Protokoll der Sitzung vom 02.03.2000

Wer wünscht hierzu das Wort? – Das Wort erhält Herr Polle.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Es wäre schön, wenn die Hamburger S-Bahn vom Komfort her zu 100 Prozent erstklassig wäre. Das wäre im Interesse aller S-Bahn-Kunden für die nahe Zukunft zu wünschen. Hamburg würde sich damit einem allgemeinen Trend in Europa zur klassenlosen S-Bahn anschließen. Im Pariser Nahverkehrsverbund wurde das zum 1. September 1999 eingeführt. München begann damit versuchsweise 1972 zu den Olympischen Spielen und hat sie dann 1983 abgeschafft. So nachzulesen im Internet. München macht dafür Werbung.

Auch in Berlin gibt es schon lange keine 2. Klasse mehr.

(Ole von Beust CDU: Keine 1. Klasse!)

Überhaupt keine Klassen mehr, es ist egal welche.

Auf meine Kleine Anfrage vom März 1992 hinsichtlich Überlegungen, die 1. Klasse abzuschaffen, gab der Senat zur Antwort:

„Ja, die Überlegungen sind aber noch nicht abgeschlossen.“

Es wäre schön, wenn diese Überlegungen jetzt zum 30. Juni des Jahres 2000 abgeschlossen werden könnten.

(Glocke)

Meine Damen und Herren! Das ist die letzte Debatte. Ich bitte um mehr Ruhe. Das Wort hat Herr Polle.

Allerdings ist die zögerliche Haltung des Senats sehr verständlich.Die Einnahmeeinbußen könnten beträchtlich sein. Sie wurden 1994 mit 6 Millionen DM beziffert. Diese Zahl scheint heute noch aktuell zu sein.Ein weiterer Grund des Zögerns könnte sein, daß man befürchtet, daß 1.-Klasse-Fahrgäste abwandern und wieder ins Auto umsteigen. Auch das ist ein unerwünschter Effekt, und es muß genau untersucht werden, in welchem Umfang dies zu befürchten wäre. Mir ist es sehr verständlich, daß S-Bahn-Kunden, die häufig lange Strecken zurücklegen, fürchten, daß sie auf ihre bisherige Bequemlichkeit verzichten müssen. Die SPD-Fraktion nimmt diese Bedenken ernst, aber wir meinen, daß die Vorteile überwiegen. Sie sind in unserem Antrag aufgelistet. Das Rennen der Fahrgäste zu den Türen der 2. Klasse würde aufhören, wenn jetzt vor ihnen unerwarteterweise die 1.Klasse hält.Das Gedrängel vor den Türen der 2.Klasse würde aufhören. Das Sitzplatzangebot für alle Fahrgäste würde insgesamt größer werden, und das Tarifsystem wird überschaubarer.Wenn in fahrgastarmen Zeiten erheblich mehr Kurzzüge eingesetzt werden könnten, weil das Platzangebot insgesamt zur Verfügung steht, könnten Kosten gespart werden, und das Sicherheitsgefühl der Fahrgäste könnte auch größer werden.

(Susanne Uhl REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Es bleibt allerdings die Befürchtung der Einnahmeverluste. Sie kann nur durch Zuwachs an Fahrgästen ausgeglichen werden.Neue Fahrgäste gewinnt man durch guten Service, Pünktlichkeit, Sicherheit und Sauberkeit. Für Fahrkomfort würde die zusätzliche Kapazität der 1. Klasse sorgen. Wir müssen sehen, daß einige S-Bahn-Linien morgens zum Berufsverkehr an ihre Kapazitätsgrenze angelangt sind. Die Fahrgäste in der 2. Klasse stehen zum Teil wie Sardinen in der S-Bahn, und das führt nicht dazu, daß weitere Fahrgäste angelockt werden können. Eine größere Verteilung über den gesamten Zug könnte dafür sorgen, daß weitere Leute bewogen werden, auf ihr Auto zu verzichten und umzusteigen.

(Beifall bei der SPD)

Die Anschaffung neuer S-Bahn-Züge hat den Komfort erheblich erhöht. Sie sind schon im Einsatz. S-Bahnhöfe sind renoviert worden. Die Selbstabfertigung der S-Bahn-Züge sorgt für mehr Pünktlichkeit, und der Begleitservice der S-Bahn sorgt für mehr Sicherheit. So sind die Straftaten in den S-Bahnen 1998 um 40 Prozent zurückgegangen und 1999 noch einmal um 19 Prozent. Das alles sollte doch immer mehr Hamburger dazu bewegen umzusteigen.

(Petra Brinkmann SPD: Richtig!)

Das Personal wird geschult und ist zunehmend freundlicher geworden. Es ist kompetenter, und die Beschwerden sind entsprechend drastisch zurückgegangen, wie mir von der Marketing-Abteilung der S-Bahn GmbH versichert wurde. So ist die Abschaffung der 1. Klasse, also die Schaffung einer klassenlosen S-Bahn, vor allem eine unternehmerische Entscheidung.Wir haben jetzt eine GmbH, wir haben eine Privatisierung der S-Bahn und damit ein vermehrt kaufmännisches Denken. Dieses sollten wir hier auch abfordern. Die S-Bahn sollte selbst unternehmerisch Entscheidungsvorlagen liefern können. Wir haben damit die Chance auf mehr Kundenzufriedenheit und auf mehr Kunden im ÖPNV. Diese Chance sollten wir nutzen und der S-Bahn Gelegenheit geben, hieran zu arbeiten und Marketing-Anstrengungen zu unternehmen, mehr Kunden zu gewinnen. Schaffen wir also die klassenlose S-Bahn.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Das Wort erhält Herr Röder.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Dieser Thematik hat sich vor vielen Jahren schon Erich Kästner angenommen.Aus seinem bekannten Eisenbahngleichnis will ich kurz zwei Sätze zitieren:

„Wir sitzen alle im gleichen Zug und reisen durch die Zeit. Die 1. Klasse ist fast leer, ein feiner Herr sitzt stolz im roten Plüsch und atmet schwer. Er ist allein, er spürt das sehr, die Mehrheit sitzt auf Holz.“

Daran hat sich bis heute bei den S-Bahn-Zügen nur wenig verändert,

(Barbara Duden SPD: Das Holz aber!)

denn abends vermitteln die 1.-Klasse-Wagen nach wie vor ein Gefühl der Unsicherheit, aber es ist Hoffnung am Horizont, denn in zwei Jahren werden die alten Züge ausgemustert sein, und es gibt in Zukunft einen ganz augenfälligen Unterschied zwischen den beiden Klassen. In der 1. Klasse sind die Polster blau, und in der 2. Klasse sind die Polster zukünftig rot.

(Dr. Martin Schmidt GAL: Rot sind sie nicht, son- dern grün!)

Also auch dieser Unterschied wird dann in Zukunft entfallen sein. Nach einer Abschaffung der 1. Klasse wird natürlich auch das Tarifsystem, das wir derzeit haben, überschaubarer, was im übrigen auch den vielen Hamburger Besuchern mit Sicherheit zugute kommen wird.

Was ich nicht verstehen kann, ist, daß Herr Polle plötzlich soviel Verständnis für die zögerliche Haltung des Senates hat.Wie ist denn die Situation jetzt? Jetzt sitzen 14 Prozent der Fahrgäste in 33 Prozent der Länge aller Züge, und sie zahlen insgesamt nur 10 Prozent des Fahrgeldes, daß der Zug sich bewegt.Das ist schlicht unwirtschaftlich.Hier hätte man sich schon längst etwas einfallen lassen müssen. Die Sorge vor Einnahmeverlusten ist unbegründet. Es wird dann zwar nicht mehr der 2-DM-Zuschlag für die Einzelfahrt kommen – das sind dann runde 3 Prozent, also wahrscheinlich 6 Millionen DM im Jahr weniger Einnahmen –, aber dem wird eine ganz erhebliche Attraktivitätssteigerung gegenüberstehen.

Erstens: Die S-Bahn wird insgesamt schneller, weil auch die Abfertigung auf den Bahnhöfen schneller gehen wird.

Zweitens: Die Fahrgäste müssen zukünftig nicht mehr im 2.-Klasse-Abteil stehen, während das 1.-Klasse-Abteil weitestgehend leer ist. Wer immer sich in den Weihnachtseinkauf mit der S-Bahn begibt, weiß sehr genau, wovon ich spreche. Auch das Laufen auf den Bahnsteigen wird zukünftig entfallen.

Meine Damen und Herren! Mit diesem Antrag laufen Sie bei der CDU-Fraktion eine Drehtür ein.

(Dr. Holger Christier SPD: S-Bahn-Tür!)

Der Antrag entspricht schon längst den von uns wiederholt geäußerten Vorstellungen.Wir werden aber diesem Antrag gerne zustimmen.

(Beifall bei der CDU, vereinzelt bei der SPD und bei Heide Simon GAL)

Das Wort erhält Frau Sudmann.

Meine Damen, meine Herren! Die Argumente für die Abschaffung der 1. Klasse in der S-Bahn sind schon hinlänglich gesagt worden, wobei ich bei der Rede von Herrn Polle sogar ein bißchen gestaunt habe. Das klang fast wie eine Oppositionsrede, wenn Herr Polle sagt, daß er 1992 eine Anfrage gemacht hat und es einen Antrag an den Senat gibt, aber der Senat einfach nicht in die Puschen kommt. Da fragt man sich, ob Herr Polle in derselben Partei ist wie die Senatsriege.

(Dr. Holger Christier SPD: Da machen Sie sich man keine Sorgen!)

Aber das ist keine neue Geschichte. Ich weiß seit über 15 Jahren, seitdem ich im Verkehrsbereich tätig bin, daß alle Initiativen gefordert haben: Leute, schafft die 1. Klasse S-Bahn ab.Die CDU hat eben erstaunlicherweise nicht den Ideenklau der SPD bemängelt. Ich erinnere mich noch an diese Presseaktion, die mit Ole von Beust im letzten Jahr zur Abschaffung der 1. Klasse zustande gekommen ist.

(Ole von Beust CDU: Da können Sie mal sehen!)

(Rolf Polle SPD)

Die CDU hat sich gar nicht beschwert.Mag es daran liegen, daß die CDU ein kleines Problem hat, daß sie auf einmal die Vorkämpferin für die klassenlose Gesellschaft ist? Mag es daran liegen, daß die CDU hier nicht mehr laut sagen kann, warum sie eigentlich damals – also vor drei Monaten – für die Abschaffung der 1. Klasse S-Bahn war?

(Zuruf von Wolfhard Ploog CDU)

Herr Ploog, ich kann Sie nicht verstehen.

(Wolfgang Beuß CDU: Kommen Sie mal zur Sa- che!)

Ich rede zum Antrag „Abschaffung der 1. Klasse der S-Bahn“. Sie mögen jetzt schon etwas pikiert sein, weil ich durchaus noch ein bißchen auf Ihnen rumreiten möchte.

(Oh-Rufe bei der CDU)

Ich merke, daß die Männer in der Bürgerschaft alle noch sehr aufmerksam sind und sofort glauben, sie hätten etwas Unanständiges gehört. Wenn Sie immer so aufmerksam wären, wäre es toll.

(Oh-Rufe bei der CDU – Berndt Röder CDU: Was ist denn das für eine Phantasie!)

Nichtsdestotrotz mache ich jetzt weiter bei dem Ansinnen der CDU, die ursprünglich nur deswegen gegen die 1. Klasse war, weil in der 1. Klasse wirklich die soziale Mischung stattfindet, die die CDU bekämpft. In der 1. Klasse gibt es auf einmal auch die Obdachlosen, gibt es auch die Junkies, aber Sie haben es heute nicht gesagt. Vielleicht sollten Sie dazugelernt haben, vielleicht sollte ich ein Lob aussprechen, ich bin überrascht.