Protokoll der Sitzung vom 19.04.2000

(Michael Dose SPD: Die gibt es doch!)

Wir halten außerdem eine Neugestaltung der laufenden Grundschulempfehlung für ganz wichtig. Wir müssen den Mut haben, hier auch Korrekturen vorzunehmen, denn das augenblickliche System hat sich als nicht geeignet erwiesen.Wir schlagen deshalb vor, Schüler, die in den Fächern Mathematik, Deutsch und Sachunterricht nicht die Note Gut erreicht haben, an einem Probeunterricht teilnehmen zu lassen.

(Günter Frank SPD: Probewoche!)

Diesen Probeunterricht wollen wir durch eine gemeinsame Kommission von Grundschullehrern und Gymnasiallehrern ausgewertet sehen. Auf dieser Grundlage soll eine Elternberatung stattfinden. Den Elternwillen – um das auch noch einmal explizit zu erklären – wollen wir nicht antasten! Wohl soll es aber so sein, daß Kinder, wenn sie an einer Probewoche teilgenommen haben, eine probeweise Empfehlung für das Gymnasium oder eine Aufnahmeempfehlung erhalten sollen.

(Ingrid Cords SPD: Das hatten wir alles schon! Das ist 30 Jahre her! – Michael Dose SPD: Vorwärts in die Vergangenheit!)

Diejenigen Schüler, die probeweise für ein Jahr auf das Gymnasium kommen, sollen spätestens nach einem Jahr eine endgültige Empfehlung bekommen, ob sie an der Schule bleiben können.Wenn sie aber den Anforderungen dort nicht gerecht werden können, sollen sie – auch um ihrer selbst willen – in den Haupt- und Realschulbereich zurückversetzt werden.Die jetzige Regelung, die wir in diesem Bereich haben, ist unehrlich und geht zu Lasten der schlechten Schüler, aber auch des Leistungsniveaus der guten Schüler.

Drittens: Wir brauchen eine organisatorische und inhaltliche Reform der Gesamtschulen. Wir schlagen deshalb vor, daß einzelne Gesamtschulstandorte – nicht alle, aber diejenigen, die die Frequenzen nicht erreicht haben – entweder in kooperative Gesamtschul- oder in Haupt- und Realschulstandorte umgewandelt werden. Dringend notwendig ist eine Evaluation des Angebots und der Inhalte von Gesamtschulen gerade vor dem Hintergrund, daß dieser Schultyp immer weniger nachgefragt wird. Daraus müssen dann inhaltliche und organisatorische Konsequenzen gezogen werden. Es kann nicht angehen, daß eine Schulform, die bei Eltern und Schülern immer weniger nachgefragt wird, finanziell weitaus besser als jede andere Schulform in Hamburg ausgestattet ist.

Viertens:Wir fordern den sofortigen Stopp des unsäglichen Versuchs, die Grundschule auf sechs Jahre zu erweitern. Wir haben im Grundschulbereich und auch im Bereich der Sekundarstufe ganz andere Probleme und deshalb nicht die Ressourcen, uns jetzt auch noch mit einer solchen überflüssigen Angelegenheit zu beschäftigen. Wir müssen uns auf die wesentlichen Probleme konzentrieren, die wir im Schulstandort Hamburg haben.

Frau Goetsch hat das beim letzten Mal, als wir über dieses Thema sprachen, angedeutet: Wir brauchen meines Erachtens eine mittelfristige Schulentwicklungsplanung. Ich

(Wolfgang Beuß CDU)

mache dieses nicht am Standort St. Georg fest, in dem auch ich arbeite. Die Entwicklung dort macht deutlich, was in diesem Stadtteil alles am Wanken ist und welche Sorgen bei den Kollegien vorhanden sind, weil die Schülerzahlen nicht mehr so hoch wie ursprünglich sind. Hier müssen regional alle in ein Boot, und es muß versucht werden, eine vernünftige Schulstrukturentscheidung für diesen Stadtteil zu schaffen. Das gelingt nicht damit, daß man anhand der Anmeldezahlen weiter rumwurschtelt, aber nicht durchgreifende Entscheidungen trifft.

Ich fasse zusammen: Das Hamburger Schulangebotssystem muß in seiner Dreigliedrigkeit wieder gestärkt und reformiert werden. Statt einer Abiturinflation brauchen wir endlich wieder ein gestuftes Qualifikationsabschlußsystem, das der individuellen Begabung und auch den Schwächen unserer Schüler gerecht wird. Frau Pape, ich hoffe, daß Sie dieses in Ihrer Behörde im Interesse der Zukunft unserer Schüler auf den Weg bringen. Ich biete Ihnen gern meine konstruktive Zusammenarbeit an.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort erhält Herr Frank.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte die Gelegenheit zunächst einmal wahrnehmen, der neuen Schul- und Jugendsenatorin Frau Pape eine lange Amtszeit zu wünschen, viel Erfolg und auch ein bißchen Glück. Auch das braucht man manchmal.

(Beifall bei der SPD, der GAL und bei Wolfgang Beuß CDU)

Und nun zu dem hier vorliegenden Antrag der CDU. Er ist aus unserer Sicht in allen Punkten der Empfehlungen völlig unzureichend. Ich kann aus zeitlichen Gründen nur auf zwei oder drei Punkte eingehen.

Der Antrag wirkt zunächst einmal sehr polemisch: Das Gymnasium ist zu einer „Hauptschule“ geworden, die richtige Hauptschule zu einer „Restschule“, und die Gesamtschulen taugen nichts und müssen pädagogisch und organisatorisch nachgebessert werden.

(Bettina Machaczek CDU: Genauso ist es!)

So, Herr Beuß, habe ich das dem Text entnommen. Wer sich Eltern, Schülern und Lehrern gegenüber mit den Schulformen so auseinandersetzt, wie Sie das hier tun, wer Jugendliche zu „Restschülern“ erklärt, der darf sich dann auch über nichts mehr wundern.

Unter Punkt 1 fordern Sie für einen Teil der Grundschüler beim Übergang in die Klasse 5 der gymnasialen Beobachtungsstufe eine Probewoche. Sie greifen diesen Punkt vor dem Hintergrund der gestiegenen Anmeldezahlen für die Gymnasien auf. Die Schnittstelle von Klasse 4 zur Klasse 5 ist in unserem Schulsystem in der Tat eine, an der Lebenschancen, an der gesellschaftliche Chancen von Kindern offengehalten werden oder auch verbaut werden können. Wir wissen, daß 30 Prozent der Schülerinnen und Schüler ohne Gymnasialempfehlung das Gymnasium erfolgreich besuchen. Und nach der LAU-Studie gehören circa 12 Prozent der Schülerinnen und Schüler in der Klassenstufe 6 der gymnasialen Beobachtungsstufe eigentlich gar nicht in diese Schulform, während rund 14 Prozent der HR-Schülerinnen und -Schüler der Klassenstufe 6 eigentlich auf das Gymnasium gehörten. Die Frage der Übergänge ist also keine sehr leicht zu beantwortende.

Unser Schulsystem muß für alle Kinder durchlässig bleiben und muß die Lernentwicklungsmöglichkeiten offenhalten. Unser Schulsystem muß die Frage der Chancengleichheit im Schulalltag konkret aufgreifen. Es ist unsere schulpolitische Verpflichtung, die Begabungspotentiale aller Kinder aus allen Schichten auszuschöpfen.

(Hartmut Engels CDU: Das ist ja gerade nicht der Fall! Das hat die LAU ergeben!)

Es gibt aber zwei weitere Aspekte, die zu beachten sind: Schulversagen ist in der Regel mit schweren psychischen Belastungen verbunden.Davon sind auch Kinder betroffen, die auf einem Gymnasium erkennbar überfordert sind. Zu beachten ist auch, daß die Standardsicherung unserer Schulabschlüsse und damit die Qualität jeder Schulform von zukunftsweisender Bedeutung ist. Das darf man dabei nicht übersehen. Unter Beachtung von Elternrecht, Durchlässigkeit und Qualität muß deshalb an dieser Schnittstelle Klasse 4 und 5 eingehend geprüft werden, ob uns bessere Steuerungsinstrumente als bisher zur Verfügung stehen: Zensuren, Grundschulempfehlung, letztlich das Elternwahlrecht. Das ist eine sehr wichtige Frage, die wir zu beantworten haben werden.

Herr Beuß, Sie haben doch auch Herrn Lehmann in der Anhörung des Schulausschusses gehört. Ich darf hier einmal zitieren:

„Ich finde, wir haben hinreichend gezeigt, daß das Instrument der Zensur unbeschadet seiner Meriten in manchen Bereichen und unbeschadet seiner partiellen Übereinstimmung mit dem, was Tests sagen, es eigentlich ausschließt, daß man diese Entscheidung von Zensuren abhängig macht. Hier muß man nach anderen Steuerungsmechanismen suchen.Nach unserer Auffassung kann man das eben nicht über Notendurchschnitte oder komplexe Zugangsregelungen steuern.“

Das ist eine wichtige Aufgabe. Sie werden jetzt vielleicht verstehen – oder auch nicht –, daß ich Ihren Punkt „Probewoche“ für völlig abwegig halte, nach dem Motto „Fritzchen, setz dich, ich will dich eine Woche lang beobachten, und dann kann ich dir sagen, was du in Zukunft kannst“.So geht das nicht, das ist kein geeignetes Steuerungsinstrument, ganz abgesehen davon, daß aus meiner Sicht dahinter auch kein akzeptables Menschenbild steckt.

Nun zu der Standortfrage.Was die angeht, so sind die Gesamtschulanmeldungen in den letzten Jahren etwas rückläufig gewesen.

(Wolfgang Beuß CDU: Nur „etwas“?)

Aber mit rund 30 Prozent ist und bleibt die Gesamtschule, Herr Beuß, eine wichtige Schulform, die in den Stadtteilen wichtige pädagogische Arbeit leistet. Das ist überhaupt keine Frage.

(Wolfgang Beuß CDU: Das habe ich nicht bestrit- ten!)

Standortfragen werden über das Elternwahlrecht gesteuert, über die im Schulgesetz festgelegten Mindestzügigkeiten und über die gesetzliche Verpflichtung, die regionale Versorgung sicherzustellen.

Wer andere Steuerungsinstrumente will, muß das sagen. Wir halten diese nach wie vor für ausreichend. Wenn Sie andere wollen, müssen Sie diese konkretisieren und hier erläutern. Dennoch sollte die stadtteilbezogene Schulentwicklung sehr genau analysiert werden, um gegebenenfalls schwierige Entwicklungen in den Stadtteilen erkennen und

(Wolfgang Beuß CDU)

überdenken zu können. Ein Beispiel ist die Gesamtschule Steilshoop.

Daß Gesamtschulstandorte geschlossen werden müssen, wenn die Voraussetzungen nicht mehr erfüllt sind, ist dann unvermeidbar – siehe Grellkamp. Ihre Darstellung, hier werde alles ignoriert, entbehrt aber jeder Grundlage. Ich gehe davon aus, daß Frau Pape das hier auch erläutert.Die Schulbehörde arbeitet gerade an der Frage, wie die Elternentscheidungen zu handhaben sind. Im übrigen gibt es auch im Gymnasialbereich an manchen Standorten erhebliche Einbrüche. Und wenn zwei Drittel aller Oberstufen im Gymnasialbereich weniger als 60 Schülerinnen und Schüler in einem Jahrgang haben, dann sind das strukturelle Probleme, die einer eingehenden Diskussion bedürfen, wenn die Qualität der Oberstufen erhalten bleiben soll.

Zum Schluß zum Punkt 4, in dem Sie eine Neukonzeption der Gesamtschule fordern und auf die Lernausgangslagenuntersuchung verweisen. Abgesehen davon, daß die Gesamtschulentwicklung für die Gesamtschulen selbst eine Herausforderung sein muß und ist, mit diesem Punkt 4 wollen Sie diffamieren. Anders kann ich diesen Punkt nicht verstehen. Sie argumentieren mit LAU 7, aber interessengeleitet an LAU 7 völlig vorbei. Das Gutachten zeigt zunächst einmal die Stärke des Hamburger Schulwesens, und zwar ganz eindeutig die Förderkompetenz der Hamburger Lehrerschaft. Die Feststellung einer nicht ausreichenden Förderung leistungsstärkerer Schülergruppen bezieht sich auf alle Schulformen, Herr Beuß, nicht nur auf eine Schulform, die Sie hier immer gerne erwähnen. Deshalb müssen alle Schulformen differenzierte Konzepte entwickeln, um die Kompetenzen und Begabungen dieser Schülerinnen und Schüler stärker zu fördern. Es geht also nicht nur um Fördern, sondern auch um Fordern, um Anforderungen, und zwar in allen Schulformen. Diese Untersuchung zwingt zu wichtigen Diskussionen und vielleicht auch zu neuen Überlegungen. Die Schulpolitik hat hier noch einige Hausarbeiten vor sich. Diese wichtige und schwierige Aufgabe allerdings nur bei den Gesamtschulen zu sehen, ist falsch und unsachlich.

Ich will es bei diesen zwei, drei Punkten belassen.Vor diesem Hintergrund können und wollen wir Ihrem Antrag nicht zustimmen. – Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Das Wort erhält Frau Goetsch.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren und vor allen Dingen meine Herren von der CDU! Ich gehe davon aus, daß dieses Thema von den Herren Beuß, von Beust und Engels analysiert wurde.

Erstens ist Ihre Analyse falsch. Sie können die Zahlen anscheinend trotz Mathematikausbildung nicht richtig auswerten. Zweitens sind dadurch logischerweise die Konsequenzen, die Sie daraus ziehen, falsch.Und drittens ist Ihre Kreativität auf den Nullpunkt gekommen. Vor allen Dingen vermischen Sie in Ihrem Antrag strukturelle mit pädagogischen Fragen. Sie malen ein Horrorszenario nach dem Motto „Die ganze Schullandschaft bricht demnächst zusammen“. Das ist zu kurz gesprungen und populistisch.

Zu Ihrer Analyse. Es sind exakt sechs von 37 Gesamtschulen, die die Dreizügigkeit noch nicht erreichen, und tatsächlich sind zwei bis drei Schulen hoch gefährdet. Das muß man ehrlicherweise sagen. Die Frage, wie man damit

umgeht, muß sorgfältig diskutiert werden.Wir müssen auch die Stadtflucht, die gerade bei diesen Schulen eine riesige Rolle spielt, unbedingt überprüfen. Ich komme noch nachher auf meine Konsequenzen in diesem Punkt zurück.

Wir müssen uns andererseits fragen, warum im Bereich Süderelbe in der Anmelderunde ein Anstieg zu verzeichnen ist. Das kann man nicht ignorieren, das muß ja an irgend etwas liegen.

(Dr. Hans-Peter de Lorent GAL: Ganz genau so ist es!)

Sie haben eine Schulform, die Sie immer besonders gestärkt haben wollen, nämlich die Haupt- und Realschulen, in Ihren Zahlen ausgelassen und sehen überhaupt nicht – vielleicht haben Sie das auch absichtlich negiert? –, daß über 20 Haupt- und Realschulen noch nicht einmal die Zweizügigkeit erreichen.Da muß die Frage gestellt werden: Was ist denn da los?

(Wolfgang Beuß CDU: So ist es!)

Es ist nicht damit getan, jetzt irgendwelche Ressourcen umzusteuern, sondern es geht um Inhalte. Konzeptionell machen Sie keinen einzigen Vorschlag,