Protokoll der Sitzung vom 19.01.2000

Diese Mehrarbeit kann nicht ohne weiteres bewältigt werden. Es muß so zu starken, nicht mehr als hinnehmbar zu bezeichnenden Verzögerungen kommen. So warten einige Gläubiger nicht nur sechs Monate seit Antragstellung auf irgendeine Rückmeldung des Gerichtsvollziehers, sie warten schon vorher im Rahmen des Gerichtsverfahrens auf eine Meldung, daß das Urteil endlich gesprochen worden ist – das dauert bekanntlich lange –, und dann warten sie noch über sechs Monate und länger.Ich habe bei mir in der Anwaltskanzlei Fälle, in denen der Gerichtsvollzieher sich noch nicht einmal gemeldet hat und zum Teil unbekannt war, wer der zuständige Gerichtsvollzieher ist. Nach sechs Monaten mußten wir das herausfinden; das sind untragbare Zustände. Sie können einen Schuldner nicht so in der Luft hängen lassen.Es geht nicht nur um den Gläubiger, es geht auch darum, daß der Schuldner Rechtssicherheit hat, was passieren soll.Das sind keine Zustände;soweit die Beschreibung der Situation.

Die Fragen in der heutigen Debatte lauten: Was hat der Senat gemacht, um dieser vorhersehbaren Situation zu begegnen, denn dieses Gesetz war bekannt, und was will er tun, nachdem das Kind in den Brunnen gefallen ist und wir diese Überlastungssituation haben?

(Präsidentin Ute Pape übernimmt den Vorsitz)

Zur ersten Frage nach der Antwort des Senats ist zu sagen, daß er, obwohl ihm die Auswirkungen vorher bekannt gewesen sein mußten, nichts getan hat. Die Schlagkraft der Gerichtsvollzieher wurde dadurch zusätzlich untergraben. Es sind keine zusätzlichen Stellen geschaffen worden. Wir konnten heute der Presse entnehmen, daß überlegt wird, Übergangsmaßnahmen zu treffen, dies aber erst, seitdem wir die Große Anfrage gestellt haben und der Gerichtsvollzieherbund sich massiv dafür einsetzt und die Rückstände inzwischen in derartigen Summen aufgelaufen sind, daß sie kaum abarbeitbar sind.

Praktisch hat der Senat in einem Bereich, der die ganzen letzten Jahre schon sehr lange Bearbeitungszeiten aufwies, sieben Stellen gestrichen. Da die fünf Gerichtsvollzieher in Ausbildung sind und die fünf vorübergehend eingesetzten Rechtspfleger noch nicht einmal ausreichen, um die Personalabgänge in diesem Bereich zu ersetzen, bleibt Fakt, daß Vorsorge nicht getroffen wurde.

Was will der Senat tun, um das Problem zu lösen? Er will abwarten und Überbrückungsmaßnahmen treffen, wobei er noch nicht weiß, welche Maßnahmen genau zum Einsatz

(Susanne Uhl REGENBOGEN – für eine neue Linke)

kommen. Ob das tatsächlich der Fall ist, was heute in der Zeitung steht, weiß ich, ehrlich gesagt, nicht. Ich weiß nur, daß zum Zeitpunkt der Antwort auf die Große Anfrage der Gerichtsvollzieherbund genau diese Mitteilung bekommen hat, man wolle sich zwar Gedanken machen, könne aber aufgrund der Haushaltssituation nichts zusagen.

Dieser Bereich muß personell verstärkt und sofort unterstützt werden. Es kann auch nicht lauten, wir müssen überall sparen. Richtig ist, daß wir von Sparzwängen in jedem Bereich betroffen sind, aber zumindest im Bereich hoheitlicher Aufgaben – und die Gerichtsvollzieher haben eine hoheitliche Aufgabe – müssen wir in der Lage sein, die an den Staat gestellten Aufgaben zu erledigen. Was nützt es den Bürgern, wenn sie zum Teil nach sehr langen und teuren Gerichtsverfahren recht bekommen, der Staat aber nicht sicherstellt, daß sie ihr Recht durchsetzen können? Was bedeutet ein Urteil, das sie letztendlich nur noch an die Pinnwand nageln können? Es führt dazu, daß die Menschen Vertrauen in die staatliche Institution verlieren, und unterstützt Tendenzen, bei der Durchsetzung von Recht nicht auf den Staat zu vertrauen, sondern die Sache selbst in die Hand zu nehmen.

Zu einer Kernaufgabe unseres Staates gehört es, die Rechtspflege so auszustatten, daß sie funktioniert. Insoweit freue ich mich, daß wir das Thema zumindest im Rechtsausschuß weiter behandeln werden, und hoffe darauf, daß wir – vielleicht gleich noch in der Rede der Senatorin – positive Ergebnisse zu hören bekommen, wie dieser Bereich verstärkt werden wird. – Danke.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort hat Herr Ellger.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Das von der CDU angemeldete Thema beschäftigt auch die SPD-Fraktion schon seit geraumer Zeit, zum Beispiel in intensiven Gesprächen mit dem Gerichtsvollzieherbund. Die Gewährleistung der zivilrechtlichen Zwangsvollstreckung ist eine bedeutende Aufgabe des Staates.Da das Faustrecht und ihm verwandte Formen der Durchsetzung privatrechtlicher Ansprüche gottlob seit der Neuzeit nicht mehr gelten und der Staat das Monopol für die zwangsweise Vollstreckung hat, muß der Staat auch dafür Sorge tragen, daß dieses System funktioniert.

Dabei kann selbstverständlich der Staat keine Garantie dafür übernehmen, daß das im sogenannten Erkenntnisverfahren erstrittene Urteil oder ihm gleichgestellte Vollstreckungstitel auch mit Erfolg exekutiert werden. Aber der Staat muß das Instrumentarium bereitstellen, damit der Gläubiger alsbald zu seinem Recht kommt.Wenn der Staat hier versagt, wird das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den Rechtsstaat nachhaltig erschüttert.

(Karl-Heinz Ehlers CDU: Sehr richtig!)

Vor diesem Hintergrund haben wir die Lage bei den Gerichtsvollziehern zu betrachten, und da gibt es gar keinen Zweifel, daß die Gerichtsvollzieher überlastet sind.Die Vollstreckungsabläufe sind infolgedessen langsam, und es droht die Gefahr, daß der Schuldner verzogen oder zwischenzeitlich in Vermögensverfall geraten ist, so daß der Vollstreckungstitel jedenfalls vorübergehend nur gedrucktes Papier ist.

(Karl-Heinz Ehlers CDU: Wieder sehr richtig!)

Ob dieser Zustand, der zahlenmäßig durch die Antwort des Senats auf die Große Anfrage belegt ist, hätte vermieden werden können, ist jetzt eine müßige Frage, denn es geht um schnelle und nachhaltige Abhilfe.Eine erste Maßnahme sind die fünf Rechtspfleger, die seit Oktober 1999 bis Ende dieses Jahres zusätzlich eingesetzt werden. Eine Verstärkung tritt ein, wenn die in der Drucksache genannten fünf Gerichtsvollzieheranwärter weiter tätig sind.Sie kennen allerdings alle die Haushaltssituation, die Schaffung neuer Stellen wird realistischerweise in diesem Jahr nicht möglich sein.

Der Senat spricht deshalb von Überbrückungsmaßnahmen; Frau Spethmann hat es hier schon angesprochen.Da trifft es sich gut, daß heute ein Artikel in der „Welt“ erschienen ist;ich unterstelle einmal, daß die Informationen dort zutreffen.Als erster Schritt in die richtige Richtung wird ein neues Schneiden der Gerichtsvollzieherbezirke genannt, und es wird auch angedeutet, daß im Zuge der Aufgabenverlagerung von den Rechtspflegern zu den Gerichtsvollziehern weitere Rechtspfleger mitwandern werden. Auch dies ist ein Schritt in die richtige Richtung. Ob allerdings die angedachte Verwendung von Rechtsreferendaren rechtlich machbar ist, daran habe ich meine Zweifel.

(Karl-Heinz Ehlers CDU: Ich auch!)

Nach unserer Auffassung ist es dringend geboten, daß die Senatorin im Rechtsausschuß detailliert Auskunft gibt und wir diese Dinge weiter dort beraten, damit nicht nur die genannte personelle Verstärkung Platz greift, sondern auch Möglichkeiten der Straffung von Arbeitsabläufen und Vermeidung unnötigen bürokratischen Aufwands erörtert werden können.

Unter diesem Vorzeichen beantragt die SPD-Fraktion die Überweisung der Drucksache zur weiteren Behandlung an den Rechtsausschuß. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD, der GAL und vereinzelt bei der CDU)

Das Wort hat Herr Erdem.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Es zeigt sich, daß wir uns alle hier im Parlament von der Opposition bis zur Regierungspartei einig sind, daß wir dort dringend Maßnahmen ergreifen müssen. Es geht nicht an, daß die Gerichtsvollzieher dermaßen überlastet sind, daß sie nicht mehr zum Vollstrecken kommen; da besteht bei allen Konsens.

Wichtig ist der andere Aspekt, wieso es zu dieser Überlastung kommt. Einige Aspekte hat Frau Spethmann genannt, die Novellierung des Gerichtsvollstreckungsgesetzes und die eidesstattliche Versicherung. Aber ein anderer Aspekt muß noch erwähnt werden, nämlich daß 50 000 bis 60 000 Leute überschuldet sind.Ein Gerichtsvollzieher wird nur dann tätig, wenn ein Titel erwirkt wird, und hinter diesem Titel stehen Menschen, die überschuldet sind und ihre Verbindlichkeiten nicht mehr zahlen können. Deswegen handelt der Gläubiger natürlich und versucht, sein Geld zu bekommen.

Das ist auch ein Sozialaspekt, der hinter diesem ganzen Konglomerat steht. Und wir sollten, wenn wir den Gerichtsvollziehern etwas Gutes tun wollen, auch erwähnen, daß eine soziale Komponente hinter dieser Sache steckt. Solange die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen 16 Jahre lang so waren, daß die sozialen Rechte beschnitten

(Viviane Spethmann CDU)

worden sind, solange die Arbeitslosigkeit ungeahnte Dimensionen angenommen hat, so lange gab es natürlich Menschen, die ihre Verbindlichkeiten nicht gezahlt haben. Heutzutage bekommen sie bei jeder Kreditanstalt gleich einen Kredit, ohne daß näher nachgeprüft wird, ob sie das bezahlen können. Schlagen Sie einmal eine Wirtschaftszeitung auf, dann können Sie sehen, daß jede Bank gleich einen Kredit anbietet. Und wenn diese Menschen in Not einen Kredit aufnehmen, droht ihnen im Endeffekt, wenn sie nicht zahlen, der Gerichtsvollzieher. Auch diese Gesichtspunkte müssen hier erwähnt werden.

Die Maßnahmen, die die Senatorin ad hoc gegriffen hat, finde ich vernünftig. Sie hat durch eine Presseerklärung mitgeteilt, daß sie zwölf neue zusätzliche Stellen geschaffen hat, die in nächster Zeit greifen sollen.Im Gegensatz zu meinen Kollegen von der SPD bin ich schon der Meinung, daß ein Rechtsreferendar eine eidesstattliche Versicherung abnehmen kann. Ein Rechtsreferendar ist eine juristisch ausgebildete Person mit mindestens einem Staatsexamen und vier oder sechs Jahren Rechtsausbildung an der Universität. Sie müssen Herrn Karpen fragen, ob die das können. Ich selbst war einmal als Gerichtsprotokollant für sechs bis sieben Monate tätig und war imstande, das zu bewältigen.

(Karl-Heinz Ehlers CDU: Das bestreite ich!)

Deshalb sollten wir im Rechtsausschuß noch einmal intensiv mit der Senatorin diskutieren. Die Senatorin hat uns in der Beantwortung der Großen Anfrage mitgeteilt, daß sowohl der Zuschnitt der Gerichtsvollzieheraufgaben als auch die in der Presseerklärung angekündigten Maßnahmen greifen sollen.

Ich möchte noch kurz einen Aspekt erwähnen. Frau Spethmann, die Zahlen haben sich in ihrer Dimension verändert. Zum Glück werden in dieser Stadt im Gegensatz zu den anderen Bundesländern die Mahnverfahren beschleunigter abgehandelt.Dadurch haben die Gläubiger die Möglichkeit, einen Titel in die Hand zu bekommen, mit dem sie 30 Jahre lang vollstrecken lassen können. Das heißt nicht, daß unser Rechtssystem oder die Rechtspflege im Stillstand ist, im Gegenteil. Unsere Senatorin hat es im Mahnverfahren geschafft, daß der Gläubiger rechtzeitig einen Titel in der Hand hat. Damit kann er jederzeit auf das Vermögen des Schuldners zugreifen.

Die Probleme sind erörtert worden, und wir sollten im Rechtsausschuß dieses Thema noch einmal intensiver diskutieren.

(Beifall bei der GAL)

Das Wort hat Frau Senatorin Dr. Peschel-Gutzeit.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Belastung der Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollzieher in Hamburg ist in der Tat ein Problem, das uns sehr beschäftigt. Bei der Opposition könnte man heraushören, man hätte uns erst aus dem Tiefschlaf wecken müssen. So ist es natürlich nicht,

(Dr. Michael Freytag CDU: Meistens ist es aber so!)

sondern man muß ehrlicherweise sagen, daß die Arbeitsbelastung dieses Berufsstandes ganz erheblich zugenommen hat, und das beruht zum Teil auf dieser gesetzlichen Neuregelung, die seit einem Jahr in Kraft ist, die Zweite

Zwangsvollstreckungsnovelle.Aber es gibt auch eine Reihe anderer Ursachen.

Vielleicht noch einmal zur Erinnerung. Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollzieher haben immer schon die Aufgabe gehabt, Zustellungen, Zwangsvollstreckungsaufträge, Wechsel- und Scheckproteste durchzuführen oder entgegenzunehmen. Sie müssen daneben Zahlungs- und Schriftverkehr abwickeln, Kostenrechnungen erstellen und ähnliches mehr. Neu hinzugekommen ist ab 1. Januar letzten Jahres die Abnahme der eidesstattlichen Versicherungen, etwas, das bis dahin bei den Amtsgerichten durchgeführt wurde.Insbesondere in diesem Bereich ist seit Inkrafttreten dieses Gesetzes eine überproportionale Fallzahlerhöhung zu beobachten.

Vielleicht noch einmal zum Vergleich: 1997 und 1998, also vor Inkrafttreten dieses Gesetzes, lag die Zahl der eidesstattlichen Versicherungen bei knapp 50 000, nämlich 47800 in 1997 und 48 600 in 1998. Im letzten Jahr ist diese Zahl plötzlich auf über 70 000 hochgeschnellt, eine erhebliche Steigerung von fast 40 Prozent. Nun sind für diese Steigerung mindestens zwei Faktoren maßgeblich, die hier schon erwähnt worden sind; ich will sie im Zusammenhang noch einmal kurz darstellen.

Es ist eben vom Herrn Abgeordneten Erdem darauf hingewiesen worden, daß die Mahnverfahren in Hamburg erheblich zugenommen haben.Wir haben plötzlich eine Steigerung von 50 000 auf über 100 000 Verfahren, was bedeutet, daß entsprechend mehr Gläubiger in den Besitz eines vollstreckbaren Titels kommen, und natürlich gelangen die dann zur Zwangsvollstreckung. Das alles hat mit der Novelle im Zwangsvollstreckungsrecht nichts zu tun, wohl aber mit der Beschleunigung der Mahnverfahren in Hamburg.Das heißt, wir haben sozusagen – das haben wir natürlich auch gern getan – unsere Arbeit selbst vermehrt. Und dann ist die eidesstattliche Versicherung neu zu den Aufgaben der Gerichtsvollzieher hinzugekommen.

Aber die Gerichtsvollzieher haben noch mehr zu tun. Zum Beispiel müssen die Schuldnerinnen und Schuldner, wenn der Gerichtsvollzieher kommt, alles Mögliche offenbaren, wenn sie etwa die Durchsuchung ihrer Wohnung verweigern. Hier entfällt jetzt – das ist vereinfacht worden –, daß diese Durchsuchung durch einen richterlichen Durchsuchungsbeschluß angeordnet werden muß. Der Gerichtsvollzieher kann bei einem entsprechenden Antrag des Gläubigers – der wird normalerweise gestellt, weil er in einem Formular gleich mitgestellt werden kann – ohne weitere Verzögerung den Schuldner zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung auffordern. Des weiteren können die Gerichtsvollzieher nach der jetzigen Neuregelung unmittelbar im Anschluß an eine fruchtlose Mobiliar-Zwangsvollstreckung an Ort und Stelle sofort die eidesstattliche Versicherung abnehmen.Der Schuldner muß nicht wie bisher gesondert vorgeladen werden, also eine Verkürzung des Verfahrens, und es braucht auch keinen vorausgehenden vergeblichen Pfändungsversuch mehr zu geben.

All das ist natürlich im Interesse eines Gläubigers, bedeutet aber, daß bei den Gerichtsvollziehern plötzlich viel mehr Verfahren anbranden als vorher beim Amtsgericht.

In allen Bundesländern, keineswegs nur in Hamburg, ist daher eine deutliche Erhöhung der Gerichtsvollzieheraufgaben zu beobachten, und das erhöht sich noch dadurch, daß in allen Bundesländern die Insolvenzordnung bisher nicht so gegriffen hat, wie das alle erhofft hatten. Ob und in welchem Umfang die von mir eben geschilderte Fallzahl

(Mahmut Erdem GAL)

A C

B D