken in dieser Stadt umgeht. Das war – nebenbei gesagt – ein Anlaß für uns alle im Gesundheitsausschuß, uns mehrmals mit dem Thema der Reduzierung der Verweildauern zu befassen. Wir haben im Gesundheitsausschuß auch darüber diskutiert, daß es gar nicht sinnvoll ist, kurze Verweildauern zu organisieren, wenn das ambulante System die Menschen anschließend nicht aufnimmt und dadurch ein

(Dietrich Wersich CDU)

A C

B D

Drehtüreffekt entsteht, der auch unter ökonomischen Gesichtspunkten nicht sinnvoll ist; der vor allen Dingen aber unter Gesichtspunkten der Therapie verwerflich ist.

Aufgrund dieser Entwicklung – das will ich hier im Parlament betonen, ich habe es an anderer Stelle schon mehrmals getan – habe ich zum Krankenhausplan 2005 eine einzige alleinige Entscheidung getroffen, und zwar im Gegensatz zu der Empfehlung des Sachverständigenrates, der Gutachter und gegen das Votum der Krankenkassen, im Bereich der Psychiatrie die Reduzierung der Verweildauern so nicht zu akzeptieren. Das war aus meiner Sicht ein großer gesundheitspolitischer Akzent.

(Beifall bei Dr. Dorothee Freudenberg GAL)

Dieser politische Akzent ist in die Krankenhausplanung 2005 eingegangen und hat zur Folge, daß wir erstens zum ersten Mal im Bereich des Albertinen-Krankenhauses eine dezentrale weitere Einrichtung der Psychiatrie bekommen. Zweitens bekommen wir im Bereich Rissen eine Erweiterung des Angebots. Drittens bekommen wir im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie, auch ein kontroverses Thema mit den Krankenkassen, weil sie es nämlich nicht wollten, einen dritten Standort im Süden Hamburgs. Das sind planerische Akzente, die dieser Senat und ich als Senatorin gegen allen Widerstand, sowohl der Krankenkassen – die das so nicht gesehen haben – als auch der Sachverständigen, gesetzt haben.

(Beifall bei der SPD und der GAL – Glocke)

Frau Senatorin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wersich?

(Senatorin Karin Roth: Mit Vergnügen!)

Ist es richtig, daß trotz Ihrer Planung im Krankenhausplan 2000 von über 700 Betten in Ochsenzoll tatsächlich nur noch knapp 600 betrieben werden? Ist es ferner richtig, daß trotz Ihrer Planungsvorgabe von 26 Tagen Verweildauer die tatsächliche Verweildauer in Ochsenzoll mittlerweile bei 22 Tagen liegt und damit Ihre Planungsempfehlungen keinen Einfluß auf die Realität haben?

Herr Wersich, Sie sind genau so Experte wie ich, davon gehe ich aus.

(Dietrich Wersich CDU: Wie ist das zu verstehen?)

Sie wissen auch ganz genau, daß die Planungen und die Daten der Verweildauer, bezogen auf die Krankenhausbetten, das eine sind, und das andere die Realität, bezogen auf die jeweiligen Krankenhausverweildauern.

Sie wissen genau so wie ich, daß aufgrund des medizinischen Fortschritts auch in diesem Bereich die Verweildauern reduziert worden sind.

(Dietrich Wersich CDU: Im Bericht steht aus öko- nomischen Gründen!)

Deshalb haben wir Reduzierungen in den Krankenhäusern nicht nur im chirurgischen, sondern auch im Psychiatriebereich vorgenommen. Wir haben in der Zeit, über die wir reden – auch im Bereich Rissen beispielsweise –, neue Stationen aufgebaut und haben Bergedorf erweitert. Das heißt, Angebote, die bisher zentral und zentriert im Krankenhaus Klinikum Nord vorhanden waren, wurden regio

nalisiert. Das war aus meiner Sicht eine strategisch richtige Entscheidung, und die ist auch vollzogen worden.

Bezogen auf die Frage der Verweildauern habe ich entschieden – auch auf der Grundlage der Kommissionsberichte –, mich gegen die Sachverständigengutachter auszusprechen und gegen den Widerstand der Krankenkassen eine andere Konzeption im Bereich der Psychiatrie im Krankenhausplan 2005 durchzusetzen. Das gilt insbesondere auch für die tagesklinischen Angebote. Frau Freudenberg, Sie haben es erwähnt, gerade die tagesklinischen Angebote sind eine hervorragende Ergänzung der Psychiatrie, auch um ambulantes Angebot im Bereich der regionalen Situation zu diversifizieren.

Ich bin der Meinung, Frau Brinkmann, daß auch der dritte Standort für die Kinder- und Jugendpsychiatrie sehr schnell kommen muß. Wir sehen die Situation am UKE und im Wilhelmstift, und ich bin sehr dafür, die Entscheidung für den Süden Hamburgs sehr schnell zu treffen, wo und wann diese Kinder- und Jugendpsychiatrie eingerichtet wird. Der Krankenhausplan 2005 ist beschlossen, und es geht jetzt darum, diesen Plan umzusetzen. Zur Zeit gibt es Gespräche zwischen dem Krankenhaus Mariahilf und dem AK Harburg hinsichtlich der Kinder- und Jugendpsychiatrie, und ich gehe davon aus, daß wir bis zum Ende des Jahres Klarheit haben, wo der dritte Standort entstehen wird.

Bezüglich der Frage, Frau Freudenberg, wie wir ambulant und stationär besser vernetzen und das Krankenhausangebot wie auch das Ambulanzangebot verbessern können, verweise ich darauf, daß wir – wie Sie wissen – eine Lenkungsgruppe eingerichtet haben, die genau dies plant. Auch dazu gibt es entsprechende Vorgaben, weil wir wollen, daß Menschen, die psychisch krank sind, vor allem im ambulanten und weniger im stationären Bereich versorgt werden, und zwar nicht nur aus Kostengründen, sondern vor allem aus Gründen der Integration und der Rehabilitation.

(Beifall bei Dr. Dorothee Freudenberg GAL)

Zur Frage der auswärtigen Unterbringung kennen Sie meine Position genau. Ich bin sehr dafür, daß wir im außerklinischen Bereich Angebote in Hamburg haben, damit keiner nach außen verlegt werden muß. Ich habe auch gegenüber den Einrichtungen immer wieder deutlich gemacht, daß sie diese Angebote machen und entsprechend den Vereinbarungen mit uns durchführen sollen. Ich will aber hier noch einmal ganz klar festhalten: Niemand kann gegen seinen Willen nach außerhalb verlegt werden. Das ist richtig und aus meiner Sicht klar.

Auf der anderen Seite geht es aber auch darum, daß wir entsprechende Angebote in der Stadt haben müssen. Ich bin sicher, daß im Rahmen der Lenkungsgruppe, die wir im Bereich der Psychiatrie zur Regionalisierung und Kooperation eingerichtet haben, noch entsprechende ambulante und stationäre Angebote kommen werden, und wir werden diese Einrichtungen entsprechend unterstützen.