Protokoll der Sitzung vom 19.01.2000

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Das Wort hat Herr Professor Dr. Karpen.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Es fällt mir sehr schwer, als rechtspolitischer Sprecher für meine Fraktion zu einem staatsrechtlichen Thema heute die erste Debatte zu führen. Die Christlich-Demokratische Union Deutschlands hat den demokratischen Rechtsstaat mit aufgebaut. Einer seiner Pfeiler ist die Geltung des Rechts für jedermann und die Rechtsbindung allen politischen Handelns. Es gibt keine rechtsfreien Räume.

(Rolf Kruse CDU: Sehr wahr!)

Das Vertrauen der Bürger in die Gesetzestreue und Aufrichtigkeit von Mitgliedern meiner Partei ist selbstverschuldet schwer erschüttert worden. Wir haben an Glaubwürdigkeit eingebüßt.Das wird jetzt rückhaltlos aufgeklärt, und erste Folgerungen sind gezogen. Es wird Vorsorge getroffen werden, daß sich die Rechtsbrüche nicht wiederholen. Wir werden alles tun,

(Antje Möller GAL: Thema!)

daß wir in den Augen der Bürger und auch in Ihren Augen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, Anerkennung und Verläßlichkeit zurückgewinnen. An diesen Maßstäben wollen wir unsere politische Arbeit auch hier in der Bürgerschaft messen lassen. Die Sacharbeit, meine Damen und Herren, duldet keinen Aufschub.

(Antje Möller GAL: Genau!)

Die Integration der Ausländer hier in der Stadt ist notwendig, und wir müssen sie mit allen Mitteln fördern.Wir alle erkennen an, daß es immer mehr unumkehrbare Zuwanderungsfälle gibt und daß es auch aus demographischen Gründen notwendig und erwünscht ist, daß wir unsere ausländischen Mitbürger zu wirklichen Mitbürgern machen.Wir wollen sie eingliedern.

Wenn man sich über das Ziel einig ist, kann man sich über die Mittel leichter streiten. Wir sind nach wie vor der Auffassung, daß das gesamte rechtliche Instrumentarium, das Frau Brinkmann uns vorgeführt hat, wie Einbürgerung, doppelte Staatsbürgerschaft oder die Verkürzung der Antragsfristen, von zweitrangiger Bedeutung ist. Das Recht kann die notwendige Integration nicht bewirken, kaum erleichtern.

(Antje Möller GAL: Ja, dann tragen Sie doch etwas dazu bei!)

Die Ausländer in Hamburg sind noch ausgegrenzt, das ist keine Frage. 15 Prozent unserer Mitbürger sind Ausländer, aber 35 Prozent der Sozialhilfeempfänger sind Ausländer. 30 Prozent Deutsche haben keinen Hauptschulabschluß, aber 53 Prozent der Ausländer. Wir haben 10 Prozent Arbeitslosigkeit, aber 23 Prozent der Ausländer sind arbeitslos. Ein Drittel der jungen eingeschulten Ausländer sprechen kein Deutsch. Wir verschließen auch nicht die Augen davor, daß schon Parallelgesellschaften, Ausländerquartiere entstehen. Auf der Veddel wohnen 70 Prozent Ausländer, in Wilhelmsburg 40 Prozent. Wir werfen dem Senat vor, daß er die primär wichtigen Aufgaben der Ausländereingliederung schleifen läßt und sich zu sehr auf die vielleicht wählerwirksamen, aber inhaltlich doch eher zweitrangigen Rechtsfragen gestürzt hat. In erster Linie geht es doch darum, junge Ausländer in Schule und Arbeit zu bringen, und dabei ist es ganz wichtig, den Sprachunterricht zu intensivieren. Ferner muß man an den Religionsunterricht denken. Ausländische Unternehmen, gerade kleine und mittlere, müssen in die deutsche Wirtschaftsstruktur eingegliedert werden.

(Petra Brinkmann SPD)

Vor allem müssen wir die Entstehung von Parallelgesellschaften verhindern. Es darf keine einseitige Anpassung gefordert werden. Wir müssen, Deutsche wie Ausländer, aufeinander zugehen. Ein gemeinsames kulturelles Fundament kann nur durch Toleranz und Anerkennung der Verschiedenartigkeit der deutschen und ausländischen Kulturen entstehen. Wir tragen einige Elemente des neuen Staatsangehörigkeitsrechts mit, sind aber der Auffassung, daß die Zuerkennung der Staatsbürgerschaft am Ende und nicht am Anfang der Eingliederung steht. Erledigen wir doch zunächst gemeinsam die vordringlichen Aufgaben. – Vielen Dank.

Das Wort hat Frau Goetsch.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Professor Karpen, ich kann nur sagen: nichts dazugelernt. Das neue Staatsangehörigkeitsrecht und die Aktuelle Stunde sind willkommene Anlässe für einen migrationspolitischen Aufbruch in dieser Stadt. Sie geben nämlich Anlaß für ein deutliches Signal gegen eine kleinbürgerliche spießige Abschottung. Das Tor zur Welt ist der Hafen, und es sind sicherlich auch die Fußballer, die kommen, aber das Tor zur Welt ist eben auch die Vielfalt als Teil der Gesellschaft zuzulassen.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Die erleichterte Einbürgerung ist auch eine Absage an all die Kampagnen, die wir leidvoll in Hessen erlebt haben, und noch bitterer, wie sie finanziert wurden. Sie betrifft Menschen in dieser Stadt, die hoffentlich bald nicht mehr ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger heißen. Diese Bezeichnung war schon immer falsch, denn diesen Menschen sind die staatlichen Rechte vorenthalten worden.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Die längst überfällige Reform, weg vom Jus sanguinis, zumindest zu einem modifizierten Jus soli, bringt uns auch eine weitere Öffnung in kultureller Hinsicht.

In diesem Zusammenhang will ich ein kleines Beispiel von zahllosen nennen, nämlich den Kalender, der aus dem Büro der Ausländerbeauftragten zur Zeit an die vielen Einrichtungen dieser Stadt wie Schulen und Kindergärten geht. Er macht deutlich, daß unser Jahresablauf, unser Schulleben nicht nur von Ostern und Weihnachten bestimmt wird.

Die Kampagnenarbeit der Ausländerbeauftragten ist für die erleichterte Einbürgerung ein ausgezeichnetes Aushängeschild für diese Stadt. Sie wird nämlich Bewegung in die Köpfe bringen, gerade da, wo sie strukturell in die Einrichtungen wie Kindergärten und Schulen geht. Diesbezüglich macht Hamburg wirklich Schule, gleichnamig wie die Zeitung der Schulbehörde, in der die Grundschullehrerinnen und die Eltern derjenigen, die Kinder von null bis zehn Jahre haben, in verschiedenen Sprachen aufgefordert werden, diese erleichterte Einbürgerung wahrzunehmen.

Im letzten DGB-Informationsblatt war zur Migration sehr schön zu lesen: „Mit Zahnspange und Doppelpaß.“ Als Schulpolitikerin und Lehrerin kann ich Ihnen nur bestätigen, daß ich es als eine Wohltat empfinde, daß dieses neue Einbürgerungsrecht Kindern und Jugendlichen endlich entsprechende Möglichkeiten und Rechte gibt.

(Wolfgang Beuß CDU: Was hat das mit einer Zahnspange zu tun?)

Eines wird am Ende des Jahres 2000 anders sein: 100 000 Kinder werden vermutlich mit dem neuen Paß hier leben. Sie werden sich zwar zu diesem Zeitpunkt noch eher mit dem Beißring beschäftigen, da gebe ich Ihnen vollkommen recht, aber spätestens in der Schule, in der Ausbildung oder bei Reisen ins Ausland werden sie merken, daß sie nicht nur die Pflichten, sondern endlich auch die gleichen Rechte haben wie alle anderen auch.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Die Einbürgerung ist aber nur ein Schritt von vielen. Diskriminierung und Rassismus macht vor dem deutschen Paß nicht halt, das ist uns allen bekannt.

(Beifall bei der GAL und bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Es ist deshalb weiterhin ein großes Maß an Dialog, an Antidiskriminierungsarbeit und Akzeptanzwerbung und an Integrationspolitik nötig. Wir müssen uns fragen, welche politischen Ziele und Leitlinien der Migrationspolitik wir in dieser Stadt verfolgen. Wir werden uns immer wieder zu fragen haben – da nützt auch der Paß nichts –, welches Gesicht sich unsere Stadt gibt.

Trotzdem bin ich davon überzeugt, daß die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts zu Veränderungen in allen Lebensbereichen führen wird.Ich glaube, daß wir uns noch gar nicht bewußtmachen, wie das Ausmaß der Veränderungen sein wird. Die erleichterte Einbürgerung wird auf jeden Fall die Normalität der Einwanderung sichtbar machen, und das ist überfällig. Diesen Prozeß sollten wir alle aktiv und konstruktiv unterstützen. In diesem Sinne wünsche ich mir, daß auch wir Bürgerschaftsabgeordnete uns zu Schirmherren dieser Kampagne für die erleichterte Einbürgerung machen. – Danke.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Das Wort hat Frau Uhl.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich finde, daß Herr Karpen auf einen sehr richtigen Punkt hingewiesen hat, weil tatsächlich kein Mitglied der CDU nach diesem Staatsangehörigkeitsrecht die deutsche Staatsangehörigkeit bekommen könnte.

(Ole von Beust CDU: So ein Quatsch!)

Warum das so ist, will ich Ihnen an zwei Punkten erklären, vielleicht erhellt das etwas.

CDU-Mitglieder sind bekanntlich Mitglieder einer Partei, bei denen nahezu täglich deutlich wird, was sie von der freiheitlich demokratischen Grundordnung, der Verfassung, halten und in der Vergangenheit gehalten haben: Wenn es dem eigenen finanziellen Vorteil dient, relativ wenig. Sie wissen, daß dieses glaubhafte Bekenntnis eines jeden zu dieser freiheitlich demokratischen Grundordnung bekanntlich eine Voraussetzung für den Erwerb der Staatsangehörigkeit ist.

(Karl-Heinz Ehlers CDU: Sie sind doch nicht ganz dicht!)

Ähnlich verhält es sich auch mit dem Verständlichmachen in der Landessprache. Seit Wochen habe ich das Gefühl, daß CDU-Mitglieder kaum in der Lage sind, die Sprache aller Menschen um sie herum zu verstehen

(Antje Möller GAL: Das ist doch kein Kriterium!)

(Dr. Ulrich Karpen CDU)

A C

B D

und umgekehrt. Wenn CDU-Mitglieder einen Zeitungsartikel der letzten Wochen zusammenfassen und dazu öffentlich Stellung nehmen sollen, sagen sie fast jeden Tag aufs neue die gleichen Sätze: „Damit habe ich nichts zu tun, und ich habe ehrlich gesagt auch nichts davon gewußt.“ „Die Unregelmäßigkeiten sind jetzt alle offengelegt.“ Diese Sätze verstehen tatsächlich nur CDU-Mitglieder, alle anderen verstehen sie nicht mehr.

Das macht die Absurdität, die darin steckt, deutlich.Auf der rechten Seite dieses Hauses sitzen Leute, deren Partei Einbürgerungsbedingungen aufgestellt hat, von deren Erfüllung sie selbst meilenweit entfernt sind. Sie haben das Land mit einer Schmutzkampagne gegen ein fortschrittlicheres Einbürgerungsrecht überzogen und enthalten damit Menschen grundlegende Bürgerrechte vor. Die schlimmsten, die hessischen Hauptpropagandisten haben diese Kampagne wahrscheinlich auch noch mit Geld finanziert, das sie vor Jahren illegal auf Auslandskonten verschoben haben.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke und bei Dr. Andrea Hilgers SPD)

Wenn nun Rotgrün Neuwahlen in Hessen fordert, mit dem Verweis auf den CDU-Wahlkampf, mit dem, so sagt Finanzminister Eichel, die Menschen betrogen worden seien, dann fehlt in dieser Forderung die wichtigste Konkretisierung: Der CDU-Wahlkampf hatte ein zentrales Thema, nämlich das Staatsangehörigkeitsrecht und die fiese Kampagne dagegen.Deshalb geht es um Neuwahlen.Vielmehr geht es aber noch um das politische Versprechen von Rotgrün, das nach wie vor unzureichende Einbürgerungsrecht entscheidend zu verbessern; nur beides zusammen ist folgerichtig.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Schon die ersten Wochen mit dem neuen Staatsangehörigkeitsrecht haben gezeigt, daß es bei weitem nicht den Andrang von Migrantinnen gab, mit denen gerechnet wurde. Die Voraussetzungen zur Einbürgerung sind insbesondere für die Älteren unter ihnen nur schwer zu erfüllen. Dagegen kann leider auch die mutigste und offensivste Kampagne der Ausländerbeauftragten nichts ausrichten. Deshalb geht es beim Staatsangehörigkeitsrecht um Nachbesserungen. Aber es geht auch um etwas anderes, nämlich darum, daß Menschen gut behandelt und mit gleichen sozialen und politischen Rechten ausgestattet werden, auch wenn sie keinen deutschen Paß besitzen;all das geht.

Jenseits des Staatsangehörigkeitsrechts gibt es also eine Menge Möglichkeiten der faktischen Gleichstellung. Statt dessen gibt es für Migrantinnen und Flüchtlinge eine Menge Sondergesetze und Bestimmungen, die ihren Ausschluß von der gleichen Teilhabe an dieser Gesellschaft zementieren: im Arbeitsrecht, beim Wohnen, in der Schule, in der Ausbildung sowie massenhaft Schikanen in ausländerrechtlichen Bestimmungen, deren Handhabe immer auch Spielräume für landespolitisches Handeln offen läßt.

Deshalb ist die Kampagne der Ausländerbeauftragten, über die wir uns freuen, auch ein Maßstab für Hamburger Handeln. Hamburg braucht endlich eine aktive Förderpolitik für Migrantinnen. Hamburg braucht wirksame Antidiskriminierungsmaßnahmen, und es braucht ein liberales und humanes Verwaltungshandeln gegenüber allen Migrantinnen und Flüchtlingen. Diesbezüglich haben sich der Senat und die Regierungsfraktionen noch nicht allzusehr mit Ruhm bekleckert.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)